28.03.2007 · IWW-Abrufnummer 071163
Bundesfinanzhof: Urteil vom 25.10.2006 – I R 18/04
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
I R 18/04
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Auslegung von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 --DBA-Schweiz 1992-- (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928).
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wohnte in den Streitjahren (1997 bis 2000) in Deutschland und wurde für diese Jahre zusammen mit seiner während des Revisionsverfahrens verstorbenen Ehefrau (E) zur Einkommensteuer veranlagt. Er ist gemeinsam mit der Revisionsbeklagten Erbe der E.
In den Streitjahren erzielte der Kläger als Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft (nachfolgend: X-GmbH) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Zudem war er Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft (nachfolgend: A-AG) samt ihrer --wie es in dem betreffenden Arbeitsvertrag heißt-- "Tochter-Konzernstrukturen" sowie einer weiteren GmbH, allesamt mit Sitz in der Schweiz. Für die schweizerischen Gesellschaften war der Kläger seinem Arbeitsvertrag zufolge im Durchschnitt an 2 bis 3 Arbeitstagen pro Woche tätig; vertraglich vereinbarter Arbeitsort war der Sitz der schweizerischen Gesellschaften. Der Kläger verfügte über eine Mietwohnung in der Schweiz, die wenige Kilometer vom Sitz der schweizerischen Gesellschaften entfernt war; nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) übernachtete er dort, wenn er berufsbedingt nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurückkehren konnte. Einer Bestätigung der Gemeinde B/Schweiz zufolge wurden die schweizerischen Einkünfte des Klägers in der Schweiz deklariert und besteuert.
Mit den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragte der Kläger, seinen Arbeitslohn als Geschäftsführer der schweizerischen Gesellschaften von der Einkommensteuer freizustellen und nur dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erfasste jedoch 50 v.H. jener Einkünfte als im Inland steuerpflichtigen Arbeitslohn. Er begründete dies unter Hinweis auf § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) damit, dass der Kläger keinen Nachweis über den Ort seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der schweizerischen Gesellschaften erbracht habe.
Die dagegen gerichtete Klage war in diesem Punkt erfolgreich. Das FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, entschied, dass die streitigen Einkünfte nach Art. 15 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen seien, ohne dass es hierfür auf den tatsächlichen Tätigkeitsort des Klägers ankomme. Sein Urteil vom 10. Dezember 2003 12 K 172/01 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 870 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA --unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 7. Juli 1997 (BStBl I 1997, 723)-- eine Verletzung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Revisionsbeklagte beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Das BMF ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Anträge hat es nicht gestellt.
Während des Revisionsverfahrens sind die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 geändert worden, und zwar durch Bescheide vom 12. April 2005. Diese sind am 13. Mai 2005 mit der Maßgabe aufgehoben worden, dass an ihre Stelle die Einkommensteuerbescheide treten, die Gegenstand des FG-Urteils sind.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Feststellungen lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Arbeitslohn des Klägers nach dem DBA-Schweiz 1992 in Deutschland besteuert werden darf oder nicht.
1. Nach den Feststellungen des FG hatte der Kläger in den Streitjahren einen Wohnsitz im Inland. Er war mithin nach § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig mit der Folge, dass er mit allen im Streitjahr erzielten Einkünften der Einkommensteuer unterlag. Ferner ist das FG ersichtlich davon ausgegangen, dass der Kläger aus abkommensrechtlicher Sicht in Deutschland ansässig war (Art. 4 DBA-Schweiz 1992); diese Einschätzung wird erkennbar von den verfahrensbeteiligten Finanzbehörden geteilt.
2. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992 werden bei einer in Deutschland ansässigen Person aus der Schweiz stammende Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1992, soweit sie nicht unter Art. 17 DBA-Schweiz 1992 fallen, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen, wenn sie in der Schweiz besteuert werden können und die Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird. Ob diese Regelung im Streitfall eingreift, lässt sich anhand der vom FG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
a) Nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 kann eine natürliche Person, die in Deutschland ansässig, aber als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist, mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit grundsätzlich in der Schweiz besteuert werden. Diese Regelung gilt jedoch nur vorbehaltlich verschiedener anderer Bestimmungen, u.a. des Art. 15a DBA-Schweiz 1992. Deshalb dürfen, wenn die betreffende Person Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1992 ist, die von ihr bezogenen Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen in Deutschland besteuert werden (Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992).
b) Das FG hat ausgeführt, dass es sich bei dem Kläger in den Streitjahren "unstreitig um keinen Grenzgänger nach Art. 15a DBA-Schweiz gehandelt hat". Es hat jedoch zu dieser Frage keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen.
aa) Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1992 ist jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1992). Bei einer in Deutschland ansässigen und in der Schweiz arbeitenden Person entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Tagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz in Deutschland zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Ergänzend dazu bestimmt Nr. II.4. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929), dass bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise im anderen Staat beschäftigt ist, die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzen ist (s. dazu auch Brandis in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15a DBA-Schweiz Rz. 48). Diese Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 (Senatsurteile vom 16. Mai 2001 I R 100/00, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633; vom 15. September 2004 I R 67/03, BFHE 207, 452, m.w.N.).
bb) Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger in den Streitjahren eine Wohnung in der Schweiz besessen, die nur wenige Kilometer vom Sitz der schweizerischen Gesellschaften entfernt war und in der er "an den berufsbedingten Nichtrückkehrtagen übernachtet" hat. Zur Zahl jener Übernachtungen enthält das angefochtene Urteil jedoch keine Angaben. Insbesondere lässt es nicht erkennen, ob die Anzahl der arbeitsbedingten Nichtrückkehrtage die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 festgelegte und im Fall des Klägers proportional zu kürzende (Nr. II.4. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll in BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929) Grenze überschreitet. Damit lässt es eine Antwort auf die Frage, ob der Kläger Grenzgänger war, nicht zu.
cc) Die Entscheidung über das Besteuerungsrecht Deutschlands hängt jedoch von dieser Antwort ab. Denn wenn und soweit der Kläger Grenzgänger war, unterliegt sein gesamtes Arbeitseinkommen der deutschen Besteuerung; in diesem Fall wäre --ggf. im Hinblick auf einzelne Streitjahre-- in den angefochtenen Bescheiden die Einkommensteuer zu niedrig festgesetzt und die Klage deshalb --ggf. teilweise-- abzuweisen. Die Steuer für diejenigen Streitjahre, in denen der Kläger kein Grenzgänger war, ist hingegen antragsgemäß herabzusetzen. Dazu verweist der Senat auf sein (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmtes) Urteil vom heutigen Tag in der Sache I R 81/04.
3. Die hiernach fehlenden tatsächlichen Feststellungen können im Revisionsverfahren nicht getroffen werden. Daher sind zu diesem Zweck das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).