· Honorarvereinbarung
Abweichende Vereinbarung nach § 2 Abs. 1 u. 2 GOZ: PKV muss ggf. auch über 3,5-fachem Satz erstatten
von RAin Doris Mücke, Bad Homburg, muecke-recht.de
| Aufwendige Behandlungen erfordern u. U. zwischen Zahnarzt und Patient eine Vereinbarung der Gebührenhöhe nach § 2 Abs. 1 und 2 GOZ ( PA 03/2019, Seite 13 ). Liegt eine solche vor, kann die private Krankenversicherung (PKV) des Patienten verpflichtet sein, durchgängig oberhalb des 3,5-fachen Satzes berechnete Aufwendungen zu erstatten (Oberlandesgericht [OLG] Köln, Urteil vom 14.01.2020, Az. 9 U 39/19, Abruf-Nr. 214164 ). Das Urteil ist deshalb so beachtenswert, weil es die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung (s. u.) konsequent anwendet und ausführlich begründet. |
Sachverhalt
Anfang des Jahres 2012 hatte ein Patient mit seinem Zahnarzt eine Honorarvereinbarung gemäß § 2 Abs. 1 und 2 GOZ geschlossen. Diese sah durchgängig Honoraraufwendungen oberhalb des 3,5-fachen Steigerungssatzes vor. Die zahnärztlichen Leistungen wurden in den Jahren 2015 bis 2017 erbracht und berechnet. Die PKV verweigerte die Erstattung. Sie machte eine Reihe von Gründen geltend, wonach sie nicht zur Erstattung in der vereinbarten Höhe verpflichtet sei: Die Erstattung sei auf die GOZ-Höchstsätze (3,5-fach) begrenzt. Zudem sei die Honorarvereinbarung formal unwirksam. Sie sei nicht individuell, weil sie eine unzulässige Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) und nicht auf das individuelle Behandlungserfordernis abgestimmt sei. Zudem könne eine Vereinbarung aus dem Jahr 2012 nicht als Abrechnungsgrundlage für Leistungen dienen, die drei bis fünf Jahre später erbracht worden seien. Die Klage des Patienten hatte vor dem OLG Köln Erfolg.
Entscheidungsgründe
Das OLG Köln stützt sich in seinem Urteil vor allem auf die einschlägig bekannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH; Urteil vom 12.03.2003, Az. IV ZR 78/01, IWW-Abruf-Nr. 030589) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; Urteil vom 25.10.2004, Az. 1 BvR 1437/02, Abruf-Nr. 042960).
Versicherungvertrag sieht keine Beschränkung auf GOZ-Höchstsätze vor
Das Gericht stellte zunächst fest, dass die PKV nach dem geltenden Versicherungstarif verpflichtet sei, dem Kläger die laut Honorarvereinbarung oberhalb des 3,5-fachen Satzes berechneten Leistungen zu erstatten. Die einschlägigen Versicherungsbedingungen sähen keine Begrenzung auf die GOZ-Höchstsätze vor. Vielmehr sei dort formuliert, dass die für medizinisch notwendige Heilbehandlungen entstandenen Aufwendungen erstattet würden. Somit stünden die vereinbarten Gebührensätze unter Versicherungsschutz.
In Anwendung des o. g. BGH-Urteils vom 12.03.2003 stellte das Gericht weiterhin fest, dass sich die PKV nicht auf die sog. Übermaßregelung des § 5 Abs. 2 Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) berufen könne. Dieses Leistungskürzungsrecht gelte für das medizinisch notwendige Maß der Behandlung, nicht aber für deren Vergütung. Nach dem BGH-Urteil habe die PKV mit dieser Regelung keine Beschränkung ihrer Leistungspflicht auf die kostengünstigste Behandlung erklärt.
MERKE | Diese Ausführungen des OLG Köln sind gleichermaßen anwendbar auf ungerechtfertigte Leistungskürzungen von PKVen bei zahntechnischen Laborkosten, soweit der Versicherungstarif keine Erstattungsbegrenzung enthält (z. B. ein Preis- und Leistungsverzeichnis; siehe PA 08/2019, Seite 2). |
Ergänzende Vertragsauslegung kommt nicht in Betracht
Auch eine ergänzende Vertragsauslegung wegen einer etwaigen Regelungslücke komme nicht in Betracht. Die PKV biete auch Tarife an, die eine ausdrückliche Beschränkung der Erstattung auf die Höchstsätze der amtlichen Gebührenordnung enthielten. Daher sei von bewusst verschiedenen Leistungsversprechen mit verschiedenen Prämiengestaltungen auszugehen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer könne angesichts der unbeschränkten Regelung in den Versicherungsbedingungen darauf vertrauen, dass er nach dem Tarif auch Aufwendungen aufgrund von Gebührenvereinbarungen gemäß § 2 Abs. 1 und 2 GOZ mit dem behandelnden Zahnarzt ersetzt verlangen könne. Der Versicherer habe durch die Gestaltung seiner Tarifbedingungen das entsprechende Risiko übernommen.
Honorarvereinbarung ist rechtswirksam
Des Weiteren sei die getroffene Honorarvereinbarung formell rechtswirksam: Sie enthalte die Gebührenziffern und die Bezeichnung der Leistungen, den vereinbarten Steigerungssatz und den sich daraus ergebenden Betrag. Außerdem weise die Vereinbarung darauf hin, dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet sei. Die Vereinbarung sei schriftlich vor Erbringung der Leistungen geschlossen worden und enthalte die vorgeschriebenen notwendigen Angaben. Damit seien die formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt.
MERKE | Die Honorarvereinbarung wies keinen Differenzbetrag zwischen dem oberhalb des 3,5-fachen Steigerungssatzes vereinbarten Honorar und dem Honorar zum GOZ-Höchstsatz aus. Angegeben wurde nur der Betrag, der sich aus dem vereinbarten Steigerungsfaktor ergab. Dies entspricht der Formulierung des § 2 Abs. 2 GOZ. Um den Patienten bestmöglich zu informieren, können Zahnärzte den Differenzbetrag oberhalb des 3,5-fachen Satzes angeben. Angesichts der eindeutigen Formulierung des § 2 Abs. 2 GOZ ist dies aber nicht zwingend erforderlich. |
Es liegt keine unzulässige AGB vor
Das Gericht widersprach dem Einwand der PKV, die Honorarvereinbarung sei keine Individualvereinbarung, sondern eine unzulässige AGB. Es verwies auf die o. g. wegweisende Entscheidung des BVerfG vom 25.10.2004.
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Das BVerfG hatte u. a. zu klären, welche formalen Anforderungen die zahnärztliche Honorarvereinbarung erfüllen muss, damit sie als Individualvereinbarung gilt. Das BVerfG stellte zunächst klar, dass der Zahnarzt eine Honorarvereinbarung wirksam nur als Individualvereinbarung treffen könne. Diese müsse aber im Lichte der Berufsausübungsfreiheit gemäß. Art. 12 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) gesehen werden. Es dürften keine so hohen Anforderungen gestellt werden, dass es dem Zahnarzt praktisch unmöglich gemacht werde, beweisbar wirksame Honorarvereinbarungen anzuschließen. Daher genüge es, dass die Vereinbarung nach persönlicher Absprache im Einzelfall zwischen dem Zahnarzt und dem Patienten getroffen werde. |
Das OLG Köln schloss aus dem BVerfG-Urteil, dass der Zahnarzt dem Patienten (bzw. dem Zahlungspflichtigen) bei Festlegung des Honorars kein Mitspracherecht einräumen müsse. Es vernahm den behandelnden Zahnarzt als Zeugen und gelangte zur Überzeugung, dass ein persönliches Gespräch über die streitgegenständliche Gebührenvereinbarung stattgefunden habe. Darin habe der Kläger die Gelegenheit gehabt, Fragen zu stellen. Dies allein sei für die rechtliche Beurteilung maßgeblich und hinreichend.
Weiter führte das Gericht aus, dass der Fall selbst dann nicht anders zu beurteilen sei, wenn der Kläger die ihm ausgehändigte Honorarvereinbarung bereits unterschrieben hätte, bevor er in das Gespräch mit dem Zahnarzt ging. Der Kläger habe während oder nach dem Gespräch immer noch die Möglichkeit gehabt, die Honorarvereinbarung nicht zu überreichen. Erst mit Aushändigung des Schriftstücks komme die Vereinbarung zustande.
Vereinbarung nicht auf individuelles Behandlungserfordernis abgestimmt
Die Frage, inwieweit es für das Vorliegen einer Individualvereinbarung erforderlich ist, dass sie auf das individuelle Behandlungserfordernis abgestimmt sei, ließ das Gericht dahingestellt. Das OLG Köln ging im vorliegenden Fall davon aus, dass die getroffene Honorarvereinbarung nicht zu beanstanden sei.
Es habe sich bereits anfänglich erkennbar um eine umfangreiche Behandlung gehandelt. Daher habe der Zahnarzt alle Leistungsziffern aufgenommen, mit deren Abrechnung bei einer normalen Behandlung zu rechnen gewesen sei. Da § 2 Abs. 2 GOZ den Abschluss der Gebührenvereinbarung zwingend vor Beginn der Behandlung vorschreibe, sei bei umfangreichen Behandlungen zwangsläufig hinzunehmen, dass die Leistungen schwer einzugrenzen seien.
2012 geschlossene Vereinbarung nach wie vor gültig
Auch die Tatsache, dass die im Jahr 2012 abgeschlossene Vereinbarung immer noch die Abrechnungsgrundlage für die sich über Jahre hinziehende Behandlung bilde, sei nicht zu bestanden. Die GOZ sehe keine zeitliche Begrenzung für zahnärztliche Honorarvereinbarungen vor und der Patient habe jederzeit die Möglichkeit, den behandelnden Zahnarzt zu wechseln. Schließlich stellte das Gericht noch fest, dass es für die Wirksamkeit der Vereinbarung keiner Begründung bedürfe. Auch insoweit lägen weder ein Gesetzesverstoß noch eine Erstattungsvoraussetzung vor.