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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Überschussprognose bei Gewerbeimmobilien: AO-Vorschriften zugunsten der Mandanten nutzen

    | Die Vermietung und Verpachtung von Immobilien führt häufig zu länger andauernden Verlusten, sodass sich die Frage stellt, ob die verlustbringende Tätigkeit überhaupt mit einer Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt wird. Klarheit soll hier eine Überschussprognose bringen. Der praktische Fall zeigt, was zu beachten ist, wenn diese Prognose vom FA nachträglich angefordert wird. So viel vorweg: Die AO kann sich hier als „scharfes Schwert“ zugunsten des Steuerpflichtigen erweisen. |

    1. Vorbemerkungen

    Im Bereich der Vermietungseinkünfte ist hinsichtlich der Einkünfteerzielungsabsicht zunächst wie folgt zu differenzieren:

     

    • Handelt es sich um die dauerhafte Vermietung zu Wohnzwecken, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige beabsichtigt, einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erzielen. Dies gilt auch dann, wenn sich über längere Zeiträume Werbungskostenüberschüsse ergeben (BFH 1.4.09, IX R 39/08).

     

    • Bei einer Vermietung zu gewerblichen Zwecken ist die Überschusserzielungsabsicht dagegen stets ohne typisierende Vermutung im Einzelfall festzustellen (BFH 19.2.13, IX R 7/10). Gewerbeimmobilien sind diejenigen Immobilien, die nicht Wohnzwecken dienen (BFH 9.10.13, IX R 2/13).

     

    MERKE | Die bei einer gewerblichen Vermietung erforderliche Prognose ist vom Steuerpflichtigen über die voraussichtliche Dauer der Vermögensnutzung zu erstellen. Die in dieser Zeitspanne voraussichtlich zu erwartenden steuerpflichtigen Einnahmen sind den voraussichtlich anfallenden Werbungskosten gegenüberzustellen. Für die Prognose ist nicht auf die Dauer der Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes, sondern auf die voraussichtliche Dauer der Nutzung durch den Nutzenden und ggf. seiner unentgeltlichen Rechtsnachfolger abzustellen. Der Prognosezeitraum umfasst bei einer dauerhaften gewerblichen Vermietung einen Zeitraum von 30 Jahren (BMF 8.10.04, IV C 3 - S 2253 - 91/04, Rz. 33 ff.).

     

    Bei derartigen Fällen kann sich die Frage stellen, ob das FA nachträglich berechtigt ist, endgültig ergangene Steuerbescheide aufgrund einer nachträglich erstellten, negativ ausfallenden Überschussprognose zu ändern.

    2. Sachverhalt

    A erwirbt in 2010 ein Zweifamilienhaus, das er im Obergeschoss zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Das Erdgeschoss vermietet er an einen selbstständigen Versicherungsvertreter, der in den Räumen sein Versicherungsbüro betreibt. Die Vermietung des Erdgeschosses erklärt er in seinen Einkommensteuererklärungen der Jahre 2010 ff. als Vermietung zu gewerblichen Zwecken. Die Einkommensteuererklärungen gibt er jeweils fristgerecht (im auf das Veranlagungsjahr folgenden Jahr) ab.

     

    Wegen der hohen Zinsbelastung der nahezu voll finanzierten Anschaffung erzielt A in den Jahren 2010 bis 2019 ausschließlich hohe Verluste aus der Vermietung. Die in der Anlage V erklärten Verluste werden vom FA beanstandungslos anerkannt (= endgültige Einkommensteuerbescheide für 2010 bis 2017). Ab 2020 sinkt die Zinsbelastung mit der Folge, dass die Einnahmen ab diesem Jahr die Werbungskosten übersteigen und A positive Vermietungseinkünfte erzielt.

     

    Die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 sind unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) ergangen. Bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2020 fordert das FA den A auf, eine Überschussprognose zu erstellen. Die daraufhin von A seit Vermietungsbeginn erstellte und einen Zeitraum von 30 Jahren umfassende Prognose fällt negativ aus. Deshalb ändert das FA die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2017 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 nach § 164 Abs. 2 AO zulasten des A, indem die jeweiligen Verluste aus der Vermietung nicht mehr anerkannt werden. Bei der Einkommensteuerveranlagung 2020 lässt das FA die positiven Vermietungseinkünfte außer Betracht.

     

    Frage: Hat das FA richtig gehandelt?

    3. Lösung

    Der Prognosezeitraum umfasst ‒ sofern nicht von einer zeitlich befristeten Vermietung auszugehen ist ‒ einen Zeitraum von 30 Jahren. Dieser beginnt grundsätzlich mit der Anschaffung des Gebäudes (BMF 8.10.04, IV C 3 - S 2253 - 91/04, Rz. 34). Da die Prognose negativ ausfällt, ist die Einkünfteerzielungsabsicht zu verneinen.

     

    Das FA hat die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2017 jedoch endgültig erlassen, sodass sich hier die Frage der Änderbarkeit stellt. Die Bescheidänderungen hat das FA auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (neue Tatsache zulasten des Steuerpflichtigen) gestützt, da die negative Überschussprognose erst bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2020 in 2021 zugegangen ist.

     

    Beachten Sie | Zwar handelt es sich hierbei um eine nachträglich bekannt gewordene neue Tatsache, die das FA jedoch bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht bereits bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen 2010 bis 2017 hätte kennen können. Denn aus den jeweiligen Steuererklärungen war klar ersichtlich, dass es sich um eine Vermietung zu gewerblichen Zwecken handelte und die erklärten Vermietungsverluste daher nur bei einer positiven Überschussprognose hätten anerkannt werden dürfen. Da das FA insoweit seine Ermittlungspflicht verletzt hat, A seiner Erklärungspflicht jedoch seinerseits ausreichend nachgekommen ist, scheitert die Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO am Treu-und-Glauben-Schutz (so z. B. BFH 26.6.13, I R 4/12).

     

    Somit kann A gegen die Änderungsbescheide 2010 bis 2017 mit Erfolg Einspruch einlegen und geltend machen, dass die Voraussetzungen für eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vorliegen.

     

    Für 2018 und 2019 kann das FA die Steuerbescheide dagegen nach § 164 Abs. 2 AO ändern und den Vermietungsverlusten die Anerkennung versagen. Die ab 2020 erzielten positiven Vermietungseinkünfte bleiben aufgrund der negativen Überschussprognose außer Betracht.

    4. Abwandlung des Sachverhalts

    A hat die Vermietungseinkünfte in seinen Steuererklärungen 2010 bis 2019 als solche aus der Vermietung zu Wohnzwecken erklärt. Erst bei seiner Einkommensteuererklärung 2020 hat er sie als Einkünfte aus Vermietung zu gewerblichen Zwecken kenntlich gemacht. Auf Nachfrage erfährt das FA, dass bereits seit 2010 eine Vermietung zu gewerblichen Zwecken vorliegt. A hat die Steuererklärungen jeweils selbst erstellt. Ihm waren die steuerlichen Unterschiede zwischen einer Vermietung zu Wohnzwecken und einer solchen zu gewerblichen Zwecken nicht bekannt.

    5. Lösung des abgewandelten Sachverhalts

    Hier ergibt sich für die endgültig veranlagten Jahre 2010 bis 2017 eine neue verfahrensrechtliche Situation. Denn das FA konnte wegen der Angaben in den jeweiligen Steuererklärungen davon ausgehen, dass es sich um eine dauerhafte Vermietung zu Wohnzwecken handelt, bei der die Einkünfteerzielungsabsicht nicht zu prüfen ist. Wenn es nun in 2021 bei Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2020 erstmals erfährt, dass es sich um eine Vermietung zu gewerblichen Zwecken handelt, führt dies zum nachträglichen Bekanntwerden einer neuen Tatsache. Diese wirkt sich im Zusammenhang mit der vom Steuerpflichtigen eingereichten Überschussprognose zu seinen Lasten aus und berechtigt grundsätzlich zu Bescheidänderungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

     

    MERKE | Allerdings muss das FA den Ablauf der Festsetzungsfrist beachten, die vier Jahre beträgt. Als steuerlichem Laien kann A nicht angelastet werden, dass er eine Vermietung zu Wohnzwecken erklärt hat. Somit liegt weder eine leichtfertige Steuerverkürzung noch eine Steuerhinterziehung vor, wodurch sich die Festsetzungsfrist auf fünf bzw. zehn Jahre verlängern würde.

     

    A hat seine Steuererklärungen jeweils im Folgejahr abgegeben, sodass die Festsetzungsfrist für 2010 mit Ablauf des Jahres 2011 beginnt und mit Ablauf des Jahres 2015 endet (§ 170 Abs. 2 Nr. 1, § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Bis einschließlich 2015 (Festsetzungsfrist endet mit Ablauf des Jahres 2020) ist somit Festsetzungsverjährung eingetreten. Im Ergebnis darf das FA daher in 2021 lediglich die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2016 und 2017 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern (zusätzlich natürlich wie im Grundfall die Jahre 2018 und 2019 nach § 164 Abs. 2 AO).

    Quelle: Ausgabe 07 / 2021 | Seite 120 | ID 47333026