· Fachbeitrag · Einkommensteuer
Pokergewinne können steuerpflichtig sein: Die Frage ist nur, wann?
von RA Dr. Robert Kazemi, Bonn
Pokergewinne können der Einkommen- und Gewerbesteuer unterliegen (BFH 16.9.15, X R 43/12, Abruf-Nr. 145423). Auf das Urteil in dem Fall „Eddy Scharf“, einem ehemaligen Lufthansa-Kapitän und Pokerspieler, war schon seit Längerem gewartet worden, nachdem das FG Köln (31.10.12, 12 K 1136/11) die Gewinne als steuerpflichtig beurteilt hatte. Das aktuelle BFH-Urteil heißt aber nicht, dass per se jeder (Turnier-)Pokerspieler seine Gewinne versteuern muss. Der Autor, der das Verfahren als Prozessbevollmächtigter begleitete, verdeutlicht, dass leider viele Fragen offengeblieben sind. |
1. Sachverhalt
Der Kläger des Verfahrens erzielte im Streitjahr 2008 Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit als Pilot. Daneben spielt er seit fast 20 Jahren (national wie international) Cash-Games und Turnierpoker in verschiedenen Spielvarianten. Auch aus diesen Spielteilnahmen erzielte er - der Höhe nach im Einzelnen streitige - Gewinne. Das FA beurteilte die Pokergewinne als steuerpflichtiges Einkommen und übermittelte Ende 2009 zahlreiche Einkommen- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Jahre 2003 bis 2008. Auch in den Folgejahren wurden die Pokergewinne, die das FA aus einer im Internet einsehbaren „Gewinnliste“ (der Hendon Mob Poker Database) ermittelte, als gewerbliches Einkommen der Besteuerung unterworfen.
Der Kläger legte gegen sämtliche Bescheide mit der Begründung Einspruch ein, dass die Pokergewinne als Glücksspielgewinne nicht einkommensteuerbar seien. Das FA und der Kläger kamen schließlich dahingehend überein, die Frage der Einkommensteuerbarkeit der Pokergewinne für das Streitjahr 2008 in einem Musterverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Das Resultat: Sowohl vor dem FG Köln als auch vor dem BFH war das FA erfolgreich.
2. Anmerkungen
Wer den amtlichen Leitsatz des BFH-Urteils liest und darauf gehofft hatte, die Entscheidung würde zu einer grundsätzlichen Klärung der Problematik beitragen, wird enttäuscht: „Die für die Bejahung eines Gewerbebetriebs erforderliche Abgrenzung zwischen einem „am Markt orientierten“, einkommensteuerbaren Verhalten und einer nicht steuerbaren Tätigkeit muss stets anhand des konkret zu beurteilenden Einzelfalls vorgenommen werden. Sie wird sich praktisch in erster Linie nach den Tatbestandsmerkmalen der Nachhaltigkeit und der Gewinnerzielungsabsicht, ggf. auch nach dem ungeschriebenen negativen Tatbestandsmerkmal der Nichterfüllung der Voraussetzungen einer privaten Vermögensverwaltung, richten.“
Hierin erschöpft sich dann auch die Aussage des X. Senates des BFH zur Steuerbarkeit von Pokergewinnen im Allgemeinen. Zu einer Konkretisierung der Anforderungen an die Nachhaltigkeit oder die Gewinnerzielungsabsicht bei Pokerspielen lässt sich der BFH nicht einmal motivieren.
2.1 Kriterium der Nachhaltigkeit
Die Situation des Streitfalls ist bereits deshalb besonders, weil die Mehrzahl der Pokerspieler kaum das 25. Lebensjahr überschritten hat und damit bereits faktisch nicht auf eine derart lange „Pokerkarriere“ wie der Kläger des Verfahrens zurückblicken kann. Genau hierauf stellen der X. Senat und FG Köln jedoch ab, wenn die lange und ununterbrochene Spielaktivität des Klägers über einen Zeitraum von 20 Jahren hervorgehoben wird.
Weiterhin hatte das FG Köln aus der Teilnahme an 19 Turnieren in den Jahren 2003 bis 2007 auf eine nachhaltige Betätigung geschlossen und die Hürde damit sehr niedrig angesetzt. So werden allein während der sechs Wochen, in denen die alljährliche WSOP in Las Vegas veranstaltet wird, über 65 Pokerturniere angeboten. Die Teilnahme an zehn und mehr Turnieren durch ein und denselben Spieler ist dabei keine Seltenheit. Ein Pokerspieler, der sich nur einmalig dazu entschließt, an der WSOP in einem Umfang von zehn Turnieren teilzunehmen, droht damit, bereits gewerblich zu werden. Offenbar scheint dabei auch das zu zahlende Buy-In von untergeordneter Bedeutung zu sein.
Für den Online-Bereich, den der BFH hier ausdrücklich unentschieden gelassen hat, zeigt sich ein weitaus drastischeres Ergebnis. Hier werden - z. B. im Rahmen von Sit & Go-Turnieren - sekündlich neue Teilnahmen angeboten und von den Spielern auch wahrgenommen. Eine Anzahl von 100 und mehr Turnierteilnahmen an nur einem Tag ist daher nicht nur theoretisch möglich, sondern tatsächlich - auch bei Hobbyspielern - die Regel. Ließe sich nur allein anhand der Anzahl der Turnierteilnahmen auf die Nachhaltigkeit schließen, könnte jeder in nur einem Tag zum Gewerbetreibenden avancieren. Dies kann der BFH aber wohl kaum gemeint haben. Gleichwohl ist nicht erkennbar, inwiefern sich das Online-Pokern in Punkto Nachhaltigkeit vom Offline-Spiel unterscheiden sollte.
MERKE | Das Kriterium der Nachhaltigkeit, auf das der X. Senat zur Abgrenzung des Hobbyspielers vom Gewerbetreibenden verweist, bietet damit sicherlich kein geeignetes Bewertungskriterium, will man nicht nahezu alle Pokerspieler und ihre Gewinne der Einkommensteuer unterwerfen. |
2.2 Kriterium der Gewinnerzielungsabsicht
Der BFH führt unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung aus, dass das Tatbestandsmerkmal der Gewinnerzielungsabsicht nach den äußeren Umständen zu beurteilen und aus den objektiv feststellbaren Umständen zu den Turnierpokeraktivitäten abzuleiten sei. Die Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht werde durch eine nicht unerhebliche Spielleidenschaft nicht verhindert.
Ein passionierter Hobbyspieler, der wie jeder Glücksspieler natürlich auch nach Gewinnen strebt, droht damit ebenso in die Gewerblichkeit zu „rutschen“, wie der Spielsüchtige, den der Gesetzgeber über die Monopolisierung des Glücksspiels in staatlichen Einrichtungen doch gerade vor sich selbst schützen will. Auch das Kriterium der Gewinnerzielungsabsicht erweist sich für die Abgrenzung im Einzelfall damit als eher ungeeignet.
2.3 Zugrundelegung des Gesamtbilds
Der BFH führt in seiner Entscheidung in Rz. 36 aus, dass die vom FG herausgestellten strukturell-gewerblichen Aspekte in der Gesamtschau entscheidend in den Vordergrund rücken. Dies sind:
- regelmäßige Teilnahme an großen, auch im Ausland ausgetragenen Turnieren,
- Umfang der jährlich bzw. über die Jahre hinweg erzielten Preisgelder,
- nicht unerhebliche Buy-Ins,
- vertragliche Einkleidung der Turnierteilnahme,
- pokerbezogene mediale Präsenz/Vermarktung der eigenen Person.
Derjenige Spieler, der nicht über mediale Präsenz oder sonstige Bekanntheit verfügt und sich nur an kleineren Turnieren mit geringerem Buy-In beteiligt, könnte dann offensichtlich steuerfrei bleiben. Nur, wo liegt hier die Grenze?
2.4 Reines versus gemischtes Glücksspiel
In seinem Urteil hat der X. Senat das seit Jahrzehnten bestehende Dogma der Steuerneutralität von Glücksspielgewinnen dahingehend aufgeweicht, dass nur noch Gewinne aus reinen Glücksspielen von der Steuerbefreiung umfasst sein sollen. Das Turnierpokerspiel (hier: in den Varianten „Texas Hold‘em“ und „Omaha“) sei dabei nicht als reines Glücksspiel, sondern als Mischung aus Glücks- und Geschicklichkeitsspiel einzustufen.
Der Terminus des reinen Glücksspiels findet sich in der bisherigen BFH-Rechtsprechung - anders als es die Urteilsgründe vermuten lassen - indes nicht; wohl aber die Beurteilung anderer Glücksspiele. So hat z. B. der IV. Senat die Rennwettgewinne, die ein Trabrenntrainer auf seiner Heimbahn erzielt hatte, nicht der Steuerbarkeit unterworfen - obwohl der Trainer nachhaltig und offenbar auch mit Gewinnerzielungsabsicht seiner Wetttätigkeit nachgegangen war und dabei seine beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse genutzt hatte (BFH 24.10.69, IV R 139/68). Vor dem Hintergrund der Einordnung der Sportwetten als gemischtes Spiel (Max-Planck-Institut, Forschungsbericht 2011, unter www.iww.de/sl1750) hätte der X. Senat des BFH hier wohl anders entschieden.
Wenn also, was zu vermuten ist, nach Ansicht des X. Senats grundsätzlich jeder Gewinn aus einem gemischten Glücksspiel steuerpflichtig sein kann, hätte es m.E. einer Stellungnahme der anderen Senate am BFH bedurft. Dies ist nicht geschehen. Ob damit ein Verstoß einhergeht, wird der vonseiten des Klägers beabsichtigte Gang zum BVerfG zeigen.
FAZIT | Mit seinem Urteil hat sich der X. Senat einen Bärendienst erwiesen und die ihm eröffnete Möglichkeit einer abschließenden Klärung verstreichen lassen. Neben der weiterhin bestehenden Unsicherheit für Pokerspieler besteht nun zusätzliche Unsicherheit für alle gemischten Glücksspiele (z. B. Sportwetten). Abzuwarten bleibt, ob Pokergewinne (auch) der Umsatzbesteuerung unterliegen. Hier ist ein Verfahren beim XI. Senat anhängig (BFH XI R 37/14). |
Zum Autor | Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Kazemi & Lennartz Rechtsanwälte in Bonn. Er vertritt als Verfahrens- und Prozessbevollmächtigter eine Vielzahl von Pokerspielern im gesamten Bundesgebiet, u.a. auch Eddy Scharf.