· Fachbeitrag · Recht
VVG: Was gilt jetzt bei Erstattungszusagen und der Einsichtnahme in Gutachten und Stellungnahmen?
von Rechtsanwältin Doris Mücke, Bad Homburg
| In der privaten Krankenversicherung (PKV) haben Versicherungsnehmer bzw. Versicherte bei größeren Heilbehandlungen, die zu einer erheblichen finanziellen Belastung führen können, ein berechtigtes Interesse daran, vorab darüber informiert zu werden, ob Versicherungsschutz besteht und - wenn ja - in welchem Umfang. Vor diesem Hintergrund wurde zum 1. Mai 2013 zur Regelung des § 192 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), die sich mit den vertragstypischen Leistungen der PKV befasst, der Absatz 8 hinzugefügt. |
Erklärung der PKV zur Kostenerstattung: Beweislastumkehr
Der Absatz 8 lautet wie folgt:
Der Versicherungsnehmer kann vor Beginn einer Heilbehandlung, deren Kosten voraussichtlich 2.000 Euro überschreiten werden, in Textform vom Versicherer Auskunft über den Umfang des Versicherungsschutzes für die beabsichtigte Heilbehandlung verlangen. Ist die Durchführung der Heilbehandlung dringlich, hat der Versicherer eine mit Gründen versehene Auskunft unverzüglich, spätestens nach zwei Wochen, zu erteilen, ansonsten nach vier Wochen; auf einen vom Versicherungsnehmer vorgelegten Kostenvoranschlag und andere Unterlagen ist dabei einzugehen. Die Frist beginnt mit Eingang des Auskunftsverlangens beim Versicherer. Ist die Auskunft innerhalb der Frist nicht erteilt, wird bis zum Beweis des Gegenteils durch den Versicherer vermutet, dass die beabsichtigte medizinische Heilbehandlung notwendig ist. |
Bei der zahnärztlichen Behandlung übersteigen die Heilbehandlungsaufwendungen sehr oft den Kostenaufwand von 2.000 Euro. Regelmäßig wird hierüber auch ein Heil- und Kostenplan erteilt. Damit der Versicherte möglichst schnell erfährt, ob und in welchen Umfang für die geplante Behandlung Versicherungsschutz besteht, sollte er den Versicherer bei Einreichung des Heil- und Kostenplans auffordern, „kurzfristig“ mitzuteilen, auf welchen Betrag sich die tarifgemäße Erstattung voraussichtlich belaufen wird. Einer Fristsetzung für die Mitteilung bedarf es hierzu nicht, da sich die Fristen aus Absatz 8 der Regelung ergeben. Der Zugang des Auskunftsverlangens ist vom Versicherten im Streitfall nachzuweisen, was im Zeitalter des E-Mail-Verkehrs - auch unter Beifügung des Heil- und Kostenplans - leicht zu bewerkstelligen ist.
Erklärt sich der Versicherer innerhalb der Vier- bzw. Zwei-Wochen-Frist nicht, wird bis zum Beweis des Gegenteils durch den Versicherer vermutet, dass die beabsichtigte Heilbehandlung medizinisch notwendig ist. Im Ergebnis bedeutet dies eine Beweislastumkehr zugunsten des Versicherungsnehmers bzw. Patienten und zulasten des Versicherers, da der Versicherungsnehmer im Normalfall die medizinische Notwendigkeit der Behandlung beweisen muss. Der Versicherungsnehmer erhält durch die Beweislastumkehr somit eine für ihn wesentlich günstigere Position.
Allerdings gilt die Beweislastumkehr nur für den Fall, dass der Versicherer sich nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist „schriftlich“ zum Versicherungsschutz erklärt. Teilt er eine „mit Gründen versehene“ Leistungseinschränkung mit oder lehnt er die Kostenerstattung ab, bleibt es bei der grundsätzlichen Beweislastregel, dass der Versicherungsnehmer die medizinische Notwendigkeit der Behandlung beweisen muss. Behauptet der Versicherer, das medizinisch notwendige Maß der Behandlung sei überschritten oder die Aufwendungen seien zu hoch, und kündigt er daher Leistungskürzungen an, so ist er für deren Berechtigung darlegungs- und beweispflichtig.
Folgender Textbaustein könnte dem Patienten seitens der Zahnarztpraxis mit dem Heil- und Kostenplan an die Hand gegeben werden: „Anliegend übersende ich Ihnen die Heil- und Kostenpläne über eine bei mir anstehende medizinisch notwendige zahnärztliche Behandlung. Bitte teilen Sie mir kurzfristig mit, mit welcher tariflichen Kostenerstattung ich rechnen kann.“
PKV muss Einsicht in Gutachten oder Stellungnahmen geben
Eine weitere Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes betrifft die seit dem 1. Januar 2008 geltende Regelung des § 202 VVG, die wiederum die bis zum 31. Dezember 2007 gültige Regelung des § 178 m VVG a.F. ablöste. § 202 VVG wurde zum 1. Mai 2013 wie folgt neu gefasst (Änderungen sind gefettet):
Der Versicherer ist verpflichtet, auf Verlangen des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person Auskunft über und Einsicht in Gutachten oder Stellungnahmen zu geben, die er bei der Prüfung seiner Leistungspflicht über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung eingeholt hat. Wenn der Auskunft an oder der Einsicht durch den Versicherungsnehmer oder die versicherte Person erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Gründe entgegenstehen, kann nur verlangt werden, einem benannten Arzt oder Rechtsanwalt Auskunft oder Einsicht zu geben. Der Anspruch kann nur von der jeweils betroffenen Person oder ihrem gesetzlichen Vertreter geltend gemacht werden. Hat der Versicherungsnehmer das Gutachten oder die Stellungnahme auf Veranlassung des Versicherers eingeholt, hat der Versicherer die entstandenen Kosten zu erstatten. |
Sah die vorherige Regelung des § 202 VVG a.F. vor, dass der Versicherungsnehmer oder Versicherte Auskunft nur an einem vom ihnen benannten Arzt oder Rechtsanwalt verlangen konnte, haben Versicherungsnehmer oder Versicherter nunmehr ein direktes Auskunfts- bzw. Einsichtsrecht. Damit wurde dem in der alten Fassung nicht hinreichend berücksichtigten Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen.
Um allerdings dem Einzelfall Rechnung zu tragen, dass die verlangte Auskunft oder Einsichtnahme wegen der Möglichkeit der Fehlinterpretation befürchten lässt, sie könnte zu einer akuten Gesundheits- oder Lebensgefährdung des Versicherungsnehmers oder Versicherten führen, soll sie in diesem Fall nur einem Arzt oder Rechtsanwalt zu gewähren sein. Bei zahnärztlichen Behandlungen wird dies in der Regel nicht vorkommen, sondern allenfalls bei schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.
Unverändert gilt im Übrigen: Einsicht kann nicht nur in Gutachten, sondern auch in (zahn-)ärztliche Stellungnahmen verlangt werden. Dies umfasst die Einsichtnahme in extern eingeholte Stellungnahmen beratender Zahnärzte.