11.07.2014 · IWW-Abrufnummer 142079
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 31.01.2014 – 1 K 3117/12 U
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um das Vorliegen der Voraussetzungen für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen des Klägers in den Jahren 2001-2004.
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Der Kläger betrieb in den Streitjahren eine Großhandel mit Haushaltswaren (Kochtopfsets, Bestecksets, Messerblöcke und- koffer, Gläser und Porzellan), Sonderposten und Fotoartikeln als Einzelunternehmer (lt. Gewerbeummeldung vom 9.3.1999) mit angemeldetem Sitz in Deutschland.
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Mit notariellem Gesellschaftsvertrag vom 24.06.2005 (Eintragung ins Handelsregister am 15.08.2005,) gründete er als Alleingesellschafter-Geschäftsführer eine GmbH mit Sitz in Deutschland, die die Tätigkeit des Einzelunternehmens fortführte.
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In den Umsatzsteuerjahreserklärungen der Streitjahre erklärte er u.a. steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Hauptabnehmer dieser innergemeinschaftlichen Lieferungen war die in Italien ansässige Firma Y. Diese wurde am 28.02.2000 gegründet.
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Auch die GmbH fakturierte in den Jahren 2006 und 2007 an Y innergemeinschaftliche Lieferungen.
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Im Einzelnen fakturierte der Kläger in den Streitjahren Warenlieferungen an Y in folgender Höhe als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung:
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2001
2002
2003
2004
1.646.596,00 DM
916.615,35 €
3.093.324,90 €
1.794.830,80 €
9
Den Belegnachweis führte er durch (internationale) Frachtbriefe bzw. CMR-Frachtbriefe (Bd. 2b der BP-Handakte und Bl. 54, 56, 58, 60, 63, 65, 67, 69, 71, 74, 79 d.A.).
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Im Rahmen einer beim Kläger durch den Beklagten für die Veranlagungszeiträume 2001-2004 durchgeführten Außenprüfung wurden u.a. diese Lieferungen aufgegriffen.
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Der Kl äger legte dem Betriebsprüfer ein Anschreiben seiner damaligen steuerlichen Beraterin an ihn selbst vor, welchem diese als Anlage eine handschriftliche Auflistung sämtlicher an Y in den Streitjahren erteilten Rechnungen (Rechnungsbetrag, Rechnungsnummer und Rechnungsdatum) beigefügt hatte (Bl. 62-77 der BP Handakte Bd. 2a) und in dem sie den Kläger bat, sich schnellstmöglich den Erhalt und den Verbleib der Waren in Italien von Y bestätigen zu lassen. Dieses Anschreiben sowie jede einzelne Seite der Anlagen ist mit einem Stempel versehen, der den Namen und die Anschrift von Y enthält. Auf dem Stempel befindet sich eine nicht leserliche Unterschrift.
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Weiterhin legte der Kläger ein Fax vom 7. Mai 2007 vor, welches als Anlage die „Elenco riepilogativo degli acquisti intracomunitari die beni“ (Zusammenfassende Erklärung über den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gütern) der Y an das „Ministero delle Finanze“ für die Zeiträume 2/2002, 4/2002, 3/2003, 6/2003, 7/2003, 8/2003, 9/2003, 10/2003 und 11/2003 (Bl. 116-135 der BP Handakten Bd. 2a) enthält. In diesen ist mehrfach die USt-ID.Nr. des Klägers enthalten.
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Im Prüfungsbericht vom 16.8.2007 (Bl. 36 ff. d.A.) wurden durch die Außenprüfung u.a. folgende Feststellungen getroffen:
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In einigen Fällen hätten keine CMR Frachtbriefe vorgelegen. Im Jahr 2002 seien davon Lieferungen i.H.v. 11.723,70 € und im Jahr 2003 i.H.v. 370.591 € betroffen.
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Des Weiteren mangele es an einer Versicherung des Abnehmers oder des Beauftragten des Abnehmers, dass die Ware in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert werde. Aus den vorgelegten CMR Frachtbriefen könne eine solche „Versicherung“ nicht entnommen werden. Auch die zwischenzeitlich von der Klägerin vorgelegte Erklärung des Y, sowie die vorgelegten Nachweise des „Ministero delle Finanze“ könnten im Nachhinein nach der derzeit geltenden Rechtslage nicht zu einer Steuerbefreiung führen.
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Generell werde weder der Bestimmungsort der Waren noch deren handelsübliche Bezeichnung benannt. Als Auslieferungsort seien z.T. Orte in Deutschland aufgeführt gewesen.
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Zudem würden diverse Frachtbriefe weitere Mängel aufweisen: so sei der Übernehmer der Ware anhand der Unterschriften bzw. Namenszeichen nicht immer identifizierbar und die Unterschriften von Frachtführer und/oder Empfänger fehlten.
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Wie und wann die an verschiedenen hintereinander liegenden Tagen von Y empfangene Ware transportiert worden sei, bleibe ebenfalls ungeklärt. Es sei somit ernstlich zweifelhaft, dass die Waren tatsächlich in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt seien.
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Der Beklagte schloss sich den Feststellungen der Außenprüfung an und erließ am 17.10.2007 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide 2001-2004, in denen unter anderem die bislang als steuerfrei behandelten Lieferungen der Umsatzsteuer unterworfen wurden (Umsatzsteuererhöhung 2001 um 227.116,69 DM, 2002 um 126.429,70 €, 2003 um 426.665,48 € und 2004 um 237.907,69 €).
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Gegen die Änderungsbescheide wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 24.10.2007.
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Zur Begründung trug er vor, der erforderliche Belegnachweis sei vollständig erbracht worden. Y habe eine Aufstellung sämtlicher Lieferungen erhalten und bestätigt, dass diese Ware vollständig nach Italien ausgeführt worden und dort verblieben sei. Eine nachträgliche Bestätigung reiche nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aus.
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Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung erstellte am 8.6.2011 einen Bericht über die steuerlichen Feststellungen bei der GmbH, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Vorhefter der USt-Akte). Ein gesonderter Bericht für den Kläger wurde nicht erstellt.
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Die Ermittlungen resultierten neben den Feststellungen der deutschen Behörden auch aus den Feststellungen der niederländischen Ermittlungsbehörden im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens durch den Oberstaatsanwalt.
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Nach dem Ergebnis der Ermittlungen stehe fest, dass der Kläger Billigartikel aus China importiert und über Straßenhändler international unter Vorspiegelung falscher Qualitätsstandards veräußert habe. Zur Verschleierung eines letztlich unversteuerten Letztverbrauchs habe er Lieferketten über Gemeinschaftsgrenzen konstruiert, an deren Ende der Verbleib der Waren nicht mehr feststellbar gewesen sei.
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Y habe italienischen Ermittlungen zufolge ihren innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt, gleichzeitig aber auch wieder innergemeinschaftliche Lieferungen an eine spanische Firma T und eine französische Firma S erklärt. T sei nicht auffindbar gewesen. S sei bereits im Mai 2001 aus dem französischen Handelsregister gelöscht worden.
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Der Buchhalter des Klägers, habe in dem niederländischen Ermittlungsverfahren ausgesagt, falsche Rechnungen und Transportdokumente auf Anweisung des Klägers ausgefertigt zu haben. Entsprechende Lieferungen hätten nie stattgefunden.
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Soweit Transporte hätten rekonstruiert werden können, sei die Ware in keinem Fall zu der im Frachtbrief genannten Empfängeradresse gelangt.
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Frachtbriefe der GmbH an Y nach Italien würden nicht mit den in Italien erhobenen Frachtbriefen über dieselben Transporte übereinstimmen, da in letzteren nicht Y, sondern T als Empfänger genannt sei.
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Gleichartige Feststellungen seien auch zu den innergemeinschaftlichen Lieferungen des Einzelunternehmens des Klägers getroffen worden.
30
Mit Einspruchsentscheidung vom 24.7.2012 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück.
31
Zur Begründung verwies er auf die Ausführungen im Bericht über die Steuerfahndungsprüfung vom 8.6.2011.
32
Die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung seien im Streitfall nicht gegeben. Zwar seien zu den Lieferungen nach Italien Frachtbriefe vorgelegt worden. Diese hätten jedoch nach den Feststellungen der deutschen und der niederländischen Finanzbehörden keine Aussagekraft, da über dieselben Transporte Frachtbriefe mit unterschiedlichen Angaben gefertigt worden sein. Gegenüber den niederländischen Behörden habe der Buchhalter des Klägers bestätigt, falsche Rechnungen und Transportdokumente ausgestellt zu haben. Entsprechende Lieferungen sei nicht ausgeführt worden.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 21.08.2012 erhobenen Klage.
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Zur Begründung trägt er vor, der Transport der Waren nach Italien sei in Regel mit vom Abnehmer bereitgestellten LKW, in Einzelfällen auch mit vom Kläger eingesetzten Fahrzeugen erfolgt.
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Der Kläger habe den Belegnachweis bei allen Lieferungen an den Abnehmer Y mittels eines Doppels der Rechnung und handelsüblichen Frachtbriefen erbracht. Aus den Rechnungen ergebe sich Name und Anschrift der Firma Y, deren USt-ID.Nr., die genau handelsübliche Bezeichnung, die Menge und das Entgelt der gelieferten Erzeugnisse.
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Aus den Frachtbriefen ergebe sich jeweils der Absender, der Empfänger mit vollständiger Anschrift in Italien, bei davon abweichendem Bestimmungsort zusätzlich dieser, die Anzahl der Packstücke und das Fahrzeugkennzeichen. Durch Stempel und Unterschrift sei die Übergabe der Waren an den Abnehmer bzw. seinen Beauftragten und die Ankunft der Waren am Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet durch den Geschäftsführer der Y dokumentiert. Der Kläger habe in seiner Buchführung jeweils den in den Rechnungen ausgewiesenen Mengenangaben die Anzahl der Packstücke auf den jeweiligen Frachtbriefen zugeordnet.
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Im Zusammenhang mit der durchgeführten Außenprüfung habe der Kläger sich nochmals für alle ausgeführten Lieferungen durch den Geschäftsführer der Y den Empfang der Waren in Italien und deren ordnungsgemäße Versteuerung bestätigen lassen. Im Übrigen habe der Geschäftsführer der Y in einer Erörterung an Amtsstelle am 14.5.2007 sowohl seine persönliche Identität, die Unternehmereigenschaft mittels eines von den italienischen Steuerbehörden ausgestellten Unternehmerausweises und den ordnungsgemäße Ablauf der Liefergeschäfte glaubhaft bestätigt.
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Ein weiteres Indiz für die Warenbewegung nach Italien seien die vorgelegten zusammenfassenden Meldungen über den Warenerwerb, aus denen sich auch die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch die Firma Y in Italien ergebe. Schließlich sei durch die weitere Vorlage von Belegen über die Zahlung von Mautgebühren, Fahrtenschreiberauszügen und Zolldokumenten untermauert worden, dass die Ware tatsächlich vom Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert worden sei. Zweifel an den Warenbewegungen hätten der Kläger und der Geschäftsführer der Y im Rahmen des Erörterungstermins an Amtsstelle ausräumen können.
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Der erforderliche Abnehmernachweis sei erbracht, die Unternehmereigenschaft der Y sei durch Vorlage des von den italienischen Finanzbehörden ausgestellten Unternehmerausweises und die Bestätigung der USt-ID.Nr. durch das Bundeszentralamt für Steuern nachgewiesen und durch deren Angabe in den Abrechnungen auch hinreichend dokumentiert. Zudem habe der Geschäftsführer der Y den Erwerb der Waren zum Zwecke des Weiterkaufs an italienische, französische, spanische und andere ausländische Kunden an Amtsstelle gegenüber dem Beklagten bestätigt.
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Soweit der Beklagte seine Rechtsposition mit Behauptungen von Steuerfahndungsstellen begründe, insbesondere dem Vorliegen unterschiedlicher Frachtbriefe über dieselben Transporte und der Aussage des Buchhalters, falsche Transportdokumente ausgestellt zu haben, seien diese Anschuldigungen in Deutschland immer noch Gegenstand eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens; in den Niederlanden sei überdies ein Strafverfahren anhängig. Der Kläger werde sich daher in diesem Rechtsstreit nur darauf berufen, dass er die Anschuldigungen bestreite.
41
Der Kläger beantragt,
42
die Umsatzsteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 24.07.2012 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2001 um 116.122,91 €, 2002 um 126.429,70 €, 2003 um 426.665,48 € und 2004 um 237.907,69 € gemindert wird,
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hilfsweise,
44
die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
47
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
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Vom Beklagten wurden neben den Steuerakten die Handakten der beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung und ein Ordner „Antwoord Rechtshulpverzook Duitsland“ (Antwort Rechtshilfeersuchen Deutschland) vorgelegt und zum Verfahren hinzugezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten auch im Verfahren 1 V 4129/12 U und der vom Beklagten vorgelegten Steuerakten.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
52
Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2001-2004 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
53
Die vom Kläger an Y fakturierten Lieferungen sind nicht als innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 4 Nr. 1 Buchst. b iVm § 6a UStG steuerfrei.
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I. Nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG sind innergemeinschaftliche Lieferungen umsatzsteuerfrei, wenn der Unternehmer oder sein Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG), der Abnehmer ein Unternehmer oder eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat (§ 6a Abs. 2 Buchst. a und b UStG), und der Erwerb des Gegenstandes bei dem Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG).
55
Der Unternehmer hat diese Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nachzuweisen.
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Diese Vorschrift beruht auf Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (RL 77/388/EWG) bzw. ab 1. Januar 2007 auf Art. 138 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 ABl EG Nr. L 347/1 vom 11. Dezember 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -MwStSystRL-.
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Danach befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen, die Lieferung von Gegenständen einschließlich neuer Fahrzeuge, die vom Verkäufer, vom Käufer oder für ihre Rechnung an den Käufer nach Orten außerhalb des in Art. 3 der RL 77/388/EWG bzw. Art. 5 der MwStSystRL bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an andere Steuerpflichtige oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden.
58
Der Unternehmer kann grundsätzlich die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV bestehenden Nachweispflichten erfüllt (BFH Urteile vom 14.11.2012 XI R 8/11, juris; vom 15.2.2012 XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; vom 12.5.2011 V R 46/10, BStBl II 2011, 957).
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Kommt der Unternehmer den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind (BFH Urteile vom 14.11.2012 XI R 8/11, juris; vom 15.2.2012 XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; vom 12.5.2011 V R 46/10, BStBl II 2011, 957).
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II. Im Streitfall hat der Kläger den Belegnachweis nicht erbracht.
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1. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV unter Berücksichtigung der von den Mitgliedstaaten nach dem Einleitungssatz in Art. 28 Buchst. c Teil A RL 77/388/EWG festgelegten Bedingungen nachzuweisen.
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In den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, soll der Unternehmer den Nachweis hierüber gemäß § 17a Abs. 2 UStDV durch das Doppel einer Rechnung nach §§ 14, 14a UStG (Nr. 1), durch einen handelsüblichen Belegen, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt (Nr. 2), durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten (Nr. 3) sowie in den Fällen der Beförderung des Gegenstandes durch den Abnehmer, durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern (Nr. 4), führen. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung müssen aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar zu ersehen sein (§ 17a Abs. 1 S. 2 UStDV). Dabei kann der Belegnachweis bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht nachgeholt werden (BFH-Urteil vom 01.02.2007 VR 41/04, BFH/NV 2007, 1559).
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2. Diesen Anforderungen entsprechen die vom Kläger vorgelegten Belege nicht.
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a. Es ist bereits fraglich, ob die vom Kläger an Y erteilten Rechnungen den Anforderungen des § 14a UStG entsprechen (§ 17a Abs. 2 Nr. 1 UStDV).
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Mit einer Rechnung, die keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung enthält, kann der Unternehmer den gemäß § 17a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStDV erforderlichen Belegnachweis für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht führen. Denn ohne eine derartige Rechnung ergibt sich für den Abnehmer der Lieferung kein Hinweis auf das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung und der hiermit verbundenen Verpflichtung zur Vornahme der Erwerbsbesteuerung (vergleiche BFH Urteile vom 14.11.2012 XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596; vom 12.05.2011 V R 46/10, BStBl II 2011, 957; jeweils m.w.N.).
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Ob der auf den Rechnungen enthaltene Hinweis „Vrij van B.T.W. IT 01261400095“ den Anforderungen nach § 14a Abs. 1 S. 1 UStG an den Hinweis auf die Steuerfreiheit der Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung genügt, kann im Streitfall jedoch letztlich dahingestellt blieben.
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b. Jedenfalls erfüllen die Frachtbriefe nicht die Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Belegnachweis.
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Denn zum einen stellt ein Frachtbrief grundsätzlich nur bei Versendungslieferungen einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Belegnachweis dar (siehe unter aa.) und zum anderen enthalten die konkreten Frachtbriefe im Streitfall auch nicht die bei Beförderungs-Abhollieferungen erforderlichen Angaben des Belegnachweises (siehe unter bb. und Y.).
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aa. Bereits aus dem Gesetz folgt, dass ein Frachtbrief nur im Versendungsfall als Belegnachweis in Betracht kommt. Denn nur wenn der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet versendet, kann der Unternehmer den Belegnachweis nach § 17a Abs. 4 Nr. 2 UStDV durch einen Beleg entsprechend § 10 Abs. 1 UStDV, d.h. durch ein Versendungsbeleg, insbesondere durch Frachtbrief (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 UStDV), oder durch einen sonstigen handelsüblichen Beleg, insbesondere durch eine Bescheinigung des beauftragten Spediteurs oder durch eine Versandbestätigung des Lieferers (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 UStDV), führen. CMR Frachtbriefe sind umsatzsteuerlich in diesen Fällen als „sonstiger handelsüblicher Beleg“ als Versendungsbeleg anzuerkennen, wenn sie die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 UStDV bezeichneten Angaben enthalten (vgl. BFH Urteile vom 14.12.2011 XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006; vom 17.02.2011 VR 28/10, BFH/NV 2011, 1148; vom 12.05.2009 V R 65/06, BStBl II 2010, 511).
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Denn der Frachtbrief dient zur Dokumentation– und bei Unterzeichnung durch Absender und Frachtführer auch zum Nachweis – für Abschluss und Inhalt des Frachtvertrages und für die Übernahme des Gutes durch den Frachtführer (vgl. § 408, 409 Abs. 1 HGB).
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Gibt es jedoch keinen (selbständigen) Frachtführer fehlt es bereits an einer geeigneten Person, die einen Frachtbrief ausstellen könnte. Es gibt auch keinen dokumentationsfähigen Frachtvertrag oder ein ähnliches Rechtsverhältnis, wenn es sich bei der transportierenden Person um ein in das Unternehmen des Lieferers oder Abnehmers eingegliederte Person handelt.
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Vorliegend handelt es sich nicht um Versendungslieferungen.
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Eine Versendungslieferung liegt vor, wenn es sich bei dem Transporteur um einen selbstständigen Beauftragten, sei es ein Frachtführer oder ein Spediteur oder eine andere nicht in das Unternehmen des Lieferers oder des Abnehmers eingegliederte Person, handelt (vgl. BFH Urteil vom 12.05.2009 V R 65/06, BStBl II 2010,511). Ist die mit dem Transport beauftragte Person hingegen in das Unternehmen des Lieferers oder des Abnehmers eingegliedert, was insbesondere bei Arbeitnehmern der Fall ist, liegt eine Beförderungslieferung im Sinne von § 17a Abs. 2 UStDV vor, für die eine andere Form des Belegnachweises vorgesehen ist.
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Zum einen trägt der Kläger selbst vor, der Transport der Waren sei mit vom Abnehmer bereitgestellten LKW, und nur in einzelnen Fällen ausnahmsweise auch mit von ihm selbst eingesetzten Fahrzeugen erfolgt, ohne jedoch genau darzulegen, in welchen konkreten Fällen er die Ware selbst befördert hat. Aus den vorliegenden Unterlagen ist dies ebenfalls nicht erkennbar.
75
Zum anderen ist aus den vom Kläger eingereichten Frachtbriefen und auch aus den in den Steuerakten des Beklagten befindlichen Frachtbriefen kein selbstständiger Beauftragter erkennbar. In den Frachtbriefen ist vielmehr (wenn überhaupt) Y als Frachtführer in Feld 23 (bzw. SN) eingetragen (vgl. die Frachtbriefe Bl. 54, 58, 74, 79 d.A.) oder eine nicht leserliche und nicht zuordenbare Unterschrift (vgl. den Frachtbrief Bl. 60, 63, 65, 67, 69, 71 d.A.).
76
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch bei Vorliegen von Versendungslieferungen der Belegnachweis ganz überwiegend nicht den formellen Anforderungen des § 17a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 2 UStDV entsprechen würde.
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Denn CMR-Frachtbriefe stellen keine ausreichenden Versendungsbelege dar, wenn sie keine Angaben zum Auslieferungsort, zum Ausstellungstag oder als Auslieferungsort einen Ort im Inland enthalten (BFH Urteil vom 17.02.2011 V R 28/10, BFH/NV 2011, 1448).
78
Die in den Akten befindlichen (CMR-)Frachtbriefe enthalten entweder keine Eintragung im Feld 3 (bzw. Feld C) „Auslieferungsort“ (bzw. „Bestimmungsort“) oder einen Ort im Inland – bspw. Frankfurt (CMR vom 17.11.2003), Rosenheim (CMR vom 11.11.2003, 09.11.2003, 28.08.2003, 27.08.2003, 05.08.2003, 10.06.2003) oder München (CMR vom 06.06.2003 - Übersicht in Band 2b der BP-Handakten des Beklagten), lediglich vereinzelt auch Städte oder Orte in anderen Mitgliedstaaten (Paris, Mullhouse, Bologna, Gardasee – Übersicht in Band 2b der BP-Handakte des Beklagten).
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bb. Da es sich im Streitfall um Beförderungslieferungen handelt, kann der Belegnachweis nur nach § 17a Abs. 2 UStDV geführt werden.
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Die Frachtbriefe stellen jedoch auch ihrem Inhalt nach keinen vollständigen Belegnachweis für eine Beförderungslieferung im Sinne von § 17a Abs. 2 UStDV dar. Denn die in Nr. 1-4 der Bestimmung genannten Nachweise müssen grundsätzlich kumulativ vorliegen (BFH Urteil vom 01.02.2007 V R 41/04, BFH/NV 2007, 1059).
81
Insbesondere ist in den sog. Abholfällen nach § 17 Abs. 2 Nr. 4 UStDV eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten erforderlich, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern (BFH Beschluss vom 10.10.2011 V B 35/11, BFH/NV 2012, 76).
82
Eine solche Versicherung ist bereits in den Vordrucken der Frachtbriefe und CMR-Frachtbriefe nicht vorgesehen und in den vorliegenden Frachtbriefen auch nicht in anderer Form enthalten.
83
In den dem Gericht vorliegenden Frachtbriefen (Bl. Bd. 2b der BP-Handakte und Bl. 54, 56, 58, 60, 63, 65, 67, 69, 71, 74, 79 d.A.) ist zudem das Feld zur Angabe des Bestimmungsortes im Regelfall (Feld 3 bzw. C) nicht ausgefüllt oder enthält einen Auslieferungsort im Inland (s.o.), so dass auch nicht im Wege der Auslegung festgestellt werden kann, dass der Aussteller bestätigen würde, die Ware in das übrige Gemeinschaftsgebiet – nämlich an den Bestimmungsort – zu verbringen.
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Schließlich können die vorgelegten Frachtbriefe auch deswegen nicht als formell ordnungsgemäßer Belegnachweis anerkannt werden, weil nicht erkennbar ist, wer diese ausgestellt hat.
85
Belege zum Nachweis einer Beförderung oder Versendung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen i.S. von § 17a UStDV müssen jedoch entweder selbst oder in Verbindung mit anderen Unterlagen den Namen und die Anschrift ihres Ausstellers erkennen lassen
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(BFH Urteil vom 12.05.2009 V R 65/06 BStBl II 2010, 511).
87
Der Kläger hat den Belegnachweis auch nicht durch die während der Betriebsprüfung vorgelegte, von seiner Steuerberaterin veranlasste „Bestätigung“ des Y „geheilt“ bzw. nachgeholt.
88
Denn auch dieses Dokument entspricht nicht den Anforderungen des § 17a Abs. 2 Nr. 4 UStDV.
89
Der Belegnachweis in Abholfällen setzt voraus, dass derjenige, der die Ware tatsächlich abholt (der Abnehmer oder sein Beauftragter) versichert, er werde diese in das übrige Gemeinschaftsgebiet verbringen (BFH Beschluss vom 21.7.2011 V B 102/10, BFH/NV 2011, 1930).
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Im Fall des Nachholens des Belegnachweises kann nach Auffassung des Senats nichts anderes gelten. Zwar kann die Versicherung, die Waren in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu verbringen, bereits begrifflich nicht im Nachhinein erbracht werden. Der Senat hält es jedoch für möglich, eine nachträgliche Bestätigung des Verbringens in das übrige Gemeinschaftsgebiet einzuholen. Diese kann dann jedoch nur von der Person geleistet werden, die den Transport tatsächlich durchgeführt hat.
91
Der Senat hat davon abgesehen, dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu folgen, und den vom Kläger sistierten Zeugen zu der Frage zu vernehmen, vom wem die auf den mit Schreiben der Steuerberaterin vom 16.01.2007 übersandten Rechnungen geleisteten Unterschriften stammen, da das Ergebnis der Zeugenaussage für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist (vgl. BFH Beschluss vom 22.04.2008 X B 57/07, BFH/NV 2008, 1194; Stapperfend in: Gräber, FGO § 76 RZF. 26 m.w.N.).
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Vorliegend ist bereits nicht erkennbar, welche Erklärung der Unterzeichner des Dokuments überhaupt abgeben wollte. Denn auf dem Anschreiben der Steuerberaterin an den Kläger vom 16.01.2007 mit der Aufforderung eine Bestätigung einzuholen und den beigefügten Listen, auf denen die einzelnen Rechnungen aufgeführt wurden, wurde lediglich der Firmenstempel der Y aufgedruckt versehen mit einem handschriftlichen Namenskürzel. Eine eigene Erklärung des Unterschreibenden im Sinne einer Bestätigung des Verbringens der Waren in das übrige Gemeinschaftsgebiet enthält das Schreiben nicht.
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Anhand dieses Dokumentes ist damit nicht eindeutig und leicht nachprüfbar i.S.v. § 17a Abs. 1 S. 2 UStDV, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen.
94
Auch wenn der Senat zugunsten des Klägers als wahr unterstellt (vgl. BFH Beschluss vom 01.10.2009 VIII B 151/08, BFH/NV 2010, 54 m.w.N.), dass der Zeuge entsprechend dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers bekundet hätte, es handele sich um seine Unterschrift, würde dies dem Kläger nicht zu einem formell ordnungsgemäßen Belegnachweis verhelfen.
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Denn vom Kläger wurde nicht dargelegt und nachgewiesen, dass es sich um diejenige Person gehandelt hat, die die Waren tatsächlich beim Kläger abgeholt hat.
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Eine nachträgliche Bestätigung über das Verbringen in das übrige Gemeinschaftsgebiet wäre daher nicht ausreichend.
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cc. Darüber hinaus enthalten die Frachtbriefe auch keine Angaben zum Bestimmungsort der Waren.
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Nach § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV ist jedoch ein handelsüblicher Beleg erforderlich, aus dem sich der Bestimmungsort der gelieferten Waren ergibt.
99
Wie bereits dargelegt, enthalten die Frachtbriefe jedoch entweder keine Eintragungen im Feld 3 (bzw. Feld C) zum Bestimmungsort, oder einen Ort im Inland und vereinzelt andere Orte in anderen Mitgliedstaaten als den Sitz der Y.
100
Die gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 2, § 17c Abs. 2 Nr. 2 UStDV erforderliche Angabe des Bestimmungsorts kann sich zwar unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall aus der Rechnungsanschrift des Abnehmers ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 07.12.2006 V R 52/03). Dies gilt jedoch im Grundsatz nur, wenn davon auszugehen ist, dass der Gegenstand der Lieferung auch zum Unternehmenssitz des Abnehmers versendet oder befördert wird (BFH Urteil vom 14.11.2012 XI R 17/12, BStBl II 2013, 407). Aufgrund der Feststellungen des Beklagten und der niederländischen Behörden kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden.
101
III. Es steht auch nicht aufgrund der objektiven Beweislage zweifelsfrei fest, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt sind.
102
1. Zwar ist die Erklärung der innergemeinschaftlichen Erwerbe in der Zusammenfassenden Meldung und die Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs in Italien durch Y ein Indiz dafür, dass die Waren körperlich nach Italien gelangt sein könnten. Auch die von einem italienischen Bankkonto erfolgten Überweisungen zur Begleichung der Forderungen des Klägers sprechen für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung.
103
Dies ist angesichts der übrigen Umstände jedoch nicht ausreichend, um zweifelsfrei feststellen zu können, dass es sich bei den streitigen Lieferungen um innergemeinschaftliche Lieferungen handelt.
104
Allein die Erklärung des innergemeinschaftlichen Erwerbs in Italien erbringt noch nicht den Nachweis, dass die Warenbewegung tatsächlich von Deutschland zu Y nach Italien erfolgt ist. Im vorliegenden Fall kommt der Erklärung des innergemeinschaftlichen Erwerbs zudem nur eine eingeschränkte indizielle Wirkung zu, da Y nach den Feststellungen der Steuerfahndung italienischen Ermittlungen zufolge in Italien wiederum steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen der nämlichen Waren nach Spanien und Frankreich erklärt hat, so dass eine Besteuerung der Ausgangsumsätze in Italien nicht stattgefunden hat.
105
Hinzu kommt, dass die dortigen Abnehmerfirmen T und S nach den Ermittlungen der niederländischen Strafverfolgungsbehörden von den dortigen Behörden nicht ermittelt werden konnten und auch nicht festgestellt werden konnte, dass diese innergemeinschaftliche Erwerbe versteuert haben.
106
Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung im Bericht vom 8.6.2011 und der im Rahmen des Rechtshilfeersuchens erlangten Dokumente bestehen zudem Zweifel, dass die Waren im Rahmen der Lieferungen des Klägers an Y tatsächlich zunächst nach Italien und danach nach Spanien oder Frankreich gelangt sind.
107
So hat der beim Kläger angestellte Buchhalter in seiner Vernehmung durch die niederländischen Ermittlungsbehörden am 14.10.2008 ausweislich des Protokolls (Ordner „Antwoord Rechtshulpverzook Duitsland“) ausgesagt, auf Anweisung des Klägers Rechnungen und Transportdokumente u.a. für die GmbH (aber auch für andere Firmen) über Lieferungen an Y nach Italien ausgestellt zu haben, obwohl diese Lieferungen so nicht erfolgt seien.
108
Schließlich ergeben sich aus der Existenz von unterschiedlich ausgefüllten Frachtbriefen über dieselben Lieferungen erhebliche Zweifel, dass die Waren tatsächlich vom Kläger zu Y nach Italien gelangt sind.
109
Zwar stammen diese Unterlagen aus dem Jahr 2005 und damit nicht aus den Streitjahren und z.T. auch aus dem Unternehmen der GmbH; da der Kläger mit seinem Einzelunternehmern jedoch die Geschäftsbeziehungen mit Y sowohl in den Streitjahren als auch danach und im Anschluss auch mit der GmbH unverändert unterhalten hat, begründet dies nach Auffassung des Senates auch Zweifel daran, dass bei den Lieferungen der Streitjahre die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt waren.
110
So weisen vom Beklagten in Bezug genommenen Frachtbriefe in einem Fall in Feld 1 und Feld 2 jeweils den Kläger als Absender und Y als Empfänger aus, in den Feldern 22-24 jedoch in einer Ausfertigung den Kläger als Absender (Feld 22) und Y als Frachtführer und Empfänger (Feld 23 und 24), in der anderen Ausfertigung hingegen ist Y als Absender (Feld 22) und T als Frachtführer und Empfänger (Feld 23 und 24) enthalten, wobei die Unterschriften in Feld 23 und 24 hingegen in beiden Ausfertigungen wieder identisch sind.
111
Zudem befinden sich in den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen weitere CMR-Frachtbriefe aus dem Jahr 2005, die in den Feldern 1 und 2 (Absender und Empfänger) den Kläger und Y aufweisen, in Feld 22 (Unterschrift und Stempel des Absenders) hingegen ist der Stempel des Klägers enthalten, jedoch „überstempelt“ mit dem Stempel des Y, und in Feld 24 (Unterschrift und Stempel des Empfängers) ist ein Stempel und eine nicht leserliche Unterschrift der S enthalten, was gegen eine Beförderung der Waren nach Italien zu Y spricht.
112
Auch die in den Akten befindlichen CMR-Frachtbriefe aus den Streitjahren, die als Bestimmungsort einen Ort im Inland (Frankfurt, Rosenheim oder München – s.o.) enthalten, begründen erhebliche Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG.
113
Der Verweis des Klägers auf einen Erörterungstermin im Rahmen des Einspruchsverfahrens in den Räumen des Finanzamts, über dessen Inhalt der beschließende Senat keine Kenntnis hat, vermag hieran nichts zu ändern. Soweit der Kläger vortr ägt, der Zeuge und er selbst hätten an Amtsstelle durch Vorlage von Zolldokumenten, Frachtbriefen, Tankquittungen u.a. die innergemeinschaftlichen Warenbewegungen nachgewiesen, liegen dem Senat weder diese Unterlagen noch ein Vermerk o.ä. über dieses Gespräch vor.
114
Soweit sich in den von den niederländischen Behörden übermittelten Unterlagen exemplarisch für drei Lieferungen der GmbH an Y und eine Lieferung der X BV an die GmbH Zollbelege, Tankquittungen, Belege über Mautgebühren und Fahrtenschreiberaufzeichnungen aus den Jahren 2006 und 2007 befinden, reicht dies nicht aus, um die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung für alle Lieferungen des Klägers in den Streitjahren sicher nachzuweisen, zumal auch in diesen Fällen die nachgewiesenen Fahrtstrecken nicht mit den Abgangs- und Bestimmungsorten lt. CMR-Frachtbriefen übereinstimmen.
115
2. Dass die Waren möglicherweise direkt nach Spanien oder Frankreich gelangt sein könnten, ist – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht ausreichend, um aufgrund der objektiven Beweislage sicher vom Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung ausgehen zu können.
116
Für die begehrte Steuerfreiheit ist nicht ausreichend, dass die Waren in irgendeinen anderen Mitgliedstaat gelangt sind.
117
Es muss vielmehr anhand der objektiven Beweislage zweifelsfrei feststehen, um welchen Mitgliedstaat es sich handelt, da sonst das Ziel, Steuereinnahmen dadurch auf den Bestimmungsmitgliedstaat zu verlagern, dass der Erwerber der innergemeinschaftlichen Lieferung in diesem Mitgliedstaat die Steuer schuldet, nicht erreicht werden kann (vgl. BFH Urteil vom 14.12.2011 XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006 zur Identität des Abnehmers).
118
Aufgrund der unvollständigen und widersprüchlichen Angaben in den CMR-Frachtbriefen und auch des klägerischen Vortrags steht gerade nicht zweifelsfrei fest, welcher der Bestimmungsmitgliedstaat der Waren gewesen ist oder ob diese überhaupt in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt sind.
119
3. Der Senat war auch nicht verpflichtet, den Sachverhalt durch Vernehmung des vom Kläger sistierten Zeugen weiter aufzuklären.
120
Der Senat versteht die Rechtsprechung des BFH zur Bedeutung der Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a, 17c UStDV (BFH, Urteile vom 06.12.2007 V R 59/03 - Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 27.09.2007 Rs. C-146/05 – Albert Collée –, UR 2007, 813; vom 12.05.2009 V R 65/06, BStBl II 2010, 511; vom 28.05.2009 V R 23/08, BStBl II 2010, 517; Beschlüsse vom 29.07.2009 XI B 24/09, BFH/NV 2009, 1567 und vom 03.05.2010 XI B 51/09, BFH/NV 2010, 1872) und insbesondere den Begriff der „objektiven Beweislage“ dahingehend, dass eine Steuerbefreiung trotz Nichterfüllung dieser Pflichten nur dann in Betracht kommt, wenn aufgrund der dem Gericht vorliegenden Beweise zur Überzeugung des Gerichts sicher feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt sind. Verbleibende – auch geringe – Zweifel gehen dabei zu Lasten des die Steuerfreiheit begehrenden Steuerpflichtigen.
121
Insbesondere besteht bei Verstoß gegen die Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a, 17c UStDV, keine Verpflichtung des Gerichts, den Sachverhalt im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 FGO und nach allgemeinen Beweisregeln und Beweisgrundsätzen von Amts wegen weiter aufzuklären.
122
Anderenfalls liefen die in §§ 17a, 17c UStDV normierten formellen Nachweispflichten praktisch ins Leere und könnte der Nachweis der Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG auch ohne Erfüllung der formellen Nachweispflichten nach allgemeinen Beweisregeln und Beweisgrundsätzen geführt werden. Eine Verletzung der Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a, 17c UStDV bliebe damit weitgehend folgenlos, da der Unternehmer bei einer Versagung der Steuerbefreiung im Verwaltungs- oder im finanzgerichtlichen Verfahren nach den allgemeinen Beweisregeln und –mitteln (§ 82 FGO iVm §§ 358ff. ZPO) das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG auch gänzlich ohne Beachtung der §§ 17ff. UStDV nachweisen könnte.
123
§§ 17a, 17c UStDV hätten dann lediglich den Charakter von Beweiserleichterungen, weil bei Erfüllung der formellen Pflichten davon auszugehen wäre, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt sind, solange die Finanzverwaltung keine berechtigten Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben geltend macht (FG Düsseldorf Urteil vom 06. Dezember 2010 1 K 2621/07 U, EFG 2011, 1289; FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 28.02.2011 5 K 5130/08, EFG 2011, 1288).
124
Der Senat folgt damit nicht der in der Literatur vertretenen Ansicht, dass der formell ordnungsgemäße Buch- und Belegnachweis eine gesetzliche Vermutung iSv § 292 ZPO für das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG zugunsten des die Steuerbefreiung begehrenden Unternehmers begründet, der (erst) dann, wenn die Finanzverwaltung den Beweis des Gegenteils geführt und damit die Vermutungswirkung beseitigt hat, anderweitig nach den allgemeinen Beweisregeln – bspw. durch Benennung von zu vernehmenden Zeugen den Nachweis führen kann und muss, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gleichwohl vorliegen (so Englisch/Becker/Kurzenberger, UR 2010, 285; Englisch, UR 2008, 481).
125
Soweit der BFH mit Urteil vom 12.05.2009 (V R 65/06, BStBl II 2010, 511) ausführt, eine Lieferung ist dann nicht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, sondern steuerpflichtig, wenn sich die Angaben (des Belegnachweises) als unzutreffend erweisen oder zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben bestehen, die der Unternehmer nicht nach allgemeinen Beweisregeln und –grundsätzen ausräumt, steht dies nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung. Denn dies setzt voraus, dass der Buch- und Belegnachweis nach §§ 17a ff. USDV zunächst formell ordnungsgemäß d.h. vollständig vom leistenden Unternehmer geführt wurde. Lediglich wenn sich die im Buch- und Belegnachweis enthaltenen Angaben im Nachhinein als unrichtig oder zweifelhaft herausstellen, ist der Unternehmer nach allgemeinen Beweisregeln berechtigt und verpflichtet, die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG nachzuweisen, wobei er das Risiko einer nicht geglückten Aufklärung trägt, sofern er sich nicht auf die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG berufen kann (vgl. Wäger, DStR 2009, 1621; Matheis/Braun, UVR 2009, 296).
126
Im Streitfall hat der Kläger jedoch den Belegnachweis bereits nicht den formellen Anforderungen des § 17a UStDV entsprechend geführt.
127
Die Ergänzung eines unvollständigen oder gar das vollständige Ersetzen des Belegnachweises durch allgemeine Beweismittel bspw. durch einen Zeugenbeweis ist demgegenüber dem BFH-Urteil nicht zu entnehmen und steht nach Auffassung des Senats im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, wonach bei Nichterfüllung der Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV grundsätzlich von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen ist; es sei denn trotz derartiger Mängel steht objektiv zweifelsfrei fest, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind (vgl. z.B. BFH Urteil vom 25.04.2013 V R 28/11 BStBl II 2013, 656 m.w.N.). Dies kann nach Auffassung des Senats nur dann der Fall sein, wenn anhand der vorhandenen Beweismittel ohne weitere Ermittlungen eindeutig und leicht nachprüfbar (vgl. § 17a Abs. 1 S. 2 UStDV) die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG festgestellt werden können.
128
IV. Der Kläger kann sich auch nicht auf den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG berufen.
129
Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, so ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiungen auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht erkennen konnte (§ 6a Abs. 4 Satz 1 UStG). Die Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG setzt voraus, dass der Unternehmer den Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV als Voraussetzung für die Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ihrer Art nachkommt. Maßgeblich ist hierfür die formelle Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben, da § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt (BFH-Urteile vom 12.05.2011 V R 46/10, BStBl II 2011, 957; und vom 15.02.2012 XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188).
130
Vorliegend genügt der Belegnachweis jedoch – wie dargestellt – nicht den formellen Anforderungen des § 17a UStDV.
131
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
132
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zur Klärung der Frage zugelassen, wie der Begriff der „objektiven Beweislage“ zu verstehen ist und ob das Gericht verpflichtet ist, bei Nichtvorliegen eines ordnungsgemäßen Buch- und Belegnachweises im Rahmen seiner Amtsermittlung Beweis zu erheben, insbesondere durch Vernehmung eines Zeugen, zu der Frage, ob die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt sind.