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  • · Fachbeitrag · Grenzgänger

    Die Besteuerung von Arbeitnehmern im Dreieckssachverhalt

    von Univ.-Prof. Dr. Stephan Kudert und M.Sc.Tobias Hagemann, beide Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder)

    | Die Besteuerung von Arbeitnehmern erfolgt nach den Grundsätzen des internationalen Steuerrechts regelmäßig am Ort der Tätigkeitsausübung (Arbeitsortprinzip). Abweichend davon regeln einige deutsche DBA die Arbeitnehmerbesteuerung in Grenzgängerfällen i.S. einer Besteuerung im Ansässigkeitsstaat. Doppelansässigkeiten können dazu führen, dass mehrere Abkommen mit sich widersprechenden Regelungen auf denselben Sachverhalt anwendbar sind. Über einen solchen Fall hat der BFH mit Beschluss vom 4.11.14 (I R 19/13, NV, BFH/NV 15, 333) entschieden. |

    1. Sachverhalt

    Der Arbeitnehmer war bei einem deutschen Unternehmen nichtselbstständig i. S. von § 19 EStG beschäftigt. Nach getaner Arbeit kehrte er regelmäßig täglich an seinen Wohnsitz in Frankreich zurück. Sowohl die Arbeitsstätte als auch der Wohnsitz des Arbeitnehmers befanden sich im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Deutschland. Seinen Familienwohnsitz unterhielt er jedoch in Österreich:

     

     

    Der Arbeitnehmer war in Deutschland beschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG. Er beantragte jedoch die Freistellung vom Lohnsteuerabzug, da das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn nach der in Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich enthaltenen Grenzgängerregelung nur dem Ansässigkeitsstaat Frankreich zusteht (Durchbrechung des Arbeitsortprinzips). Das Finanzamt lehnte den Antrag jedoch ab, weil das DBA mit dem Staat anzuwenden sei, in welchem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen befinde. Dies sei in Anbetracht des dortigen Familienwohnsitzes Österreich. Nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich stehe das Besteuerungsrecht an den Einkünften jedoch Deutschland zu.

     

    Das FG Baden-Württemberg (26.9.12, 2 K 776/11, EFG 13, 707) gab der gegen die Verwaltungsauffassung gerichteten Klage statt. Dabei hielt das FG beide Abkommen für anwendbar und löste die „Normkollision“ nach dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ zugunsten der spezielleren Grenzgängerregelung im DBA-Frankreich.

    2. Die BFH-Entscheidung - Die Lösung aus deutscher Sicht

    Der BFH hatte über die gegen das FG-Urteil eingelegte Revision zu entscheiden. Dabei folgte der BFH im Ergebnis dem FG, sodass die Versagung der Freistellung vom Lohnsteuerabzug rechtswidrig war. Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte stehe nicht Deutschland zu.

     

    Der Arbeitnehmer war mit seinen inländischen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) in Deutschland beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG). Gleichzeitig war er aufgrund eines Wohnsitzes sowohl in Österreich als auch in Frankreich unbeschränkt steuerpflichtig. In Anbetracht der Steuerpflicht aufgrund eines Wohnsitzes war der Arbeitnehmer somit sowohl nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) DBA-Frankreich als auch nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich ansässig i. S. des jeweiligen DBA. Dass dem Grunde nach zwei DBA aus deutscher Sicht zu berücksichtigen sind, war zwischen den Beteiligten unstreitig und wurde deshalb vom BFH auch nicht weiter vertieft.

     

    Hinweis | Auch nach Art. 4 Abs. 1 des DBA zwischen Österreich und Frankreich war eine Ansässigkeit des Arbeitnehmers gegeben. Dies brauchte der BFH jedoch für die Lösung des Falls aus deutscher Sicht nicht zu prüfen.

     

    Nach dem DBA-Österreich liegen Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit i. S. des Art. 15 vor. Zwar können solche Arbeitnehmereinkünfte grundsätzlich im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, dies gilt jedoch nicht, wenn Einkünfte für eine im anderen Staat ausgeübte Arbeit gezahlt werden. Da die Einkünfte für eine in Deutschland ausgeübte Tätigkeit gezahlt wurden, steht das Besteuerungsrecht gemäß Art. 15 Abs. 1 S. 2 DBA-Österreich Deutschland zu. Österreich stellt die Einkünfte gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Österreich unter Progressionsvorbehalt frei. Weder die 183-Tage-Regel nach Art. 15 Abs. 2 noch die Grenzgängerregel des DBA-Österreich nach Art. 15 Abs. 6 waren als Ausnahmen von dieser Verteilung der Besteuerungsrechte einschlägig.

     

    Anders verhielt es sich jedoch mit dem DBA-Frankreich. Zwar ist auch im dortigen Verteilungsartikel für Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit eine Besteuerung im Tätigkeitsstaat - mithin Deutschland - vorgesehen (Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich). Gleichwohl stand diesem Grundsatz die Ausnahmeregelung für Grenzgänger nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich entgegen. Nach dieser Vorschrift dürfen die Einkünfte abweichend von Abs. 1 dann im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, wenn die Person die Tätigkeit im Grenzgebiet eines Vertragsstaats ausübt und im Grenzgebiet des anderen Staates wohnt und dorthin regelmäßig nach der Arbeit zurückkehrt. Das Abkommen verlangt dabei jedoch nicht, dass diese Wohnstätte der Hauptwohnsitz des Steuerpflichtigen ist, sodass es sich auch um eine Zweitwohnung handeln kann (vgl. auch Gosch, IWB 15, 113). Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt, sodass das Besteuerungsrecht nach der Grenzgängerregel Frankreich als Wohnsitzstaat und nicht Deutschland als Tätigkeitsstaat zustand.

     

    PRAXISHINWEIS | Zum DBA-Frankreich existiert auf Basis der Ermächtigung in § 2 Abs. 2 AO eine Konsultationsvereinbarungsverordnung (KonsVerFRAV) vom 20.12.10 (BGBl I 10, 2138), in der die Finanzverwaltungen der beiden Vertragsstaaten zu bestimmten Fragestellungen betreffend die Auslegung des Verteilungsartikels für Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit übereingekommen sind. In § 7 dieser Vereinbarung finden sich Erläuterungen zur Grenzgängerregelung und darüber hinaus in den Anlagen 1 bis 3 Aufstellungen zu den im Grenzgebiet liegenden Städten und Gemeinden (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. FG Hessen 8.10.13, 10 K 2176/11, Cloer/Leich, SteuK 14, 171 und Kudert/Blume, PIStB 14, 246).

     

    Schließlich wies der BFH darauf hin, dass an der gleichlautenden Anwendung der beiden einschlägigen DBA auch die sog. Tie-Breaker-Rule (Art. 2 Abs. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) DBA-Frankreich) nichts ändere. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung kommt der Tie-Breaker-Rule keine Wirkung über das jeweilige Abkommen hinaus zu.

     

    Beachten Sie | Es ist für die Anwendung des DBA-Frankreich nicht relevant, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich und damit in keinem der beiden Vertragsstaaten des DBA-Frankreich liegt. Entscheidend für die Anwendung eines DBA ist einzig eine Ansässigkeit in mindestens einem der beiden Vertragsstaaten aufgrund des Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, der Geschäftsleitung oder eines ähnlichen Merkmals. Die Tie-Breaker-Rule kommt vielmehr erst dann - und nur dann - zur Anwendung, wenn eine solche Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten gegeben ist (vgl. Wassermeyer/Kaeser in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 OECD-MA Rz. 51; ebenso wohl BMF 12.11.14, IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl I 14, 1467, Tz. 9).

     

    Im Ergebnis stand Deutschland somit kein Besteuerungsrecht zu. Die Einkünfte waren vielmehr nach der einschlägigen Grenzgängerregelung in Frankreich zu besteuern. Dabei ließ der BFH es offen, ob er ebenso wie das FG Baden-Württemberg die Vorschrift für Grenzgänger als lex specialis ansah oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts aus einer parallelen Anwendung der einschlägigen DBA im Sinne einer Meistbegünstigung für den Steuerpflichtigen herleitete.

     

    Richtigerweise begründen sich widersprechende Verteilungsnormen in verschiedenen Abkommen, jedoch keine aufzulösende Normkollision (kritisch zum Urteil des FG daher Wassermeyer/Kaeser, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 OECD-MA Rz. 51). Vielmehr sind die verschiedenen Abkommen unabhängig voneinander parallel anzuwenden (Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 23; Wassermeyer/Kaeser, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 OECD-MA Rz. 51; Gosch, IWB 15, 113; Wassermeyer, IStR 15, 144). Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine Besteuerung in Deutschland auszubleiben hat, wenn sie nach „irgendeinem“ anwendbaren DBA ausgeschlossen wird. Ein davon abweichendes Ergebnis kann sich auch dann nicht einstellen, wenn nach einem anderen Abkommen Deutschland das Besteuerungsrecht zusteht.

    3. Bedeutung der Entscheidung für den Ausgangsfall und weitere Grenzgängerfälle

    3.1 Bedeutung für Grenzgänger im In- und Outbound-Fall

    Explizite Regelungen zur Besteuerung von Grenzgängern enthalten neben dem DBA-Frankreich auch Art. 15 Abs. 6 DBA-Österreich sowie Art. 15a DBA-Schweiz, wobei das Besteuerungsrecht nach solchen Vorschriften grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat zusteht (Art. 15a DBA-Schweiz sieht eine begrenzte Besteuerung im Tätigkeitstaat vor). Im Inbound-Fall (Streitfall) wird das deutsche Besteuerungsrecht somit bereits aufgrund der Grenzgängerregelung beschränkt. Im Outbound-Fall wird Deutschland nach dieser Vorschrift die Arbeitseinkünfte von Grenzgängern regelmäßig besteuern können.

     

    Für Steuerpflichtige bleibt mithin zu prüfen, ob aufgrund des Mittelpunkts der Lebensinteressen in einem dritten Staat ein weiteres DBA anzuwenden ist. Die Besonderheit der Grenzgängerregelungen ist die Verteilung des Besteuerungsrechts für Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit abweichend vom in der Regel geltenden Arbeitsortprinzip. Diese Abweichung wird im Drittstaatensachverhalt jedoch regelmäßig dazu führen, dass das aus der Grenzgängerregelung resultierende Besteuerungsrecht durch ein weiteres DBA ausgeschlossen wird, weil der Wohnsitzstaat nach dem weiteren anzuwendenden DBA gerade nicht auch der Tätigkeitsstaat ist und ebenfalls nicht als Ansässigkeitsstaat gilt. Somit wird sich in Mehrstaaten-Situationen für Grenzgängerfälle vielfach das Ergebnis einstellen, dass die Einkünfte in keinem Staat besteuert werden können. Dies setzt jedoch voraus, dass auch zwischen den beiden anderen Staaten ein DBA geschlossen wurde.

     

    Hinweis | Das hier skizzierte Ergebnis gilt nur für solche Fälle, in denen eine DBA-Grenzgängerklausel zur Anwendung kommt. Enthalten die anwendbaren DBA eine solche Klausel nicht, so kann in der Regel der Tätigkeitsstaat besteuern.

     

    3.2 Verteilung des Besteuerungsrechts nach dem DBA zwischen Frankreich und Österreich

    In Anbetracht der parallelen Anwendung der DBA-Frankreich und DBA-Österreich stellt sich im Streitfall die Frage, wo der Arbeitnehmer letztlich mit seinen Einkünften besteuert wird. Nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich hat Deutschland das Besteuerungsrecht und Österreich stellt die Einkünfte nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Österreich frei. Damit kann Österreich sie nicht besteuern. Nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich (Grenzgängerregel) darf Deutschland nicht besteuern, sondern allein der Ansässigkeitsstaat Frankreich. Der Arbeitnehmer kann sich somit in Deutschland auf das für ihn günstigere DBA berufen.

     

    Das Ergebnis steht jedoch noch unter Vorbehalt des DBA zwischen Frankreich und Österreich (DBA-F/A). Aufgrund des Wohnsitzes in beiden Vertragsstaaten ist der Arbeitnehmer auch in beiden Vertragsstaaten ansässig i. S. von Art. 4 Abs. 1 des DBA-F/A. Und so tritt in diesem Fall auch die Anwendung der sog. Tie-Breaker-Rule hinzu, welche im Ergebnis dazu führt, dass der Kläger trotz der doppelten Ansässigkeit für Zwecke der Anwendung des DBA - aufgrund seines dortigen Mittelpunkts der Lebensinteressen (Familienwohnsitz) - nur in Österreich als ansässig „gilt“ (Art. 4 Abs. 2 DBA-F/A).

     

    Als Ansässigkeitsstaat steht Österreich grundsätzlich das Besteuerungsrecht an den Einkünften aus unselbstständiger Arbeit zu (Art. 15 Abs. 1 S. 1 DBA-F/A). Da der Tätigkeitsort Deutschland ist, nicht aber Frankreich, kann sich auch kein Besteuerungsrecht für Frankreich nach dem Arbeitsortprinzip (Art. 15 Abs. 1 S. 2 DBA-F/A) ergeben.

     

    Das daraus resultierende Ergebnis ist in gewisser Weise skurril: Wenngleich jedem der drei beteiligten Staaten nach einem der drei anwendbaren DBA das Besteuerungsrecht zusteht, ist der Fall so gestrickt, dass gleichzeitig jedem der drei beteiligten Staaten nach dem jeweils anderen anwendbaren DBA die Besteuerung untersagt wird. Im vorliegenden Fall würden die Einkünfte somit „weiß“ bleiben.

    4. Abkommensrechtliche und innerstaatliche Rückfallklauseln

    4.1 Rückfallklauseln im Streitfall (Inbound-Fall)

    Fraglich bleibt jedoch, ob es tatsächlich bei einer Keinmalbesteuerung der Einkünfte bleiben kann. Für den Streitfall ist dies in Anbetracht der in Art. 15 Abs. 4 DBA-Österreich enthaltenen Subject-to-Tax-Klausel (Rückfallklausel) zweifelhaft. Nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Österreich gilt die Arbeit nämlich nur dann als im anderen Vertragsstaat - also Deutschland - ausgeübt, wenn die Vergütungen in Übereinstimmung mit dem DBA in Deutschland besteuert worden sind. Im Streitfall fehlt es aufgrund des DBA-Frankreich jedoch an dieser Besteuerung. Somit gilt die Arbeit nach dem DBA-Österreich auch nicht als in Deutschland ausgeübt, sodass das Besteuerungsrecht im Ergebnis wieder Österreich als Ansässigkeitsstaat zufällt. Aufgrund der abkommensrechtlichen Rückfallklausel wird somit das Entstehen von weißen Einkünften durch Österreich vermieden.

     

    Eine Besteuerung in Deutschland kann sich im Inbound-Fall hingegen nicht einstellen. Zwar wäre eine Subject-to-Tax-Klausel theoretisch auch aus Sicht des Quellenstaats denkbar (Schönfeld/Ditz/Häck, in: Schönfeld/Ditz, DBA, Anhang 4 Rz. 175). Gleichwohl ist eine solche Praxis in den deutschen DBA weitestgehend unbekannt (s. aber z.B. Art. 22 Abs. 1 DBA-Singapur). Auch die innerstaatlichen Vorschriften in §§ 50d Abs. 8 und 9 EStG können im Inbound-Fall nicht zu einer Besteuerung in Deutschland führen (so aber bezüglich § 50d Abs. 8 EStG wohl Gosch, IWB 13, 114), weil beide Vorschriften eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland voraussetzen, an der es jedoch im Streitfall und allgemein in Inbound-Fällen fehlt.

     

    4.2 Rückfallklauseln im Outboundfall

    Schließlich stellt sich die Frage, ob aus deutscher Sicht in einem Outbound-Fall, bei dem der Steuerpflichtige zwar in Deutschland wohnt, seinen Lebensmittelpunkt aber in einem anderen Staat hat, ein Besteuerungsrecht mithilfe einer Rückfallklausel „gerettet“ werden könnte.

     

    • Beispiel

    Der Arbeitnehmer wohnt in Deutschland, hat im Staat A seinen Lebensmittelpunkt und arbeitet im Staat B. Zwischen Deutschland und dem Staat B ist ein DBA mit einer Grenzgängerklausel vereinbart.

     

    Eine deutsche Rückfallklausel wäre zunächst überflüssig, sofern Deutschland bereits aufgrund der Grenzgängerregel im DBA-D/B das Besteuerungsrecht zusteht. Das DBA mit dem Staat A, in dem sich der Lebensmittelpunkt befindet, schließt aber wiederum die Besteuerung in Deutschland aus. Enthielte letzteres DBA eine Rückfallklausel, so wäre diese jedoch für Deutschland nicht anwendbar, weil Deutschland nach dem DBA gemäß der Tie-Breaker-Rule nicht als Ansässigkeitsstaat gilt.

     

    Sofern die Besteuerung auf den unilateralen Treaty Override in Gestalt von § 50d Abs. 8 EStG gestützt werden soll, ändert dies nichts an der Lösung. § 50d Abs. 8 EStG hat zum Ziel, eine Keinmalbesteuerung zu vermeiden, die aus der Nichtdeklaration der Einkünfte im Ausland resultiert (BT-Drs. 15/1562, 39). Deshalb kommt es nicht zu einer Versagung der Freistellung, soweit der Steuerpflichtige für die betreffenden Einkünfte den Nachweis erbringt, dass der andere Staat besteuert oder auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat.

     

    Beachten Sie | Aufgrund des Zwecks von § 50d Abs. 8 EStG, pflichtwidrigem Verhalten des Steuerpflichtigen vorzubeugen, ist bei Anwendung der Norm von einem weiten Verständnis des Besteuerungsverzichts auszugehen (vgl. Klein/Hagena, in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 50d Rz. 112). Ein solcher Besteuerungsverzicht liegt u. E. auch dann vor, wenn der andere Staat, also der Staat in dem sich der Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen befindet, im Rahmen der Verhandlung eines DBA mit einem dritten Staat sein Besteuerungsrecht abgibt. Somit kann der Steuerpflichtige durch Vorlage des betreffenden DBA nachweisen, dass der andere Staat auf die Besteuerung der Einkünfte verzichtet und § 50d Abs. 8 EStG kommt nicht zur Anwendung.

     

    Damit § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG greifen kann, müsste ein Qualifikationskonflikt innerhalb eines Abkommens vorliegen, aus dem eine Minderbesteuerung resultiert. D.h., die beiden Vertragsstaaten müssten auf die Einkünfte verschiedene Verteilungsnormen anwenden und die Freistellung in Deutschland aus dem Methodenartikel resultieren (s. zuletzt FG Münster 2.7.14, 12 K 2707/10 F, EFG 14, 2043). Beide Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt. Die Nichtbesteuerung resultiert vielmehr aus dem Zusammenspiel von Arbeitsortprinzip, Grenzgängerregel und Doppelansässigkeit in drei Abkommen.

     

    Damit kann Folgendes festgehalten werden:

     

    • Stellt Deutschland den Wohnsitzstaat dar, ist aber nicht der Lebensmittelpunkt, wird Deutschland trotz einer Grenzgängerregel an der Besteuerung gehindert und dieses Ergebnis kann weder durch eine bi- noch unilaterale Rückfallklausel geändert werden.

     

    • Weiße Einkünfte lassen sich nur durch den Staat verhindern, in dem sich der Lebensmittelpunkt befindet, sofern dieser eine Rückfallklausel oder Grenzgängerregel anwenden kann.

     

    • Wenn der Steuerpflichtige hingegen in Deutschland den Lebensmittelpunkt hat, im Staat A wohnt und im Staat B arbeitet, würde Deutschland bei beiden Abkommen als Ansässigkeitsstaat gelten. Nach Art. 15 Abs. 1 DBA-D/A würde Deutschland jedenfalls das Besteuerungsrecht zustehen, weil Deutschland als Ansässigkeitsstaat gelten würde. In diesem Verhältnis kommt es mithin auch nicht auf das Bestehen einer Grenzgängerregel oder einer Rückfallklausel an.

     

    • Wenn das DBA-D/B eine Grenzgängerregel enthält und diese auch anwendbar ist, dann ist die Lösung einfach: Deutschland kann nach beiden DBA besteuern. Enthält das DBA-D/B hingegen keine Grenzgängerregel, greift regelmäßig das Arbeitsortprinzip und das Besteuerungsrecht Deutschlands wird zugunsten des Tätigkeitsstaats B ausgeschlossen.

     

    • Sofern nun zwischen den Staaten A und B ein DBA-A/B mit anwendbarer Grenzgängerregel bestehen würde, würde dem Ansässigkeitsstaat A (Zweitwohnsitz) das Besteuerungsrecht zustehen und B dürfte wiederum nicht besteuern. In diesem Fall käme es für eine Vermeidung der Doppelbesteuerung erneut darauf an, ob das DBA-D/B, nach dem aus deutscher Sicht die Einkünfte freizustellen sind, eine Rückfallklausel enthält. Eine Anwendung von § 50d Abs. 8 EStG würde hingegen auch in diesem Fall scheitern, da auch hier wieder ein Besteuerungsverzicht von Staat B i. S. der Vorschrift vorliegen würde. Ebenso würde aus den o.g. Gründen (kein Qualifikationskonflikt in einem DBA) § 50d Abs. 9 leerlaufen.

     

    FAZIT |

    Die Ausführungen haben die Probleme gezeigt, die entstehen können, wenn auf einen Sachverhalt mehr als zwei DBA anzuwenden sind. Für das Beispiel der Arbeitnehmerbesteuerung können sich Verteilungskonflikte dann ergeben, wenn ein DBA eine sog. Grenzgängerregelung enthält. In einem solchen Fall stehen die anwendbaren DBA nebeneinander, wobei das DBA mit der jeweils günstigsten Regelung für den Steuerpflichtigen die anderen DBA überlagert.

     

    Führt eine solche Überlagerung zur Keinmalbesteuerung von Einkünften, können allenfalls bilaterale Rückfallklauseln des Staats, in dem sich der Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen befindet, das Entstehen von weißen Einkünften vermeiden. Dieser Rückfall des Besteuerungsrechts an den Ansässigkeitsstaat kann sich unmittelbar aus einer Grenzgängerregel oder einer Subject-to-Tax-Klausel ergeben, wie sie etwa Art. 15 Abs. 4 DBA-Österreich enthält. Dabei haben die Ausführungen gezeigt, dass die unilateralen Rückfallklauseln in den §§ 50d Abs. 8 und Abs. 9 Nr. 1 EStG „zahnlose Tiger“ sind, unabhängig davon, ob Deutschland im Dreieckssachverhalt der Tätigkeitsstaat, der Wohnsitzstaat oder der Staat ist, in dem sich der Lebensmittelpunkt befindet.

     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2015 | Seite 138 | ID 43239969