· Fachbeitrag · Aktuelle Rechtsprechung
Urteil: Steigerungssatz bei Honorarvereinbarung frei wählbar
| Die Vereinbarung eines 27-fachen Steigerungssatzes im Rahmen einer Honorarvereinbarung erfüllt nicht den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Amtsgerichts Karlsruhe vom 4. September 2015 (Az. 6 C 1670/15, Abruf-Nr. 146698 ). |
Patientin verlangte Rückzahlung wegen wucherischer Honorarforderung
Die klagende Patientin - selbst eine Ärztin - verlangte, dass ein Teilbetrag von 567,32 Euro zurückgezahlt wird. Nach einer Notfallbehandlung hatte sie sich zwei Monate später erneut zur beklagten Zahnärztin begeben und sich nach Abschluss einer Honorarvereinbarung am Zahn 26 behandeln lassen. Gemäß Honorarvereinbarung rechnete die Zahnärztin die Leistungen nach den GOZ-Nrn. 2400 und 2420 zum 27-fachen Satz ab.
Nachdem sie die Rechnung zunächst beglichen hatte, verlangte sie die Rückerstattung des die Behandlung eines dreiwurzeligen Zahns zum 3,5-fachen Steigerungssatz übersteigenden Betrags (jeweils 3 x 13,78 Euro = 41,34 Euro). Begründung: Der Faktor von 27,5171 übersteige den gesetzlich vorgesehenen Höchstfaktor von 3,5 um das 7,86-Fache und sei daher wucherisch. Sie sei darüber hinaus im Vorfeld darauf hingewiesen worden, dass eine Behandlung von der Vereinbarung abhängig gemacht werde. Die Zahnärztin machte einen erhöhten Zeit- und Materialaufwand sowie einen überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad geltend und wies darauf hin, dass die Vereinbarung erst zwei Monate nach der Notfallbehandlung abgeschlossen worden sei.
Gericht: 27-facher Satz erfüllt nicht den Wuchertatbestand
Das AG Karlsruhe hat die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung bejaht. Die Vereinbarung eines 27-fachen Steigerungssatzes sei nicht wegen eines „auffälligen Missverhältnisses“ zwischen Leistung und Vergütung gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig. Begründet wurde dies damit, dass § 2 Abs. 1 GOZ die abweichende Vereinbarung der Gebührenhöhe unter den dort genannten Voraussetzungen ermöglicht und deshalb die „Abweichung von dem gesetzlich vorgesehenen Faktor nur als Indiz“ für ein auffälliges Missverhältnis gewertet werden könne. Die GOZ erlaube Abweichungen, „soweit wegen des besonderen Aufwands einer zahnärztlichen Leistung durch den vorgegebenen Rahmen der GOZ eine angemessene Vergütung nicht mehr gewährleistet“ sei.
Außerdem wird auf die Begründung zur GOZ verwiesen, wonach ein Überschreiten auch gerechtfertigt sein könne, „wenn ein Zahnarzt seinen Praxisbetrieb nicht auf den Grundsatz der kostengünstigen Behandlung ausrichtet, sondern in erster Linie darum bemüht ist, hinsichtlich der Präzision und Qualität seiner Leistungen den jeweils besten möglichen Standard der aktuellen zahnmedizinischen Wissenschaft zu gewährleisten“. Nach der Vernehmung des Ehemanns der Patientin war das Gericht davon überzeugt, dass es sich um eine zeitlich umfangreiche Behandlung gehandelt hat. Wörtlich heißt es in der Urteilsbegründung: „Eine Gebühr in Höhe von 650 Euro für eine zweistündige Behandlung kann kein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung begründen“.
Weitere Tatbestandsvoraussetzungen für Wucher fehlten
Darüber hinaus fehlte es auch an den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für den Wuchertatbestand. Die Zahnärztin habe zum Abschluss der Vergütungsvereinbarung keine Zwangslage der Patientin ausgenutzt. So wurde nämlich gerade nicht die Notfallbehandlung vom Abschluss der Vereinbarung abhängig gemacht, was schon gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 GOZ verboten ist. Die Zahnärztin habe sich auch nicht die Unerfahrenheit der Patientin oder deren Mangel an Urteilsvermögen zunutze gemacht, denn letztere sei als Ärztin selbst im Umgang mit der ärztlichen Abrechnung vertraut.
PRAXISHINWEIS | Es handelt sich lediglich um eine amtsgerichtliche Entscheidung, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Aber im Fachschrifttum wird die Meinung vertreten, dass es keine festgelegte Höchstgrenze für eine Abdingung gibt. Soweit ersichtlich handelt es sich um die erste Entscheidung, die die Vereinbarung eines derart hohen Steigerungssatzes bestätigt. Zu beachten ist ferner, dass die Wirksamkeit von Honorarvereinbarungen auch an den Vorschriften über allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu messen ist, wonach die generelle Festlegung über den Höchstsätzen liegender Steigerungssätze unwirksam sein kann. Die sicherste Variante ist der Abschluss einer Individualvereinbarung. |
(Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, Berlin, www.rbs-partner.de)