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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug: Der BFH bleibt streng

    von Dipl.-Finw. (FH) Thomas Meurer, Baesweiler

    | Der Vorsteuerabzug setzt nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG insbesondere voraus, dass ein Umsatz durch einen Unternehmer ausgeführt wurde und der Leistungsempfänger über eine ordnungsgemäße Rechnung verfügt. Werden steuerliche Unregelmäßigkeiten beim Rechnungsaussteller bekannt, nehmen die Finanzämter dies immer häufiger zum Anlass, den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger zu versagen. Der BFH (22.7.15, V R 23/14 ) hat diese Vorgehensweise nun erneut bestätigt. Grund genug, näher auf die jüngste Rechtsprechungsentwicklung einzugehen. |

    1. Ausgangsproblem

    Grundsätzlich kann jeder ordentliche Unternehmer an einen Geschäftspartner geraten, der seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt.

     

    • Beispiel

    Kfz-Händler K wird über eine Internetplattform auf die XY-GmbH und deren Angebote aufmerksam. Der Geschäftsabschluss findet über das Internet statt. Die Pkw werden am Firmensitz des K gegen Barzahlung übergeben. Die XY-GmbH stellt formal ordnungsgemäße Rechnungen aus. Im Rahmen einer Prüfung stellt das FA fest, dass die XY-GmbH ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt und am Firmensitz nur ein Briefkasten vorhanden ist. Die tatsächlich agierenden Personen können nicht festgestellt werden. K hat von den „Machenschaften“ der XY-GmbH keine Kenntnis und hätte auch keine Zweifel haben müssen.

     

    Ein Vorsteuerabzug ist nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz bei Ausführung der Leistung und bei der Rechnungstellung tatsächlich bestanden hat. Der den Vorsteuerabzug begehrende Leistungsempfänger trägt hierfür die Feststellungslast. Dabei ist auf die objektiv erkennbaren Umstände des Falles einzugehen (BFH 27.6.96, V R 51/93).

     

    Da der BFH auf objektive Umstände abstellt, kommt es insoweit nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger von dem Scheinsitz bzw. den Unregelmäßigkeiten Kenntnis hatte bzw. hätte haben müssen. Handelt es sich z.B. - objektiv betrachtet - um eine unzutreffende Anschrift mit Briefkastensitz, liegt keine ordnungsgemäße, zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung vor.

    2. EuGH als Retter?

    Im Anschluss hatte der EuGH (6.7.06, C-439/04, C-440/04) entschieden, dass eine Lieferung nicht zum Verlust des Vorsteuerabzugs führt, wenn der Steuerpflichtige weder wusste noch wissen konnte, dass der Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war. Steht dagegen aufgrund objektiver Umstände fest, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war, ist der Vorsteuerabzug zu versagen.

     

    • Beispiel (Fortsetzung)

    Hieraus hätte der Umkehrschluss gezogen werden können, dass K - trotz fehlerhafter Anschrift - einen Vorsteuerabzug hat, weil er nicht wusste oder hätte wissen müssen, dass die XY-GmbH steuerunehrlich war.

     

    3. Strenge Auslegung durch den BFH

    Der BFH (8.10.08, V R 63/07) hat die vorgenannte EuGH-Entscheidung restriktiv ausgelegt. Sie erweitert, so der BFH, nicht das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich des Vertrauensschutzes, sondern begrenzt es, weil eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist. Vertrauensgesichtspunkte können nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO berücksichtigt werden. Zudem trägt der Unternehmer nach Meinung des BFH (19.4.07, V R 48/04) auch dann die Feststellungslast, soweit es um die Frage geht, ob er vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten wusste oder diesen zumindest kennen konnte.

     

    Diese Rechtsprechung hatte zur Folge, dass sich die Verwaltung regelmäßig auf den Standpunkt stellte, der Unternehmer müsse - trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG - zusätzlich nachweisen, dass er nicht von der Unehrlichkeit seines Vertragspartners wusste.

     

    • Beispiel (Fortsetzung)

    Demnach hätte K - unterstellt, die Anschrift der XY-GmbH wäre zutreffend - dem FA nachweisen müssen, dass er nicht wissen konnte, dass die XY-GmbH steuerlich unzuverlässig war. Ein solcher Negativnachweis dürfte aber kaum zu führen sein.

     

    4. Teilweise Abhilfe durch das BMF

    Wohl veranlasst durch zahlreiche EuGH-Urteile (u.a. EuGH 21.6.12, C-80/11) hat das BMF (7.2.14, IV D 2 - S 7100/12/10003) zutreffend verfügt, dass der Unternehmer zwar die Feststellungslast trägt und dies grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissen können gilt. Zunächst müssen aber die objektiven Umstände, welche für das Wissen oder Wissen können sprechen, durch das FA rechtlich hinreichend nachgewiesen bzw. substantiiert vorgetragen werden.

     

    • Beispiel (Fortsetzung)

    Danach müsste das FA dem K nachweisen, dass er wusste bzw. hätte wissen müssen, dass die XY-GmbH ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt.

     

    5. Kein Meinungswandel beim BFH

    Für den BFH stellte sich angesichts der Rechtsprechung des EuGH (u.a. 21.6.12, C-80/11) zuletzt die Frage, ob der Unternehmer nicht schon bereits im Festsetzungsverfahren den Vorsteuerabzug behält, wenn er auf die Angaben des Lieferanten - z.B. zur Anschrift - vertraute und sich diese Angaben später als falsch herausstellen. Vor diesem Hintergrund ließ der BFH (16.4.14, V B 48/13) die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.

     

    In seinem jüngsten Urteil ist der BFH (22.7.15, V R 23/14) jedoch bei seiner strengen Sichtweise geblieben. Sind Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs nicht erfüllt (im Streitfall: Angabe eines Scheinsitzes in der Rechnung), kann dieser im Festsetzungsverfahren auch dann nicht gewährt werden, wenn der Leistungsempfänger hinsichtlich des Vorliegens dieser Merkmale gutgläubig war. Soweit der Senat in 2007 (BFH 19.4.07, V R 48/04) geäußert hat, ein Briefkastensitz mit nur postalischer Erreichbarkeit könne ausreichen, hält er hieran nicht mehr fest.

     

    • Beispiel (Fortsetzung)

    K hat somit im Festsetzungsverfahren keine Möglichkeit mehr, den Vorsteuerabzug erfolgreich geltend zu machen. Es bleibt nur der Weg eines Billigkeitsantrags, auch wenn objektiv feststehen würde, dass er keine Kenntnis hätte haben müssen.

     

    6. Billigkeitsverfahren

    Um das Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO mit der Steuerfestsetzung zu verbinden, muss der Unternehmer - so der BFH (22.7.15, V R 23/14) - bereits im Festsetzungsverfahren Vertrauensgesichtspunkte geltend machen und den Vorsteuerabzug auch im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme begehren. Wird ein auf Vertrauensgesichtspunkte gestützter Billigkeitsantrag erst in der Einspruchsbegründung und damit nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung gestellt, kann das FA beide Verfahren nicht verbinden.

     

    PRAXISHINWEIS | Sollte das FA z.B. im Rahmen einer Prüfung zu erkennen geben, dass es den Vorsteuerabzug nicht gewähren wird, sollte deshalb umgehend ein Billigkeitsantrag gestellt werden. Dann wäre das FA verpflichtet, das Festsetzungs- mit dem Billigkeitsverfahren zu verbinden und müsste bei der Festsetzung bereits Vertrauensgesichtspunkte berücksichtigen.

     

    7. Weitere Revisionsverfahren

    Zu der vorgenannten Problematik sind weitere Revisionsverfahren beim BFH anhängig (XI R 22/14, V R 25/15). Das Urteil des FG Köln (28.4.15, 10 K 3803/13), wonach der Vorsteuerabzug auch aus Rechnungen möglich ist, die eine Anschrift ausweisen, unter der keine geschäftlichen bzw. zumindest keine büromäßigen Aktivitäten stattfinden, dürfte jedoch aufgrund der jüngsten BFH-Entscheidung keinen Bestand mehr haben.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2016 | Seite 6 | ID 43694460