· Fachbeitrag · BREXIT
Praxisfälle: Änderungen durch das BREXIT-StBG
von StB Dr. Christian Kahlenberg, M.Sc./LL.M., Flick Gocke Schaumburg, Berlin/Bonn
| Im Vorgriff auf den anstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (kurz: VK) hat der deutsche Steuergesetzgeber im sog. BREXIT-Steuerbegleitgesetz (kurz: BREXIT-StBG) eine Reihe von Vorschriften erlassen, die schädlichen Steuerfolgen aufgrund des BREXIT abfedern sollen (s. bereits zum Referentenentwurf Kudert, PIStB 18, 336 ). Am 15.3.19 hat der Bundesrat dem BREXIT-StBG zugestimmt. Der vorliegende Beitrag stellt anhand von Fallbeispielen die wichtigsten finalen Änderungen im EStG, KStG, AStG und UmwStG und ihre Folgen in der Praxis vor. |
1. Kernziel des BREXIT-StBG
Mit dem derzeit mutmaßlichen Austritt des VK aus der EU am 29.3.19 (ggf. auch 30.6.19) im Szenario des sog. harten BREXIT ohne Übergangsphase wandelt sich der steuerliche Status des VK von einem EU- zu einem Drittstaat. In der Folge gehen zahlreiche, dem Unionsrecht entsprungene Steuerprivilegien verloren bzw. müssen nicht weiter gewährt werden. Dies könnte zu nachteiligen Steuerfolgen führen, deren Vermeidung Kernziel des vorliegenden BREXIT-StBG ist. Der Steuergesetzgeber spricht insofern vom Verzicht auf „nicht gewollte Steuereinnahmen“ (BT-Drs. 19/7959, 2).
2. Fallbeispiele zu den Änderungen des BREXIT-StGB
2.1 Keine Auflösung des Ausgleichspostens nach § 4g EStG
Bei Übertragung oder Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Inland in eine ausländische Betriebsstätte kann es zum Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts kommen, weil Art. 13 Abs. 2 OECD-MA dem Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht zugesteht (so auch Art. 13 Abs. 3 DBA-VK). Hierfür ordnet § 4 Abs. 1 S. 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG eine Steuerentstrickung zum gemeinen Wert an. Eine sofortige Steuerzahlung wäre EU-rechtlich nicht zulässig, weshalb § 4g Abs. 1 EStG eine Zahlung der Steuer in Teilbeträgen über fünf Jahre vorsieht, indem im Veranlagungszeitraum der Entstrickung ein (bilanzieller) Ausgleichsposten i. H. v. 4/5 gebildet und in den anschließenden vier Veranlagungszeiträumen jeweils um 1/5 aufgelöst wird. Voraussetzung ist die Zuordnung des betreffenden Wirtschaftsguts zu einer EU-/EWR-Betriebsstätte.
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Die deutsche GmbH & Co. KG (Stammhaus) unterhält im VK eine Betriebsstätte, der ab dem 1.1.18 eine Produktionsmaschine, die zuvor im deutschen Stammhaus genutzt wurde, zur Verfügung gestellt wird. Diese soll für eine neue Produktlinie verwendet werden. Infolge der Zuordnung zur VK-Betriebsstätte wurden die stillen Reserven von 500.000 EUR nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG i. V. m. Art. 13 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 Buchst. a) DBA-VK gewinnwirksam aufgedeckt. Gemäß § 4g Abs. 1 EStG wurde in der Steuerbilanz ein Ausgleichsposten i. H. v. 400.000 EUR gebildet. Mit der Zuordnung zur VK-Betriebsstätte war der notwendige EU-Bezug gegeben. |
Nach dem BREXIT läge keine Zuordnung zu einer EU-/EWR-Betriebsstätte mehr vor, weshalb in der Literatur darüber diskutiert wurde, ob der Ausgleichsposten ggf. nach § 4g Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG aufgelöst werden müsste. Um dies zu verhindern, wurde § 4g EStG um einen Absatz 6 ergänzt:
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„Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und Abs. 3 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass allein der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht dazu führt, dass ein als entnommen geltendes Wirtschaftsgut als aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgeschieden gilt.“ |
Die Vorschrift stellt ausdrücklich klar, dass im vorliegenden Fall keine vollständige (gewinnwirksame) Auflösung des Ausgleichspostens im VZ 2019 erfolgen muss; § 4g Abs. 6 EStG setzt damit die Voraussetzungen des § 4g Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG außer Kraft, aber nur für den Fall des BREXIT. Wird die Produktionsmaschine aber veräußert oder in eine andere Betriebsstätte überführt, sind die Voraussetzungen des § 4g Abs. 2 EStG erneut zu prüfen. Damit würde die Überführung in eine Betriebsstätte in den USA zur zwingenden Vollauflösung des Ausgleichspostens führen.
MERKE | § 4g Abs. 6 EStG ist nur auf Vorgänge anzuwenden, die vor dem BREXIT durchgeführt (Zuordnungswechsel) wurden. Für sog. Neufälle (nach dem BREXIT) wäre die Bildung eines Ausgleichspostens nicht möglich, weil der tatbestandsmäßig notwendige EU-Bezug nicht vorliegt. |
2.2 Verzinsung der Reinvestitionsrücklage (§ 6b Abs. 2a EStG)
§ 6b Abs. 2a EStG ermöglicht im Betriebsvermögen aufgedeckte stille Reserven auf neu erworbene Wirtschaftsgüter zu übertragen, was zu einem entsprechenden Steuerstundungseffekt führt. Um zu verhindern, dass ein Antrag auf Reinvestitionsrücklage gestellt wird, die deklarierte Investition aber unterbleibt, wurde mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (kurz: UStAVermG) eine Regelung zur Verzinsung bei unterbleibender Reinvestition eingeführt (§ 6b Abs. 2a S. 4 ‒ 6 EStG). Um zu vermeiden, dass der Verzinsungsregel zwangsläufig auch Steuerpflichtige unterworfen werden, die bereits vor dem BREXIT die Absicht verfolgten, eine begünstigte Reinvestition im VK zu tätigen und dies auch tatsächlich umsetzen, wurde durch das BREXIT-StBG § 6b Abs. 2a EStG um den folgenden S. 7 ergänzt:
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t„Zu den nach S. 1 angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgütern gehören auch die einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zuzuordnenden Wirtschaftsgüter, soweit der Antrag nach S. 1 vor dem Zeitpunkt gestellt worden ist, ab dem das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland nicht mehr Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und auch nicht wie ein solcher zu behandeln ist.“ |
Mit dieser Neuregelung ist nunmehr sichergestellt, dass nach dem BREXIT geplante Investitionen in Wirtschaftsgüter, die einem Betriebsvermögen im VK zugeordnet werden, genauso behandelt werden, als ob die Investition in einem EU-Mitgliedstaat vorgenommen wird. Erforderlich ist aber die Antragstellung bis zum BREXIT.
2.3 Keine Sitzverlegung durch den BREXIT (§ 12 Abs. 3 KStG)
Verlegt eine EU-/EWR-Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einen Drittstaat, gilt sie nach § 12 Abs. 3 KStG als aufgelöst (Fiktion). Die Folge ist die Liquidationsbesteuerung nach § 11 KStG. Vor dem Hintergrund des BREXIT war insofern fraglich, ob die Wandlung des VK von einem EU- zu einem Drittstaat als „Sitzverlegung“ i. S. d. § 12 Abs. 3 KStG angenommen werden könnte.
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Die VK-Ltd. mit inländischer Betriebsstätte erwägt, ggf. im Jahr 2020 ihren Geschäftsleitungsort in die USA zu verlegen. Der Direktor fragt sich, ob der bevorstehende BREXIT für dieses Vorhaben problematisch wäre. |
Infolge des BREXIT wäre die UK-Ltd. nicht mehr in der EU unbeschränkt steuerpflichtig, weshalb bei Anwendbarkeit von § 12 Abs. 3 KStG die in der deutschen Betriebsstätte verstrickten stillen Reserven aufzudecken wären. § 12 Abs. 3 KStG fordert aber neben dem „Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht“ aus einem EU-/EWR-Staat auch die „Verlegung“ von Sitz oder Geschäftsleitung, was vorliegend aber nicht passiert, sondern erst für 2020 geplant ist; der BREXIT dürfte keine „Verlegung“ sein. Um indes Fehlinterpretationen vorzubeugen, wurde dies mit § 12 Abs. 3 S. 4 KStG klargestellt:
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„Dieser Absatz ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass allein der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht dazu führt, dass eine Körperschaft, Vermögensmasse oder Personenvereinigung dadurch als aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgeschieden gilt oder als außerhalb der Europäischen Union ansässig anzusehen ist.“ |
Beachten Sie | Für die noch ausstehende Verlegung des Geschäftsleitungsorts könnte man anschließend argumentieren, dass § 12 Abs. 3 S. 1 KStG ebenfalls nicht einschlägig wäre, weil die UK-Ltd. in 2020 nicht (mehr) in einem EU-Staat unbeschränkt steuerpflichtig ist, also auch nicht aus der EU „ausscheiden“ könnte. Ausweislich der Gesetzesbegründung zielt § 12 Abs. 3 S. 4 KStG aber auch darauf ab, derartigen Umgehungsüberlegungen vorzubeugen (ausführlich Kudert/Kahlenberg, FR 19, 251 f.).
2.4 Zurechnung von Betriebsvermögen nach dem neuen § 12 Abs. 4 KStG
Vor Einführung der sog. Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) durch das MoMiG griffen zahlreiche deutsche Unternehmer zur Begrenzung der persönlichen Haftung auf die britische Ltd. zurück, weil diese grds. keine Mindestkapitalausstattung vorschreibt.
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D ist Bauunternehmer und hat sich auf die Errichtung ökologischer Ein- und Mehrfamilienhäuser spezialisiert. Zur Abschirmung seines Unternehmensrisikos hat er seinerzeit im VK eine Ltd. gegründet (D-Ltd.), ist aber ausschließlich in Deutschland tätig. |
Die D-Ltd. ist aufgrund des inländischen Geschäftsleitungsorts in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Die Gründung im VK ist (zivilrechtlich) unbeachtlich, weil die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) zur Anerkennung ausländischer EU-Gesellschaften verpflichtet, deren tatsächlicher Verwaltungssitz sich im Inland befindet (vgl. nur EuGH 9.3.99, C-212/97, Centros; 14.3.05, II ZR 5/03, NJW 05, 1648). Nach dem BREXIT wäre die Niederlassungsfreiheit nicht mehr im Verhältnis zum VK anwendbar mit der Folge, dass die D-Ltd. zivilrechtlich zu einem Einzelunternehmen (nur ein Anteilseigner) mutiert und formell erst erneut in Deutschland gegründet werden müsste. D verliert in der Zwischenzeit auch die durch die Ltd. gewährleistete Haftungsabschirmung.
Steuerrechtlich erfolgt die Einordnung ausländischer Rechtsträger nach dem sog. Rechtstypenvergleich (s. auch Kahlenberg, PIStB 13, 310), weshalb es insofern unbeachtlich ist, ob eine im Ausland errichtete Körperschaft nach deutschem Zivilrecht anzuerkennen ist (BFH 8.9.10, I R 6/09, BStBl II 13, 186). Diese Beurteilung soll durch den neuen § 12 Abs. 4 KStG klargestellt werden:
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„Einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ist nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union das Betriebsvermögen ununterbrochen zuzurechnen, das ihr bereits vor dem Austritt zuzurechnen war.“ |
Auf den vorliegenden Fall übertragen folgt aus § 12 Abs. 4 KStG, dass der D-Ltd. nach dem BREXIT ihr Betriebsvermögen weiterhin unverändert zugerechnet wird, um einer möglichen Steuerentstrickung zu entgehen. Erforderlich ist dafür eine inländische Betriebsstätte, die zumindest durch den deutschen Geschäftsleitungsort repräsentiert wird. Im VK dürfte ohnehin keine (weitere) Betriebsstätte existieren, weshalb eine abweichende Zuordnung vorliegend ohnehin unmöglich wäre.
Beachten Sie | Hintergrund soll sein, dass infolge des BREXIT die D-Ltd. ggf. als Körperschaft i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG qualifiziert (außerbetriebliche Sphäre). Das könnte eine Entstrickung bisher betrieblicher Wirtschaftsgüter zur Folgen haben (so Link, NWB 19, 869 f.). Die Steuerfolgen aufgrund einer denkbaren Zwangsentnahme soll mit § 12 Abs. 4 KStG verhindert werden.
2.5 Neuerungen im Bereich der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG)
Beendet eine natürliche Person, die Anteile i. S. v. Art. 17 Abs. 1 S. 1 EStG (Privatvermögen) hält und insgesamt mindestens zehn Jahre in Deutschland i. S. v. § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war, die unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes (§ 8 AO) oder gewöhnlichen (§ 9 AO) Aufenthalts, wird gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 AStG eine fiktive Gewinnrealisation zum gemeinen Wert ausgelöst. Die festzusetzende Wegzugssteuer wird aber gemäß § 6 Abs. 5 S. 1 und 2 AStG dauerhaft, zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet, wenn
- 1. der Steuerpflichtige Staatsangehöriger eines EU-/EWR-Mitgliedstaats ist,
- 2. er nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem EU-/EWR-Staat einer der deutschen Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt und
- 3. dieser Zuzugsstaat Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer gewährleistet.
Gleiches gilt entsprechend, wenn
- 1. sich die DBA-rechtliche Ansässigkeit einer natürlichen Person in einen EU-/EWR-Staat verlagert (§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 5 S. 3 Nr. 2 AStG);
- 2. in Fällen der grenzüberschreitenden Schenkung bzw. Vererbung von Anteilen (von § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG) der Rechtsnachfolger, dessen Staatsangehörigkeit unbeachtlich ist, in einem die Amts- und Beitreibungshilfe gewährleistenden EU-/EWR-Staat einer der deutschen Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AStG);
- 3. bei Einlage in ein Betriebsvermögen (§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AStG) dieses sich in einem EU-/EWR-Staat befindet (§ 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 3 AStG);
- 4. in sonstigen Fällen (§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG), wenn die wegzugssteuerbehafteten Anteile an einer in einem EU-/EWR-Staat ansässigen Gesellschaft bestehen (§ 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 4 AStG).
In der Vergangenheit wurden für Sachverhalte mit hinreichendem Bezug zum VK entsprechende Steuerstundungen nach § 6 Abs. 5 AStG gewährt. Im Hinblick auf die Wandlung des VK zu einem ertragsteuerrechtlichen Drittstaat stellt sich deshalb die Frage, ob die Stundung zu widerrufen ist bzw. widerrufen werden kann, wenn der Steuerpflichtige bzw. sein Rechtsnachfolger im VK ansässig wären oder schlichtweg die EU-/EWR-Staatsangehörigkeit nicht weiter vorliegen würde.
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Brain ist in Deutschland geboren und hat von seiner deutschen Mutter frühzeitig GmbH-Anteile am Familienunternehmen (20 %) bekommen (Schenkung). Sein Vater lebt in London, weshalb Brain sein Masterstudium in London absolvieren möchte. Am 30.6.18 siedelt er ins VK über. Die stillen Reserven seiner GmbH-Beteiligung belaufen sich mittlerweile auf ca. 10 Mio. EUR. |
Aufgrund der Wohnsitzaufgabe werden zunächst die Rechtsfolgen der deutschen Wegzugsbesteuerung ausgelöst, d. h. fiktive Gewinnrealisation zum gemeinen Wert (hier: 10 Mio. EUR). Die festzusetzende Steuerschuld (ca. 2,8 Mio. EUR) wurde aber von Amts wegen nicht erhoben, da die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 S. 1 f. AStG erfüllt sind (EU-Bezug des VK). Nach dem BREXIT würde Brain aber im VK, und damit nicht in einem EU-Staat, der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Daher ist es zweifelhaft, ob die gewährte Steuerstundung für 2018 ggf. nachträglich zu widerrufen ist (mit ausführlicher Begründung dagegen Häck, ISR 18, 265).
Mit den Neuregelungen durch das BREXIT-StBG wurde die Diskussion abschließend geregelt. Zunächst wurde der Einleitungssatz zu § 6 Abs. 5 S. 4 AStG wie folgt ergänzt: „[Die Stundung ist zu widerrufen], wenn die Voraussetzungen für die Stundung nach den Sätzen 1 bis 3 nicht mehr vorliegen oder […]“. Damit soll eine zeitraumbezogene Betrachtung der Widerrufsvoraussetzungen kodifiziert werden, sodass im vorliegenden Beispiel die gewährte Steuerstundung zu widerrufen wäre (keine unbeschränkte Steuerpflicht in einem EU-/EWR-Staat mehr).
Flankiert wird diese Regelungsverschärfung durch den neuen § 6 Abs. 8 AStG (BREXIT-Escape).
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„(8) Abweichend von Abs. 5 S. 4 führt der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht zum Widerruf der Stundung, wenn allein aufgrund dessen für den Steuerpflichtigen oder seinen Rechtsnachfolger im Sinne des Absatzes 5 Satz 3 Nummer 1 die Voraussetzungen für die Stundung nach Absatz 5 Satz 1 und 3 nicht mehr vorliegen. In den Fällen des Satzes 1 ist Absatz 5 Satz 4 auf die gestundeten Beträge weiterhin mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Stundung über die in Absatz 5 Satz 4 geregelten Tatbestände hinaus auch zu widerrufen ist,
In den Fällen des Satzes 2 gilt Absatz 7 entsprechend.“ |
Die zweistufige Neuregelung weist folgende Funktionsweise auf:
- 1. Stufe: § 6 Abs. 8 S. 1 AStG regelt zunächst, dass der BREXIT allein nicht dazu führt, dass die Stundungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt werden (z. B. keine EU-/EWR-Steuerpflicht, -Staatsangehörigkeit oder -Betriebsstättenvermögen).
- 2. Stufe: Nach § 6 Abs. 8 S. 2 AStG werden die Widerrufsgründe i. S. v. § 6 Abs. 5 S. 4 AStG um Situationen erweitert, in denen der Kausalzusammenhang zwischen EU-/EWR und Widerrufsgrund durch § 6 Abs. 8 S. 1 AStG ggf. nicht bestehen würde (dazu sogleich).
Im vorliegenden Fall wäre die gewährte Steuerstundung nach § 6 Abs. 5 S. 4 AStG n. F. grundsätzlich zu widerrufen, weil Brain in keinem EU/EWR-Staat der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Nach § 6 Abs. 8 S. 1 AStG beruht dieser Umstand aber allein auf dem Austritt des VK aus der EU/EWR, weshalb es für diese Situation ausnahmsweise nicht zum Widerruf kommt.
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Brain plant, im Jahr 2020 in die USA zu verziehen, um dort ein MBA-Studium aufzunehmen und ggf. anschließend im Silicon Valley beruflich durchzustarten. |
Nach § 6 Abs. 5 S. 4 Nr. 4 AStG kommt es u. a. dann zum Widerruf einer Steuerstundung, wenn durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts keine Steuerpflicht nach Abs. 5 S. 1 (d. h. in einem EU-/EWR-Staat) mehr besteht. Nach dem Wegzug ist Brain in einem Drittstaat und damit nicht (mehr) in einem EU-/EWR-Staat unbeschränkt steuerpflichtig, weshalb die geforderte Kausalität („durch“) zwischen Wohnsitzaufgabe (bzw. Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts) und Beendigung der unbeschränkten EU-/EWR-Steuerpflicht vorliegend nicht gegeben wäre. Um diese vermeintliche Regelungslücke zu schließen, erweitert § 6 Abs. 8 S. 2 Nr. 2 AStG die Widerrufstatbestände um Sachverhalte aus dem VK heraus in einen Drittstaat. Der Weiterverzug in die USA würde demnach zum Widerruf der gewährten Steuerstundung führen.
2.6 Erweiterung der persönlichen Anwendungskriterien für Hineinverschmelzungen
Um die Überführung britischer Gesellschaften in eine deutsche Rechtsform zu erleichtern, ermöglicht § 122a ff. UmwG die grenzüberschreitende (Hinein-)Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personenhandelsgesellschaft. Ferner schafft § 122m UmwG für nicht (mehr) verschmelzungsfähige Rechtsträger i. S. d. § 122b UmwG die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach §§ 122a ff. UmwG.
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Aufgrund des bevorstehenden BREXIT soll die im VK errichtete VK-Ltd. auf die deutsche D-GmbH verschmolzen werden. Die notarielle Beurkundung erfolgte bereits im Januar 2019. Die Verschmelzung wurde zum 29.3.19 noch nicht zur Eintragung ins Handelsregister angemeldet. Als steuerlicher Übertragungsstichtag (§ 2 UmwStG) soll später allenfalls der 30.4.19 möglich sein (Annahme: BREXIT am 29.3.19). |
Fraglich wäre vorliegend, ob der Anwendungsbereich des UmwStG überhaupt eröffnet ist, weil der steuerliche Übertragungsstichtag auf einen Zeitpunkt nach dem BREXIT bezogen wird.
MERKE | Nach h. M. kommt es für die Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen des UmwStG auf die Umstände im Zeitpunkt des zivilrechtlichen Wirksamwerdens der Umwandlung an (Eintragung in das Handelsregister; Graw in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, § 1 Rn. 167 m. w. N.), während die Finanzverwaltung den steuerlichen Übertragungsstichtag für maßgebend erachtet (Tz. 01.52 UmwStE). |
Damit auch die übertragende Gesellschaft das EU-/EWR-Erfordernis ‒ ungeachtet des BREXIT ‒ erfüllen kann, wurde § 1 Abs. 2 UmwStG um einen S. 3 ergänzt:
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„Eine übertragende Gesellschaft, auf die § 122m des Umwandlungsgesetzes Anwendung findet, gilt als Gesellschaft mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats der Europäischen Union.“ |
Mithilfe dieser Regelung wird die übertragende Gesellschaft, die von der o. g. Übergangsregelung des § 122m UmwG profitieren möchte, in den persönlichen Anwendungsbereich des UmwStG einbezogen. Nur dadurch können auch vorliegend die Privilegien der §§ 11 ff. UmwStG (Buchwertfortführung) genutzt werden.
2.7 Keine Sperrfristverstöße nur durch den BREXIT (§ 22 Abs. 8 UmwStG)
Das UmwStG sieht an verschiedenen Stellen Halte- bzw. Behaltefristen vor, um der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Steuerbegünstigungen vorzubeugen. Für Einbringungen von Betriebsvermögen in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 UmwStG) oder beim Austausch von Kapitalgesellschaftsanteilen (§ 21 UmwStG) bleibt die Steuerneutralität des Übertragungsvorgangs erhalten, wenn die erhaltenen Anteile nicht innerhalb eines Sieben-Jahres-Zeitraums (Sperrfrist nach § 22 UmwStG) veräußert werden.
Neben der klassischen Veräußerung enthält § 22 Abs. 1 S. 6 UmwStG Ergänzungstatbestände, bei denen ebenfalls ein Sperrfristverstoß angenommen wird mit der Folge der rückwirkenden Besteuerung des eingebrachten Vermögens (Betriebsvermögen oder Kapitalgesellschaftsanteile) beim Einbringenden. Nach § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 6 UmwStG ist z. B. der dauerhafte (innerhalb der Sieben-Jahres-Sperrfrist) EU-/EWR-Bezug der übernehmenden Gesellschaft beachtlich (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 UmwStG).
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Die deutsche D-GmbH bringt im Jahr 2018 ihren gesamten Mitunternehmeranteil an einer inländischen KG (stille Reserven von 700.000 EUR) in ihre britische Tochtergesellschaft VK-Ltd. ein und erhält im Gegenzug (ausschließlich) neue Anteile an der VK-Ltd. Als steuerlicher Übertragungsstichtag soll der 1.1.18 angenommen werden. |
Der Vorgang könnte nach § 20 Abs. 2 S. 2 UmwStG zu steuerlichen Buchwerten erfolgen, da die VK-Ltd.
- in Deutschland beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG i. V. m. Art. 7 Abs. 1 S. 2 DBA-VK),
- das eingebrachte Betriebsvermögen nicht negativ ist,
- ein deutsches Besteuerungsrecht für den Gewinn aus der Veräußerung des Betriebsvermögens besteht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG i. V. m. Art. 13 Abs. 3 DBA-VK) und
- keine (schädlichen) sonstigen Gegenleistungen gewährt werden.
Gleichzeitig sieht § 22 Abs. 1 UmwStG eine Sieben-Jahres-Sperrfrist für die neu erhaltenen Anteile vor. Infolge des BREXIT entfällt die maßgebende EU-/EWR-Eigenschaft der VK-Ltd. als übernehmende Gesellschaft i. S. d. § 1 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG, weshalb dies als Sperrfristverstoß i. S. v. § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 6 UmwStG gewertet werden könnte. Dies hätte zur Folge, dass die D-GmbH den ursprünglichen Einbringungsgewinn i. H. v. 6/7 nachzuversteuern hätte. Um dies zu verhindern, wurde § 22 Abs. 8 UmwStG eingeführt:
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„(8) Absatz 1 Satz 6 Nummer 6 und Absatz 2 Satz 6 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass allein der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des § 1 Absatz 4 nicht mehr erfüllt sind. Satz 1 gilt nur für Einbringungen, bei denen in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge der Umwandlungsbeschluss vor dem Zeitpunkt, ab dem das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland nicht mehr Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und auch nicht wie ein solcher zu behandeln ist, erfolgt oder, in den anderen Fällen, in denen die Einbringung nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erfolgt, der Einbringungsvertrag vor diesem Zeitpunkt geschlossen worden ist.“ |
Für den vorliegenden Fall wären die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 UmwStG erfüllt, da insbesondere der Einbringungsvertrag vor dem BREXIT geschlossen wurde (§ 22 Abs. 8 S. 1 UmwStG). Der BREXIT allein führt dann nicht dazu, dass die VK-Ltd. für Zwecke des § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 6 UmwStG das EU-/EWR-Erfordernis verletzt. Mithin kommt es vorliegend nicht zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns von 600.000 EUR (6/7 von 700.000).
Beachten Sie | Sofern der jeweilige zivilrechtliche Akt erst nach dem BREXIT umgesetzt wird, ist die Anwendung von § 22 Abs. 8 S. 1 über S. 2 UmwStG ausgeschlossen mit der Folge, dass die Vorschriften des UmwStG schon im Ausgangspunkt nicht anwendbar sind (persönlicher EU/EWR-Bezug negativ).
FAZIT | Der Gesetzgeber schützt mit den Neuregelungen durch das BREXIT-StBG die Steuerpflichtigen vor belastenden Steuerfolgen, die aus der Wandlung des VK zu einem steuerlichen Drittstaat und dem damit verbundenen Verlust der EU-rechtlichen Schutzwirkung resultieren. Die hier dargestellten Verschonungsregelungen setzen aber allesamt voraus, dass die aktive Handlung des Steuerpflichtigen vor dem BREXIT vorgenommen wurde. Für Neufälle werden die Regelungen regelmäßig nicht anwendbar sein; insofern ist die Drittstaateneigenschaft des VK maßgebend. |