· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Rückstellung für ausstehende Rechnungen: Ein praktikabler Lösungsvorschlag
| Bei jeder Jahresabschlusserstellung stellt sich die Frage, ob bzw. in welcher Höhe eine Rückstellung für ausstehende Rechnungen zu bilden ist. Insbesondere bei prüfungspflichtigen Gesellschaften führt die richtige Periodenabgrenzung häufig zu Diskussionen mit dem Wirtschaftsprüfer. Der folgende Beitrag zeigt einen praktikablen Lösungsweg auf. |
1. Sachverhalt
Die prüfungspflichtige Müller-GmbH hat bei der Erstellung und der Prüfung des Jahresabschlusses einen straffen Zeitplan:
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Stichtag des Jahresabschlusses | 31.12. |
Buchungsschluss der Kreditorenbuchhaltung | 10.1. |
Buchungsschluss der Hauptbuchhaltung | 20.1. |
Beginn der Jahresabschlussprüfung | 21.1. |
Geplantes Datum des Testats | 28.2. |
In den Vorjahren gab es immer wieder Diskussionen mit dem Wirtschaftsprüfer, ob Rechnungsnachläufer im Zeitraum vom 21.1. bis zum 28.2. nachgebucht werden müssen. Um diese Debatten zu vermeiden, fragt der Bilanzbuchhalter der Müller-GmbH seinen Steuerberater nach einer praktikablen Lösung.
2. Lösung
Der Steuerberater erläutert zunächst die wichtigsten rechtlichen Hintergründe einer Rückstellung für ausstehende Rechnungen. Anschließend stellt er einen dreistufigen Lösungsansatz vor und verdeutlicht die Vorgehensweise u. a. anhand einer Vorjahresanalyse.
2.1 Rechtliche Hintergründe
Bereits die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) verlangen, dass alle Aufwendungen und Erträge dem Geschäftsjahr zugerechnet werden, in dem sie entstanden sind (Grundsatz der Periodenabgrenzung: § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB). Entsprechend ist für Lieferungen und bezogene Leistungen des Abschlussjahres, für die bis zum Bilanzerstellungsstichtag noch keine Eingangsrechnungen vorliegen, zwingend eine Rückstellung oder eine Verbindlichkeit zu erfassen.
Systematisch gehört die „Rückstellung für ausstehende Rechnungen“ zu den „Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten“ (§ 249 Abs. 1 HGB) und wird in der Bilanz unter den „sonstigen Rückstellungen“ ausgewiesen. Sind der Eintritt und die Höhe der Verpflichtung sicher, müsste grundsätzlich ein Ausweis unter den „Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen“ erfolgen. In der Praxis wird jedoch für ausstehende Rechnungen üblicherweise eine Rückstellung gebildet. Ein solcher Ausweis ist nicht zuletzt unter Beachtung des Wesentlichkeitsgrundsatzes grundsätzlich nicht zu beanstanden.
2.2 Dreistufiger Lösungsansatz
Möchte man bereits zum 20.1., d. h. vor Beginn der Jahresabschlussprüfung, eine „abschlusssichere“ Rückstellung für ausstehende Rechnungen bilden, hat sich eine dreistufige Vorgehensweise bewährt:
- 1. Prüfung der monatlich wiederkehrenden Kosten
- 2. Abfrage bei den Rechnungsfreigebern
- 3. Analyse der periodenfremden Aufwendungen
2.2.1 Prüfung der wiederkehrenden Kosten
In jedem Unternehmen gibt es Kosten, die periodisch ‒ in der Regel monatlich ‒ wiederkehren. Im Rahmen der „Kontenpflege“ sollte darauf geachtet werden, dass hier alle ‒ in der Regel zwölf ‒ Raten des letzten Geschäftsjahres vollständig erfasst sind. Fehlen noch Aufwendungen, sollten diese durch die Bildung einer Rückstellung für ausstehende Rechnungen erfasst werden. Insbesondere die folgenden Kostenarten sollten überprüft werden: Mieten und Pachten, Leasingaufwendungen, monatliche Lizenzaufwendungen, Strom- und Heizkosten sowie Versicherungen.
PRAXISTIPP | Eine Vollständigkeitskontrolle der monatlich wiederkehrenden Kosten sollte vorzugsweise laufend, d. h. monatlich, erfolgen. Dies entzerrt nicht nur die Jahresabschlussarbeiten, sondern verbessert auch erheblich die Aussagekraft der unterjährigen Monatsabschlüsse. |
2.2.2 Abfrage bei den Rechnungsfreigebern
Im zweiten Schritt sollten die (wichtigsten) Rechnungsfreigeber (z. B. Einkäufer, Abteilungsleiter) gebeten werden, die in ihrem Verantwortungsbereich noch fehlenden Eingangsrechnungen an die Buchhaltung zu melden. In diesem Zusammenhang sind zwei Sonderfälle (Investitionen sowie das Wareneingangs- und Rechnungseingangskonto) zu beachten.
Rückstellungen für Aufwendungen, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren sind, dürfen nicht gebildet werden (§ 5 Abs. 4b EStG). Auch die h. M. im handelsrechtlichen Schrifttum verneint die Möglichkeit einer Rückstellung für künftige Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Anlagegütern, wenn sich die Verpflichtung (ausstehende Rechnung) und der Vermögenswert (neues Anlagegut) gleichwertig gegenüberstehen.
Insbesondere größere Unternehmen erfassen ihren Wareneingang mithilfe eines Verrechnungskontos, dem Wareneingangs- und Rechnungseingangskonto (WE/RE-Konto). Da Waren- und Rechnungseingang in der Regel zeitlich auseinander fallen, werden die Sachverhalte getrennt gebucht:
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Buchung des Wareneingangs: | ||
Vorräte | an | WE/RE-Konto |
Buchung des Rechnungseingangs: | ||
WE/RE-Konto | an | Kreditor |
Das Verrechnungskonto gleicht sich über die Zeit aus und wird durch die Kreditorenbuchhaltung regelmäßig abgestimmt. Weist das Konto zum Bilanzstichtag einen Saldo aus, weil der Wareneingang bereits gebucht ist, die Rechnung aber noch nicht vorliegt, wird der Saldo des WE/RE-Kontos „standardisiert“ unter den Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen ausgewiesen. Wegen dieser Buchungslogik darf für Materialeinkäufe, die über ein WE/RE-Konto erfasst werden, keine (zusätzliche) Rückstellung gebucht werden.
2.2.3 Analyse der periodenfremden Aufwendungen
Selbst wenn die Kontenpflege und die Meldungen der Rechnungsfreigeber sehr gewissenhaft erfolgen, ist es ‒ gerade bei größeren Unternehmen ‒ unmöglich, alle ausstehenden Rechnungen bis zum 20.1. des Folgejahres zu identifizieren. Demzufolge sollte zusätzlich eine erfahrungsbasierte Schätzung erfolgen. Hierbei hat es sich bewährt, die periodenfremden Kosten bzw. die periodenfremden Konten auszuwerten. Häufig werden periodenfremde Konten je Kostenart angelegt, was bei der Rückstellungsbildung eine kostenartengerechte (Soll-)Buchung erlaubt. Um Sondereffekte bzw. Schwankungen auszugleichen, empfiehlt sich eine Glättung über die letzten fünf Jahre.
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Periodenfremde Aufwendungen | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | Summe | Durchschnitt |
Verpackungsmaterial | 30 | 11 | 56 | 18 | 15 | 130 | 26 |
bezogene Leistungen | 84 | 58 | 27 | 39 | 91 | 299 | 60 |
Frachten | 11 | 55 | 10 | 18 | 45 | 139 | 28 |
Personal- und Reisekosten | 4 | 12 | 18 | 11 | 12 | 57 | 11 |
Werbung | 6 | 30 | 8 | 48 | 5 | 97 | 19 |
Rechts- und Beratungskosten | 27 | 1 | 3 | 15 | 18 | 64 | 13 |
Instandhaltungskosten | 84 | 12 | 31 | 87 | 52 | 266 | 53 |
übrige sonstige betriebliche Aufw. | 17 | 88 | 32 | 25 | 76 | 238 | 48 |
Summe | 263 | 267 | 185 | 261 | 314 | 1.290 | 258 |
Durch die Analyse der periodenfremden Aufwendungen kann man die größten Rechnungsnachläufer schnell erkennen. Dies kann zum Anlass genommen werden, die Rechnungsfreigeber (nochmals) anzusprechen (vgl. unter 2.2.2).
FAZIT | Der Bilanzbuchhalter der Müller-GmbH sollte den dreistufigen Lösungsansatz bereits in der Vorprüfung thematisieren. Erfahrungsgemäß wird der Wirtschaftsprüfer hiergegen keine Einwände haben. Ferner sollte schon deutlich vor dem Jahresabschluss mit der Kontenpflege, der Erstellung der Anschreiben an die Rechnungsfreigeber und der Analyse der periodenfremden Aufwendungen begonnen werden. So kann die Arbeitsbelastung in der Hauptprüfung reduziert werden. |