15.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121739
Finanzgericht München: Urteil vom 08.02.2012 – 3 K 1296/11
1. Die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in einem Reihengeschäft kann nicht der ersten Lieferung zugeordnet werden, wenn die Versendung von den zweiten Abnehmern beauftragt oder selbst durchgeführt worden ist.
2. Im Fall der Beauftragung der Versendung durch den zweiten Abnehmer findet auch die Verschaffung der Verfügungsmacht i. d. R. im Mitgliedstaat der ersten Lieferung mit der Übergabe an den Frachtführer statt. In diesem Fall kann die innergemeinschaftliche Beförderung nicht mehr dieser ersten Lieferung zugerechnet werden, denn die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, findet ebenfalls im Mitgliedstaat der ersten Lieferung statt.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 3. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … und den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2012
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Streitig ist die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen von 103 Kraftfahrzeugen an einen niederländischen Abnehmer.
Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom … als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet und am in das Handelsregister M. eingetragen. Gegenstand ihres Unternehmens war der Handel, die Vermittlung und Vermietung von Kraftfahrzeugen, sowie … Die Klägerin veräußerte im Streitjahr 2003 insgesamt 45 Kraftfahrzeuge zum Gesamtpreis von 647.000 EUR und im Streitjahr 2004 weitere 58 Kraftfahrzeuge zum Gesamtpreis von 771.508 EUR an den vorgegebenen niederländischen Abnehmer B.
In ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung für 2003 vom 17. März 2005 errechnete die Klägerin eine negative Umsatzsteuer von 5.000.554,32 EUR. Mit Bescheid vom 17. November 2005 setzte das FA die Umsatzsteuer 2003 auf den negativen Betrag von 4.985.947,44 EUR fest. Nach Durchführung einer Fahndungsprüfung (Bericht vom 14. Juni 2006) setzte das FA die Umsatzsteuer 2003 mit Änderungsbescheid vom 2. Januar 2007 auf den negativen Betrag von 4.858.968,24 EUR fest; das FA erkannte dabei (unter anderem) die Steuerfreiheit der Lieferungen an den niederländischen Abnehmer B nicht mehr an.
In ihrer Umsatzsteuererklärung 2004 vom 20. Januar 2006 (Frühleerung) errechnete die Klägerin eine Umsatzsteuer von 34.471,25 EUR. Nach Durchführung der Fahndungsprüfung setzte das FA die Umsatzsteuer 2004 mit Bescheid vom 2. Januar 2007 auf den Betrag von 147.603,41 EUR fest; das FA erkannte auch hier die Steuerfreiheit der Lieferungen an die B nicht mehr an.
Die Klägerin hatte zunächst am 28. Mai 2004 gegen den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Februar 2003 vom 26. Mai 2004 Einspruch eingelegt. Am 18. Januar 2007 legte die Klägerin gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2003 und 2004, jeweils vom 2. Januar 2007, Einspruch ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2007 wies das FA den Einspruch vom 18. Januar 2007 gegen den Umsatzsteuerbescheid 2003 als unzulässig und die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurück.
Dagegen ist die Klage vom 3. Dezember 2007 gerichtet.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass die Voraussetzungen steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen bei ihren Lieferungen an die B im Rahmen eines Reihengeschäftes vorliegen würden. Insbesondere seien die Transporte der Kraftfahrzeuge durchweg von der B durchgeführt worden und deshalb sei die Steuerbefreiung ihrer Lieferung an die B zuzurechnen. Bei der B handele es sich auch um kein Scheinunternehmen; dieses Unternehmen betreibe vielmehr noch heute den Handel mit Kraftfahrzeugen.
Zum weiteren Vorbringen der Klägerin wird auf ihre Schriftsätze vom 3. Dezember 2007, vom 11. Juli 2008, vom 12. Oktober 2009, vom 7. Juli 2010, vom 16. Juli 2010, vom 20. September 2010, vom 14. Juni 2011 sowie vom 29. September 2011 nebst Anlagen verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die mit Umsatzsteuerbescheid für 2003 vom 2. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung festgesetzte Umsatzsteuer um 89.241 EUR zu mindern sowie den Umsatzsteuerbescheid für 2004 vom 2. Januar 2007 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung trägt das FA im Wesentlichen vor, dass bei den Lieferungen an die niederländische B die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen deshalb zu versagen sei, weil die Klägerin die erforderlichen Nachweise nicht vorgelegt habe und sich aus den von ihr vorgelegten Unterlagen Widersprüche im Vergleich zu den von der Steuerfahndung ermittelten Sachverhalten ergeben würden. Die Lieferungen seien statt an B an Abnehmer in Frankreich erfolgt. Dies sei den Verantwortlichen der Klägerin bekannt gewesen, da im Rahmen der Durchsuchung bei der Klägerin neben einer Ausfertigung eines Stempels der B auch Empfangsbestätigungen der B in vorbereiteter Form, ohne Unterschrift und ohne Stempelaufdruck vorgefunden worden seien.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze des FA vom 27. August 2008, vom 24. Oktober 2008, 12. Januar 2010, vom 15. September 2010, vom 7. Juni 2011, vom 5. August 2011 und 23. August 2011 nebst Anlagen verwiesen.
Mit Anordnung vom 7. Juni 2010 mit Ausschlussfrist vom 7. Juli 2010 wurde die Klägerin durch das Gericht zur Vorlage des Buchnachweises aufgefordert. Auch nach zweimaliger Fristverlängerung – zuletzt bis zum 21. Juli 2010 – hat die Klägerin keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt.
Mit Beschluss vom 21. September 2010 ordnete das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-285/09 an. Mit Beschluss vom 4. Mai 2011 wurde das Verfahren wieder aufgenommen, nachdem der EuGH mit Urteil vom 7. Dezember 2010 entschieden hatte.
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) setzt eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchstabe b UStG voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet bef ördert oder versendet hat und der Abnehmer ist:
ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber.
Dem entsprechend verpflichtet der in den Streitjahren geltende Art. 28c Teil A Buchstabe a Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl.EG 1977 Nr. L 145, S. 1, = Richtlinie 77/388/EWG) die Mitgliedstaaten nur zur Steuerbefreiung der „Lieferungen von Gegenständen …, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt werden ….”.
Für diese Voraussetzungen der Steuerbefreiung trägt die Klägerin die Beweislast (EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-184/05, Twoh International, Rn. 26, Slg. 2007, I-7897, UR 2007, 782). Die Finanzbehörden (und damit die Finanzgerichte im Rahmen ihrer Amtsermittlung) müssen insoweit keine Nachforschungen im anderen Mitgliedstaat anstellen (EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-184/05, a.a.O.).
Art. 28c Teil A Buchstabe a der Richtlinie 77/388/EWG gestattet den Mitgliedstaaten, zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung und zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch Bedingungen festzulegen, unter denen die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung zu gewähren ist. In Ausfüllung dieser Befugnis (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 2002 V R 3/02, BStBl II 2003, 616) verlangt § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG, dass die Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung vom Unternehmer nachgewiesen werden müssen. Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer diesen Nachweis zu führen hat (vgl. § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG). Dazu ist nach § 17c der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) zum einen ein buchmäßiger Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung erforderlich. Zum anderen ist in § 17a UStDV bestimmt worden, dass der Unternehmer den Nachweis belegmäßig führen muss.
Diese Aufzeichnungen müssen dabei rechtzeitig, d.h. bis zu dem Zeitpunkt geführt werden, zu dem der Unternehmer die Voranmeldung für den Voranmeldungszeitraum der jeweils geltend gemachten innergemeinschaftlichen Lieferung abgegeben hat (BFH-Urteil vom 28. Mai 2009 V R 23/08, BFH/NV 2009, 1565 zu Ausfuhrlieferungen). Hat der Unternehmer für die Lieferung buchmäßige Aufzeichnungen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt geführt, kann er diese bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht berichtigen und / oder ergänzen (BFH-Urteil vom 28. Mai 2009 V R 23/08, a.a.O.).
Diese Nachweispflichten sind allerdings keine materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung; sie bestimmen lediglich, dass und wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat (BFH-Urteile vom 8. November 2007 V R 72/05, BFH/NV 2008, 905 und vom 6. Dezember 2007 V R 59/03, BStBl II 2009, 57 unter Bezugnahme auf EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, UR 2007, 813).
Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen (BFH-Urteil vom 8. November 2007 V R 72/05, BFH/NV 2008, 905 und EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, UR 2007, 813). Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbrachte (BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 59/03, BStBl II 2009, 57).
2. Davon ausgehend bleibt die Klage ohne Erfolg.
Im Streitfall liegen die Voraussetzungen steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen nach § 6a UStG bei der Lieferung der insgesamt 103 Kraftfahrzeuge an die B nicht vor.
a) Zunächst konnte die Klägerin den nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17c UStDV erforderlichen Buchnachweis bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vollständig erbringen; die Voraussetzungen der Steuerbefreiung sind bei allen 103 Fahrzeuglieferungen nicht eindeutig und leicht aus der Buchführung zu ersehen (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV); es fehlt daher an einem ordnungsgemäßen Buchnachweis.
b) Im Übrigen ist der nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17a UStDV zu führende Belegnachweis insoweit mangelhaft, als die von der Klägerin vorgelegten „Bestätigungen der innergemeinschaftlichen Lieferungen” als Bestimmungsort der Lieferungen jeweils den Sitz der B in den Niederlanden sowie zugleich einen Bestimmungsort in Frankreich nennen. Dies ist in sich widersprüchlich und es fehlt deshalb an der leichten und eindeutigen Nachprüfbarkeit der Belege der Klägerin (§ 17a Abs. 1 Satz 2 UStDV).
Auch darüber hinaus entsprechen die Belege nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 17a UStDV; hier liegen zum Beispiel folgende inhaltliche Mängel vor:
Bei der innergemeinschaftlichen Lieferung von 21 Fahrzeugen mit den Endziffern der Fahrzeug-Identifizierungsnummern, … (vgl. die Einzelaufstellung in Tz. 2.c.cc.ddd), fehlt entweder der Frachtbrief vollständig, oder aus dem vorliegenden CMR-Frachtbrief ist kein Auslieferungsort erkennbar (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2002 V R 28/10, BFH/NV 2011, 1448 unter II.3.b); die Belegnachweise sind insoweit unzureichend (§ 17a Abs. 4 i.V.m § 10 Abs. 1 UStDV).
Im Fall des Fahrzeugs mit der Endziffer der Fahrzeug-Identifizierungsnummer, … (Rechnung vom 16. März 2004), ist die Angabe des Ortes (ohne Nennung des Mitgliedstaats und der Postleitzahl) nicht hinreichend konkret zur Bestimmung des Auslieferungsorts.
Bei der Lieferung von 12 Kraftfahrzeugen mit den Endziffern der Fahrzeug-Identifizierungsnummern (vgl. die Einzelaufstellung in Tz. 2.c.cc.ddd), ist aus den Belegen nicht eindeutig erkennbar, wer der Empfänger der Lieferungen ist. So soll nach den Frachtpapieren – der durchweg an die B veräußerten Fahrzeuge – der Empfänger eine „Auto C” in den Niederlanden sein, obwohl der Empfang neben dieser Firma von einer Firma D in 75019 Paris, (Frankreich) bestätigt wird.
c) Ferner steht im Streitfall auch nicht auf Grund der objektiven Beweislage fest, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Dazu müsste hier feststehen, dass die Steuerfreiheit der Lieferungen in den vorgenommenen Reihengeschäften – mithin die „bewegte Lieferung” – den Lieferungen der Klägerin an die B zuzuordnen ist. Davon konnte sich der Senat nicht überzeugen.
Bei den Lieferungen aller 103 Kraftfahrzeuge gehen sowohl die Klägerin als auch das FA übereinstimmend davon aus, dass diese im Zuge von Reihengeschäften unmittelbar von der Klägerin an französische Abnehmer der B geliefert worden sind. Vorliegend hat mithin jeweils nur eine einzige innergemeinschaftliche Versendung oder Beförderung eines Gegenstandes stattgefunden, die Kraftfahrzeuge sind unmittelbar von Deutschland nach Frankreich gelangt.
aa) Grundsätzlich kann auch bei solchen Reihengeschäften eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt der Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, kann die Beförderung oder Versendung des Gegenstands gemäß § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG aber nur einer der Lieferungen zugeordnet werden. Kommt es bei zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen desselben Gegenstands, die gegen Entgelt zwischen Steuerpflichtigen vorgenommen werden, die als solche handeln (= Unternehmer), zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung dieses Gegenstands, kann auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Versendung oder Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden, die dann als einzige nach Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabsatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei ist (EuGH-Urteil vom 6. April 2006 C-245/04, EMAG Handel Eder, Slg. 2006, I-3227, UR 2006, 342).
Der EuGH hat zu solchen innergemeinschaftlichen Reihengeschäften weiter entschieden (Urteil vom 16. Dezember 2010 Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding BV, DStR 2011, 23, UR 2011, 176), dass es bei aufeinanderfolgenden zwei Lieferungen mit Steuerpflichtigen, von denen nur eine einzige als innergemeinschaftliche Beförderung durchgeführt werden kann, für die Bestimmung, welchem Umsatz diese Beförderung zuzurechnen ist, notwendig ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, um festzustellen, welche der beiden Lieferungen alle Voraussetzungen für eine (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferung erfüllt.
In diesem Zusammenhang erachtet es der BFH als entscheidungserheblich, dass der erste Abnehmer einem Beauftragten eine Vollmacht zur Abholung oder Beförderung des gelieferten Gegenstands in das übrige Gemeinschaftsgebiet erteilt, wobei es unschädlich sein soll, dass der zweite Abnehmer die Kosten dieser Beförderung trägt (Urteil vom 11. August 2011 V R 3/10, DStR 2011, 2047).
bb) Unter Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls ist die Beförderung aller Kraftfahrzeuge durchweg der zweiten Lieferung in den vorgenommenen Reihengeschäften zuzuordnen, weil die Versendung immer von den französischen Abnehmern der B beauftragt worden ist oder weil diese die Beförderung selbst durchgeführt haben (hier in den vier Abholfällen) und weil in keinem Fall eine Vollmacht der B an die Frachtführer oder Abholer vorliegt.
aaa) Zunächst räumt die Klägerin selber ein, dass die Fahrzeuge von ihr direkt zu den französischen Abnehmern transportiert worden sind (vgl. nur Schriftsatz vom 11. Juli 2008, S. 13). Die Klägerin trägt dazu weiter vor, die B habe den Spediteur mit dem Transport der Fahrzeuge von der Antragstellerin „zu den französischen Abnehmern” beauftragt, entsprechende Nachweise dafür liegen aber nicht vor.
Auf Grund dieser Einlassung der Klägerin und ihrer Interessenlage geht der Senat davon aus, dass die Klägerin die Verfügungsmacht über die Kraftfahrzeuge jeweils mit der Übergabe an den Frachtführer oder den Abholer an die B übertragen hat. Dies setzt nur voraus, dass die B die Übergabe an die Frachtführer ihrerseits genehmigt hatte, nicht aber zugleich das Vorliegen einer Beauftragung zur Versendung oder Beförderung durch die B Hat aber der Abnehmer in Frankreich die Versendung beauftragt, wovon der Senat ausgeht, dann hat diese zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, ebenfalls im Mitgliedstaat der ersten Lieferung (hier in Deutschland) stattgefunden, und zwar bevor die innergemeinschaftliche Lieferung erfolgt ist. In einem solchen Fall kann die innergemeinschaftliche Beförderung aber nicht mehr dieser (der ersten) Lieferung zugerechnet werden (EuGH-Urteil vom 16. Dezember 2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding BV, DStR 2011, 23).
Für einen derartigen Geschehensablauf spricht, dass die Übergabe an die Frachtführer oder Abholer immer erst nach dem Eingang der Kaufpreise auf dem Konto der Klägerin erfolgt ist; dies ist jedenfalls für das Jahr 2003 an Hand der CMR-Frachtbriefe und der von der Klägerin vorgelegten Kontoauszüge ersichtlich.
bbb) Darüber hinaus sollte sich aus den vorhandenen Belegen – da nach dem Vortrag der Klägerin insoweit Reihengeschäfte zwischen ihr, der B und französischen Abnehmern vorliegen – eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben, wer die Beförderung durchgeführt oder die Versendung veranlasst hat. Aus den vorliegenden Belegen lässt sich aber die dahingehende – insoweit nur unsubstantiierte – Behauptung der Klägerin, die B habe die Versendung beauftragt, nicht nachvollziehen. Gegen den von der Klägerin geschilderten Ablauf spricht ferner, dass die niederländische Finanzverwaltung im Rahmen der den deutschen Finanzbehörden geleisteten Amtshilfe bei der B keine Transportdokumente „angetroffen” hat. Letztlich spricht dagegen auch die im Rahmen der Amtshilfe festgestellte Behandlung der Lieferungen durch die B in den Niederlanden als steuerfrei, die voraussetzt, dass die Beförderung durch deren Abnehmer veranlasst wurde.
ccc) Auch bei Prüfung der Belege in den Akten lässt sich bei keiner Lieferung eine Erteilung des Versendungsauftrags durch die B oder wenigstens das Vorliegen einer Vollmacht der B zur Abholung durch die Frachtführer erhärten.
So ist z.B. laut Frachtbrief der „Trans T” Auftraggeber des Transports von acht Fahrzeugen der Modelle (Renault) „Megane” die „Automobiles E” (ansässig in Frankreich), also ein Abnehmer in der Reihe nach B.
Ebenso ist im Fall des Fahrzeugs „Megane” mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … der Auftraggeber des Transports eine „P Auto” in Frankreich (vgl. den entsprechenden Frachtbrief); ebenfalls ein Abnehmer in der Reihe nach B. Die Bestätigung der H Transport GmbH, wonach die Klägerin „Ausführer/Versender” ist, erscheint demgegenüber unrichtig.
Beim Frachtbrief der Spedition K GmbH (bzw. der Kopie desselben) wurde der offenbar vom Fahrer handschriftlich im Feld A eingetragene Absender „ARS Wolnzach” (Autobahnraststätte Wolnzach?) mit dem Stempel der Klägerin überdeckt. Im Feld „Ort und Tag der Ausstellung” wurde der Stempel der Klägerin eingefügt und außerdem noch unten bei „Empfänger” die Anschrift der B aufgestempelt und eine Unterschrift beigefügt.
Bei einem weiteren Frachtbrief/Lieferschein der K GmbH (bzw. Kopie desselben) ist als Absender handschriftlich „A Wolnzach” eingetragen. Eine Beauftragung durch B ergibt sich aus diesem Frachtbrief ebenso wenig.
ddd) Bei einer Gesamtschau aller streitigen Kraftfahrzeuglieferungen spricht auch für eine Versendung durch die französischen Abnehmer, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Frachtführer mit der Beförderung beauftragt worden ist; eine einheitliche Abwicklung der Geschäftsvorfälle (etwa durch die B) ist mithin nicht erkennbar. Dies hat vor allem auch für die Klägerin nicht auf eine zentrale „Steuerung” durch die B als Versender schließen lassen, auch – wie ausgeführt – weil in keinem Fall eine Bevollmächtigung der Frachtführer oder Abholer vorliegt (BFH-Urteil vom 11. August 2011 V R 3/10, DStR 2011, 2047).
Der jeweilige Bestimmungsort und die Frachtführer stellen sich im Einzelnen bei den insgesamt 103 Kraftfahrzeugen wie folgt dar:
Lfd. | Fg.IdNr. | Rechn. Datum | Spediteur | Bestimmungsort |
Nr. | (laut Bestätigung oder CMR) | |||
(Jahr 2003) | ||||
1. … | ||||
… | ||||
45. … | ||||
(Jahr 2004) | ||||
46. … | ||||
… | ||||
103. … |
Da es sich – wie auch von der Klägerin angeführt wird – um Reihengeschäfte (vgl. § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG) zwischen der Klägerin, der B und weiteren Abnehmern in Frankreich gehandelt haben soll, würde zwar die Beauftragung der Versendung durch die B zu einer innergemeinschaftlichen Versendungslieferung der Klägerin an die B mit Lieferort im Inland führen, es sei denn der Abnehmer weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer versendet hat (§ 3 Abs. 6 Satz 6 i.V.m. Satz 1 UStG). Wurde aber wie vorliegend die Versendung von einem französischen Abnehmer in der Reihe nach der B in Auftrag gegeben, dann ist die Versendung dem letzten Lieferer in der Reihe Klägerin-B-französischer Abnehmer zuzuordnen, mithin der Lieferung der B (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG); nur bei der Lieferung durch die B käme dann die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen in Betracht. Die Lieferung Klägerin-B ist aber im Streitfall keine innergemeinschaftliche Lieferung und nicht steuerfrei, denn sie ist als vorangehende Lieferung am Ort des Versendungsbeginns ausgeführt (§ 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG), also im Inland, da hier die Versendung beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG).
ee) Im Übrigen setzt sich die Klägerin mit ihren eigenen Ausführungen in Widerspruch, wenn sie einerseits angibt, Reihengeschäfte getätigt zu haben, andererseits aber nichts davon gewusst haben will, dass B die Fahrzeuge an französische Händler bzw. Abnehmer weiterverkauft hatte. Dies gilt umso mehr, weil sich aus den bei der Klägerin vorgefundenen Transportdokumenten (den CMR-Frachtbriefen) als Abladestelle der Fahrzeuge jeweils ein Ort in Frankreich ergab. Des Weiteren findet sich auch auf den – bei der Klägerin vorgefundenen – „Bestätigungen der innergemeinschaftlichen Lieferungen” überwiegend hinter dem formularmäßig als Bestimmungsort der Leistung aufgezeichneten Sitz der B in den Niederlanden ein handschriftlich ergänzter Ort in Frankreich (vgl. nur S. 68, 73, 78,82, 86, 90 und 114 der Beweismittelakte II). Insoweit war es der Klägerin jedenfalls bei diesen Lieferungen bekannt, dass der Bestimmungsort der Fahrzeuge durchweg ein Ort in Frankreich war.
ff) Ein Beförderungsfall liegt vor, wenn ein an einem Reihengeschäft beteiligter Abnehmer den Gegenstand der Lieferung selbst abholt (Abschnitt 31a Abs. 3 Satz 2 UStR 2002), wie es vorliegend bei vier Fahrzeugen der Fall war (vgl. S. 126 ff., 164 ff., 171 ff. und 206 ff. Beweismittelakte II). So wurde z.B. im Fall des Fahrzeugs der Marke Citroen Picasso mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … (Rechnung vom 13. Oktober 2001) das Fahrzeug von dem in Frankreich ansässigen (End-)Abnehmer G in Ingolstadt selbst abgeholt (S. 126 ff. Beweismittelakte II). In diesem Fall ist die Beförderungslieferung ebenfalls dem letzten Lieferer in der Reihe, also der B (Lieferung an G usw.) zuzuordnen. Eine Steuerbefreiung nach § 6a UStG für die Klägerin kommt ebenfalls nicht in Betracht.
d) Die Klägerin konnte vorliegend nach alledem nicht davon ausgehen, dass ihre Lieferung die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in einem Reihengeschäft war. Sie kann sich daher auch nicht auf den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG berufen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.