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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Rechtsbehelfsverfahren: Wann lohnt sich ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung?

    | In vielen Betriebsprüfungen ist irgendwann der Punkt erreicht, wo entschieden werden muss, wie es weitergeht. Eine Möglichkeit ist, die Vorstellungen des Prüfers zu „akzeptieren“ und gegen die geänderten Bescheide im Anschluss Einspruch einzulegen. Soll dieser Weg bestritten werden, stellt sich die Frage, ob bzw. wann es sinnvoll ist, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV nach § 361 AO) zu stellen. |

    1. Sachverhalt

    Die Meise-GmbH und der zuständige Betriebsprüfer streiten sich seit Längerem über die betriebliche Veranlassung diverser Marketingaktivitäten. Dabei möchte der Prüfer Marketingaufwendungen i. H. von 1 Mio. EUR nicht als Betriebsausgaben anerkennen. Der Geschäftsführer der Meise-GmbH hat die andauernden Diskussionen mit dem Betriebsprüfer satt. Er schlägt seinem Bilanzbuchhalter vor, die Meinung des Betriebsprüfers zu „akzeptieren“ und gegen die geänderten Bescheide Einspruch einzulegen ‒ verbunden mit einem Antrag auf AdV nach § 361 AO.

     

    Der Bilanzbuchhalter kann den Unmut seines Geschäftsführers gut verstehen, sieht aber ein Zinsrisiko. Daher erläutert er dem Geschäftsführer zunächst die Unterschiede zwischen „normalen“ Nachzahlungszinsen und Aussetzungszinsen (AdV-Zinsen). Anschließend stellt er vier Szenarien für den Ablauf des Rechtsbehelfsverfahrens und Kriterien für die Entscheidungsfindung vor.

    2. Nachzahlungszinsen versus AdV-Zinsen

    2.1 Nachzahlungszinsen

    Die Verzinsung von Steuererstattungen und Steuernachzahlungen basiert auf § 233a i. V. mit § 238 AO. Der Gesetzgeber war infolge eines Beschlusses des BVerfG (8.7.21, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) verpflichtet, den dort festgelegten Zinssatz von 0,5 % pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Dies erfolgte durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (BGBl I 22, 1142). Danach beträgt der Zinssatz ab dem 1.1.19 lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.

     

    2.2 AdV-Zinsen

    Der Beschluss des BVerfG befasst sich ausschließlich mit der Vollverzinsung gemäß § 233a i. V. mit § 238 AO. Das BVerfG hat in diesem Beschluss dargelegt, dass sich die Unvereinbarkeitserklärung nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände, insbesondere nicht auf die AdV-Zinsen nach § 237 AO erstreckt, weil deren Verwirklichung von einem Verhalten des Steuerpflichtigen abhängt (= Möglichkeit des Steuerpflichtigen, sich der Verzinsung durch Zahlung zu entziehen).

     

    Vor dem Hintergrund der Ausführungen des BVerfG hat der Gesetzgeber für AdV-Zinsen keine Anpassung vorgenommen, sodass hier weiterhin 0,5 % pro Monat bzw. 6 % p. a. gelten. Ob dies allerdings rechtmäßig ist, beschäftigt derzeit die Gerichte. Der VIII. Senat des BFH hält den Zinssatz von 6 % p. a. für verfassungswidrig. Er hat daher das BVerfG angerufen (BFH, Beschluss vom 8.5.24, VIII R 9/23).

    3. Vier Szenarien für den Verfahrensverlauf

    Möchte die Meise-GmbH gegen die infolge der Betriebsprüfung zu ändernden Steuerbescheide Einspruch einlegen, besteht die Möglichkeit auf AdV. Nach § 361 Abs. 2 S. 2 AO gilt Folgendes: „Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.“ Grundsätzlich ergeben sich für den weiteren Verfahrensverlauf vier Szenarien:

     

    • Szenarien
    1.
    2.
    3.
    4.

    Einspruch und Antrag auf AdV

    Einspruch und kein Antrag auf AdV

    Rechtsstreit wird gewonnen

    Rechtsstreit wird verloren

    Rechtsstreit wird gewonnen

    Rechtsstreit wird verloren

     

    Das erste Szenario wäre für die Meise-GmbH der „Best Case“: In diesem Fall würde das FA die KSt- und GewSt-Bescheide korrigieren und entsprechende Zinsbescheide erlassen. Die Meise-GmbH würde gegen die geänderten Bescheide anschließend Einspruch einlegen und AdV-Anträge stellen. Wird das Verfahren letztendlich erfolgreich beendet, fallen weder Steuer- noch Zinszahlungen an.

     

    Das zweite Szenario wäre der „Worst Case“: Die Meise-GmbH müsste zwar bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens keine Zahlungen leisten, am Ende des Verfahrens würden dann aber KSt, Soli, GewSt und vergleichsweise hohe Zinsen anfallen. Für die Zinsen gilt grundsätzlich Folgendes:

     

    • Der Zinslauf für die Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird.
    • Aussetzungszinsen (§ 237 AO) sind vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs, frühestens vom Tag der Fälligkeit an, oder von der Rechtshängigkeit an bis zu dem Tag zu erheben, an dem die nach § 361 AO gewährte Aussetzung der Vollziehung endet.

     

    Möchte die Meise-GmbH die hohen AdV-Zinsen von 6 % p. a. sicher vermeiden, darf sie keine AdV beantragen und muss die Steuernachzahlungen und Nachzahlungszinsen stattdessen unmittelbar leisten (Szenario 3 und 4). Ob bzw. in welcher Höhe letztendlich Steuer- und Zinszahlungen anfallen, hängt dann davon ab, ob das Rechtsbehelfsverfahren erfolgreich ist oder nicht.

    4. Kriterien für die Entscheidungsfindung

    Bei der Entscheidung über die weitere Vorgehensweise sollte die Meise- GmbH insbesondere die folgenden Aspekte beachten bzw. diskutieren:

     

    Die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise hängt vor allem davon ab, wie sicher die Meise-GmbH ist, den Rechtsstreit zu gewinnen. Ist die Gesellschaft von einem Sieg zu 100 % überzeugt, kann sie die BP-Feststellung zunächst „akzeptieren“ und dann Einspruch gegen die geänderten Bescheide einlegen und parallel AdV beantragen (Szenario 1). Je größer aber die Unsicherheit ist, desto mehr muss sich die Meise-GmbH über das dritte und vierte Szenario Gedanken machen, um den „Worst-Case“ bzw. das Szenario 2 sicher zu vermeiden.

     

    Bei der Überlegung, ob auf einen AdV-Antrag sicherheitshalber verzichtet werden sollte, muss auch die Liquiditätslage der Gesellschaft beachtet werden. Die Frage ist, bekommt die Gesellschaft überhaupt eine Finanzierung und wenn ja, zu welchen Konditionen. Je geringer die eigenen Finanzierungskosten sind, desto eher lohnt es sich, auf eine AdV zu verzichten, um das Risiko einer 6%igen Verzinsung zu vermeiden. Bei einer Finanzierung mittels Bank-Darlehen kommt erschwerend hinzu, dass sich die Darlehenslaufzeit im Vorhinein nicht sicher bestimmen lässt, weil die Dauer des Verfahrens ungewiss ist bzw. auch davon abhängt, ob die Meise-GmbH bei einer negativen Einspruchsentscheidung den Klageweg bestreitet.

     

    MERKE | AdV gewährt die Finanzverwaltung grundsätzlich nur für eine Rechtsbehelfsstufe. Erlässt das FA eine Einspruchsentscheidung und legt die Meise-GmbH hiergegen Klage ein, muss sie aufgrund der eingereichten Klage einen erneuten Aussetzungsantrag stellen, da die bislang gewährte AdV in der Regel einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung endet. Ein an das FG gerichteter Aussetzungsantrag setzt grundsätzlich die vorherige Ablehnung des Antrags durch das FA voraus (§ 69 Abs. 4 FGO). Erst danach kann ein zulässiger Antrag bei dem Gericht gestellt werden.

     

    Darüber hinaus muss sich die Meise-GmbH bewusst sein, dass etwaige Erstattungszinsen als Betriebseinnahmen steuerpflichtig sind. Demgegenüber mindern Nachzahlungszinsen und AdV-Zinsen weder die Bemessungsgrundlage für die KSt noch für die GewSt.

     

    FAZIT | Ungeachtet der zuvor genannten Aspekte sollte die Meise-GmbH erneut das Gespräch mit dem Betriebsprüfer suchen, um eine Lösung außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens zu erreichen. Denn ein solches Verfahren verursacht Kosten, bindet Ressourcen und bringt erhebliche Unsicherheiten mit sich.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2024 | Seite 174 | ID 50085458