26.11.2013
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 21.08.2013 – 1 K 87/12
1. Von der OSZE an Mitglieder einer
OSZE-Mission (sekundierte Position) gezahlte Tagegelder sind Einkünfte
aus unselbständiger Arbeit i. S. des DBA-Aserbaidschan.
2. § 50d Abs. 8 EStG wird im Hinblick
auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG
und die lex-posterior-Regel durch Regelungen eines später
erlassenen DBA verdrängt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung
von Tagegeldern für eine Feldoperation der Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Aserbaidschan.
Die Kläger, deutsche Staatsangehörige, sind
Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden und
im Streitjahr ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatten.
Vom ... 2008 bis zum ... 2009 nahm die Klägerin an einer
OSZE-Mission in Aserbaidschan als „Democratization Officer” in
Form einer sogenannten „sekundierten Position” teil.
Danach war die Klägerin in die Organisation der Mission
eingegliedert und unterlag den Weisungen der Mission. Die Klägerin erhielt
von der OSZE für diese Tätigkeit zur teilweisen
Kompensation von Lebenshaltungskosten in Aserbaidschan ein Tagegeld
für Unterkunft und Verpflegung („Board and Lodging
Allowance”, im Folgenden: BLA) im Jahr 2008 in Höhe
von insgesamt ... € direkt auf ihr Konto gezahlt. Des Weiteren
erhielt die Klägerin im Streitjahr für diese Tätigkeit
aufgrund einer Zuwendungsvereinbarung mit dem Auswärtigen
Amt einen pauschalierten Aufwandsersatz in Höhe von insgesamt
... €. Die Klägerin wendete für ihre
Tätigkeit im Streitjahr insgesamt ... € auf, u.
a. für Fahrten, Flüge, Visakosten, Miete.
Der Kläger und die ... Kinder der Kläger (geboren
am ...) besuchten die Klägerin in Aserbaidschan in der
Zeit vom ... 2008 bis zum ... 2008 sowie in der Zeit vom ... 2008
bis zum ... 2008. Die Klägerin hielt sich im Kalenderjahr
2008 ab dem 09.01.2008
länger als 183 Tage in Aserbaidschan auf.
Der Beklagte erließ am 15.02.2011 einen Einkommensteuerbescheid
für 2008, in dem er neben dem vom Auswärtigen
Amt gezahlten Betrag die von der OSZE gezahlten BLA als Einkünfte
aus nichtselbständiger Arbeit besteuerte und zugleich die
geltend gemachten Werbungskosten in Höhe von insgesamt
... € berücksichtigte. Am 03.03.2011 erließ der
Beklagte aus hier nicht streitigen Gründen einen geänderten
Einkommensteuerbescheid 2008 und setzte die Einkommensteuer auf
... € fest.
Am 11.03.2011 legten die Kläger Einspruch gegen den „Bescheid
für 2008 über Einkommensteuer ... vom 15.02.2011” ein.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012
zurück. Dabei wies der Beklagte darauf hin, dass der Einkommensteuerbescheid
vom 03.03.2011 den Bescheid vom 15.02.2011 ersetzt habe.
Am 20.04.2012 erhoben die Kläger Klage. Sie sind der
Auffassung, die von der OSZE gezahlten Tagegelder seien steuerfrei.
Es handele sich lediglich um den Ausgleich der Lebenshaltungskosten
der Klägerin. Da die Bundesrepublik Deutschland sich finanziell
an der OSZE beteilige, sei die Bundesrepublik Deutschland als inländischer
Arbeitgeber anzusehen. Im Übrigen habe die Klägerin
auf die Steuerfreiheit vertrauen können, da sie bereits
für das Jahr 2006 durch das seinerzeit zuständige
Finanzamt einen Steuerbescheid erhalten habe, der die Tagegelder
aus einer früheren OSZE-Mission steuerfrei behandelt habe. Auch
in den Jahren 2009 und 2010 seien die von der OSZE gezahlten Tagegelder
als steuerfrei in den Einkommensteuerbescheiden behandelt worden.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid vom 03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 20.03.2012 in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer auf
... € herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die von der OSZE gezahlten Tagegelder
seien steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger
Arbeit. Die Tagegelder seien nicht aufgrund zwischenstaatlicher
Vereinbarungen steuerfrei. Der Besteuerung stehe auch nicht das
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Aserbaidschan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Aserbaidschan, Bundesgesetzblatt
Teil II - BGBl II - 2005, 1146) entgegen, da der Bundesrepublik
Deutschland wegen der Rückfallklausel des § 50d
Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG) das Besteuerungsrecht
zustehe.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakte Bd. I und die Rechtsbehelfsakte Bd.
I des Finanzamtes Hamburg-1, jeweils zur Steuernummer.../.../...,
vorgelegen.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten
nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
I. Das Gericht entscheidet gemäß § 90a
Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.
II. Klagegegenstand ist der Einkommensteuerbescheid 2008 vom
03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012.
Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011 ersetzte den Einkommensteuerbescheid
vom 15.02.2011 und nahm dessen Regelungsgegenstand in sich auf.
Dem steht nicht entgegen, dass die Kläger Einspruch gegen
den Bescheid vom 15.02.2011 einlegten. Der Beklagte als Erklärungsempfänger
musste den Einspruch dahin verstehen, dass nach dessen objektivem
Erklärungswert der - jedenfalls aus Sicht des Beklagten
- allein existente Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011 überprüft
werden sollte (vergleiche - vgl. - auch Bundesfinanzhof - BFH -,
Urteil vom 19.06.1997 IV
R 51/96, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV
- 1998, 6). Der Beklagte hat den Einspruch ausweislich
der Einspruchsentscheidung auch in dieser Art und Weise verstanden.
III. Das Verfahren ist nicht im Hinblick auf das bei dem Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) anhängige Verfahren 2 BvL 1/12 (Vorlagebeschluss
des BFH vom 10.01.2012 I
R 66/09, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 236, 304)
gemäß § 74 FGO auszusetzen.
Das dortige Verfahren ist für den hier zu entscheidenden
Fall nicht vorgreiflich. Dort setzte sich § 50d Abs. 8
EStG in der Fassung (i. d. F.) des Art. 1 Nr. 32 Buchstabe b des
Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz
2003 - StÄndG 2003) vom 15.12.2003 (Bundesgesetzblatt Teil
I - BGBl I - 2003, 2645) über das bereits zuvor mit der
Republik Türkei im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich
vereinbarte und national umgesetzte Konzept einseitig hinweg. § 50d
Abs. 8 EStG trat
am 20.12.2003 in Kraft (Art. 25 Abs. 1 StÄndG 2003;
Verkündung am 19.12.2003) und war erstmals für
den Veranlagungszeitraum 2004 anzuwenden (§ 52 Abs. 1 i.
d. F. des StÄndG 2003), also erst nach der Umsetzung des
DBA-Türkei in nationales Recht (sogenanntes „treaty
override”, vgl. BFH-Beschluss vom 10.01.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304).
Anders verhält es sich im hiesigen Fall. Hier liegt kein „treaty
override” im eben beschriebenen Sinn vor. § 50d
Abs. 8 EStG war bereits anzuwenden, als das DBA-Aserbaidschan am
28.12.2005 in Kraft trat (BGBl II 2006, 120).
IV. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Einkommensteuerbescheid vom 03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 20.03.2012 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Kläger
in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Einkünfte
der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit sind
in Höhe von insgesamt ... € anzusetzen sowie steuerfreie
Einkünfte der Klägerin in Höhe von insgesamt
... € in die Berechnung des Steuersatzes einzubeziehen.
Nur die Zahlungen des Auswärtigen Amtes sind steuerpflichtige
Einnahmen der Klägerin. Die Tagegelder der OSZE sind hingegen
von der Besteuerung auszunehmen, jedoch im Rahmen des Progressionsvorbehalts
zu berücksichtigen. Die gesamten Werbungskosten der Klägerin
für ihre Tätigkeit sind auf die steuerfreien und
die steuerpflichtigen Einnahmen aufzuteilen.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
1. Die Zahlungen, die die Klägerin
von dem Auswärtigen Amt in Höhe von insgesamt
... € erhielt, sind steuerpflichtige Einnahmen gemäß § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Dies ist zwischen den Beteiligten im Hinblick
auf das ihnen bekannte Urteil des BFH vom 20.08.2008 I R 35/08 (BFH/NV
2009, 26), auf das sich der Senat zur Begründung
bezieht, unstreitig.
2. Die von der OSZE gezahlten BLA in Höhe
von insgesamt ... € sind gemäß Art. 23
Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan von der Bemessungsgrundlage
der deutschen Steuer auszunehmen.
a) Die Klägerin ist eine im Sinne des DBA-Aserbaidschan
in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Person. Selbst
wenn die Klägerin nach dem Recht der Republik Aserbaidschan
dort aufgrund eines Wohnsitzes oder eines ständigen Aufenthalts
steuerpflichtig ist (Art. 4 Abs. 1 DBA-Aserbaidschan), gilt die
Klägerin jedenfalls nach Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Aserbaidschan
als eine nur in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Person,
da wegen des Verbleibens ihrer Familie in der Bundesrepublik Deutschland
im Streitjahr der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in der Bundesrepublik
Deutschland lag.
b) Die Bundesrepublik Deutschland hat die BLA gemäß Art.
23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan freizustellen. Danach
werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte
aus der Republik Aserbaidschan ausgenommen, die nach diesem Abkommen
in der Republik Aserbaidschan besteuert werden können und
nicht unter Art. 23 Abs. 1 Buchstabe b DBA-Aserbaidschan fallen.
aa) Die BLA können nach dem DBA-Aserbaidschan in der
Republik Aserbaidschan besteuert werden. Es handelt sich hierbei
um Vergütungen für eine unselbständige
Arbeit, die infolge der Ausübung der Tätigkeit
in der Republik Aserbaidschan besteuert werden können (Art.
15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Aserbaidschan).
(1) Es handelt sich nicht um Vergütungen im Sinne des
Art. 19 DBA-Aserbaidschan (Öffentlicher Dienst), der Art.
15 DBA-Aserbaidschan vorgeht (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Aserbaidschan).
Gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchstabe a DBA-Aserbaidschan
können Vergütungen, ausgenommen Ruhegehälter,
die von einem Vertragsstaat, einem seiner Länder oder einer
ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen
Person des öffentlichen Rechts dieses Staates an eine natürliche
Person für die diesem Staat, einem seiner Länder,
einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen
Person des öffentlichen Rechts geleisteten Dienste gezahlt
werden, nur in diesem Staat besteuert werden.
Die OSZE ist hiervon nicht erfasst. Denn die OSZE ist eine verstetigte
Staatenkonferenz ohne eigene Völkerrechtssubjektivität
(vgl. Evers/Kahl/Zellner, The Culture of Dialogue.
The OSCE Aquis 30 Years after Helsinki, Hamburg 2005, S. 53, http://www.core-hamburg.de/documents/30Years_OSCE_Booklet.pdf).
Ebenso wenig ist Art. 19 Abs. 4 DBA-Aserbaidschan für
die BLA einschlägig. Denn gemäß Art.
19 Abs. 4 DBA-Aserbaidschan gilt ein ausschließliches Besteuerungsrecht
für die Bundesrepublik Deutschland nur dann, wenn die BLA
im Rahmen eines Programms der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eines
Vertragsstaats aus Mitteln, die ausschließlich von diesem
Staat bereitgestellt werden, an Fachkräfte gezahlt werden,
die in den anderen Vertragsstaat (hier: Republik Aserbaidschan)
mit dessen Zustimmung entsandt worden sind. Indes sind die Tagegelder
nicht aus Mitteln gezahlt, die ausschließlich seitens der
Bundesrepublik Deutschland bereitgestellt werden (Kostenbeteiligung
Deutschlands an der OSZE: 9,35 %; vgl. OSZE-Jahrbuch 2008,
S. 431, http://www.core-hamburg.de/documents/jahrbuch/08/1Staaten2008.pdf.).
(2) Die Klägerin übt eine unselbständige
Arbeit im Sinne des Art. 15 DBA-Aserbaidschan in der Republik Aserbaidschan
aus, da sie in die Organisation der OSZE-Mission eingegliedert ist
und den Weisungen der Mission unterliegt. Zwar enthält
das DBA-Aserbaidschan selbst keine Definition des Begriffs der unselbständigen
Arbeit. Allerdings ist in Abgrenzung zu Art. 14 DBA-Aserbaidschan
(Selbständige Arbeit) und gemäß Art.
3 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan unter Rückgriff auf das nationale
deutsche Recht (Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA
Art. 15 Randziffer - Rz. - 53) unter einer unselbständigen
Arbeit eine Tätigkeit zu verstehen, bei der die tätige Person
einem anderen ihre Arbeitskraft schuldet. Dies ist insbesondere
der Fall, wenn die Person - wie im Streitfall - im geschäftlichen
Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet
ist (vgl. auch § 1 Abs. 2 Satz 2 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung
- LStDV -, BGBl
I 1989, 1848).
(3) Die Klägerin bezieht die BLA als eine den Gehältern ähnliche
Vergütung aus unselbständiger Arbeit. Mangels
ausdrücklicher Definition des Begriffs „Vergütungen” in
dem DBA-Aserbaidschan greift über Art. 3 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan
ergänzend das nationale deutsche Recht ein (Wassermeyer/Schwenke
in Wassermeyer, MA Art. 15 Randziffer - Rz. - 54). Die BLA sind Vergütungen,
die die Klägerin für ihre Beschäftigung
bei der OSZE erhalten hat (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 EStG). Denn die Tagegelder sind durch das Beschäftigungsverhältnis
der Klägerin mit der OSZE veranlasst und als Entlohnung
für das Zurverfügungstellen der individuellen
Arbeitskraft der Klägerin zu verstehen. Dem steht nicht
entgegen, dass die BLA die Lebenshaltungskosten in der Republik
Aserbaidschan teilweise kompensieren sollten. Es kommt nicht darauf
an, ob mit der Zuwendung gleichzeitig soziale oder sonstige Ziele
verfolgt werden (Krüger, in Schmidt, EStG, 32. Auflage
- Aufl. - 2013, § 19 Rz. 45).
bb) Die Bundesrepublik Deutschland hat kein ausschließliches
Besteuerungsrecht für diese Vergütungen gemäß Art.
15 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan. Ein ausschließliches Besteuerungsrecht
scheitert schon daran, dass die Klägerin sich im Jahr 2008
- anders als in Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Aserbaidschan verlangt
- länger als 183 Tage in Aserbaidschan aufhielt.
cc) Die BLA fallen nicht unter die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe
b DBA-Aserbaidschan genannten Einkünfte. Insbesondere handelt
es sich nicht um Einkünfte, die nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Aserbaidschan
in der Republik Aserbaidschan besteuert werden können,
da die Klägerin nicht im Rahmen gewerbsmäßiger
Arbeitnehmerüberlassung in der Republik Aserbaidschan tätig
ist.
3. Der Steuerfreistellung der BLA steht § 50d
Abs. 8 EStG im Streitfall nicht entgegen.
a) Gemäß § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG
wird die Freistellung ungeachtet des Abkommens nur gewährt,
soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach
dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht
verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte
festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Einen solchen Nachweis
hat die Klägerin nicht erbracht. Es ist auch nicht ersichtlich,
dass es der Klägerin unmöglich oder unzumutbar
gewesen wäre, die Nachweise zu erbringen.
b) Im Streitfall verdrängen die durch das Zustimmungsgesetz
zum DBA-Aserbaidschan in nationales Recht überführten
Regelungen allerdings die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG.
aa) Es besteht zwischen § 50d Abs. 8 EStG und der Regelung
des Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan eine Gesetzeskonkurrenz,
da § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter bestimmten - im Streitfall
vorliegenden - Voraussetzungen, die nach dem Abkommen gewährte
Freistellung ausschließt.
Beide Regelungen sind „normenhierarchisch” gleichrangig.
DBA werden als völkerrechtliche Verträge gemäß Art.
59 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) mittelbar in Form eines Zustimmungsgesetzes
in der Bundesrepublik Deutschland angewendet. Hierdurch erhält
das Abkommen innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.
Der innerstaatliche Gesetzgeber ist im Prinzip frei darin, im Zustimmungsgesetz
Vorbehalte gegenüber der Anwendung bestimmter Abkommensvorschriften
zu verankern (BFH-Beschluss vom 10.01.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304 mit
weiteren Nachweisen - m. w. N. -).
bb) Die Gesetzeskonkurrenz ist im Streitfall zugunsten der Abkommensregelung
zu lösen.
Zwar enthält § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausdrücklich
eine Regelung, die einen Vorrang der Vorschrift im Verhältnis
zum Abkommen begründen kann („ungeachtet des Abkommens”).
Es ist allerdings dem Wortlaut des § 50d Abs. 8 Satz 1
EStG nicht eindeutig und zwingend zu entnehmen, dass dieser Vorrang
auch DBA erfassen soll, die nach Erlass des § 50d Abs.
8 Satz 1 EStG in Kraft getreten sind. Dies ergibt sich auch aus
nachfolgenden DBA, die teilweise - wie im Streitfall - keinen Vorbehalt
zur Anwendung der Freistellungsmethode enthalten, teilweise jedoch
die Anwendung der Freistellungsmethode von der tatsächlichen
Besteuerung im Ausübungsstaat abhängig machen
(so beispielsweise Art. 22 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Bulgarien, BGBl II 2010,
1286; Art. 22 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Ungarn, BGBl II 2011,
919; Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Großbritannien, BGBl II 2010,
1333).
Die Konkurrenz der Regelungen in § 50d Abs. 8 EStG und
Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan ist im Hinblick
auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG
und die Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel des Vorrangs des
späteren Gesetzes (lex-posterior-Regel) zugunsten des in
die nationale Regelung umgesetzten DBA-Aserbaidschan zu lösen.
Im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ist
das GG nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt
mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik
Deutschland nicht entsteht (BVerfG-Beschluss vom 14.10.2004 2 BvR 1481/04,
Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE - 111, 307). Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit
des GG folgt die für alle Staatsorgane geltende Pflicht,
die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen
zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen
(BVerfG-Beschluss vom 26.10.2004 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, BVerfGE 112,
1; vgl. allgemein zur Berücksichtigung der Völkerrechtsfreundlichkeit
des GG Gosch, in: Kirchhof, EStG, 12. Aufl. 2013, § 50d
Rz. 25; Gosch, Internationales Steuerrecht - IStR - 2008, 413,
419; des Weiteren BFH-Beschluss vom 10.01.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304 mit
weiteren Nachweisen - m. w. N. -). Dies gilt erst recht für
die Auslegung von im Rang unter dem GG stehenden Bundesgesetzen
und damit auch für die Auslegung des Anwendungsbereichs
des § 50d Abs. 8 EStG.
Die völkerrechtsfreundliche Auslegung ist auch bei der
Anwendung allgemeiner Auslegungsregeln zur Lösung von Gesetzeskonkurrenzen
(lex specialis und lex posterior) zu beachten. Dabei hilft allerdings
die „lex-specialis-Regel” nicht weiter. Sie ist
hier nicht zielführend, da - je nach Sichtweise - entweder
die nationale Norm aufgrund der Regelung eines besonderen Sachverhalts
oder aber die Abkommensregelung aufgrund der Regelung im Verhältnis
zu einem bestimmten Staat als spezielleres Gesetz angesehen werden kann
(vgl. hierzu Rust/Reimer, IStR 2005, 843, 845). Im Übrigen
ist schon fraglich, ob die Abkommensregelung nicht schon als lex
aliud und nicht als lex specialis zu verstehen ist, weil Abkommen
die Besteuerungsrechte der nationalen Staaten beschränken
und deshalb einen anderen Regelungsgegenstand haben (Musil, in:
Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung
- AO -/FGO, Stand: September 2012, § 2 AO Rz.
165). Im Streitfall ist die „lex-posterior-Regel” unter
Berücksichtigung der völkerrechtsfreundlichen
Auslegung heranzuziehen, die hier den Vorrang der Abkommensregelung
begründet (weitergehend Rust/Reimer, IStR 2005, 843,
845 ff., die einen Rückgriff auf die allgemeinen
Grundsätze von lex specialis und lex posterior für nicht
notwendig erachten).
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall § 50d
Abs. 8 Satz 1 EStG nicht anzuwenden. Denn der Gesetzgeber hat sich
bei Überführung des DBA-Aserbaidschan in nationales
Recht dafür entschieden, die Freistellung der hier in Rede
stehenden Einkünfte nicht von besonderen Nachweisvoraussetzungen
abhängig zu machen. Die Regelung des § 50d Abs.
8 Satz 1 EStG war schon bei Abschluss des DBA-Aserbaidschan in Kraft
und dem deutschen Gesetzgeber bewusst. Dennoch enthält
das DBA-Aserbaidschan keine eigenen, dem § 50d Abs. 8 Satz
1 EStG entsprechende oder auf diesen verweisende Vorschriften bzw.
bestimmt keinen entsprechenden Vorbehalt zu Gunsten des nationalen
Rechts (vgl. auch Lüdicke, Überlegungen zur deutschen
DBA-Politik, S. 38; vgl. auch jetzt Art. 22 Abs. 1 Buchstabe e Doppelbuchstabe
bb der Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen
im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen, Stand:
17.04.2013, http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Internationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2013-04-17-Verhandlungsgrundlage-DBA-deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=5;
vgl. auch zur Vereinbarung von „Subject-to-tax-Klauseln” in
anderen Abkommen Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger,
Deutsche Abkommenspolitik, Schrift des Instituts Finanzen und Steuern
- IFSt - Nr. 480 [2012], S. 41 f.).
Soweit vertreten wird, dass § 50d Abs. 8 EStG auch ein
später in Kraft getretenes DBA verdrängt (z. B.
Musil, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,
AO/FGO, Stand: September 2012, § 2 AO Rz. 169,
175; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand:
Mai 2011, § 2 AO Rz. 38; Frotscher, EStG, Stand: September
2012, § 50d Rz. 5, 11), ist dem aufgrund der obigen Ausführungen
nicht zu folgen.
4. Gemäß § 32b
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind steuerfreie Einkünfte der
Klägerin aus ihrer Tätigkeit für die
OSZE in Höhe von ... € bei der Berechnung des besonderen
Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat in dieser Höhe Einkünfte
bezogen, die nach einem DBA steuerfrei sind (§ 32b Abs.
1 Satz 1 Nr. 3 EStG). Die Ermittlung der Einkünfte, die
nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG steuerfrei sind, erfolgt
nach deutschem Recht, hier durch Überschuss der Einnahmen über
die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG).
Danach sind die BLA als Einnahmen zu berücksichtigen.
Denn nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe d DBA-Aserbaidschan behält
die Bundesrepublik Deutschland das Recht, diese Einnahmen bei der
Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigten.
Von den BLA in Höhe von ... € sind anteilige
Werbungskosten in Höhe von ... € abzuziehen.
Die von der Klägerin geltend gemachten Werbungskosten
sind gemäß § 3c Abs. 1 EStG auf die steuerfreien
und die steuerpflichtigen Einkünfte der Klägerin
aufzuteilen. Der auf die steuerfreien Einnahmen entfallende Teil der
Werbungskosten ist nach dem Verhältnis zu bemessen, in
dem die steuerfreien Einnahmen zu den steuerpflichtigen Einnahmen
der Klägerin aus derselben Tätigkeit stehen. Es
lässt sich nicht eindeutig feststellen, dass die Werbungskosten
allein durch die Erzielung der nach DBA-Aserbaidschan steuerfreien
BLA oder allein durch die steuerpflichtigen Zahlungen des Auswärtigen
Amtes veranlasst sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 26.03.2002 VI R 26/00, BFHE 198, 545,
Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2002, 823; BFH-Urteil vom
11.02.2009 I R 25/08, BFHE 224, 498, BStBl II 2010,
536).
Der Anteil der steuerfreien Einnahmen (... €) an den
Gesamteinnahmen (... € = ... € + ... €)
beträgt 54,12 %. Danach entfällt von
den insgesamt geltend gemachten Werbungskosten in Höhe
von ... € auf die steuerfreien Einnahmen ein Betrag in
Höhe von ... € (= 54,12 % von
... €) und auf die steuerpflichtigen Einnahmen ein Betrag
in Höhe von ... € (= 45,88 % von
... €).
5. Auf die Frage, ob die Tagegelder nach inländischem
deutschem Recht steuerfrei sind, kommt es nach dem Vorstehenden
nicht an.
6. Die Klägerin kann sich nicht mit
Erfolg darauf berufen, dass in anderen Veranlagungszeiträumen
die BLA insgesamt steuerfrei gestellt wurden. Dem steht schon das
Prinzip der Abschnittsbesteuerung entgegen. Ebenso wenig liegen
die Voraussetzungen eines Vertrauensschutzes der Klägerin
nach § 176 AO vor. Es ist nicht ersichtlich, dass sich
die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert
hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde
angewandt worden ist (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Eine
Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen Berücksichtigung
von Tagegeldern der OSZE bestand bisher nicht.
7. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 ist danach
in der Weise zu ändern, dass nunmehr Einkünfte
der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit in
Höhe von insgesamt ... € (Einnahmen: ... €;
Werbungskosten: ... €) anzusetzen sowie steuerfreie Einkünfte
der Klägerin in Höhe von insgesamt ... € (= ... € -
... €) in die Berechnung des Steuersatzes nach § 32b
EStG einzubeziehen sind.
Die Berechnung wird gemäß § 100 Abs.
2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision ist gemäß § 115 Abs.
2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da das
Verhältnis zwischen § 50d Abs. 8 EStG und einem später
in Kraft getretenen DBA durch den BFH noch nicht geklärt
ist.