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  • · Fachbeitrag · Der praktische fall

    Doppelansässigkeit von Kapitalgesellschaften im Verhältnis Deutschland ‒ Österreich (Teil 2)

    von Markus Ungemach, Dortmund, und Dr. Markus Stefaner, Wien

    | Wenn die Geschäftsführungsorgane von unterschiedlichen Ländern aus die ihnen obliegenden Aufgaben und Funktionen wahrnehmen, dann ist zu prüfen, ob Fälle doppelt oder mehrfach ansässiger Kapitalgesellschaften vorliegen. Im ersten Teil dieser zweiteiligen Beitragsserie wurde die Ansässigkeit nach deutschem und österreichischem Körperschaftsteuerrecht bestimmt (s. PIStB 22, 87 ). Nachfolgend wird die abkommensrechtliche Ansässigkeit sowie die Zuweisung der Besteuerungsrechte am Ausgangsfall erläutert. Dabei werden die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Ansässigkeitsbestimmung dargestellt und ein Exkurs zum ständigen Vertreter gemacht. |

    1. Bestimmung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit

    1.1 OECD-MA 2017

    Ist nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 1 OECD-MA 2017 eine andere als eine natürliche Person (insbesondere Kapitalgesellschaft) in beiden Vertragsstaaten ansässig, so befasst sich Art. 4 Abs. 3 OECD-MA mit der Lösung des Problems einer Doppelansässigkeit: Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten bemühen sich durch Verständigung zu bestimmen, in welchem Staat diese Person nach dem maßgeblichen Abkommen als ansässig gelten soll, und zwar unter Berücksichtigung des Orts ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung, des Orts, an dem sie niedergelassen oder auf andere Weise errichtet ist, sowie weiterer maßgeblicher Faktoren.

     

    In der vor dem Update des OECD-MA 2017 geltenden Fassung des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA war folgende Regelung enthalten:

     

    • Art. 4 Abs. 3 OECD-MA bis 2017

    „Ist nach Art. 4 Abs. 1 eine andere als eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet.“

     

    Beachten Sie | Die Mehrzahl der zurzeit von Deutschland abgeschlossenen DBA entspricht noch dieser Formulierung (Wilke, PIStB 19, 171).

     

    Bei den Beratungen zum Update des OECD-MA 2017 gelangte der Steuerausschuss der OECD zu der mehrheitlichen Auffassung, dass statt der bisherigen, vermeintlich starren Grundregel des „Orts der tatsächlichen Geschäftsleitung“ eine Verständigungsvereinbarung zwischen den Vertragsstaaten von Fall zu Fall die bessere und angemessenere Lösung für die doppelte Ansässigkeit von anderen als natürlichen Personen sei.

     

    MERKE | Die Fiktion des Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA 2017 hat keinen Einfluss auf die Beurteilung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht durch das innerstaatliche Steuerrecht des jeweiligen Vertragsstaats. Die Frage der jeweiligen innerstaatlichen Besteuerung in den Vertragsstaaten bleibt von dieser Fiktion unberührt, d. h., es wird durch Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA 2017 die Ansässigkeit in lediglich einem der Vertragsstaaten nur für Abkommenszwecke fingiert (BFH 10.6.10, I B 186/09, BFH/NV 10, 1864). Die Steuerpflicht nach nationalem Steuerrecht bleibt demnach unverändert bestehen. Unabhängig davon, ob der jeweilige Vertragsstaat nach dieser Fiktion als Geschäftsleitungs- oder Sitzstaat zu beurteilen ist, ergeben sich daraus zudem keinerlei Rechtswirkungen in Bezug auf die vom jeweiligen Vertragsstaat mit dritten Staaten abgeschlossenen DBA (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 91 m. w. N.; Wilke, PIStB 19, 171; aber gegenteilige Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung, die sie auf OECD-MK Art. 4 Rz. 8.2 i. d. F. des Updates des OECD-MA 2008 stützt).

     

    Die in Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA 2017 genannten ortsbezogenen Merkmale sind allesamt als gleichwertig anzusehen. Aus der Reihenfolge ihrer Nennung im Text des Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA 2017 ergibt sich keine Rangfolge oder unterschiedliche Wertung dieser Merkmale (s. Wilke, PIStB 19, 171).

     

    Die in Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA 2017 genannten „weiteren maßgeblichen Faktoren“ eröffnen neben den Merkmalen des „Orts der tatsächlichen Geschäftsleitung“ sowie des „Orts der Niederlassung oder der Errichtung auf andere Weise“ ein weites Feld potenziell berücksichtigungsfähiger Faktoren. Diese Faktoren brauchen den zuvor genannten Merkmalen nicht vergleichbar zu sein, sondern müssen sich nur als erheblich erweisen (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 109). Weitere Faktoren in diesem Sinne können bspw. sein: der Ort, an dem die Sitzungen des Verwaltungsrats oder eines gleichwertigen Organs gewöhnlicherweise stattfinden, der Ort, an dem der CEO und andere leitende Angestellte regelmäßig ihre Tätigkeit ausüben, der Ort, an dem das tragende Tagesgeschäft abgewickelt wird, der Ort, an dem sich der (Haupt-)Sitz der Gesellschaft befindet, der Ort, an dem die Buchführung der Gesellschaft erledigt wird (Wilke, PIStB 19, 171).

     

    1.2 DBA Deutschland-Österreich

    Das aktuell gültige DBA Deutschland-Österreich vom 24.8.00 berücksichtigt in Anbetracht dessen früheren Inkrafttretens noch nicht die vorstehend dargestellten Vorschläge des OECD-MA 2017 zur Bestimmung der Ansässigkeit von Kapitalgesellschaften. Art. 4 Abs. 3 DBA Deutschland-Österreich entspricht inhaltlich noch der vor dem Update des OECD-MA 2017 geltenden Fassung des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA (s. unter 1.1).

     

    1.3 Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung

    Der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung ist abkommensrechtlich autonom, d. h., nicht nach dem nationalen Steuerrecht des jeweiligen Vertragsstaats zu bestimmen. Im Grundsatz dürfte für Auslegungszwecke jedoch auf die Rechtsprechungsgrundsätze des BFH zum Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung zurückgegriffen werden können, dessen Grundprinzipien auch der in Österreich geltenden Ansicht entsprechen (s. Teil 1, PIStB 22, 87 unter 2.2 und 3.3).

     

    MERKE | Eine Kapitalgesellschaft kann mehrere Orte der Geschäftsleitung, jedoch nur einen einzigen Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung haben (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 94 f.; Wilke, PIStB 19, 171). Dies ist der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i. S. d. § 10 AO und dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung i. S. d. Art. 4 Abs. 3 S. 1 OECD-MA 2017 bzw. Art. 4 Abs. 3 DBA Deutschland-Österreich. Im Übrigen sind die beiden Begriffe nach übereinstimmenden Merkmalen bzw. Kriterien auszulegen und inhaltlich weitestgehend deckungsgleich (Ungemach, Die doppelt ansässige Kapitalgesellschaft im deutschen internationalen Körperschaftsteuerrecht, in: Gosch/Grotherr/Bergmann, Steuerplanung und Compliance, Rz. 71).

     

    Am Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung, der eine gewisse örtliche Verfestigung voraussetzt, liegt der Schwerpunkt der Geschäftsleitungstätigkeiten (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 100 u. 101). Dies ist zugleich der Ort der Leitung i. S. d. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a) OECD-MA 2017 bzw. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a) DBA Deutschland-Österreich. Neben den Geschäftsräumen der Gesellschaft kommt auch die Wohnung eines Geschäftsführers als Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung in Betracht (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 104).

     

    Mit Geschäftsleitungstätigkeiten sind die grundlegenden Leitungsfunktionen und kaufmännischen Entscheidungen gemeint, die für die Führung der Geschäfte der Kapitalgesellschaft notwendig und unabdingbar sind (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 96). Es kommt darauf an, von welchem Ort die geschäftsleitenden Maßnahmen getroffen bzw. Anordnungen gegeben werden, hingegen nicht auf den Ort, an dem diese Maßnahmen bzw. Anordnungen Wirksamkeit entfalten (BFH 19.11.03, I R 3/02, BStBl II 04, 932; 19.5.10, I B 191/09, BStBl II 11, 156).

     

    Im konkreten Einzelfall sind die bei der zu beurteilenden Kapitalgesellschaft anfallenden Geschäftsleitungsaufgaben zu ermitteln, welche letztlich von dem Unternehmensgegenstand der Gesellschaft abhängig sind. Im Kern geht es dabei um die Aufgaben der laufenden Geschäftsführung (die Tagesgeschäfte), d. h. insbesondere um das rechtmäßige Verhalten der Gesellschaft im Außenverhältnis, die Einrichtung der Unternehmensorganisation, die Entwicklung kurzfristiger Pläne und geschäftlicher Taktiken, die Steuerung und Überwachung des unternehmerischen Gesamtgeschehens und die Abwicklung der Tagesgeschäfte (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 97 u. 101). Grundsätzlich wird bei der Beurteilung der Geschäftsleitungsaufgaben kaufmännischen Entscheidungen und Handlungen der Vorrang gegenüber technischen Entscheidungen einzuräumen sein. Dies wird insbesondere für Fälle gelten, in denen technische Entscheidungen dem operativen Bereich der Gesellschaft und nicht der Geschäftsführungsebene zuzuordnen sind (BFH 23.1.91, I R 22/90, BStBl II 91, 554; Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 97).

     

    Beachten Sie | In Abhängigkeit von dem konkreten Unternehmensgegenstand der Gesellschaft können technische Entscheidungen im Einzelfall aber auch Gegenstand der Geschäftsleitungsebene sein, z. B. in Bezug auf grundlegende bzw. strategische Entscheidungen eines Entwicklungsunternehmens auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 97).

     

    Bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer kann für die Bestimmung des Orts der tatsächlichen Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft darauf abzustellen sein, an welchem Ort die Mehrzahl der Geschäftsführer ihre Büros unterhält bzw. eine Zentralverwaltung in örtlicher Hinsicht verfestigt und in zeitlicher Hinsicht dauerhaft und regelmäßig genutzt wird (Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA, Rz. 102).

     

    1.4 Implikationen der COVID-19-Pandemie auf die Ansässigkeitsbestimmung

    Die OECD hat sich frühzeitig mit den durch die COVID-19-Pandemie bedingten Auswirkungen auf Fragen des internationalen Steuerrechts beschäftigt und auf Bitten betroffener Staaten am 3.4.20 mit Blick auf einschlägige Regeln der internationalen DBA einen Leitfaden veröffentlicht (Leitfaden der OECD 3.4.20, OECD Secretariat Analysis of Tax Treaties and the Impact of the COVID-19 Crisis; vgl. auch PIStB 20, 118).

     

    Seitens der OECD wurde u. a. die Frage beurteilt, inwieweit sich der Ort der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft ins Ausland verlagern kann, wenn für die Geschäftsführer oder andere leitende Angestellte aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht mehr die Möglichkeit besteht, den eigentlichen Ort der Geschäftsleitung aufzusuchen und wichtige unternehmerische Entscheidungen daher aus dem Homeoffice getroffen werden.

     

    Die OECD hält es für unwahrscheinlich, dass aus der zeitlich begrenzten und durch außergewöhnliche Umstände bedingten Ausübung der Geschäftsleitungstätigkeit in einem anderen Staat eine Verlagerung des Orts der Geschäftsleitung resultieren könne. Es sollen vielmehr alle relevanten Tatsachen und Umstände geprüft werden, um den „üblichen“ und „gewöhnlichen“ Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung zu bestimmen, und nicht nur diejenigen, die sich auf einen außergewöhnlichen und vorübergehenden Zeitraum, wie die COVID-19-Pandemie, beziehen.

     

    Die Ausführungen der OECD zeigen auf, dass kurzfristige Änderungen, die noch dazu auf höhere Gewalt (wie eine Pandemie) zurückzuführen sind, wohl i. d. R. nicht zu einer Änderung des Orts der Geschäftsleitung führen werden. Danach scheint eine explizite Regelung in der Konsultationsvereinbarung zwischen Deutschland und Österreich zu COVID-Themen entbehrlich (BMF 20.12.21, IV B 3 - S 1301-AUT/20/10001 :002, BStBl I 21, 2472). Im Absatz 6 der Konsultationsvereinbarung heißt es, dass pandemiebedingtes Homeoffice zu keiner Betriebsstättenbegründung (während der Ausnahmesituation) führen soll. Es bleibt abzuwarten, wie oft und wie lange die Konsultationsvereinbarung noch verlängert wird.

     

    MERKE | Nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a) DBA D-Österreich stellt u. a. ein Ort der Leitung eine Betriebsstätte dar. Soll pandemiebedingtes Homeoffice keine Betriebsstätte „Ort der Leitung“ begründen, sollte es telelogisch (aufgrund der durch höhere Gewalt bedingten vorübergehenden Sondersituation) und auch im Analogieschluss keine Ansässigkeit aufgrund des Orts der Geschäftsleitung begründen.

     

    1.5 Lösung des Ausgangsfalls nach Abkommensrecht

    Die Ö-GmbH ist nach Art. 4 Abs. 3 DBA Deutschland-Österreich als in Österreich ansässig anzusehen, weil dort der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung belegen ist.

     

    Anders als nach deutschem Körperschaftsteuerrecht kann es nach Abkommensrecht nur einen einzigen Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung geben. Grundsätzlich wird bei der Beurteilung der Geschäftsleitungsaufgaben zwar kaufmännischen Entscheidungen und Handlungen (welche vorliegend von D verantwortet werden) der Vorrang gegenüber technischen Entscheidungen (welche von L getroffen werden) einzuräumen sein. Maßgeblich für die Qualifikation Österreichs als Ansässigkeitsstaat der Ö-GmbH ist aber der Umstand, dass in Österreich eine Zentralverwaltung in örtlicher Hinsicht verfestigt ist und in zeitlicher Hinsicht dauerhaft und regelmäßig auch von D genutzt wird. D hält sich laut Sachverhalt nämlich alle zwei Monate für rund eine Woche physisch in Lienz auf und führt dort Besprechungen sowie Meetings mit den Mitarbeitern des Vertriebsteams sowie des Rechnungswesens durch. Dies begründet in zeitlicher Hinsicht eine gewisse Dauerhaftigkeit und Regelmäßigkeit in Bezug auf die Nutzung der in Österreich belegenen Zentralverwaltung.

     

    Die dem L zugewiesenen technischen Entscheidungen sind Gegenstand der Geschäftsleitungsebene, da es sich um grundlegende bzw. strategische Entscheidungen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung in Bezug auf die produzierten und vertriebenen Baustoffe handelt. Daher wird ein qualitativ bedeutsames Bündel an Geschäftsführungsmaßnahmen von Österreich aus veranlasst, d. h. neben den in Zeiten des physischen Aufenthalts des D in Österreich erfolgenden kaufmännischen Geschäftsleitungsfunktionen auch die technischen Geschäftsleitungsfunktionen des L.

     

    Österreich steht das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne der Ö-GmbH zu, welche auf die in Österreich unterhaltenen Betriebsstätten (Produktion, Vertrieb und Geschäftsleitung in Lienz) entfallen (Art. 7 Abs. 1 S. 1 1. HS., Abs. 2 und 3 DBA Deutschland-Österreich).

     

    Deutschland steht das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne der Ö-GmbH zu, welche auf die in Deutschland unterhaltene Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Homeoffice des D im Privathaus in Dortmund) entfallen (Art. 7 Abs. 1 S. 1 2. HS u. S. 2, Abs. 2 und 3 DBA Deutschland-Österreich). Dieser Geschäftsleitungsbetriebsstätte können aber nur diejenigen Gewinne zugerechnet werden, die speziell auf die mittels dieser Betriebsstätte ausgeübten Geschäftsleitungstätigkeiten zurückgehen.

     

    Beachten Sie | Die der deutschen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzurechnenden Gewinne unterliegen auch der Gewerbesteuer.

     

    Österreich stellt die auf die deutsche Geschäftsleitungsbetriebsstätte entfallenden Gewinne vom steuerpflichtigen Welteinkommen frei (Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) DBA Deutschland-Österreich).

    2. Exkurs: Ständiger Vertreter

    2.1 Vorüberlegung und Definition

    Sollte in Fällen der vermeintlichen Doppelansässigkeit ausländischer Kapitalgesellschaften nicht bereits eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Ort der geschäftlichen Oberleitung bzw. Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung) in Deutschland vorliegen, ist auf Basis der aktuellen Rechtsprechung des BFH noch das etwaige Vorliegen einer Vertreterbetriebsstätte zu prüfen. Diese begründet zumindest eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht.

     

    Nach der Legaldefinition des § 13 S. 1 AO ist ständiger Vertreter i. S. d. §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. § 13 S. 2 AO bestimmt hierzu ergänzend, dass ständiger Vertreter insbesondere eine Person ist, die für ein Unternehmen nachhaltig Verträge abschließt oder vermittelt oder Aufträge einholt oder einen Bestand von Gütern oder Waren unterhält und davon Auslieferungen vornimmt.

     

    2.2 Organ einer Kapitalgesellschaft als ständiger Vertreter

    Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 S. 1 AO können nach Auffassung des BFH dem Wortlaut des Gesetzes nach auch von Personen erfüllt werden, die in ihrer Eigenschaft als Organ einer juristischen Person tätig sind. Mithin soll die von § 13 S. 1 AO vorausgesetzte Geschäftsbesorgung begrifflich auch die geschäftsführenden Tätigkeiten eines Organs einer juristischen Person erfassen. Die in S. 2 des § 13 AO genannten Regelbeispiele für geschäftsbesorgende Tätigkeiten (Verträge abschließen oder Aufträge einholen) sollen daher im Kern dieselbe Bedeutung haben wie geschäftsführende Tätigkeiten. Demnach erledige auch der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft in diesem Sinne deren Geschäfte, führe für sie Aufträge aus oder hole Aufträge für sie ein (BFH 23.10.18, I R 54/16, BStBl II 19, 365).

     

    Soweit der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (i. V. m. §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG) verlange, dass der ständige Vertreter für den dort genannten Gewerbebetrieb bestellt sein müsse, ergeben sich ‒ so der BFH ‒ keine Einschränkungen im Hinblick auf das Handeln von Geschäftsführern einer Kapitalgesellschaft. Denn mit dem Begriff des Bestelltseins werde vom Gesetzgeber lediglich ausgedrückt, dass der ständige Vertreter auf eine gewisse Dauer damit betraut sein müsse, anstelle des ausländischen Unternehmers Handlungen nach dessen Weisungen vorzunehmen. Ein solches Betrautsein könne auch bei (Mit-)Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften, die z. B. ein bestimmtes Land als Absatzmarkt betreuen, anzunehmen sein (BFH 23.10.18, I R 54/16, BStBl II 19, 365). Nachhaltig sei eine Geschäftsbesorgung dann, wenn sie mit einer gewissen Plan- und Regelmäßigkeit erfolge. Das setze grundsätzlich ein wiederholtes, mehr als kurzfristiges Tätigwerden auf der Grundlage eines im Voraus gefassten Willensentschlusses voraus.

     

    Beachten Sie | Was die zeitliche Intensität der Inlandstätigkeit angehe, so soll es laut BFH neben der Gesamtdauer der inländischen Aufenthalte insbesondere auch auf deren Regelmäßigkeit ankommen. Eine Person, die etwa über einen längeren Zeitraum hinweg jede Woche oder mehrmals im Monat immer wieder das Inland aufsuche, um Aufträge hereinzuholen oder Auslieferungen vorzunehmen, sei als ständiger Vertreter anzusehen (BFH 23.10.18, I R 54/16, BStBl II 19, 365).

     

    Aus abkommensrechtlicher Sicht könne auch der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft eine Vertreterbetriebsstätte (im obigen Urteilsfall i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) DBA Deutschland-Luxemburg 1958/1973) begründen. Der dort verwendete Vollmachtsbegriff erfasse auch die Fälle der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertretungsmacht. Bei Bestehen eines Anstellungsverhältnisses handele der Geschäftsführer für die Kapitalgesellschaft ohnehin im Zweifel auf der Grundlage des Anstellungsvertrags, also mit rechtsgeschäftlich erteilter Vertretungsmacht. Hinsichtlich des Merkmals der „gewöhnlichen Vollmachtsausübung“ i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) DBA Deutschland-Luxemburg 1958/1973 seien die Grundsätze des BFH-Urteils vom 3.8.05 (I R 87/04, BStBl II 06, 220) zu beachten, wonach, wie bei dem Merkmal der „Nachhaltigkeit“ in § 13 AO, dem Umstand der Regelmäßigkeit neben der Zeitdauer erhebliche Bedeutung zukomme.

     

    2.3 Lösung im Ausgangsfall

    Raum für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte i. S. d. § 13 AO besteht im Ausgangsfall nicht. Der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft (hier: D) kann nach der Rechtsprechung des BFH zwar im Grundsatz ständiger Vertreter sein, jedoch fehlt es vorliegend an der Nachhaltigkeit der Geschäftsbesorgung durch D, mithin an der dafür erforderlichen gewissen Plan- und Regelmäßigkeit. D selbst holt keine Aufträge ein und nimmt auch keine Auslieferungen vor.

     

    Im Übrigen findet die zu einer beschränkten Körperschaftsteuerpflicht führende Vertreterbetriebsstätte nur nachrangig Anwendung, d. h., wenn nicht bereits eine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht aufgrund Vorliegens einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Deutschland gegeben ist.

     

    FAZIT | Befinden sich der Satzungssitz sowie die Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft in unterschiedlichen Staaten bzw. verfügt eine Kapitalgesellschaft in mehreren Staaten über Geschäftsleitungsorte, stellt sich regelmäßig die Frage der doppelten Ansässigkeit. Dann ist zu untersuchen, wo sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung bzw. der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der betroffenen Gesellschaft befindet. Hiernach richtet sich dann die Zuweisung von Besteuerungsrechten an die involvierten Staaten. Beanspruchen mehrere Staaten das Recht auf Besteuerung der von der doppelt ansässigen Gesellschaft erwirtschafteten Gewinne, gilt es, vermeintlich drohende Doppelbesteuerungen auszuschließen bzw. abzumildern. Der stetige technologische Wandel und Fortschritt in der Art und Weise der Kommunikation mittels Videokonferenzen bzw. Online-Meetings und die damit einhergehende, immer digitaler werdende Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg beeinflussen zunehmend und maßgeblich die doppelte Ansässigkeit von Kapitalgesellschaften.

     

    Zu den Autoren | StB Dipl.-Finanzwirt (FH) Markus Ungemach, FBIStR, MBA (International Taxation), Dortmund, StB Dr. Markus Stefaner, EY Wien sowie Universitätslektor am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2022 | Seite 107 | ID 48019848