· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Droht erneut eine Änderung der Rechtsprechung zur Vorsteuerkorrektur bei verlorenen Anzahlungen?
von Georg Nieskoven, Troisdorf
Nach § 17 UStG ist bei einer Änderung der Bemessungsgrundlage auch der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers zu korrigieren. Dies gilt auch für die Vorsteuer aus Anzahlungen, wenn der betreffende Umsatz letztlich nicht zur Ausführung gelangt. Nach einer Entscheidung des EuGH (13.3.14, C-107/13, Abruf-Nr. 143027) dürfte - entgegen der bisherigen BFH-Rechtsprechung - hierbei nicht mehr auf den Rückzahlungszeitpunkt abzustellen sein, was für anzahlende Unternehmer massive Besteuerungsnachteile nach sich ziehen würde. |
Sachverhalt
Im bulgarischen Vorabentscheidungsverfahren ging es um das Backunternehmen FIRIN (F), das beim Lieferanten Agra (A) 10.000 Tonnen Weizen bestellt hatte und hierüber eine Vorausrechnung mit Umsatzsteuerausweis erhielt. Den von F aus dieser Anzahlung geltend gemachten Vorsteuerabzug versagte die bulgarische Finanzverwaltung nach einer Steuerprüfung, da sie zahlreiche Anhaltspunkte für ein Steuerhinterziehungsmodell hatte und die Weizenlieferung tatsächlich nicht erbracht wurde. Als F hiergegen Klage erhob, legte das bulgarische Gericht dem EuGH mehrere Fragen zur Versagung bzw. Korrektur des Vorsteuerabzugs aus Anzahlungen für eine letztlich nicht erbrachte Lieferung vor.
Anmerkungen
Der EuGH wies im ersten Schritt darauf hin, dass F bereits dann der Vorsteuerabzug aus der Anzahlung zu versagen wäre, wenn F von der Steuerhinterziehungsabsicht der A wusste oder aufgrund entsprechender Umstände „hätte wissen müssen“. Dies müsse im vorliegenden Fall jedoch das Vorlagegericht klären. Wenngleich zahlreiche Anhaltspunkte für ein solches kollusives Verhalten der Beteiligten sprachen, gab der EuGH dem bulgarischen Gericht im zweiten Schritt ganz grundsätzliche Erwägungen für den Fall der Verneinung des kollusiven Verhaltens mit auf den Weg.
Sollte sich nach erfolgter Anzahlung im Nachhinein herausstellen, dass es letztlich nicht (mehr) zur Ausführung der Leistung kommt, geht der EuGH von einer zwingenden Vorsteuerkorrektur aus der Anzahlung aus. Für diese Vorsteuerkorrektur ist es - so konstatiert der EuGH ausdrücklich - auch bei Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes unbeachtlich, ob der Anzahlungsempfänger (hier A) seine Umsatzsteuerschuld spiegelbildlich korrigieren kann. In einem solchen Fall müssen die beiden Wirtschaftsbeteiligten nämlich nicht zwingend gleich behandelt werden. Auch eine fehlende Rückgewähr der Anzahlung ist kein Hindernis für eine Vorsteuerkorrektur, denn ein (möglicher) zivilrechtlicher Rückgewähr- und Ausgleichsanspruch berührt die vom Steuergesetz vorgegebenen Rechte der Finanzverwaltung nicht.
Praxishinweise
Nach der früheren Auffassung des BFH und der Finanzverwaltung musste der Anzahlende seinen Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG bereits in dem Voranmeldungszeitraum zurückzahlen, in dem sich die Nichtausführung des Umsatzes mit hinreichender Sicherheit konkretisierte.
Diese Sichtweise hat der BFH unter ausdrücklicher Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung allerdings aufgegeben und stellt nunmehr nur noch auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Entgelt- bzw. Anzahlungsrückgewähr ab (für nachträgliche Entgeltminderungsvereinbarungen i.S. von § 17 Abs. 1 UStG vgl. BFH 18.9.08, V R 56/06; für die Vorsteuerrückforderung aus Anzahlungen i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG vgl. BFH 2.9.10, V R 34/09). Die Finanzverwaltung ist dieser Kehrtwende in 2011 gefolgt (BMF 9.12.11, IV D 2 - S 7333/ 11 /10001).
Mit seiner vorliegenden Entscheidung macht der EuGH jedoch hinsichtlich der Vorsteuer bei Anzahlungen m.E. hinreichend deutlich, dass diese Rechtsprechungsänderung nicht EG-konform war und der BFH und die Finanzverwaltung die vormalige Rechtsauslegung im Wege einer „Rolle rückwärts“ wieder in Kraft setzen müssen. Die deutsche Besteuerungspraxis muss sich damit auf die Rückkehr zu einer Besteuerungsfolge einstellen, die für den Anzahlenden massive Besteuerungsnachteile mit sich bringen kann.
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Unternehmer U hat bei Metallbauunternehmer M für seinen Betrieb die Erstellung einer Stahlkonstruktion zum Preis von 1.190.000 EUR in Auftrag gegeben. Ausweislich des Vertrags hat U bei Auftragserteilung eine Anzahlung von 30 % zu leisten, die er nach Erhalt der Anzahlungsrechnung (300.000 EUR zzgl. 57.000 EUR USt) auch an M überweist. M meldet kurz nach Erhalt der Anzahlung Insolvenz an. Eine Insolvenzverfahrenseröffnung lehnt das Gericht mangels ausreichender Masse jedoch ab.
Im Zeitpunkt der Ablehnung der Insolvenzverfahrenseröffnung ist gewiss, dass es nicht mehr zur Ausführung der beauftragten Leistung kommen wird. Während U nach früherer Sichtweise auf diesen Zeitpunkt seinen Vorsteuerabzug an das FA zurückzahlen musste, konnte er nach der Entscheidung des BFH vom 2.9.10 eine Vorsteuerrückzahlung unter Verweis auf die fehlende Anzahlungsrückgewähr abwenden. Mit der aus der EuGH-Entscheidung m.E. zwingend resultierenden Rückkehr zur alten Sichtweise stehen dem U entsprechende Vorsteuerrückforderungen „wieder ins Haus“. Zusätzlich zum insolvenzbedingt verlorenen Anzahlungsbetrag muss U nun auch noch die finanzielle Belastung aus der fiskalischen Vorsteuerrückforderung tragen. |
PRAXISHINWEIS | Angesichts der bisherigen gegenteiligen Rechtsprechung und der ausdrücklichen Weisung in A 17.1. Abs. 7 UStAE sollten sich Unternehmer in entsprechenden Fällen allerdings bis zur Änderung der Verwaltungsverlautbarung auf Vertrauensschutzgesichtspunkte und die „Selbstbindung der Verwaltung“ durch den UStAE berufen. M.E. dürfte zudem mit einer entsprechenden Übergangsregelung zu rechnen sein. |
Bei entsprechenden Fallgestaltungen sollte sich der steuerliche Berater zudem - selbst nach Ergehen der m.E. nun zu erwartenden Änderung der Weisungslage - mit der EuGH-Entscheidung „Reemtsma“ (EuGH 15.3.07, C-35/05) befassen. In dieser Entscheidung hat der EuGH nämlich Folgendes deutlich gemacht:
- Das Recht des Fiskus auf Rückforderung unzutreffend in Anspruch genommener Vorsteuerbeträge beim Leistungsempfänger bleibt unberührt.
- Die Durchsetzung des daraus resultierenden Rückforderungsanspruchs des Leistungsempfängers gegenüber dem Leistenden bleibt das zivilrechtliche Problem des Leistungsempfängers. Ist dem Leistungsempfänger der zivilrechtliche Rückerhalt der Umsatzsteuer allerdings unmöglich oder übermäßig erschwert (z.B. bei Insolvenz des Zahlungsempfängers), müssen die EU-Mitgliedstaaten, damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt wird, die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen.
Zwar hatte der BFH in seiner nachfolgenden Rechtsprechung die Berufbarkeit des Leistungsempfängers auf diese „Reemtsma-Rechtsprechung“ bereits mehrfach verneint. Allerdings bezogen sich diese Entscheidungen stets auf Fallgestaltungen, bei denen der Leistende den Umsatzsteuerbetrag seinerseits nicht an den Fiskus abgeführt hatte oder inzwischen wieder vom FA zurückerhalten hatte (vgl. beispielsweise BFH 11.10.07, V R 27/05; BFH 10.12.08, XI R 57/06).
PRAXISHINWEIS | Zumindest bei solchen Fallgestaltungen, in denen der Anzahlungsempfänger die Umsatzsteuer an den Fiskus abgeführt und seinerseits noch keine Rückzahlung dieser Beträge (z.B. gestützt auf § 17 UStG) erlangt hat, könnte der Anzahlende unter Verweis auf die „Reemtsma-Rechtsprechung“ eine fiskalische Aufrechnung seiner Vorsteuerrückzahlungsverpflichtung beantragen (vgl. die Wiederholung der „Reemtsma-Überlegungen“ in EuGH 20.10.11, C-94/10 sowie EuGH 15.12.11, C-427/10; vgl. dagegen ablehnend und in ausführlicher Befassung mit der nachfolgenden deutschen Rechtsprechung FG Saarland 24.4.13, 1 K 1156/12). |
Angesichts der vorstehenden Problemstellungen bleiben die Reaktionen von BFH und BMF auf die EuGH-Entscheidung vom 13.3.14 vorerst mit Spannung abzuwarten.
Weiterführende Hinweise
- BFH: Korrektur erst bei tatsächlicher Entgeltminderung möglich (Nieskoven, MBP 09, 62)
- Vereinnahmte Anzahlung: Keine Änderung der Bemessungsgrundlage vor Liquiditätsabfluss (Nieskoven, MBP 11, 58)