· Fachbeitrag · Jahresabschluss
Zur Abgrenzung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Ereignissen
von StB Dipl.-Bw. (FH) Thorsten Normann, Olsberg
| Die Unterscheidung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Tatsachen kann bei der Erstellung des Jahresabschlusses eine große Bedeutung haben. Anlass genug, um die rechtlichen Hintergründe der Wertaufhellungstheorie vorzustellen und die praktischen Auswirkungen an einigen Beispielen zu verdeutlichen. |
1. Rechtliche Hintergründe
Nach § 246 Abs. 1 HGB muss der Jahresabschluss vollständig sein, d.h. in der Bilanz sind sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten zu erfassen. Darüber hinaus verlangt das handelsrechtliche Stichtagsprinzip eine Bilanzierung und Bewertung zum Bilanzstichtag. Dabei sind alle bis zum Bilanzstichtag entstandenen Umstände zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB).
Bei der Erstellung des Jahresabschlusses ist zwingend zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Tatsachen zu unterscheiden:
- Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind als wertaufhellend die Umstände zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tag der Bilanzerstellung bekannt oder erkennbar wurden (vgl. z.B. BFH 27.4.65, I 324/62 S). Dies gilt sowohl für negative als auch für positive Tatsachen.
- Als wertbegründende bzw. wertbeeinflussende Tatsachen werden Ereignisse bezeichnet, die nach dem Bilanzstichtag eingetreten sind und somit bei der Bilanzierung außer Betracht bleiben müssen.
2. Praktische Beispiele
Da die Unterscheidung zwischen wertaufhellenden und wertbegründenden Tatsachen nicht immer einfach ist, werden die Unterschiede nachfolgend anhand von Beispielen verdeutlicht. Dabei geht es jeweils um die Frage, ob die Ereignisse noch in der Bilanz zum 31.12.12 zu erfassen sind.
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Die nach § 267 Abs. 2 HGB mittelgroße A-GmbH hat der B-GmbH ein langfristiges Darlehen gewährt. Bei der Aufstellung des Jahresabschlusses im März 2013 besteht für die A-GmbH kein Anhaltspunkt für eine mögliche dauerhafte Wertminderung der Forderung. |
Wegen der anhaltenden Verlustsituation der B-GmbH wird im Juli ein Sanierungskonzept verabschiedet. Aus diesem geht unstrittig hervor, dass die Forderung bereits zum Bilanzstichtag nicht mehr werthaltig war. Daraufhin ändert die A-GmbH ihren Jahresabschluss. Zu Recht?
Der Wertaufhellungszeitraum wird durch die gesetzliche Frist für die Aufstellung des Jahresabschlusses begrenzt. Er endet somit an dem Tag, an dem die Bilanz spätestens hätte erstellt werden müssen (BFH 12.12.12, I B 27/12). Da der Wertaufhellungszeitraum für die mittelgroße A-GmbH (spätestens) am 31.3.13 endete, ist eine Forderungsabschreibung im Jahresabschluss 2012 nicht mehr möglich. |
Hinweis | In Abhängigkeit von der Rechtsform und der Unternehmensgröße sind folgende Aufstellungsfristen zu beachten:
- 3 Monate (§ 264 Abs. 1 HGB) für (mittel-)große Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 2 sowie Abs. 3 HGB)
- 6 Monate (§ 264 Abs. 1 HGB) für kleine und kleinste Kapitalgesellschaften (§§ 267 Abs. 1, 267a HGB)
- 12 Monate (§ 243 Abs. 3 HGB) für Einzelkaufleute sowie für Personenhandelsgesellschaften (nicht Gesellschaften i.S. des § 264a HGB)
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Eine Reederei hat am 31.1.13 den Untergang eines ihrer drei Schiffe zu beklagen. Das Schiff war nicht ausreichend versichert.
Der Untergang des Schiffs stellt eine wertbegründende Tatsache dar. Trotz der erheblichen Bedeutung für die Reederei ist keine außerplanmäßige Abschreibung zum 31.12.12 vorzunehmen. |
Hinweis | Winkeljohann/Büssow (Beck’scher Bilanzkommentar‚ 8. Aufl., 12, § 252 HGB, Rz. 38) weisen darauf hin, dass bei wertbegründenden Tatsachen mit wesentlichem Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage Rücklagen zu bilden sind und hierüber im Anhang zu berichten ist. Darüber hinaus sollen Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach dem Schluss des Geschäftsjahrs eingetreten sind, im Lagebericht dargestellt werden (§ 289 Abs. 2 Nr. 1 HGB).
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Der Vorstand einer Bank belohnt seine leitenden Manager für das erfolgreiche Jahr 2012 mit einer freiwilligen Prämienzahlung von insgesamt 5 Mio. EUR. Die Zusage und Auszahlung erfolgen im Januar 2013.
Aufgrund der fehlenden rechtlichen Verpflichtung zum Bilanzstichtag 31.12.12 stellt die Prämienzahlung eine wertbegründende Tatsache dar. Im Jahresabschluss 2012 kann daher keine Rückstellung bzw. Verbindlichkeit erfasst werden. |
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Eine am 30.11.12 erfolgte Warenlieferung war fehlerhaft. Der Kunde reklamiert die Lieferung unter Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aber erst am 31.1.13.
Für die Schadenersatzansprüche des Kunden muss bereits im Jahresabschluss 2012 eine Rückstellung gebildet werden, da die zum Schadenersatz verpflichtende Lieferung noch vor dem Bilanzstichtag erfolgte. Die Reklamation des Kunden stellt somit eine werterhellende Tatsache dar. |
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Zum 31.12.12 besteht eine Forderung gegen den Kunden A i.H. von 100.000 EUR (zzgl. 19 % USt). Im Januar 2013 erfährt die Gesellschaft, dass A wegen Zahlungsunfähigkeit bereits im Dezember 2012 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat.
Da die Zahlungsunfähigkeit bereits in 2012 eingetreten ist, muss die Forderungsabschreibung im Jahresabschluss 2012 erfolgen. Darüber hinaus ist die Umsatzsteuer nach § 17 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen. |
Beachten Sie | Auslösendes Ereignis ist hier die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Somit wäre eine Forderungsabschreibung auch dann im Geschäftsjahr 2012 vorzunehmen, wenn der Insolvenzantrag erst in 2013 gestellt wird und der Gläubiger davon bis zum Tag der Bilanzaufstellung erfährt. Sollte die Zahlungsunfähigkeit jedoch erst nach dem 31.12.12 eingetreten sein, ist die Abschreibung erst im Folgejahr vorzunehmen.
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Zum 31.12.12 betragen die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 1 Mio. EUR (netto). Nach den Erfahrungen der Vergangenheit beträgt der dem Grunde nach nicht zu beanstandende Prozentsatz für pauschale Wertberichtigungen 3 %. Am Tag der Bilanzaufstellung sind jedoch nur noch 20.000 EUR (netto) offen.
Grundsätzlich rechtfertigt das pauschale Ausfallrisiko eine Wertberichtigung von 30.000 EUR. Da zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aber bereits ersichtlich ist, dass weniger Forderungen ausfallen werden (Wertaufhellung), ist nur eine Wertberichtigung von 20.000 EUR zulässig. |
Hinweis | Die Lösung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH (19.12.72, VIII R 18/70). Falterbaum/Bolk/Reiß/Kirchner (Buchführung und Bilanz, 21. Aufl., 497 f.) machen allerdings darauf aufmerksam, dass der EuGH (7.1.03, C-306/99) den Eingang einer Forderung im Wertaufhellungszeitraum kontrovers beurteilt und nur als informatorische Angabe im Jahresabschluss berücksichtigt haben will. Aus dieser Entscheidung leitete der BFH (15.9.04, I R 5/04) dann wiederum ab, dass auch der EuGH nicht nur von einem rein wertbeeinflussenden Umstand ausgeht und die Berücksichtigung als werterhellende Tatsache zulässig sein muss.