· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Rückstellungen für Urlaubstage in der Handels- und Steuerbilanz
| Bei der Erstellung der Jahresabschlüsse gilt oft das Motto: „Hoch lebe das Vorjahr.“ Doch immer wieder gibt es Sachverhalte, die im Vorjahr nicht vorhanden bzw. zu beurteilen waren. Der praktische Fall zeigt, wie bei einer erstmalig zu bildenden Rückstellung für Urlaubstage in der Handels- und Steuerbilanz vorzugehen ist. |
1. Sachverhalt
Die Meise-GmbH ist eine Kapitalgesellschaft, die sich auf die Entwicklung und den Vertrieb von Brettspielen spezialisiert hat. In 2020 boomte die Nachfrage nach Brettspielen wegen der Coronapandemie, sodass die Mitarbeiter der Meise-GmbH am Limit arbeiten mussten. Die betriebliche Regelung, dass Urlaubstage nicht ins Folgejahr übernommen werden dürfen, wurde für die zwei Mitarbeiter des Vertriebs (Frau Holz und Herr Hüttgen) arbeitsrechtskonform aufgehoben. Zum 31.12.20 betragen die Resturlaubstage für Frau Holz 8 Tage; bei Herrn Hüttgen sind es 17 Tage. Sie müssen 2021 genommen werden.
Bei der Erstellung des Jahresabschlusses für 2020 stellt sich nun die Frage, wie die Rückstellung für nicht genommene Urlaubstage zu bilden ist.
2. Lösung
Zunächst werden die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten bei der Ermittlung der Rückstellung vorgestellt. Nach einer Betrachtung der relevanten Rückstellungsfaktoren erfolgt dann die Ermittlung der Rückstellung.
2.1 Zwei Ermittlungsmöglichkeiten
Haben die Mitarbeiter ihren Jahresurlaub nicht oder nicht vollständig im laufenden Geschäftsjahr genommen, besteht ein Erfüllungsrückstand. Da noch nicht bekannt ist, ob und wann die Mitarbeiter den Resturlaub verbrauchen, liegt eine ungewisse Verbindlichkeit vor, für die nach § 249 HGB eine Urlaubsrückstellung zu bilden ist.
2.1.1 Individualberechnung
Grundsätzlich ist die Urlaubsrückstellung als Individualberechnung für jeden einzelnen Mitarbeiter zu ermitteln. Dabei müssen die auf den jeweiligen Mitarbeiter entfallenden Urlaubstage und Aufwendungen konkret berechnet werden. Diese Variante ist insbesondere dann von Vorteil, wenn die Rückstellung möglichst genau ermittelt werden soll und der Betrieb über wenige Mitarbeiter verfügt.
2.1.2 Durchschnittsberechnung
Bei einer größeren Anzahl an Mitarbeitern bietet sich die einfachere Methode der Durchschnittsberechnung an. Dabei sind zunächst sämtliche Mitarbeiter in Gruppen aufzuteilen, z. B. nach
- der Tätigkeit (z. B. sämtliche Bürokräfte, Außendienstmitarbeiter),
- der beruflichen Stellung (z. B. Lohn- und Gehaltsempfänger, Minijobber) oder
- dem Umfang der Arbeitszeit (sämtliche Vollzeitkräfte, Teilzeitkräfte).
Es bietet sich regelmäßig an, die Kriterien miteinander zu kombinieren. Im zweiten Schritt wird dann mit Durchschnittswerten weitergerechnet.
MERKE | Die einmal gewählte Methode ist auch in den Folgejahren anzuwenden. Ein Wechsel ist nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. |
2.2 Berechnungsfaktoren für die Rückstellung
Für die Rückstellungshöhe sind unabhängig von der gewählten Berechnungsmethode zunächst folgende Faktoren zu ermitteln: maßgebliches Urlaubsentgelt (Jahresarbeitsentgelt), Arbeitstage je Jahr und die Resturlaubstage.
Dabei ist die Berechnung für steuerliche und handelsrechtliche Zwecke unterschiedlich. Für steuerliche Zwecke geht der BFH (10.3.93, I R 70/91) von einer Geldschuld aus, die der Arbeitgeber hätte aufwenden müssen, wenn er seine Zahlungsverpflichtung bereits am Bilanzstichtag erfüllt hätte.
Für handelsrechtliche Zwecke sind nach der herrschenden Meinung mit der Urlaubsrückstellung nach dem Bilanzstichtag anfallende Personalaufwendungen zu berücksichtigen, denen keine Arbeitsleistung gegenüberstehen wird, weil der Mitarbeiter seinen Resturlaub abbaut. Je nach Berechnung der Rückstellung für die Steuer- oder Handelsbilanz sind deshalb andere Ausgangswerte heranzuziehen.
2.2.1 Ermittlung des Urlaubsentgelts (Jahresarbeitsentgelt)
Bei der Ermittlung der Höhe der rückständigen Urlaubsverpflichtung sind steuerrechtlich das Bruttoarbeitsentgelt, die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, das Urlaubsgeld und andere lohnabhängige Nebenkosten zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen sind jährlich vereinbarte Sondervergütungen (z. B. Weihnachtsgeld, Tantiemen oder Zuführungen zu Pensions- und Jubiläumsrückstellungen) sowie Gehaltssteigerungen nach dem Bilanzstichtag (vgl. H. 6.11 „Urlaubsverpflichtung“ EStH). Zahlungen, die kein Lohn- und Gehaltsbestandteil sind (also z. B. vermögenswirksame Leistungen) sind ebenfalls nicht zu berücksichtigen.
Beachten Sie | Nach einer Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz (15.3.06, 1 K 2369/03) ist das Weihnachtsgeld jedoch auch steuerrechtlich zu berücksichtigen, sofern es sich um einen festen Bestandteil der Bezüge und nicht um eine jährlich vereinbarte Sondervergütung handelt.
Handelsrechtlich sind die im Folgejahr anfallenden Kosten maßgebend. Somit sind z. B. Gehaltssteigerungen und Erhöhungen bei den Sozialversicherungen einzubeziehen. Ferner sind fest zugesagte Sonder- bzw. Einmalvergütungen (z. B. umsatzabhängige Tantieme), periodisierte Anteile von Aufwendungen, die erst später ausgezahlt werden (z. B. Zuführungen zu Pensions- und Jubiläumsrückstellungen) und anteilige Gemeinkosten einzubeziehen.
2.2.2 Ermittlung der Arbeitstage je Jahr
Da es sich bei dem im ersten Schritt ermittelten Urlaubsentgelt um einen Jahresbetrag handelt, muss dieses durch die Anzahl der jährlichen Arbeitstage geteilt werden. So erhält man das Urlaubsentgelt je Urlaubstag.
Nach der Rechtsprechung des BFH (29.1.08, I B 100/07) ist die steuerliche Rückstellung auf Basis der regulären Arbeitstage zu berechnen. Somit werden Urlaubs- und Krankheitstage nicht mindernd berücksichtigt. In der Handelsbilanz muss mit den tatsächlichen Arbeitstagen, also abzüglich neuem Urlaubsanspruch und zu erwartenden Fehlzeiten, gerechnet werden.
Beachten Sie | Aus Vereinfachungsgründen wird in der Praxis bei einer 5-Tage-Woche oftmals mit 250 Tagen für steuerliche Zwecke gerechnet. Demgegenüber werden handelsrechtlich oft 220 Tage angesetzt.
2.2.3 Ermittlung der Resturlaubstage
Die Ermittlung der Resturlaubstage ist für die Steuer- und Handelsbilanz identisch. Es wird die Summe der zum Bilanzstichtag noch nicht genommenen Urlaubstage des jeweiligen Arbeitnehmers ermittelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur noch wirklich zustehende Urlaubstage anzusetzen sind. Sind Urlaubstage aus Altjahren bereits verfallen (regelmäßig, wenn diese nicht innerhalb der ersten drei Monate des Folgejahrs genommen werden), dürfen diese nicht berücksichtigt werden.
Beachten Sie | Bei Urlaubstagen aus Altjahren ist daher stets zu prüfen, ob der Anspruch noch besteht (z. B. wegen Elternzeit, längerer Erkrankung des Mitarbeiters etc.) oder bereits verfallen ist.
2.3 Ermittlung der Urlaubsrückstellung
Nachdem die obigen drei Faktoren ermittelt wurden, lässt sich nun die Höhe der Rückstellung sowohl für die Steuer- als auch für die Handelsbilanz einfach berechnen (Rückstellung = Urlaubsentgelt/Arbeitstage x Resturlaubstage). Da die Resturlaubstage im kommenden Jahr genommen werden und die Rückstellung demzufolge weniger als 12 Monate besteht, unterbleibt sowohl in der Steuer- als auch in der Handelsbilanz eine Abzinsung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG bzw. § 253 Abs. 2 S. 1 HGB).
| |||
Die Meise-GmbH hat für die Berechnung der Rückstellung folgende Parameter zur Verfügung gestellt: | |||
Mitarbeiter | Fr. Holz | Hr. Hüttgen | Summe |
Bruttojahresgehalt | 39.000 EUR | 42.000 EUR | 81.000 EUR |
AG-Anteil SV (20 %) | 7.800 EUR | 8.400 EUR | 16.200 EUR |
Gehaltssteigerungen in 2021 (5 %) | 1.950 EUR | 2.100 EUR | 4.050 EUR |
Resturlaubstage | 8 | 17 | 25 |
| |||
Rückstellung nach der Individualberechnung | |||
Mitarbeiter | Fr. Holz | Hr. Hüttgen | Summe |
| 39.000 EUR | 42.000 EUR | 81.000 EUR |
| 7.800 EUR | 8.400 EUR | 16.200 EUR |
| 46.800 EUR | 50.400 EUR | 97.200 EUR |
| 250 | 250 | |
| 187,20 EUR | 201,60 EUR | |
| 8 | 17 | |
| 1.497,60 EUR | 3.427,20 EUR | 4.924,80 EUR |
Rückstellung nach der Durchschnittsberechnung | |||
Mitarbeiter | Vertrieb (Holz und Hüttgen) | ||
Urlaubsentgelt | 97.200 EUR | ||
Anzahl Arbeitnehmer in der Gruppe | 2 | ||
| 48.600 EUR | ||
Durchschnitt Arbeitstage | 250 | ||
| 194,40 EUR | ||
Resturlaubstage | 25 | ||
Rückstellungsbetrag | 4.860,00 EUR |
| |||
Rückstellung nach der Individualberechnung | |||
Mitarbeiter | Fr. Holz | Hr. Hüttgen | Summe |
| 40.950 EUR | 44.100 EUR | 85.050 EUR |
| 8.190 EUR | 8.820 EUR | 17.010 EUR |
| 49.140 EUR | 52.920 EUR | 102.060 EUR |
| 220 | 220 | |
| 223,36 EUR | 240,55 EUR | |
| 8 | 17 | |
| 1.786,88 EUR | 4.089,35 EUR | 5.876,23 EUR |
Rückstellung nach der Durchschnittsberechnung | |||
Mitarbeiter | Vertrieb (Holz und Hüttgen) | ||
Urlaubsentgelt | 102.060 EUR | ||
Anzahl Arbeitnehmer in der Gruppe | 2 | ||
= Urlaubsentgelt je Mitarbeiter (102.060 EUR ÷ 2) | 51.030 EUR | ||
Durchschnitt Arbeitstage | 220 | ||
= Urlaubsentgelt je Tag/Mitarbeiter (51.030 EUR ÷ 220) | 231,95 EUR | ||
Resturlaubstage | 25 | ||
= Rückstellungsbetrag | 5.798,75 EUR |