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  • · Fachbeitrag · Treaty Shopping

    Praxisfälle zur Quellensteuerentlastung unter Einschränkung des § 50d Abs. 3 EStG

    von StB Dr. Christian Kahlenberg, Flick Gocke Schaumburg, Berlin/Bonn

    | In § 50d Abs. 3 EStG findet sich eine Vorschrift zur Abwehr von Treaty- bzw. Directive-Shopping-Gestaltungen, die einzig auf die Entlastung deutscher Abzugsteuern abzielen. Die Norm war von Beginn an unionsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der EuGH kürzlich sowohl für die Altfassung (bis 2011) als auch für die ab 2012 geltende Fassung bestätigte ( EuGH 20.12.17, C-504/16, C-613/16; 14.6.2018, C-440/17). Das BMF reagierte auf die erste EuGH-Entscheidung und antizipiert dort auch Folgewirkungen für die geltende Rechtslage (BMF 4.4.18, IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl I 18, 589). Der vorliegende Beitrag analysiert an Beispielsfällen die Auswirkungen. |

    1. Hintergrund

    Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfolgt die Steuererhebung im Regelfall durch Steuerabzug (z. B. § 43 ff. EStG, § 50a EStG). Dieser Steuerabzug entfaltet grundsätzlich Abgeltungswirkung, sofern keine Vorschriften zur Quellensteuerentlastung eingreifen. Sind diese einschlägig, ist dennoch der Steuerabzug vorzunehmen (§ 50d Abs. 1 EStG) und eine Erstattung kann im Nachgang beantragt werden.

     

    Liegen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Quellensteuerentlastung vor, kann diese aber in einem letzten Schritt aufgrund von § 50d Abs. 3 EStG ‒ teilweise oder vollständig ‒ versagt werden. Voraussetzungen hiernach sind gegenwärtig, dass an einer ausländischen Gesellschaft nicht begünstigungsfähige Personen beteiligt sind, die Gesellschaft selbst nicht wirtschaftlich tätig ist und

     

    • für die Zwischenschaltung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
    • die ausländische Gesellschaft nicht mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

     

    Vereinfacht ausgedrückt wurde die betreffende ausländische Gesellschaft, die eine Entlastung von deutschen Abzugssteuern geltend machen möchte, ausschließlich für Zwecke der Quellensteuerentlastung zwischengeschaltet. Trifft dies zu, bleibt ein Antrag auf Quellensteuerentlastung beim BZSt erfolglos.

    2. Entscheidung des EuGH zur Altfassung

    Auf Vorlage des FG Köln (8.7.16, 2 K 2995/12; 31.8.16, 2 K 721/13) hat der EuGH § 50d Abs. 3 EStG a. F. für unionsrechtswidrig erklärt (EuGH 20.12.17, C-504/16, C-613/16, Deister Holding).

     

    Die der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalte waren sehr ähnlich: Die niederländische Deister Holding sowie die dänische Juhler Holding waren als Holding- und Finanzierungsgesellschaften für ihren Konzern tätig. Die Deister Holding mietete für die Geschäftstätigkeit selbst Büroräume an und beschäftigte 2 Mitarbeiter. Dagegen nutzte die Juhler Holding Räumlichkeiten von anderen Konzerngesellschaften und griff auch auf das Personal anderer Konzerngesellschaften für ihre Tätigkeit zu. Beide Holdings begehrten ohne Erfolg die Entlastung vom Kapitalertragsteuerabzug (KapESt-Abzug) für inländische Dividendeneinkünfte gemäß § 43b EStG beim BZSt.

     

    Der EuGH sah hierin einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie (kurz: MTR, RL 2011/96/EU) sowie gegen Primärrecht; der abgeltend wirkende KapESt-Abzug stellt einen ungerechtfertigten Eingriff in die Niederlassungsfreiheit dar. Der Verstoß wurde wie folgt begründet:

     

    • Die MTR hat die steuerneutrale Behandlung von (grenzüberschreitenden) Gewinnausschüttungen zum Ziel, indem Art. 5 MTR die Quellenbesteuerung versagt. Diese Anordnung übergeht § 50d Abs. 3 EStG a. F. Nach Art. 1 Abs. 2 MTR ist dies aber nur zulässig, wenn Steuerhinterziehung oder Missbrauch bekämpft werden sollen. Dafür muss die betreffende Maßnahme konkret gegen rein künstliche Gestaltungen gerichtet sein, die ausschließlich auf die Gewinnung ungerechtfertigter Steuervorteile abzielen. Eine derart konzentrierte Zielrichtung weist § 50d Abs. 3 EStG a. F. nach Ansicht des EuGH aber nicht auf.

     

    • Zusätzlich stellt der EuGH einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit fest, der aus den vorgenannten Gründen nicht gerechtfertigt werden kann; es fehlt an der gezielten Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Missbrauch.

     

    Beachten Sie | Mit dieser Feststellung bestätigt der EuGH die in seiner Leitentscheidung vom 12.9.06 (C-196/04, Cadbury Schweppes) aufgestellte Cadbury-Schweppes-Doktrin, an der er offensichtlich im Bereich von Missbrauchsvermeidungsnormen unverändert festhält. Der Steuerpflichtige muss die Möglichkeit haben, im Einzelfall wirtschaftlich beachtliche Gründe vorzutragen. Beachtlich sind insofern insbesondere auch konzernbezogene Merkmale.

     

    PRAXISTIPP | Nach bisheriger Verwaltungsansicht (BMF 24.1.12, IV B 3 - S 2411/07/10016, BStBl I 12, 171, Tz. 8) sowie gemäß § 50d Abs. 3 S. 2 EStG in der aktuellen Fassung werden wirtschaftliche Gründe nur auf einer sog. Stand-alone-Basis anerkannt (s. kritisch bereits Kudert/Kahlenberg, PIStB 14, 158 ff.).

     

    3. Entscheidung des EuGH zur aktuellen Fassung

    Mittlerweile hat der EuGH auch die gegenwärtige Rechtslage gewürdigt und mit fast identischer Begründung als EU-rechtswidrig eingestuft (EuGH 14.6.18, C-440/17).

     

    Eine niederländische BV (entspricht einer GmbH) war zu 93 % an einer deutschen GmbH beteiligt und erzielte im VZ 2013 eine Dividendenausschüttung. Anteilseignerin war wiederum eine deutsche GmbH (sog. Mäander-Struktur), die im Konzern sämtliche Auslandsbeteiligungen einer Sparte hielt. Die personell ausgestattete BV fungierte als Holding- und Finanzierungsgesellschaft. Daneben war sie geringfügig als Einkaufsgesellschaft tätig. Räumlichkeiten und die notwendigen Kommunikationsmittel wurden von einer anderen Konzerngesellschaft angemietet. Das BZSt versagte dennoch eine Quellensteuerentlastung unter Berufung auf die deutsche Anti-Treaty-Shopping-Regelung (§ 50d Abs. 3 EStG).

     

    Nach Ansicht des EuGH sind Quellensteuern auf EU-Dividenden nach Art. 5 MTR untersagt. Hiervon darf nach Art. 1 Abs. 2 MTR nur abgewichen werden, wenn damit Steuerhinterziehung und Missbrauch begegnet werden soll. § 50d Abs. 3 EStG geht aber darüber hinaus, weil die Norm den Missbrauchsverdacht typisierend unterstellt, ohne dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises einzuräumen. Die Prüfung einer missbräuchlichen Gestaltung darf auch nicht auf allgemeine Kriterien gestützt werden, sondern erfordert stets eine Einzelfallprüfung, wobei sämtliche Umstände zu berücksichtigen sind (also auch Konzernmerkmale). Den Missbrauchsvorwurf hat die Finanzverwaltung durch Nachweise zu belegen. Hieran scheitert es vorliegend, da die betreffende Gesellschaft einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Dieses Verständnis ist auch für das Primärrecht (Niederlassungsfreiheit) maßgebend, weshalb auch die aktuelle Fassung von § 50d Abs. 3 EStG gegen Primär- und Sekundärrecht verstößt.

    4. Reaktion des BMF

    Mit Schreiben vom 4.4.18 (IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl I 18, 589) reagierte das BMF unmittelbar auf die Entscheidung des EuGH zur Altfassung des § 50d Abs. 3 EStG; diese soll für EU-Dividenden nicht mehr anzuwenden sein. Daneben enthält das BMF-Schreiben aber auch Hinweise zum Umgang mit der gegenwärtigen Fassung.

     

    Beachten Sie | Das BMF-Schreiben wurde noch vor der EuGH-Entscheidung (C-440/17) zur gegenwärtigen Fassung veröffentlicht. Mit den Ausführungen war das BMF bemüht, die aktuelle Rechtslage quasi EU-rechtlich zu immunisieren. Gleichwohl greifen die Ausführungen zu kurz, wie nachfolgend skizziert wird.

     

    Im Einzelnen enthält das BMF-Schreiben zur gegenwärtigen Rechtslage folgende Aussagen:

     

    • § 50d Abs. 3 S. 2 EStG ist nicht mehr anzuwenden, d. h. die Stand-Alone-Betrachtung wird durch die mögliche Merkmalsübertragung im Konzern ersetzt.

     

    • Erläuterungen, wann wirtschaftliche Gründe für die Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft fehlen sowie eine unionsrechtskonforme Interpretation der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG.

     

      • Vermögensverwaltung kann als Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr gewertet werden.

     

      • Eine ständige Beschäftigung von geschäftsleitendem und anderem Personal als zwingende Voraussetzung für einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb ist nicht erforderlich.

     

    Die Ausführungen beschränken sich jedoch ausschließlich auf die Erstattungsmöglichkeit nach § 43b EStG (Umsetzung der MTR). Andere Konstellationen werden nicht angesprochen.

    5. Fallmaterial

    5.1 Die EU-Holding-Gesellschaft

    Das BMF-Schreiben (4.4.18, IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl I 18, 589) nimmt explizit, aber auch ausschließlich, Stellung zur Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG im Zusammenhang mit Erstattungsanträgen nach § 43b EStG ‒ also der Erstattung vom 25%igen KapESt-Abzug bei Dividendenausschüttungen an EU-Gesellschaften.

     

    • Beispiel

    Die niederländische NL-BV fungiert als Holdinggesellschaft für einen globalen Konzern. Zu ihren Aufgaben gehört die Bündelung von Beteiligungen sowie das Cash-Management aus den erzielten Beteiligungserträgen. Diese werden je nach Bedarf auch zur Projektfinanzierung genutzt. Um diese Aufgaben zu erfüllen, verfügt die NL-BV über ein kleines Büro in Amsterdam, einen Geschäftsführer sowie eine Controlling-Mitarbeiterin. Weiteres Personal bedarf es für die obligatorischen Aufgaben nicht und wird daher auch nicht vorgehalten. Im VZ 2017 erzielt die NL-BV u. a. eine Dividende von der inländischen D-GmbH (Beteiligung: 50 %).

     

    Zunächst ist die D-GmbH als Schuldnerin zum KapESt-Einbehalt von 25 % zzgl. SolZ verpflichtet (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Die Verpflichtung trifft die D-GmbH gemäß § 50d Abs. 1 EStG auch ungeachtet eines möglichen Erstattungsanspruchs der NL-BV.

     

    Die NL-BV ist eine in den Niederlanden (EU) ansässige Gesellschaft, die auch in der Anlage zur MTR aufgelistet ist (vgl. Anlage 2 zum EStG). Weiterhin handelt es sich um eine qualifizierte Beteiligung i. S. d. § 43 Abs. 1 Nr. 2 EStG (Beteiligung ≥ 10 %). Mithin kann die NL-BV die vollständige Entlastung vom Quellensteuerabzug beantragen (§ 43b Abs. 1 EStG). Fraglich bleibt nur, ob dieser Entlastungantrag von § 50d Abs. 3 EStG überlagert wird.

     

    Zur Einschränkung des Erstattungsanspruchs kommt es, soweit hinter der NL-BV nicht begünstigungsfähige Personen beteiligt sind, die NL-BV selbst nicht wirtschaftlich tätig ist und:

     

    • für die Zwischenschaltung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
    • die NL-BV nicht mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

     

    Mit seinen Entscheidungen in der Rs. Deister Holding (EuGH 20.12.17, C-504/16, C-613/16, Deister Holding) und GS (EuGH 14.6.18, C-440/17) hat der EuGH klargestellt, dass auch die Vermögensverwaltung als wirtschaftliche Tätigkeit anzuerkennen ist, weshalb im vorliegenden Fall die NL-BV unstreitig wirtschaftlich tätig ist. Dies erkennt nunmehr auch die Finanzverwaltung in Abkehr von ihrer bisherigen Rechtsauffassung an (BMF 4.4.18, IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl I 18, 589, Tz. 5.2; BMF 24.1.12, IV B 3 - S 2411/07/10016, BStBl I 12, 171 ist nicht mehr anzuwenden). Folglich wird der beim BZSt zu stellende Antrag auf vollständige Entlastung vom KapESt-Abzug erfolgreich sein.

     

    PRAXISTIPP | Das BMF möchte aber weitergehend zwischen aktivem und passivem Beteiligungsmanagement differenzieren und § 50d Abs. 3 EStG nur dann als nicht einschlägig betrachten, wenn die betreffende Gesellschaft ihre Gesellschafterstellung aktiv ausübt (geschäftsleitende Holding; s. aber die Differenzierung bei Gebhardt, BB 18, 1501). Diese Auffassung ist aber nicht von der EuGH-Entscheidung gedeckt und geht deshalb zu weit.

     

    5.2 Abwandlung: Die Drittstaaten-Holding

     

    • Beispiel

    Für den globalen Konzern fungiert nunmehr eine US-amerikanische Corp. als Holdinggesellschaft und erzielt aus dieser Tätigkeit u. a. eine Dividende von der deutschen D-GmbH (Beteiligung: 50 %). Die Gesellschaft soll selbst über keinen Mitarbeiterstab verfügen, sondern sich vielmehr zur Bewältigung ihrer Aufgaben dem Personal anderer verbundener Unternehmen in den USA bedienen; dafür entrichtet die US-Corp. auch ein angemessenes, d. h. fremdübliches, Entgelt.

     

    Bei Ausschüttung hat die D-GmbH erneut KapESt einzubehalten (§ 43 Abs. 1, § 43a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 44 Abs. 1 EStG). Der 25%ige Quellensteueranspruch wird nach dem zwischen Deutschland und den USA abgeschlossenen DBA aber auf 5 % reduziert (Art. 10 Abs. 2 DBA-USA); ungeachtet einer möglichen Erstattungsmöglichkeit (§ 50d Abs. 1 EStG bzw. Art. 29 Abs. 1 DBA-USA).

     

    Nach dem zwischen Deutschland und den USA abgeschlossenen DBA ist der deutsche Quellenbesteuerungsanspruch aber auf 5 % zu reduzieren.

     

    Beachten Sie | Darüber hinaus könnte die US-Corp. sogar eine vollständige Quellensteuerentlastung beantragen (Art. 10 Abs. 3 DBA-USA), wenn die in Art. 28 DBA-USA statuierte Limitation-on-Benefits-Klausel erfüllt wird. Allerdings findet diese erhöhte Privilegierung nur bei Beteiligungen von mehr als 80 % Anwendung (Art. 10 Abs. 3 Buchst. a) DBA-USA), woran es vorliegend annahmegemäß fehlt.

     

    Vor dem Hintergrund, dass die US-Corp. über kein eigenes Personal verfügt und selbst nur Vermögensverwaltung betreibt, könnte ein Erstattungsanspruch auf Grundlage des Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) DBA-USA an den Einschränkungen des § 50d Abs. 3 EStG scheitern. Die US-Corp. geht selbst keiner wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. d. § 50d Abs. 3 EStG nach, weil gemäß § 50d Abs. 3 S. 3 EStG eine Merkmalsübertragung im Konzern explizit ausbleiben soll. Auch ermöglicht das BMF-Schreiben keine anderweitige Würdigung, da es sich nur auf Entlastungsanträge gemäß § 43b EStG beschränkt. Andere Entlastungsmöglichkeiten werden nicht angesprochen.

     

    In diesem Fall ist zu beachten, dass der EuGH auch einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten festgestellt hat. Die Entscheidungsgründe sind folglich über den Kontext des § 43b EStG hinaus maßgeblich. Vorliegend handelt es sich um eine Entlastungsmöglichkeit nach Art. 10 Abs. 2 DBA-USA. Die Vorschrift setzt eine Mindestbeteiligung von 10 % voraus, was nicht zwangsläufig auf einen sicheren Einfluss hindeutet. Mithin wäre der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit eröffnet und die Entscheidungsgründe des EuGH auf den hiesigen Fall übertragbar. Diese stehen einer Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG im vorliegenden Fall entgegen. Die US-Corp. geht einer wirtschaftlichen Tätigkeit (Vermögensverwaltung) nach und die betreffende Maßnahme (§ 50d Abs. 3 EStG) richtet sich nicht gezielt gegen Steuerhinterziehung und Missbrauch. Mithin ist dem Entlastungsantrag ohne die Einschränkung des § 50d Abs. 3 EStG zu folgen.

     

    PRAXISTIPP | In Drittstaatensachverhalten ist die einschlägige Grundfreiheit nach isolierter Normenbetrachtung zu bestimmen (z. B. EuGH 11.9.14, C-47/12, Kronos). Sofern eine Vorschrift keinen sicheren Einfluss voraussetzt (z. B. nur Beteiligung von 10 %), ist in Drittstaatenkonstellationen die Kapitalverkehrsfreiheit einschlägig, die auch jene Fälle schützt.

     

    5.3 Das Lizenzmodell

    Im EU-Kontext werden nicht nur Gewinnausschüttungen sekundärrechtlich von Quellensteuern befreit. Ein ähnliches Regime existiert auch für konzerninterne Zins- und Lizenzzahlungen (Zins-Lizenz-Richtlinie; RL 2003/49/EG).

     

    • Beispiel

    Eine in Luxemburg ansässige S.a.r.l. ist als Vertriebsgesellschaft für den EU-Raum eines international agierenden Softwarekonzerns eingesetzt. Die Entwicklung der Software erfolgt in einem Drittstaat. Die betreffende Software wird dann nach Fertigstellung entgeltlich an die S.a.r.l. übertragen. Die S.a.r.l. überlässt die entsprechenden Rechte an der Software einschließlich Vervielfältigungs-, Bearbeitungs- sowie Verbreitungsrechte der D-GmbH (Beteiligung: 100 %) zur Anpassung an die Bedürfnisse des regionalen Markts und erhält dafür ein fremdübliches Entgelt. Für ihre Tätigkeit hält die S.a.r.l. lediglich eine Geschäftsführerin vor, die auch die operativen Aufgaben (Ankauf und Weitergabe der Software) übernimmt.

     

    Die luxemburgische S.a.r.l. ist in Deutschland beschränkt steuerpflichtig, da sie aus der Überlassung von Software Einkünfte i. S. d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f) EStG erzielt. Die Besteuerung erfolgt im Wege des Steuerabzugs i. H. v. 15 % (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG).

     

    PRAXISTIPP | Im Schreiben vom 27.10.17 (IV C 5 - S 2300/12/10003 : 004, BStBl I 17, 1448) äußert sich das BMF zur beschränkten Steuerpflicht und zum Steuerabzug bei grenzüberschreitender Überlassung von Software und Datenbanken. Nach Ansicht des BMF scheidet die beschränkte Steuerpflicht aus, wenn Nutzungsrechte an Software oder Datenbanken eingeräumt werden, die nicht über den bestimmungsgemäßen Gebrauch hinausgehen. Vorliegend wurden aber gerade weitergehende Rechte eingeräumt, um die Software fortzuentwickeln und kommerziell zu vertreiben, weshalb eine beschränkte Steuerpflicht nebst Steuerabzugsverpflichtung nach § 50a EStG besteht (s. auch Beispiel 5 des BMF-Schreibens).

     

    Nach Art. 12 Abs. 2 DBA-Luxemburg wird das deutsche Besteuerungsrecht auf 5 % reduziert. Daneben reduziert sich das deutsche Quellenbesteuerungsrecht sogar auf 0 % gemäß § 50g Abs. 1 EStG (Umsetzung der Zins- und Lizenzrichtlinie, RL 2003/49/EG). Gleichwohl stehen beide Vorschriften unter dem Vorbehalt des § 50d Abs. 1 EStG, d. h. der Steuerabzug ist ungeachtet einer anschließenden Entlastungsmöglichkeit vorzunehmen; vorausgesetzt, es liegt keine Freistellungsbescheinigung vor (§ 50d Abs. 2 EStG).

     

    Nach dem BMF-Schreiben wäre für diesen Fall § 50d Abs. 3 EStG weiterhin uneingeschränkt anwendbar. Die Grundsätze der EuGH-Entscheidungen in den Rs. Deister Holding u. a. und GS sollten aber uneingeschränkt auf den Bereich der Zins- und Lizenzrichtlinie übertragbar sein. Zwar sieht auch § 50g Abs. 4 EStG die Abwehr von Steuerhinterziehung und Missbrauch vor. Die zugrunde liegende Konstruktion sollte aber vor dem Hintergrund der vorgenannten EuGH-Judikate nicht als „künstlich“ i. S. d. EuGH-Diktion verstanden werden, da die luxemburgische S.a.r.l. einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Nach alledem darf also auch hier § 50d Abs. 3 EStG einer vollständigen Entlastung der deutschen Quellensteuer gemäß § 50a Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 50g Abs. 1 EStG nicht entgegenstehen.

     

    PRAXISTIPP | Dem Vernehmen nach möchte das BMF aber die Erläuterungen des BMF-Schreibens zumindest analog auf Fälle des § 50g EStG anwenden.

     

    6. Zusammenfassung

    Das BMF reagierte mit dem vorliegenden Schreiben unmittelbar auf die Entscheidung des EuGH, dass § 50d Abs. 3 EStG a. F. gegen Unionsrecht verstößt. Dieser Verstoß bleibt auch nach gegenwärtiger Rechtslage bestehen, wie der EuGH in der Rs. GS kürzlich entschied. Die Ausführungen im Schreiben können diesen Verstoß nicht heilen: Einerseits sind Entlastungsansprüche nach § 50g, DBA oder § 44a EStG vollkommen ausgespart. Andererseits sind die inhaltlichen Anforderungen gegen den Missbrauchsverdacht zu hoch. Es gilt weiterhin und unerschütterlich die Cadbury-Schweppes-Doktrin, d. h. nur bei rein künstlichen Gestaltungen dürfen Entlastungsansprüche über § 50d Abs. 3 EStG versagt werden. Der Gesetzgeber wird § 50d Abs. 3 EStG umfassend überarbeiten müssen.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2018 | Seite 279 | ID 45372431