23.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122618
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 12.04.2012 – 3 K 1061/09
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 K 1061/09
Tenor
Der geänderte Einkommensteuerbescheid 2002 vom 16.01.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.03.2009 wird aufgehoben.
Der Bescheid über die Festsetzung von nachzufordernder Lohnsteuer und Kirchensteuer sowie von nachzuforderndem Solidaritätszuschlag für die Jahre 2003-2006 vom 16.01.2008, geändert durch Bescheid vom 18.09.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.03.2009 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Streitzeitraum in Deutschland einen Wohnsitz hatte und damit unbeschränkt steuerpflichtig war. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger, ein … Staatsbürger ( = Nicht EU-Europäer ), ist seit … 2001 als Pilot bei der Fluggesellschaft X mit Einsatzflughafen A beschäftigt. Seinen Hauptwohnsitz hatte er im Streitzeitraum in … (Heimatland), wo er seit November 2001 mit seiner Partnerin zusammen lebte. In der Zeit von Juli 2001 bis Oktober 2002 mietete er im Haus der Familie S, in … zusammen mit zwei anderen Piloten - den Zeugen Z1 und Z2 - eine sog. „Standby-Wohnung“ an. Das geschah vor dem Hintergrund, dass die Fluggesellschaft X von ihren Besatzungsmitgliedern verlangt, den Flugdienst pünktlich und ausgeruht anzutreten. Zu diesem Zweck müssen die Besatzungsmitglieder im Einzugsbereich ihrer Einsatzorte, das heißt in einer maximalen Entfernung von 50 km zum Flughafen, über eine Unterkunft verfügen, wobei hierfür auch ein Hotel ausreichen würde. Im vorgenannten Zeitraum hatte der Kläger in … ( Raum A ) einen Wohnsitz gemeldet und seine Einkünfte vollständig beim Beklagten (das Finanzamt) versteuert.
Da im Herbst 2002 absehbar war, dass der Kläger seltener in A sein würde, zog er – ebenso wie die Zeugen Z1 und Z2 - innerhalb des Hauses der Familie S in ein ca. 12-15 m² großes „Standby-Zimmer“ in der Keller-Etage um, welches er bei dienstlichen Aufenthalten in Deutschland aufsuchte. Das Bad (mit Dusche, Toilette und Waschbecken ausgestattet) befindet sich gleichfalls in der Keller-Etage und wurde neben den drei Piloten auch von den Angehörigen der Familie S genutzt. Darüber hinaus sind im Keller-Geschoss Werkstatt, Bastelraum, Bügelzimmer, Lagerraum und Heizungsraum der Familie S angesiedelt. Der Kellerbereich ist in sich nicht räumlich abgeschlossen, sondern mündet in das Treppenhaus, von dem aus drei weitere Wohnungen erreichbar sind. Das „Standby-Zimmer“ ist mit einem doppelstöckigen Bett, einer Couch, einem Regal, einem Schrank und einem kleinen Tisch möbliert. Diese Einrichtungsgegenstände sind vom Kläger und den oben genannten Zeugen angeschafft worden und nach deren Auszug in dem Zimmer verblieben. Das Zimmer war mit einem Fernseher ausgestattet. Eine Kochgelegenheit sowie ein Kühlschrank waren nicht vorhanden. Ein schriftlicher Mietvertrag existiert nicht. Der Kläger und die Zeugen Z1 und Z2 verfügten jeweils über einen Haustürschlüssel; einen Schlüssel für das „Standby-Zimmer“ besaß lediglich der Zeuge Z1. Sowohl die Tür zwischen Kellerbereich und Treppenhaus als auch die des „Standby-Zimmers“ waren stets unverschlossen. Das Zimmer wurde gelegentlich auch für Familien- und Gästebesuche der Familie S genutzt. Als Miete zahlten der Kläger und die anderen beiden Piloten jeweils 50,00 € im Monat; wobei die Heiz- und sonstigen Nebenkosten vom Vermieter getragen wurden. Eine schriftliche Vereinbarung über die Nutzung gab es nicht.
Der Kläger verwahrte in dem Zimmer keine persönlichen Gegenstände. Die Reinigung des Zimmers erfolgt durch die Vermieter. Der Kläger hatte das Zimmer gegenüber seinem Arbeitgeber angegeben („ … Vorname Name c/o Familie S“) und verbrachte dort monatlich im Durchschnitt bis zu drei Nächte. Aufgrund der Tatsache, dass für drei Personen nur zwei Betten zur Verfügung standen, mussten sich die Piloten vor der Nutzung des „Standby-Zimmers“, um mögliche Überschneidungen zu vermeiden, untereinander abstimmen.
Für das Jahr 2002 wurde der Kläger aufgrund seines bis Oktober unbestrittenen Wohnsitzes in … vom Finanzamt zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger erhielt auf seinen Antrag für die Jahre 2003 bis 2006 vom Finanzamt für Großunternehmen in … (Lohnsteuerarbeitgeberstelle) Bescheinigungen für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gem. § 39 d Einkommensteuergesetz (EStG). Die Fluggesellschaft X behandelte ihn in der Konsequenz als beschränkt steuerpflichtig; es wurde nur der so genannte Inlandsanteil seines Lohns der Besteuerung in Deutschland unterworfen.
Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts … führte gegen den Kläger Ermittlungen gem. § 208 Abs. 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) durch. In ihrem Bericht vom 05.12.2007 kommt sie zu dem Ergebnis, dass der Kläger mit dem „Standby-Zimmer“ einen Wohnsitz gemäß § 8 AO begründet habe und daher in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei.
Die im Bericht getroffenen Feststellungen machte sich das Finanzamt zu Eigen und erließ am 16.01.2008 Nachforderungsbescheide hinsichtlich Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2003-2006 und änderte den Einkommensteuerbescheid 2002 entsprechend. Gegen die Bescheide legte der Kläger mit Schreiben vom 22.01.2008 Einspruch ein.
Nachdem er im Einspruchsverfahren weitere Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht hatte, half das Finanzamt dem Einspruch durch Änderungsbescheid vom 18.09.2008 insoweit teilweise ab. Der Änderungsbescheid wurde Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Mit Bescheid vom 16.03.2009 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Dagegen hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 20.04.2009 vor dem Hessischen Finanzgericht Klage erhoben.
Der Kläger ist der Auffassung, durch die Nutzung des „Standby-Zimmers“ habe er keinen Wohnsitz in Deutschland begründet. Es handele sich lediglich um eine neben dem im Ausland belegenen Wohnsitz bestehende Schlafgelegenheit im Inland. Außer zum Zwecke der gelegentlichen Übernachtungen vor bzw. nach dem Dienst oder während des Bereitschaftsdienstes werde das Zimmer von den Mietern nicht zu Wohnzwecken genutzt und hätte sich aufgrund seiner Größe auch nicht für sämtliche Mieter als Wohngelegenheit geeignet. Eine darüber hinausgehende Wohnnutzung werde durch die Mieter weder angestrebt, noch tatsächlich praktiziert. Dies komme ferner darin zum Ausdruck, dass der Kläger und die anderen beiden Nutzer für das Zimmer im Monat nur 50,00 € zu zahlen hatten, wobei die Reinigung von der Familie S übernommen worden sei. Der Raum sei mit einem Hotelzimmer vergleichbar, das ebenfalls keinen Wohnsitz begründe. Dies werde auch daran deutlich, dass der Kläger in dem Zimmer keine persönlichen Gegenstände aufbewahrt habe.
Es sei auch deshalb keine „Wohnung“ im Sinne von § 8 AO gegeben, weil dafür ein gewisser Mindeststandard hinsichtlich der Ausstattung erforderlich sei, an dem es im Streitfall fehle. Insofern sei als Auslegungshilfe auf das Hessische Wohnungsaufsichtsgesetz vom 04.09.1974 (GVBl. I, S. 395) abzustellen. Dieses statuiere als Mindestanforderungen an eine Wohnung in § 4, dass dort zumindest die Möglichkeit des Anschlusses eines Herdes (§ 4 Nr. 1) sowie Wasserversorgung und Ausguss (§ 4 Nr. 2) gegeben sein müssten, die hier nicht vorlägen. In diesem Kontext sei auch zu berücksichtigen, dass das „Standby-Zimmer“ von seiner Art her weit unter dem Niveau liege, das ein …-Pilot als Wohnung wählen würde. Das spräche ebenfalls gegen eine dauerhafte Benutzung zu Wohnzwecken.
Weiter fehle es im Streitfall an einer tatsächlichen beliebigen Verfügungsmöglichkeit des Klägers über die Räumlichkeiten und somit an einer Grundvoraussetzung für das Innehaben einer Wohnung. Das Zimmer stehe dem Kläger gerade nicht jederzeit nach seinem Belieben zum Aufenthalt zur Verfügung. Die Unterkunft wurde von drei Personen im selben Zeitraum genutzt, so dass es vorkommen konnte, dass die zwei vorhandenen Schlafgelegenheiten bereits belegt waren. Dann habe der dritte Pilot auf ein Hotel ausweichen oder bei Freunden übernachten müssen. Überdies werde das Zimmer auch von den Eigentümern des Hauses gelegentlich als Übernachtungsmöglichkeit für eigene Gäste genutzt. Eine Nutzung des Zimmers durch den Kläger sei somit nur nach Absprache mit seinen Kollegen und den Hauseigentümern möglich gewesen.
Auch die Dauer des Aufenthalts spräche gegen eine Wohnsitznahme. In diesem Zusammenhang beruft sich der Kläger auf die zu Besuchs- und Erholungszwecken ergangene Rechtsprechung. Danach reiche es zur Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland einer im Ausland lebenden Person nicht aus, wenn die inländische Wohnung lediglich wenige Wochen im Jahr genutzt werde.
Schließlich seien auch der Familienstand und die Intensität der persönlichen Bindung an den Ort der Belegenheit der Wohnung zu berücksichtigen. Wenn ein Steuerpflichtiger, der bereits einen festen Familienwohnsitz habe, neben diesem an einem anderen Ort berufsbedingt eine Wohnung bzw. ein Zimmer nehme, in der/ dem er sich nur wenige Tage aufhalte, müssten zur Begründung eines weiteren Wohnsitzes strenge Anforderungen gelten. Zur Annahme eines Wohnsitzes müsse ein zweiter Lebensmittelpunkt geschaffen werden, was im Streitfall nicht gegeben sei.
Der Kläger beantragt:
Die Bescheide vom 16.01.2008 über die Änderung von Einkommensteuer, Quellensteuer und Solidaritätszuschlag jeweils für 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.03.2009 werden aufgehoben.
Die Bescheide vom 16.01.2008 über nachzufordernde Lohnsteuer, Kirchensteuer und nachzufordernden Solidaritätszuschlag jeweils für die Jahre 2003-2006, geändert durch Bescheid vom 18.09.2008, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.03.2009 werden aufgehoben.
Hilfsweise: die Zulassung der Revision.
Die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt ist der Ansicht, durch die Anmietung und Nutzung des „Standby-Zimmers“ habe der Kläger einen inländischen Wohnsitz begründet. Unter einer Wohnung seien alle Räumlichkeiten zu verstehen, die objektiv zum dauerhaften Wohnen geeignet seien. Insbesondere eine Zweitwohnung müsse nicht den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen angemessen sein; insoweit genüge eine Mindestausstattung mit einfachsten Mitteln. Diese Voraussetzungen würden von der streitgegenständlichen Wohnung erfüllt.
Das Gericht hat die mündliche Verhandlung vom 20.03.2012 unterbrochen und diese am 12.04.2012 fortgesetzt. Zu der Frage, ob der Kläger in der Zeit von Oktober 2002 bis einschließlich Dezember 2006 im Hause „… der Fam. S“ eine Wohnung unter Umständen inne hatte, die darauf schließen lassen, das er diese beibehalten und benutzen wird, hat das Gericht durch Vernehmung der Zeugen Z3, Z1, Z2, Frau S und Herrn S Beweis erhoben. Wegen der Aussagen der Zeugen wird auf die Niederschriften vom 20.03.2012 (Bl. 203 ff. d. GA) und 12.04.2012 (Bl. 241 ff. d. GA) verwiesen. Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung ein Band Einkommensteuerakten sowie ein Aktenordner mit den Dienstplänen des Klägers und der Zeugen Z1 und Z2 vorgelegen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger war im Streitzeitraum in Deutschland nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gem. § 1 Abs. 1 EStG, denn er unterhielt in dem Zimmer in … keinen inländischen Wohnsitz.
1. Der Wohnsitzbegriff wird in § 8 AO legaldefiniert. Danach besteht ein Wohnsitz dort, wo jemand eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff unterscheidet sich vom zivilrechtlichen dadurch, dass er nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen des Steuerpflichtigen, sondern auf die tatsächliche Gestaltung abstellt und damit an äußere Merkmale anknüpft. Subjektive Momente sind dabei unbeachtlich. Maßgebend sind der objektive Zustand, das Innehaben einer Wohnung und die Umstände, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Ist dieser Zustand objektiv gegeben, so ist ein entgegenstehender Wille des Steuerpflichtigen unbeachtlich (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs- BFH-, vgl. Urteil vom 24.04.1964 VI 236/62 U, BStBl. III 1964, 462; vom 23.11.1988 II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; Beschluss vom 05.11.2001 VI B 219/00, BFH/NV 2002, 311). Das Anknüpfen an objektive Merkmale ist im Hinblick auf § 38 AO geboten. Nach dieser Vorschrift entsteht der Steueranspruch allein dadurch, dass der gesetzliche Tatbestand verwirklicht wird ohne Rücksicht auf subjektive Momente (vgl. Kruse in Tipke/ Kruse, AO-Kommentar, § 8 Rz. 2). Der Steueranspruch entsteht ohne einen darauf gerichteten Willen des Steuerpflichtigen. Damit sind auch bei Begründung, Beibehaltung oder Aufhebung des Wohnsitzes subjektive Momente unbeachtlich. Soweit in tatsächlicher Hinsicht Zweifel am Vorliegen bestimmter wohnsitzbegründender Umstände bestehen, trägt die Feststellungslast für alle wohnsitzbegründenden Umstände derjenige, der sich auf das Vorhandensein des Wohnsitzes beruft (Buciek in Beermann/Gosch, AO-Kommentar, § 8 Rz. 11 mit weiteren Nachweisen - m.w.N. -).
a) Grundvoraussetzung eines Wohnsitzes ist damit das Vorhandensein einer Wohnung. Darunter sind Räumlichkeiten zu verstehen, die objektiv zum dauerhaften Wohnen geeignet und bestimmt sind. Sie müssen eine selbstständige Lebensführung ermöglichen, also so ausgestattet sein, dass sie ihren Bewohnern eine dauerhafte Bleibe bieten. Es genügt eine bescheidene Bleibe (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-Kommentar, § 8 Rz. 20). Eine abgeschlossene Wohnung i. S. d. Bewertungsgesetzes ist nicht erforderlich (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 8 Rz. 23). Darauf, ob die Räumlichkeiten mit eigenen oder fremden Möbeln und Gerätschaften ausgestattet sind, kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.1969 III R 95/68, BStBl. II 1970, 153). Es ist nur eine gewisse Mindestausstattung und – größe zu fordern. Dass die zur Verfügung stehende Fläche ein Übernachten ermöglicht, ist nicht ausreichend. Es muss vielmehr möglich sein, in der Räumlichkeit tatsächlich zu wohnen, was ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit voraussetzt (vgl. Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 8 Rz. 22 m.w.N.).
b) Weiter muss der Steuerpflichtige die Wohnung inne haben. Das Innehaben setzt voraus, dass er über die Wohnung jederzeit tatsächlich verfügen kann und er sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch in größeren Zeitabständen, aufsucht (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294 m.w.N.). Eine Mindestzahl an Aufenthaltstagen im Jahr ist insoweit nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 28.01.2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917); die Nutzung der Wohnung muss jedoch zu Wohnzwecken erfolgen und sie muss in Umfang und Regelmäßigkeit über gewöhnliche Ferien- und Erholungsaufenthalte hinausgehen (vgl. Buciek in Beermann/Gosch, a.a.O., § 8 Rz. 27 m.w.N.).
c) Das Innehaben muss unter Umständen geschehen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Maßgebend ist der objektive Zustand, das Innehaben der Wohnung unter Umständen, die den Schluss rechtfertigen, dass ihr Inhaber diese Wohnung für seine eigenen Zwecke beibehalten und benutzen wird (BFH-Urteil vom 23.11.2000, a.a.O.). Bei der hiernach erforderlichen Prognoseentscheidung müssen aus den äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das künftige Verhalten gezogen werden (Kruse in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 8 Rz. 9).
2. Der erkennende Senat ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des zu beurteilenden Sachverhalts der Auffassung, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Wohnung keinen inländischen Wohnsitz hatte. Bei Übertragung der oben dargestellten Grundsätze auf den Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 8 AO nicht vor.
a) Zwar werden die (Mindest-)Anforderungen, die das Gesetz und die dazu ergangene Rechtsprechung an das Vorliegen einer Wohnung knüpfen, vorliegend gerade noch erfüllt.
Das Zimmer ist mit einer Größe von 12-15 m² relativ klein bemessen; gleichwohl bietet der Raum ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit, die den Bewohnern ein über das bloße Übernachten hinausgehendes Verweilen ermöglicht. Auch das Fehlen eines eigenen Badezimmers sowie die einfache Ausstattung des Zimmers ändern nichts daran, dass es objektiv zum dauerhaften Wohnen geeignet war. Entsprechendes gilt für das Fehlen einer Küche bzw. Kochgelegenheit. Zwar wird teilweise in Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 02.04.1997 X R 141/94, BStBl. II 1997, 611; Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 03.05.1985 II (III) 271/82, EFG 1985, 483) und Literatur (Koenig in Pahlke-Koenig, AO-Kommentar, § 8 Rz. 9; Gersch in Klein, AO-Kommentar, § 8 Rz. 2) vertreten, eine Küche bzw. eine Kochgelegenheit sei für das Vorliegen einer Wohnung erforderlich. Insoweit folgt der Senat aber der herrschenden Meinung (Buciek in Beermann/ Gosch, a.a.O., § 8 Rz. 15; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 8 Rz. 23; Schwarz, AO-Kommentar, § 8 Rz. 6), die davon ausgeht, dass eine Wohnung im Sinne von § 8 AO das Vorhandensein von Küche/Kochgelegenheit nicht zwingend voraussetzt. Zum einen hält der Senat das Merkmal „Kochgelegenheit“ für die Bestimmung des Wohnungsbegriffs für ungeeignet. Es ist ohne großen Aufwand kurzfristig möglich - z.B. durch die Aufstellung einer Herdplatte, die an das herkömmliche Stromnetz angeschlossen werden kann oder eines Mikrowellengeräts - eine Kochgelegenheit zu schaffen. Somit hat es der Steuerpflichtige selber in der Hand, für eine Kochgelegenheit zu sorgen oder das nicht zu tun. Von dieser subjektiven Entscheidung darf aber die nach objektiven Kriterien vorzunehmende Beurteilung, ob Räumlichkeiten den Wohnungsbegriff erfüllen, nicht abhängen. Zum anderen ist ein Wohnen auch ohne das eigene Zubereiten von Speisen in der Wohnung denkbar (vgl. Buciek in Beermann/ Gosch, a.a.O., § 8 Rz. 15 und Schwarz, a.a.O., Rz. 6). So kann die Nahrungsaufnahme – wie im Streitfall - auch außer Haus, z.B. im Restaurant, erfolgen.
Die (abstrakte) Eignung des Zimmers zu Wohnzwecken zeigt sich auch daran, dass es nunmehr an eine Auszubildende vermietet ist, die den Raum dauerhaft zu Wohnzwecken nutzt. Jedenfalls genügte das Zimmer den Anforderungen an eine bescheidene Bleibe im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Vor diesem Hintergrund geht auch der Einwand des Klägers, das „Standby-Zimmer“ sei von seiner Art her weit unter dem Niveau, das ein …-Pilot als Wohnung wählen würde, ins Leere.
b) Es fehlt aber an einem Innehaben der Wohnung durch den Kläger. Die rechtliche Würdigung der Tatsache, dass das Zimmer von den Piloten größtenteils abwechselnd genutzt wurde, kann an dieser Stelle unterbleiben, weil das vorgenannte Tatbestandsmerkmal hier bereits aus anderen Gründen nicht erfüllt ist.
aa) Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger jederzeit über die Wohnung verfügen konnte. Dabei ist der Umstand von Bedeutung, dass das Zimmer im maßgeblichen Zeitraum mindestens in zwei Fällen von Gästen der Familie S zu Übernachtungszwecken genutzt wurde. Da die drei Piloten das „Standby-Zimmer“ zu dieser Zeit nicht benötigten, gab es tatsächlich keinen Konflikt hinsichtlich der Nutzung des Zimmers. Da § 8 AO eine abstrakte Verfügungsmöglichkeit über die Wohnung voraussetzt, ist es für die Beurteilung des Streitfalls aber von Interesse, ob die Piloten im Konfliktfall ein Recht auf die Nutzung des Zimmers gehabt hätten.
In dieser Hinsicht hat die Beweisaufnahme kein eindeutiges Ergebnis erbracht. So hat der Zeuge Z1 in der mündlichen Verhandlung bekundet, er sei davon ausgegangen, die Gäste der Familie S hätten im Konfliktfall hinter den Piloten zurücktreten und gegebenenfalls auf andere Schlafplätze ausweichen müssen. Bestätigt wird diese Einlassung durch die Aussage der Zeugin Frau S, die Gäste hätten nicht den Vorzug vor den Piloten bekommen. Dem steht die Aussage des Zeugen Herrn S entgegen, der sich dahingehend eingelassen hat, die Piloten hätten in dem Fall, dass Gäste der Vermieter das Zimmer benötigten, ausweichen müssen. Der Zeuge Herr S hat dazu weiter ausgeführt, dass das zu Beginn der Nutzung des Zimmers durch die Piloten mit diesen abgesprochen worden sei.
Aufgrund der sich widersprechenden Zeugenaussagen kann der Senat nicht zu der Überzeugung gelangen, der Kläger habe die jederzeitige Verfügungsmöglichkeit über das Zimmer gehabt. Dieses Ergebnis geht zu Lasten des Finanzamts, denn ihm obliegt, da es sich im Streitfall beim Wohnsitz um einen steuerbegründenden Umstand handelt, die Feststellungslast.
bb) Daneben fehlt es im Streitfall an einer tatsächlichen Nutzung des „Standby-Zimmers“ zu Wohnzwecken. Da schon begrifflich „wohnen“ mehr als nur „übernachten“ ist, kann von einer Nutzung zu Wohnzwecken nicht ausgegangen werden, wenn sich die Nutzung der Wohnung auf das reine Übernachten beschränkt (vgl. Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 8 Rz. 22). In diesem Kontext sind Ausstattung und die Art der tatsächlichen Nutzung geeignete Kriterien, um zu beurteilen, ob die Wohnung lediglich dem Übernachten dient oder ob sie eine darüber hinausgehende Funktion (Wohnen) erfüllt (BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; Buciek in Beermann/Gosch, a.a.O., § 8 Rz. 16). Das erkennende Gericht geht nach dem Gesamtbild der Verhältnisse davon aus, dass die „Wohnung“ lediglich Übernachtungszwecken diente. Dafür sprechen die kleine Fläche des Zimmers, dessen minimalistische Ausstattung sowie der Umstand, dass nur ein Gemeinschaftsbad, keine Küche und kein Kühlschrank vorhanden waren. Darüber hinaus wird diese Sichtweise auch durch die tatsächliche Nutzung des Zimmers durch den Kläger bestätigt. Dieser hat sich im Wesentlichen nur zum Übernachten in dem „Standby-Zimmer“ aufgehalten. Selbst während der „Standby-Dienste“, bei denen er sich im Raum A aufhalten musste, hat er sich - abgesehen von den Schlafenszeiten - nicht in dem streitgegenständlichen Zimmer, sondern am Flughafen A aufgehalten, wo er die Möglichkeit hatte, sich etwas zu essen zu kaufen. Diese Einlassung wird auch durch die Aussagen der Zeugen Z3, Frau S und Herrn S gestützt, die übereinstimmend bekundet haben, sie hätten den Kläger sowie die anderen beiden Piloten nur sehr selten zu Gesicht bekommen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung.
III. Die Revision war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 1. Alt. FGO). Dabei wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei diesem Verfahren um eines von drei Musterverfahren handelt, deren Ausgang für eine Vielzahl anderer bei den Finanzämtern anhängiger (ruhender) Verfahren, denen ein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde liegt, von Bedeutung ist.