· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Neues Wahlrecht bei Fotovoltaikanlagen rechtssicher ausüben
| Mit kleinen Fotovoltaikanlagen (PV-Anlagen) lassen sich ‒ wenn überhaupt ‒ nur kleine Gewinne erzielen. Ungeachtet der Größe der Anlage verursachen sie jedoch aufseiten der Finanzverwaltung und der Steuerpflichtigen Verwaltungsaufwand. Vor diesem Hintergrund ist das neue Wahlrecht in Bezug auf die Gewinnerzielungsabsicht (Liebhaberei) sehr zu begrüßen (vgl. BMF 29.10.21, IV C 6 - S 2240/19/10006 :006, Abruf-Nr. 225592 ). Der praktische Fall stellt die neuen Spielregeln vor. |
1. Sachverhalt
Der verheiratete Peter Meise betreibt zwei PV-Anlagen. Jede Anlage hat eine Leistung von 15 kW. Darüber hinaus ist seine Ehefrau Ute Eigentümer einer Immobilie. Das Erdgeschoss hat sie an eine Metzgerei vermietet, das Obergeschoss nutzt sie zusammen mit Peter zu eigenen Wohnzwecken. Das Erdgeschoss hat einen separaten Stromanschluss.
Auf dem Dach der Immobilie befindet sich seit 2016 eine PV-Anlage (8 kW), die von Ute Meise betrieben wird. Insbesondere wegen der Sonderabschreibung nach § 7g EStG hat Ute Meise in den Jahren 2016 bis 2020 Verluste erzielt. Nach dem Auslaufen der Förderung und der Rückführung der Finanzierung hat sie im VZ 2021 erstmalig einen kleinen Gewinn von 200 EUR erwirtschaftet.
Peter Meise hat von der neuen Vereinfachungsregelung der Finanzverwaltung zur Liebhaberei gehört und möchte nun von seinem Steuerberater wissen, welche Chancen sich für seine Frau und ihn ergeben. Die bisherigen ESt-Veranlagungen der Eheleute sind nicht mehr änderbar.
2. Lösung
Der Steuerberater stellt die neue Sichtweise der Finanzverwaltung vor und geht hierbei auf die konkrete Situation der Eheleute Meise ein.
2.1 Neues Wahlrecht im Überblick
Durch den Betrieb einer PV-Anlage erzielen Steuerpflichtige grundsätzlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG). Dies gilt auch für kleine Blockheizkraftwerke (BHKW). Voraussetzung ist jedoch, dass der Steuerpflichtige mit seiner Tätigkeit auf Dauer einen Gewinn erwirtschaften möchte. Fehlt es an der Gewinnerzielungsabsicht, ist die Tätigkeit als steuerlich unbeachtliche Liebhaberei zu klassifizieren.
Bei kleinen BHKW und kleinen PV-Anlagen hat die Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen mit BMF-Schreiben vom 2.6.21 nun erstmals ein Wahlrecht eingeräumt, den Betrieb ohne individuelle Totalüberschussprognoserechnung als Liebhaberei zu klassifizieren. Da in diesem Schreiben Fragen offengeblieben sind, wurde es mit Schreiben vom 29.10.21 (a. a. O.) konkretisiert.
Die folgende Übersicht gibt einen ersten Überblick über die Voraussetzungen des „Liebhaberei-Wahlrechts“:
Übersicht / Voraussetzungen für das „Liebhaberei-Wahlrecht“ | |||
Leistung der Anlage | Inbetriebnahme | Verwendung des erzeugten Stroms | Antragstellung |
installierte Leistung von bis zu 10,0 kW/kWp (ggf. Addition mehrerer Anlagen) | nach dem 31.12.03 oder ausgeförderte Anlage | nur Einspeisung und private Nutzung privilegiert | Mindestangaben und Fristen beachten |
2.2 Leistung der Anlage
Die PV-Anlage darf eine maximale Leistung von 10,0 kW/kWp haben. Maßgebend ist hier die installierte Leistung i. S. des § 3 Nr. 31 EEG 2021. Dies ist die elektrische Wirkleistung, die eine Anlage bei bestimmungsgemäßem Betrieb ohne zeitliche Einschränkungen unbeschadet kurzfristiger geringfügiger Abweichungen technisch erbringen kann.
Beachten Sie | Wenn die Grenze geringfügig überschritten wird, erfolgt keine mathematische Abrundung der Leistung!
Alle PV-Anlagen, die von einer antragstellenden Person betrieben werden, bilden einen einzigen Betrieb. Somit sind die jeweiligen Leistungen für die Ermittlung der 10,0 kW/kWp-Grenze zu addieren. Das gilt sowohl für Anlagen, die sich auf demselben Grundstück befinden als auch für Anlagen auf verschiedenen Grundstücken.
MERKE | Es sind auch Anlagen einzubeziehen, die die übrigen Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung nicht erfüllen (z. B. Anlagen, deren Strom einem Mieter des Antragstellers zur Verfügung gestellt wird; vgl. hierzu die weiteren Ausführungen unter 2.4). |
Für die von Peter Meise betriebenen Anlagen scheidet die Begünstigung bzw. das „Liebhaberei-Wahlrecht“ aus, da die addierte Leistung von 30 kW die akzeptierte Leistungsgrenze deutlich übersteigt. Erfreulich ist aber, dass die von Ute Meise betriebene Anlage mit einer Leistung von 8 kW unterhalb des Grenzwerts liegt.
PRAXISTIPP | Peter Meise liegt mit seinen Anlagen über der von der Finanzverwaltung akzeptierten Leistungsgrenze. Es ist aber nicht auszuschließen, dass diese Grenze noch erhöht wird (vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrats zum „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im Umsatzsteuerrecht“ vom 5.11.21, in der eine Ertragssteuerbefreiung für die Stromerzeugung aus Solaranlagen mit einer möglichen Gesamtleistung von bis zu 30 kW gefordert wurde). |
2.3 Inbetriebnahme der Anlage
Das Wahlrecht kann grundsätzlich nur in Anspruch genommen werden, wenn die Anlage nach dem 31.12.03 erstmalig in Betrieb genommen wurde. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass wegen der sinkenden Einspeisevergütung ab 2004 mit kleinen Anlagen kein Totalüberschuss mehr erzielt werden kann.
Beachten Sie | Eine Ausnahme gibt es für Anlagen, deren Inbetriebnahme mehr als 20 Jahre zurückliegt (ausgeförderte Anlagen).
Die von Ute Meise betriebene Anlage wurde in 2016 in Betrieb genommen. Frau Meise hat das „Inbetriebnahme-Kriterium“ somit erfüllt.
2.4 Verwendung des erzeugten Stroms
Um vom neuen Wahlrecht Gebrauch machen zu können, muss der produzierte Strom neben der Einspeisung in das öffentliche Stromnetz ausschließlich in den zu eigenen Wohnzwecken genutzten Räumen verbraucht werden. Der Verbrauch in einem häuslichen Arbeitszimmer ist hier unschädlich.
Zudem muss der (teilweise) Verbrauch des durch die PV-Anlage erzeugten Stroms durch einen Mieter oder zu anderweitigen eigenen oder fremden betrieblichen Zwecken technisch ausgeschlossen sein. Dies gilt nicht, wenn die Mieteinnahmen 520 EUR im VZ nicht überschreiten (vgl. R 21.2 Abs. 1 S. 2 EStR).
Beachten Sie | Da die Metzgerei über einen eigenen Stromanschluss verfügt, erfüllt Ute Meise auch diese Voraussetzung.
PRAXISTIPP | Die im ersten BMF-Schreiben aus Juni 2021 vorgenommene Eingrenzung, dass nur Anlagen auf zu eigenen Wohnzwecken genutzten oder unentgeltlich überlassenen Ein- und Zweifamilienhausgrundstücken begünstigt sind, wurde im neuen BMF-Schreiben erfreulicherweise aufgehoben. |
2.5 Antragstellung
Das Wahlrecht wird durch formfreie, schriftliche Erklärung gegenüber dem FA ausgeübt. In Anlehnung an die o. g. Punkte muss der Antrag aber zumindest
- die Leistung der Anlage,
- das Datum der erstmaligen Inbetriebnahme und
- eine Erklärung beinhalten, dass der Strom neben der Einspeisung in das öffentliche Netz nur für eigene Wohnzwecke genutzt wird.
Das neue BMF-Schreiben aus Oktober 2021 stellt im Vergleich zum Schreiben aus Juni 2021 insoweit eine Verschärfung dar, weil nun Fristen zur Antragstellung zu beachten sind:
Übersicht / Fristen für die Antragstellung | ||
Altanlagen | Neuanlagen | |
Inbetriebnahme | ab 1.1.04 bis 31.12.21 | ab 1.1.22 |
Antragsfrist | bis zum 31.12.22 | bis zum Ablauf des VZ, der auf das Jahr der Inbetriebnahme folgt |
Beachten Sie | Ausgeförderte Anlagen (Inbetriebnahme vor dem 1.1.04) können frühestens nach 20 Jahren Betriebsdauer zur Liebhaberei übergehen. Der Antrag wirkt in diesen Fällen erst für den VZ, der auf den VZ folgt, in dem letztmalig die garantierte Einspeisevergütung gewährt wurde.
2.6 Folgen der Wahlrechtsausübung
Wenn Ute Meise das Wahlrecht ausübt, unterstellt die Finanzverwaltung, dass die PV-Anlage von Beginn an ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben wurde. Bei der steuerlichen Beurteilung müssen drei Zeiträume (vergangene, aktuelle und künftige VZ) betrachtet werden:
- Ute Meise hat in der Vergangenheit steuerliche Verluste aus dem Betrieb der PV-Anlage geltend gemacht. Da die Wahlrechtsausübung Auswirkungen auf alle offenen VZ hat, muss vor der Ausübung geprüft werden, ob die Bescheide nach den Vorschriften der AO noch geändert werden können (z. B. Bescheide, die unter §§ 164, 165 AO erlassen wurden) oder ob ggf. noch ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Da die bisherigen Veranlagungen der Eheleute nicht mehr änderbar sind, würden die Verluste auch nach der Ausübung des Wahlrechts bestehen bleiben.
- Für den VZ 2021 ist die Ausübung des Wahlrechts sinnvoll, da der Gewinn von 200 EUR dann nicht zu berücksichtigen ist. Zu einem etwaigen Aufgabegewinn und der Feststellung von stillen Reserven enthält das BMF-Schreiben keine Ausführungen. Lediglich zu ausgeförderten Anlagen ist der Hinweis enthalten, dass die stillen Reserven im Zeitpunkt des Übergangs zur Liebhaberei mit 0 EUR zu bewerten sind.
- Das Bayerische Landesamt für Steuern („Merkblatt: Liebhabereiwahlrecht bei kleinen Fotovoltaikanlagen & Blockheizkraftwerken“, Stand: November 2021) vertritt hierzu folgende Ansicht: Die Vereinfachungsregelung hat bei den Anlagen (Ausnahme: ausgeförderte Anlagen) zur Folge, dass diese von Anfang an ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden. Da somit kein Gewerbebetrieb vorliegt, stellt die Anlage kein Betriebsvermögen dar. Somit ist kein Betriebsaufgabegewinn bzw. -verlust zu erfassen. Ebenso wenig müssen stille Reserven ermittelt und festgestellt werden.
- Für künftige VZ dürfte die Wahlrechtsausübung ebenfalls sinnvoll sein. Durch den Wegfall der Sonderabschreibungen und der Finanzierungskosten ist mit positiven Ergebnissen zu rechnen. Falls Frau Meise zukünftig wieder mit Verlusten rechnet (z. B. wegen größerer Wartungsarbeiten), stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die Finanzverwaltung den Betrieb nicht ungeachtet des neuen Wahlrechts als Liebhaberei klassifiziert. Die alten Spielregeln zur Liebhaberei (Totalüberschussprognose) bleiben nämlich gültig.
FAZIT | Ute Meise sollte das Wahlrecht ausüben. Die Wahlrechtsausübung führt nämlich nicht nur zu einer Arbeitserleichterung, sondern spart auch noch Steuern!
Fallen die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts später weg (z. B. Überschreitung der Leistungsgrenze durch Anschaffung neuer Module), ist das dem FA schriftlich mitzuteilen. Zudem ist zu beachten, dass die Neuregelung keine Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Behandlung der PV-Anlage hat. |