· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Aktuelle Betriebsprüfungsfälle mit internationalem Bezug
von StB Marc Oppermann, Düsseldorf
| Nachfolgend werden fünf weitere Betriebsprüfungsfälle aus Sicht der Finanzverwaltung sowie der Beraterschaft näher beleuchtet, um kritische Aspekte und mögliche Stellschrauben herauszustellen (zu den letzten fünf Fällen, s. Oppermann und Sezer, PIStB 24, 114 ). Dieses Mal werden ausschließlich Herausforderungen beim Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) sowie bei Betriebsstätten (§ 12 AO) behandelt. |
1. Ort der Geschäftsleitung
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Der deutsche Investor M ist 100%iger Anteilseigner der deutschen M-GmbH, welche 100 % an einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft hält. Die Lux Sarl verfügt neben dem in Deutschland ansässigen M über einen lokalen ‒ d. h. in Luxemburg ansässigen ‒ Geschäftsführer. Im Rahmen einer Betriebsprüfung der M-GmbH wird die Betriebsprüfung auf die Geschäftsführertätigkeit des M für die Lux Sarl aufmerksam und möchte daher das Welteinkommen der Lux Sarl im Rahmen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht aufgrund der Geschäftsleitung in Deutschland versteuern (vgl. § 1 Abs. 1 KStG). |
Aus Beratersicht stellt sich die Frage, ob der Ort der Geschäftsleitung wirklich im Inland liegt. Dies erfordert nach § 10 AO, dass sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung in Deutschland befindet. Hierbei kommt es nach der ständigen BFH-Rechtsprechung auf die laufende Geschäftsführung der für das Unternehmen relevanten Tagesgeschäfte (Day-to-Day-Business) an. Das BMF hat mit der Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) vom 5.2.24 erstmals sein Verständnis zu § 10 AO artikuliert, wobei auch auf praxisrelevante Besonderheiten der „Gewichtung bei mehreren Geschäftsführern“ sowie der „Trennung der Geschäftsführung in kaufmännische und technische Aufgaben“ eingegangen wird.
Nachfolgend finden Sie eine allgemeine Checkliste für die Praxis (in Anlehnung an FGS Webcast von Engelen/Tcherveniachki vom 25.4.24), mit deren Hilfe geprüft und dokumentiert werden kann, dass ausländische Kapitalgesellschaften (mit statutarischem Sitz im Ausland) den Ort der Geschäftsleitung nicht ungewollt in Deutschland begründen, wenn eine Abschirmwirkung vor der deutschen Besteuerung beibehalten werden soll:
Checkliste / |
Beachten Sie | In der Gestaltungsberatung lassen sich selbst „kritische“ Fälle gleichwertiger Geschäftsführeraufgaben bei mehreren Geschäftsführern durch ein Letztentscheidungsrecht des ausländischen Geschäftsführers im Rahmen einer Geschäftsordnung rechtssicher regeln. Hierdurch sollte sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i. S. d. § 10 AO an dem ausländischen Tätigkeitsort ‒ Büro oder Homeoffice ‒ des lokalen Geschäftsführers befinden, sodass keine deutschen steuerlichen Konsequenzen eintreten (vgl. hierzu Ungemach/Stefaner, PIStB 22, 87 ff.) |
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1) Anmerkung zu Punkt 3: Die Bedeutung von Punkt 3 wird im Fall 2 ersichtlich. Es ist zu vermeiden, dass der lokale/ausländische Geschäftsführer als ständiger Vertreter der ausländischen Kapitalgesellschaft in Deutschland eingestuft wird und somit nach § 13 AO eine beschränkte Steuerpflicht eintritt.
2) Anmerkung zu Punkt 5: Dies spielt bei sog. Basisgesellschaften (Holding-, Finanzierungs- und vermögensverwaltenden Gesellschaften) ‒ bei denen kein wirkliches Tagesgeschäft abgesehen von der Vereinnahmung von Dividenden und/oder Zinsen besteht ‒ eine wichtige Rolle.
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In der Abwandlung zu Fall 1 soll zwar unzweifelhaft keine deutsche Geschäftsleitungsbetriebsstätte ‒ z. B. wegen Anerkennung eines Letztentscheidungsrechts des lokalen luxemburgischen Geschäftsführers ‒ vorliegen. Allerdings soll sich der ausländische Geschäftsführer „häufig“ in Deutschland aufgehalten haben, um dort Geschäfte für die Lux Sarl anzubahnen, abzuschließen und abzuwickeln. |
In Betriebsprüfungen wird mit Verweis auf das BFH-Urteil vom 23.10.18 (I R 54/16, BStBl II 19, 365) vertreten, dass der ausländische Geschäftsführer der Lux Sarl ständiger Vertreter i. S. v. § 13 AO sei. Gemäß § 13 S. 1 AO ist ständiger Vertreter eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. § 13 S. 2 AO bestimmt hierzu ergänzend, dass ständiger Vertreter insbesondere eine Person ist, die für ein Unternehmen nachhaltig Verträge abschließt oder vermittelt oder Aufträge einholt oder einen Bestand von Gütern oder Waren unterhält und davon Auslieferungen vornimmt. Hieraus resultiere eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht der ausländischen Kapitalgesellschaft nach den §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG, allerdings ohne Gewerbesteuerpflicht mangels im Inland belegener Betriebsstätte.
Aus Beratersicht ist der Betriebsprüfung zunächst zuzustimmen, da der BFH der Organtheorie ‒ wonach der Geschäftsführer als Organ einer Kapitalgesellschaft nicht Vertreter i. S. d. § 13 AO sein könne ‒ eine Absage erteilt hat. Damit liegt steuerrechtlich ein schädliches „Eigenhandeln“ der Kapitalgesellschaft vor, sodass eine Vertretung grundsätzlich möglich ist, die den Tatbestand des „ständigen Vertreters“ (§ 13 AO) bzw. des „abhängigen Vertreters“ (i. S. d. DBA-Rechts) erfüllt. Hierzu ist gleichwohl Voraussetzung und gemeinsam mit der Betriebsprüfung näher zu prüfen, ob der Geschäftsführer regelmäßig und von Dauer in Deutschland als Quellenstaat tätig war, sodass auch das Tatbestandsmerkmal der „Nachhaltigkeit“ vorliegt (vgl. Bendlinger, SWI 19, 377 bis 386: Der Geschäftsführer als ständiger/abhängiger Vertreter).
In der Gestaltungsberatung sollte sich das Merkmal der „Nachhaltigkeit“ als Stellschraube verwenden lassen. Nach Einschätzung des BFH liegt diese vor, wenn eine Geschäftsbesorgung mit einer gewissen Plan- und Regelmäßigkeit erfolgt: „Das setzt grundsätzlich ein wiederholtes, mehr als kurzfristiges Tätigwerden auf der Grundlage eines im Voraus gefassten Willensentschlusses voraus […]“ (BFH 23.10.18, I R 54/16, BStBl II 19, 365, Rz. 23). Wie bei der Betriebsstättenregelung in § 12 AO ist der deutsche Besteuerungszugriff allein durch eine (sachliche oder personelle) Inlandspräsenz von einigem Gewicht zu rechtfertigen (vgl. BT-Drs. VI/1982, S. 104).
MERKE | Im Falle lediglich vereinzelter, gelegentlicher oder vorübergehender Entsendungen des Geschäftsführers nach Deutschland sollte keine schädliche Vertreterbetriebsstätte gegeben sein. Neben der Gesamtdauer der inländischen Aufenthalte ist insbesondere auch die Regelmäßigkeit maßgeblich, sodass etwa eine Person, die über einen längeren Zeitraum hinweg jede Woche oder mehrmals im Monat immer wieder das Inland aufsucht, um Aufträge hereinzuholen oder Auslieferungen vorzunehmen, als ständiger Vertreter anzusehen ist. |
2. Betriebsstätten
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Die A-GmbH als inländischer Betreiber und Charterer von Flugzeugen hatte mit der Y-Ltd sog. Line Maintenance Agreements mit dem Gegenstand abgeschlossen, lizenziertes Flugzeugwartungspersonal (und deren Werkzeug) zu überlassen. Dazu schloss die Y-Ltd einen Freelancer Contract mit der X-Ltd, worin der „Freelancer“ verpflichtet wurde, flugzeugbezogene Wartungsleistungen als Subunternehmer des Auftraggebers zu erbringen. Der Vertrag wurde vom Kläger X und Alleingesellschafter der X-Ltd mit seinem Namen (ohne Zusatz, als Organ der X-Ltd. zu handeln) unterzeichnet.
Die Wartungstätigkeiten wurden auf dem im Inland belegenen Flughafengelände der A-GmbH ausgeübt. Den Freelancern standen Umkleide-, Verwaltungs- und Gemeinschaftsflächen (in durch die Y-Ltd von der A-GmbH angemieteten Räumen) zur Verfügung. In diesen Räumlichkeiten der A-GmbH standen X personalisierte Spinde und Schließfächer zur Verfügung, die nur zur Lagerung persönlicher Gegenstände verwendet wurden; Betriebsmittel wurden dort durch X nicht aufbewahrt. |
Fraglich war, ob die Wartungstätigkeit durch eine in Deutschland belegene Betriebsstätte ausgeübt wurde.
Zwar war Alleingesellschafter X wegen seines inländischen Wohnsitzes in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Nach dem DBA mit Großbritannien war er aber aufgrund seines Lebensmittelpunktes in Großbritannien nur dort steuerlich ansässig. Deutschland darf als Quellenstaat gemäß dem DBA-Großbritannien Einkünfte aus einer selbstständigen (oder gewerblichen) Tätigkeit in Deutschland nur besteuern, wenn die Tätigkeit durch eine in Deutschland belegene Betriebsstätte ausgeübt wird.
Der BFH bejahte eine inländische Betriebsstätte der Y-Ltd. aufgrund der Spinde und der Schließfächer vor Ort. Diese „Überlassung personenbezogener Nutzungsstrukturen“ führe zur nötigen „Verwurzelung“ des Ingenieurs. Außerdem habe er eine mittelbar aus dem „Freelancer“-Vertrag abgeleitete Verfügungsmacht über die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung unerlässlichen Räumlichkeiten (Hangar, Computerraum, Verwaltungs-, Aufenthalts- und Umkleideraum). Dies sei für die Annahme einer inländischen Betriebsstätte gemäß § 12 S. 1 AO ausreichend.
MERKE | Die Grenze für die Begründung einer Betriebsstätte wird vom BFH sehr niedrig angesetzt. Schon die Möglichkeit, einen Spind oder ein Schließfach zu nutzen, kann für die Begründung einer Betriebsstätte ausreichen. Steuerpflichtige, die über längere Zeit in fremden Räumlichkeiten tätig werden, sollten daher darauf achten, ob „personenbeschränkte Nutzungsstrukturen“ gegeben sind und darauf, ob ihnen eine gewisse Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten zusteht. |
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Die deutsche D-GmbH mit Sitz in Saarbrücken beschäftigt aufgrund der Nähe zu Frankreich fünf Mitarbeiter, die in Frankreich wohnen und bislang als sog. „Grenzpendler“ täglich die Arbeitsstätte in Saarbrücken aufsuchen. Drei Mitarbeiter haben angefragt, ob Sie nicht nur noch „remote“ aus dem Homeoffice arbeiten könnten, um die tägliche Fahrtzeit von ca. 90 Minuten einzusparen. Grundsätzlich ist die D-GmbH gewillt, diesem Wunsch zu entsprechen, wenn sich Betriebsstätten-Qualifikationskonflikte vermeiden lassen und somit beide Staaten entweder eine Betriebsstätte anerkennen und Deutschland die Betriebsstätteneinkünfte freistellt oder aber beide Staaten keine Betriebsstätte sehen und es daher zu keinerlei Änderungen kommt. |
Mit BMF-Schreiben vom 5.2.24 (IV D 1 - S 0062/23/10003 :001, BStBl I 24, 177) wurde auch der AEAO zu § 12 neu gefasst, der sich mit dem nationalen Betriebsstättenbegriff auseinandersetzt. Zum einen wurden Entscheidungen der deutschen Finanzgerichtsbarkeit aus den letzten Jahren aufgenommen, die sich mit den Anforderungen an eine Betriebsstätte auseinandergesetzt haben (hervorzuheben ist an dieser Stelle das für die Immobilienbranche wichtige BFH-Urteil vom 23.3.22, III R 35/20 zu einer Betriebsstätte in den Räumen eines Dritten / einer Managementgesellschaft; vgl. hierzu Oppermann, PIStB 24, 142 ff.). Zum anderen wurden einige Präzisierungen und Klarstellungen mit Blick auf das Thema „Homeoffice-Betriebsstätten“ aufgenommen.
Dies ist grundsätzlich erfreulich, da im Zuge der modernen Arbeitswelt auch nach der Coronapandemie immer mehr Arbeitnehmer nicht in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers arbeiten, sondern aus den eigenen vier Wänden heraus agieren. Aus steuerlicher Sicht ist bei einem regelmäßigen Tätigwerden des Arbeitnehmers aus der privaten Wohnung stets fraglich, ob hierdurch ggf. eine Betriebsstätte des Arbeitgebers begründet wird. Dies gilt insbesondere in grenzüberschreitenden Fällen aufgrund der hiermit zusammenhängenden Besteuerungskonsequenzen:
- Ein ausländisches Unternehmen könnte mit einem inländischen Arbeitnehmer der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (sog. Inbound-Fall), sodass in Deutschland umfangreiche Registrierungs- und Compliance-/Steuererklärungspflichten begründet werden.
- Ein inländisches Unternehmen könnte mit einem ausländischen Arbeitnehmer der beschränkten Steuerpflicht im Ausland unterliegen (sog. Outbound-Fall), sodass neben ausländischen Registrierungs- und Complianceanforderugnen Deutschland ‒ bei Anerkennung der Betriebsstätte ‒ i. d. R. eine Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte für Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerzwecke vornimmt.
Streitpunkt bei der Frage, ob das Homeoffice des Arbeitnehmers eine Betriebsstätte seines Arbeitgebers begründet, ist das Tatbestandsmerkmal der Verfügungsmacht. Nach BFH können nämlich nur solche Räumlichkeiten eine Betriebsstätte begründen, über die der Arbeitgeber eine dauerhafte Nutzungsbefugnis (z. B. aufgrund von Eigentum oder Miete) innehat.
Nach AEAO zu § 12 Nr. 4 AO soll die Tätigkeit des Arbeitnehmers in dessen häuslichen Homeoffice i. d. R. sowohl keine nationale als auch keine abkommensrechtliche Betriebsstätte (mangels Vorliegens der notwendigen Verfügungsmacht) begründen. Dies gelte selbst in den folgenden Fällen:
- Übernahme der Kosten für Homeoffice und dessen Ausstattung durch den Arbeitgeber
- Abschluss eines Mietvertrages über häusliche Räume des Arbeitnehmers zwischen Arbeitgeber als Mieter und Arbeitnehmer als Vermieter, außer der Arbeitgeber ist im Einzelfall tatsächlich befugt, die Räume anderweitig zu nutzen (etwa durch ein Recht zum Entsenden anderer Arbeitnehmer in die Räume oder ein Recht zum Betreten der Räume außerhalb von Prüfungen zur Arbeitssicherheit)
- Fälle, in denen dem Arbeitnehmer kein anderer Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird
MERKE | Bei normalen Arbeitnehmern wird bei Homeoffice-Fällen grundsätzlich keine (nationale als auch abkommensrechtliche) Betriebsstätte durch die deutsche Finanzverwaltung angenommen. Vorsicht ist allerdings bei Geschäftsführern geboten. Ist keine vorrangige feste Geschäftseinrichtung i. S. d. § 12 S. 1 AO im Inland vorhanden, so kann in der Wohnung der Geschäftsführung eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte nach § 12 S. 2 AO anzunehmen sein, wenn die sog. Tagesgeschäfte von dort aus wahrgenommen werden. |
Mit Blick auf die obige letzte Variante („kein Arbeitsplatz“) fällt auf, dass das deutsche Verständnis und die internationale Auslegung voneinander abweichen. Für die abkommensrechtliche Betriebsstätte geht der Musterkommentar zu Art. 5 OECD-MA (Rz. 18) aus dem Jahr 2017 zwar zunächst auch davon aus, dass die Tätigkeit eines einfachen Arbeitnehmers im Homeoffice grundsätzlich nicht zu einer Betriebsstätte im Sinne dieser Norm führt. Eine Ausnahme soll allerdings in solchen Fällen eingreifen, in denen das Unternehmen den Arbeitnehmer dazu anweist, regelmäßig im Homeoffice zu arbeiten. Dies kann auch dadurch geschehen, dass das Unternehmen dem Arbeitnehmer keine Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, obwohl solche normalerweise nach der Natur des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich wären. In dieser Auslegung kann die erforderliche Verfügungsmacht des Arbeitgebers angenommen werden, sodass weitergehend zu prüfen wäre, ob die Tätigkeiten des Arbeitnehmers ggf. Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten darstellen, welche nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen.
Insgesamt ist zu konstatieren, dass für Inbound-Fälle die Verlautbarung der deutschen Finanzverwaltung eine praktikable Handhabung darstellt, da nach deutscher nationaler Sicht keine Betriebsstätte begründet wird und sich die Frage nach einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte damit erübrigt; eines Eingreifens eines DBA als Schrankenrecht bedarf es in diesen Fällen gar nicht.
Dies gilt leider nicht für den umgekehrten Fall der Outbound-Konstellationen (deutsches Unternehmen mit Mitarbeitereinsatz im ausländischen Homeoffice). Der ausländische Staat wird vielfach ‒ insbesondere in der obigen letzten Variante („kein Arbeitsplatz“) ‒ eine Betriebsstätte nach nationalem ausländischem Steuerrecht annehmen, sodass Registrierungs- und Steuererklärungspflichten im Ausland begründet werden. Folglich wird der ausländische Staat den Betriebsstättengewinn besteuern, da nach ausländischer Sicht auch eine abkommensrechtliche Betriebsstätte vorliegt, sodass die Doppelbesteuerung von Deutschland als Ansässigkeitsstaat zu vermeiden ist. Eine Freistellung in Deutschland zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung scheidet aber mangels abkommensrechtlicher Betriebsstätte (aus deutscher anwenderstaatsbezogener Sicht) aus, da die deutsche Verwaltungsanweisung explizit auch für die DBA-Betriebsstätte gilt.
Beachten Sie | In Outbound-Fällen gilt es zukünftig Qualifikationskonflikte ‒ soweit möglich ‒ aktiv im Rahmen der Gestaltungsberatung zu vermeiden. Betroffene Unternehmen sind daher gut beraten, sich vor der Homeoffice-Begründung über die steuerlichen Implikationen in Deutschland sowie im Ausland zu informieren, um dann die Vertragsbeziehungen entsprechend auszugestalten. Es kann sich z. B. für die Fallvariante „kein Arbeitsplatz“ anbieten, dass sich der Arbeitgeber ein Recht zum Betreten der häuslichen Arbeitsräume explizit einräumen lässt, um so eine Betriebsstätte „auch“ aus deutscher Sicht zu gewährleisten.
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Gegenstand des BFH-Beschlusses, und das ist hervorzuheben, ist die normale Gewinnermittlung einer typischen KG, die in Deutschland gewerblich tätig war. Die D-KG betrieb seit dem Jahr 2011 auf einem in Deutschland gepachteten Grundstück einen Windpark und war als Stromproduzentin am Markt tätig. Zu diesem Zweck beschäftigte sie keine eigenen Mitarbeiter. Die technische und die kaufmännische Betriebsführung der Windenergieanlagen wurden von externen Dritten vorgenommen. Diese (eigene) Personallosigkeit der inländischen Betriebsstätte wurde allerdings mit Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 S. 4-6 AStG zum 1.1.13 zum Problem. |
Nach Auffassung des Finanzamts ist bei der D-KG zum 1.1.13 ein Entnahmegewinn nach § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG in der für das Jahr 2013 geltenden Fassung in Höhe des gemeinen Wertes anzusetzen, weil bei einer personallosen Betriebsstätte Wirtschaftsgüter nicht mehr dieser, sondern ab dem 1.1.13 aufgrund einer Zuordnung nach der sog. Personalfunktion im Rahmen des sog. Authorized OECD Approach (AOA) vollständig der ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte ‒ betrieben durch die dänische Kommanditistin ‒ zuzuordnen seien. |
Der BFH hat in seinem Beschluss vom 24.11.21 (I B 44/21) aus mehreren Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entstrickungsbesteuerung anerkannt:
- a) Es ist bereits fraglich, ob § 1 Abs. 5 S. 3 AStG überhaupt über den eigentlichen Anwendungsbereich (Einkünftekorrektur bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen) hinaus Folgen für die allgemeine Entstrickungsregelung in § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG als allgemeine Gewinnermittlungsvorschrift haben kann. „Dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und insbesondere dessen S. 3 lässt sich nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre. Eine entsprechende „Ausstrahlwirkung“ kann in § 1 Abs. 5 AStG auch nicht hineingelesen werden. Hierfür spricht auch die systematische Stellung der Vorschrift im AStG.“ (Rz. 25).
- b) Ergänzend führt der BFH einen weiteren Rechtmäßigkeitszweifel an. Es ist zweifelhaft, ob unter der Geltung des § 1 Abs. 5 AStG die Grundsätze zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der Personalfunktion bei sog. personallosen Betriebsstätten überhaupt anwendbar sind. Schließlich würde das Prinzip der Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der Personalfunktion bei personallosen Betriebsstätten dazu führen, „dass ausgerechnet die Wirtschaftsgüter, die die personallose Betriebsstätte begründen, der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen wären […]. Es wird deshalb für notwendig erachtet, dass bei personallosen Betriebsstätten ‒ abweichend von der Zuordnung nach der maßgeblichen Personalfunktion ‒ diesen jedenfalls die Wirtschaftsgüter zugerechnet werden müssen, die sie begründen und die letztlich der dort ausgeübten Unternehmensfunktion dienen [...]“ (Rz. 28).
- c) Selbst wenn man unter Verweis auf § 1 Abs. 5 AStG maßgebend auf eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der „Personalfunktion“ abstellen würde, bestehen Zweifel, ob im Streitfall die Windenergieanlagen der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Dänemark (mangels eigenen Personals in Deutschland) zuzuordnen wären. „Dem Wortlaut der Norm lasse sich ein Ausschluss von Personal, das durch Arbeitnehmerüberlassungsvertrag oder Dienstleistungsvertrag in dieser Funktion tätig werde, nicht entnehmen […]. Damit würde im Streitfall das Personal der deutschen Service- bzw. Verwaltungsgesellschaften, das auf der Grundlage von Betriebsführungs- und Serviceverträgen die technische und die kaufmännische Betriebsführung der Windenergieanlagen übernimmt, für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern eine Funktion in der inländischen Betriebsstätte ausüben. Mithin wäre dort von einer Personalfunktion auszugehen.“ (Rz. 27).
Leider geht der BFH aufgrund der vorstehend dargestellten Zweifel nicht mehr auf die Frage ein, ob die Entstrickungsregelungen auch dann zur Anwendung kommen, wenn das deutsche Besteuerungsrecht durch rein staatliches Handeln (hier: eine gesetzliche Änderung) ausgeschlossen oder eingeschränkt wird (sog. passive Entstrickung).
Beachten Sie | Der BFH hat zwar bisher bei summarischer Prüfung nur entschieden, dass dem Steuerpflichtigen eine Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist. In der Sache selbst hat er jedoch ernste Zweifel geäußert, dass eine Zuordnung für ertragsteuerliche Zwecke bei personallosen Betriebsstätten ‒ z. B. Windparks, Pipelines, Server, vollautomatisierte Elektrizitätswerke, Warenlager, Telekommunikationsanlagen etc. ‒ nach maßgeblichen Personalfunktionen im AStG zur ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte erfolgen muss und hierdurch eine Entnahmegewinnbesteuerung nach § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG ausgelöst wird. Den Ausgang des Klageverfahrens (Hauptsacheverfahren) gilt es abzuwarten.
FAZIT | Neben die Klassiker der versehentlich unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht einer ausländischen Kapitalgesellschaft tritt mit der Homeoffice-Betriebsstättenverlautbarung der Finanzverwaltung ein weiterer praxisrelevanter (Standard-)Fall, der sich im Rahmen der Gestaltungsberatung bewusst i. S. d. Steuerpflichtigen positiv nutzen lassen kann. Für alle drei Fälle gibt es ‒ wie aufgezeigt ‒ praktikable Stellschrauben, um steuerliche Nachteile zu vermeiden. Außerdem wurde ersichtlich, dass die Hürden für das Vorliegen einer Betriebsstätte teilweise sehr niedrig ausfallen können (Spind-Fall) und dass eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach den Personalfunktionen für personallose Betriebsstätten nicht zu überzeugen vermag. |