16.05.2018 · IWW-Abrufnummer 201291
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 09.11.2017 – 6 K 14/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg
v. 09.11.2017
Az.: 6 K 14/17
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Haftungsbescheid, mit dem sie für die für ihre ehemalige Geschäftsführerin, die Beigeladene, für den Zeitraum von Januar 2010 bis Dezember 2013 entstandene Lohnsteuer in Anspruch genommen wurde. Streitgegenständlich ist die Frage, ob das an die Geschäftsführerin gezahlte Gehalt sowie die Abfindung nach Art. 16 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 14.05.2003 (DBA-Polen) vollständig dem deutschen Besteuerungszugriff unterliegen.
Die Klägerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts A (HRB ...) eingetragene, im Jahr 2002 gegründete GmbH.
Durch Beschluss des Aufsichtsrats der Klägerin vom ... 2007 bestellte die Klägerin die Beigeladene mit Wirkung ab dem 12.11.2007 bis zum 31.12.2010 zum Mitglied der Geschäftsführung. Ebenfalls am ... 2007 schloss die Klägerin mit ihr einen Dienstvertrag für den Zeitraum vom 12.11.2007 bis 31.12.2010. Die Beigeladene wurde am ... 2007 als Geschäftsführerin der Klägerin in das Handelsregister eingetragen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Klägerin war die Beigeladene gleichzeitig Geschäftsführerin der B.
Die Beigeladene verantwortete nach § 1 des Dienstvertrags vom ... 2007 die Geschäftsführung und Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit der Klägerin in Osteuropa. Diese Aufgaben erfüllte sie, wie vertraglich vorgesehen, von C und von einem Zweitbüro in A aus. Zugleich enthielt der Dienstvertrag vom ... 2007 Regelungen zur Erlaubnispflichtigkeit von Nebentätigkeiten (§ 3), der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (§ 5) und der Gewährung von Urlaub (§ 7). Die Klägerin war gegenüber der Beigeladenen weisungsbefugt. Als Vergütung wurde ein Festgehalt von ... € vereinbart (§ 4 Abs. 1). Darüber hinaus erhielt die Beigeladene eine variable Vergütung von bis zu ... € (§ 4 Abs. 2-4). Ihr stand des Weiteren ein Dienstwagen zur privaten Nutzung zur Verfügung (§ 10).
Der Dienstvertrag vom ... 2007 wurde durch den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag vom ... 2010 für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2015 verlängert. Danach stand der Beigeladenen ein Festgehalt von ... € (§ 4 Abs. 1) sowie eine Tantieme von bis zu ... € jährlich (§ 4 Abs. 2-3) zu. Darüber hinaus stand ihr weiterhin ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung (§ 10). Auch nach diesem Vertrag blieben Nebentätigkeiten erlaubnispflichtig, und ihr wurde Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub gewährt (§§ 3, 5, 7).
Im Juli 2013 wurde die Beigeladene von ihren Tätigkeiten freigestellt. Die Bestellung der Beigeladenen zur Geschäftsführerin wurde mit Wirkung zum 01.09.2013 widerrufen. Am ... 2013 wurde sie als Geschäftsführerin aus dem Handelsregister gelöscht. Die Klägerin schloss mit ihr am ... 2013 eine Aufhebungsvereinbarung, durch die der bestehende Anstellungsvertrag mit Ablauf des 31.10.2013 vorzeitig endete. Nach dieser Vereinbarung stand der Beigeladenen das Festgehalt von ... € jährlich (anteilig) bis einschließlich Oktober 2013 zu (§ 1 Nr. 2, Abs. 1). Weiterhin sollte die Beigeladene für das Jahr 2013 eine variable Vergütung in Höhe von ... € (§ 1 Nr. 2, Abs. 2) sowie einen Betrag von ... € zur Abgeltung bestehender Urlaubsansprüche (§ 1 Nr. 2, Abs. 3) erhalten. Die vorgenannten Beträge wurden noch im Jahr 2013 ausgezahlt. Zudem wurde die Zahlung einer Abfindung von insgesamt ... € vereinbart, die zeitlich gestaffelt ausgezahlt werden sollte (§ 2 Nr. 1). Danach war ein Teilbetrag von ... € im November 2013 zur Auszahlung fällig. Ein weiterer Teilbetrag von ... € sollte in monatlichen Raten von jeweils ... €, beginnend im November 2013 und endend im Dezember 2015, ausgezahlt werden. Der letzte Teilbetrag von ... € war unter näher bestimmten Bedingungen im Februar 2016 auszuzahlen. Im Jahr 2013 wurde aufgrund dieser Vereinbarung eine Abfindung in Höhe von insgesamt ... € ausgezahlt. Zudem war die Beigeladene nach der Aufhebungsvereinbarung berechtigt, ihren Dienstwagen bis zum 31.12.2013 zu den bisherigen Bedingungen privat weiterzunutzen, wobei sie die Leasingraten für November und Dezember 2013 in Höhe von monatlich ... € an die Klägerin zu erstatten hatte (§ 4).
Die Aufhebungsvereinbarung enthielt darüber hinaus eine Regelung zur Zahlung von ... € als Karenzentschädigung, die nicht streitgegenständlich ist.
Während der Dauer ihrer Tätigkeit unterhielt die Beigeladene ausschließlich in C einen Wohnsitz. Ihre Tätigkeit erbrachte sie nur zu einem geringen Teil in Deutschland, überwiegend übte sie die Tätigkeit in Polen oder anderen Ländern aus. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der B erhielt die Beigeladene von keiner anderen Konzerngesellschaft als der Klägerin Vergütungen. Die von der Klägerin gezahlte Vergütung wurde auch nicht innerhalb des Konzerns weiterberechnet. Die Beigeladene nutzte den Pkw nicht in Deutschland.
Die Beigeladene versteuerte ihre Einkünfte, mit Ausnahme der in Deutschland versteuerten Tage, gem. Art. 15 DBA-Polen in Polen.
Mit der Führung des Lohnkontos für die Beigeladene beauftragte die Klägerin im Jahr 2007 ihre Prozessbevollmächtigte im hiesigen Verfahren.
Von dem Festgehalt und der variablen Vergütung führte die Klägerin Lohnsteuer zu dem Anteil ab, der den in Deutschland ausgeübten Arbeitstagen der Beigeladenen im Kalenderjahr entsprach. Die steuerliche Aufteilung des Bonus erfolgte auf der Basis der Arbeitstage im Vorjahr.
Die Abfindungszahlungen sowie der Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens wurden nicht der Lohnsteuer unterworfen.
Im streitgegenständlichen Zeitraum wurde der Arbeitslohn in Deutschland ausgehend von den Gehaltsabrechnungen wie folgt versteuert:
...
Dabei ist unter der Position "Arbeitslohn gesamt" der geldwerte Vorteil für die private PKW-Nutzung nicht berücksichtigt. Dieser betrug von Januar 2010 bis September 2013 nach Ansicht der Klägerin monatlich ... €.
Hinsichtlich der in Deutschland in 2011 erbrachten Arbeitstage gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Beigeladene 65 Tage in Deutschland gearbeitet hat.
Die Prozessbevollmächtigte veröffentlichte am ... 2010 als Tax News einen Hinweis auf die Mitteilung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 22.01.2010. Hiernach war Verwaltungsauffassung, dass Geschäftsführer als bevollmächtigte Vertreter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen angesehen werden. Auch in der Veröffentlichung ... der Klägerin (Vetter/Schreiber, IWB 2010, 488 ff.) werden in dieser Art bevollmächtigte Vertreter und Geschäftsführer gleichgesetzt (S. 492). In dem Beitrag weisen die Verfasser ausdrücklich auf die Verwaltungsauffassung (S. 493: "Deutschland ordnet die Einkünfte eines Geschäftsführers Art. 16 Abs. 2 DBA Polen zu") sowie auf die Auffassung der OFD Münster hin, dass die Anwendung von Art. 15 nicht der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung entspricht.
Eine Freistellungsbescheinigung lag der Klägerin bei Auszahlung der Vergütung nicht vor. Für die Jahre 2010 bis 2013 beantragte sie diese am 21.10.2014. Die Anträge wurden von dem Beklagten mit Bescheid vom 11.11.2014 abgelehnt. Die Klägerin verfolgt dieses Begehren in einem abgetrennten Verfahren weiter.
Im Zeitraum vom 02.05.2013 bis 30.09.2014 fand bei der Klägerin eine Lohnsteueraußenprüfung hinsichtlich der Jahre 2010 bis 2013 statt, an der das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) mitwirkte. Das BZSt vertrat dabei die Auffassung, dass sämtliche an die Beigeladene gezahlten Vergütungen und geldwerten Vorteile in Deutschland einkommensteuerpflichtig seien und die Klägerin für die nicht einbehaltene Lohnsteuer hafte.
Der Beklagte folgte der Auffassung des BZSt und nahm die Klägerin mit Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 25.11.2014 hinsichtlich der nicht versteuerten Einnahmen für die Zeit von Januar 2010 bis Dezember 2013 über einen Gesamtbetrag von ... € gem. § 42d Einkommensteuergesetz (EStG) in Haftung. Dieser Betrag setzt sich aus folgenden Jahresbeträgen der Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags zusammen:
...
Anstelle des von der Klägerin angesetzten Betrags von ... € als geldwerten Vorteil der privaten Nutzung des Dienstwagens berücksichtigte der Beklagte dabei einen Betrag von ... € monatlich. Die Richtigkeit der Berechnung der Lohnsteuer mit dem vorstehenden Ergebnis ist der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig.
Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin für die Lohnsteuer durch Haftungsbescheid ermessensfehlerfrei möglich sei. Insbesondere sei sie nicht unbillig; denn es liege auf Seiten der Klägerin kein entschuldbarer Rechtsirrtum vor.
Gegen den Haftungsbescheid vom 25.11.2014 erhob die Klägerin am 16.12.2014 Sprungklage beim Finanzgericht Hamburg (Az. 6 K 261/14). Der Beklagte erteilte seine Zustimmung zur Sprungklage und beantragte Klageabweisung. Das Verfahren wurde am 21.05.2015 gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Durchführung eines Vorverfahrens an den Beklagten abgegeben, da der Sachverhalt noch nicht hinreichend aufgeklärt war.
Der Beklagte zog am 30.12.2015 die Beigeladene gem. § 360 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) zu dem Einspruchsverfahren hinzu, da durch die Frage, ob Deutschland oder Polen das Besteuerungsrecht zustehe, auch die rechtlichen Interessen der Beigeladenen berührt würden. Durch Einspruchsentscheidung vom 23.12.2016 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 25.01.2017 Klage erhoben.
Ursprünglich hat die Klägerin auch die Erteilung von Freistellungsbescheinigungen hinsichtlich des Arbeitslohns vom Lohnsteuerabzug für die Jahre 2010-2014 begehrt. Das Verfahren ist durch Beschluss vom 25.04.2017 abgetrennt worden und wird unter dem Aktenzeichen 6 K 71/17 weitergeführt.
Die Klägerin hält den Haftungsbescheid für rechtswidrig, da Deutschland für den nicht versteuerten Teil der Vergütungs- und Abfindungszahlungen nach dem DBA-Polen kein Besteuerungsrecht zustehe. Zwar sei die Beigeladene gem. §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 4 c) und d) EStG in Deutschland beschränkt steuerpflichtig. Das Besteuerungsrecht stehe jedoch hinsichtlich des in Deutschland nicht versteuerten Anteils an der Vergütung Polen zu, da Art. 15 DBA-Polen anwendbar sei. Die Tätigkeit als Geschäftsführerin stelle sich als Ausübung nichtselbstständiger Arbeit dar. Daher stehe Deutschland lediglich insoweit das Besteuerungsrecht zu, als die Einkünfte auf in Deutschland ausgeübte Tätigkeiten entfielen, wofür - dies ist zwischen den Parteien unstreitig - die Lohnsteuer bereits abgeführt wurde. Der Dienstwagen sei nur in Polen privat genutzt worden und die Privatnutzung daher nicht in Deutschland zu besteuern.
Art. 16 DBA-Polen sei nicht anwendbar. Der Anwendbarkeit von Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen stehe bereits der Wortlaut der Vorschrift entgegen, wonach lediglich die Vergütung von Aufsichtsräten und Verwaltungsräten erfasst sei.
Eine erweiternde Auslegung auf Geschäftsführer sei aufgrund der Systematik des Art. 16 DBA-Polen, der in Absatz 1 lediglich die Besteuerung von Einkünften überwachender Organe regele, und somit nicht auf ausführende Organe wie Geschäftsführer anwendbar sei, ausgeschlossen.
Auch Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen sei nicht anwendbar. Dies ergebe sich ebenfalls bereits aus dem Wortlaut, der lediglich bevollmächtigte Vertreter erfasse. Hiervon seien Geschäftsführer als gesetzliche Vertreter nicht umfasst. Eine Bevollmächtigung des Geschäftsführers sei in § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nicht vorgesehen. Die organschaftliche Vertretung eines Geschäftsführers unterscheide sich zudem dadurch grundlegend von einer rechtsgeschäftlichen Vertretung, dass das Handeln eines Geschäftsführers der GmbH als eigenes Handeln zugerechnet würde, die GmbH also selbst tätig werde, während ein Bevollmächtigter lediglich im Namen der GmbH tätig werde. Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen sei zudem als Spezialvorschrift eng auszulegen.
Die Formulierung weiche von der sonst üblichen Formulierung vergleichbarer Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen ab, sodass dem Wortlaut besonderes Gewicht zukomme. In anderen von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (z. B. Japan, Dänemark, Kasachstan, Schweden, Österreich) würden Geschäftsführer ausdrücklich in Art. 16 erwähnt. Da die polnische Fassung des Art. 16 DBA-Polen Geschäftsführer bereits unter Absatz 1 fasse, ergebe sich hieraus im Umkehrschluss, dass Geschäftsführer nach dem Willen der Vertragsstaaten nicht von Absatz 2 erfasst sein könnten.
Für die Auslegung des Absatz 1 entfalte die polnische Fassung jedoch ebenfalls keine Aussagekraft, da maßgeblich allein die deutsche Fassung sei. Aus Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen folge, dass das innerstaatliche Recht eines Vertragsstaats gegenüber einer einheitlichen Auslegung der DBA-Normen durch die Vertragsstaaten vorrangig sei. Zudem würden nach polnischem Recht Geschäftsführer üblicherweise als selbstständig Tätige im Sinne des Art. 14 DBA-Polen eingeordnet, sodass aus der polnischen Rechtslage ohnehin keine Rückschlüsse gezogen werden könnten.
Gespräche zwischen der polnischen und der deutschen Finanzverwaltung über die Anwendung von Art. 16 DBA-Polen seien zu anders gelagerten Fällen geführt worden, weswegen daraus nicht auf die grundsätzliche Anwendbarkeit von Art. 16 DBA-Polen auf die Vergütung von Geschäftsführern geschlossen werden könne.
Selbst wenn, entgegen ihrer, der Klägerin, Auffassung Art. 16 DBA-Polen auf Geschäftsführer grundsätzlich Anwendung fände, sei die Anwendbarkeit der Sondervorschrift auf den Zeitraum der tatsächlichen Ausübung der Geschäftsführertätigkeit begrenzt. Die Anwendbarkeit von Art. 16 DBA-Polen auf die laufende Vergütung würde somit mit der Freistellung der Beigeladenen im Juli 2013 enden. Die Abfindungszahlung sei selbst bei einer unterstellten Anwendbarkeit von Art. 16 DBA-Polen auf Geschäftsführer nicht in Deutschland steuerpflichtig, da sie keine Vergütung für die Tätigkeit als Geschäftsführerin darstelle, sondern gerade für die vorzeitige Beendigung der Tätigkeit gezahlt werde. Die Abfindung sei weder in der Eigenschaft als Geschäftsführerin bezogen worden, noch sei die Abfindung für die Beendigung gezahlt worden, da die Abberufung gem. § 38 GmbHG jederzeit erfolgen könne und keiner Entschädigungszahlung bedürfe. Zudem lasse die Einführung des § 50d Abs. 12 EStG zum 01.01.2017 erkennen, dass ohne diese gesetzliche Neuregelung kein konkreter Bezug der zuvor ausgeübten Tätigkeit zur Abfindung hergestellt werden könne. Andernfalls hätte es der Regelung des § 50d Abs. 12 EStG nicht bedurft. Der Gesetzgeber habe eingestehen müssen, dass Abfindungen abkommensrechtlich immer und vollumfänglich der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat unterlägen. Dies gelte nicht nur für Arbeitnehmer nach Art. 15 DBA-Polen, sondern auch für einen Geschäftsführer.
Die Klägerin weist zudem darauf hin, dass die in Deutschland nicht versteuerten Einkünfte gem. Art. 15 DBA-Polen bereits in Polen besteuert worden seien. Die Einkünfte seien in dem in Polen geltenden Selbstveranlagungssystem als Arbeitseinkünfte deklariert und besteuert worden. Aus den eingereichten Unterlagen ergebe sich, dass das Einkommen in Polen mit einem Steuersatz von mindestens 31 % versteuert worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 25.11.2014 über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2010 bis Dezember 2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.12.2016 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt der Beklagte vor, dass der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung rechtmäßig seien und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzten.
Die Inanspruchnahme der Klägerin als Arbeitgeberin im Rahmen des Haftungsbescheids sei rechtmäßig, da die Vergütungen und Abfindungszahlungen in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sowie nicht nach dem DBA-Polen steuerfrei seien. Die Beigeladene sei bei der Klägerin abhängig beschäftigt gewesen. Ihre Einkünfte unterlägen daher gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) und d) EStG der beschränkten deutschen Einkommensteuerpflicht. Das Besteuerungsrecht für die Vergütung von Geschäftsführern richte sich aus deutscher Sicht nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen. Danach stehe das Besteuerungsrecht für die Vergütung eines Geschäftsführers dem Staat zu, in dem sich der Sitz der Gesellschaft befinde, also der Bundesrepublik Deutschland.
Die Beigeladene sei als Geschäftsführerin als bevollmächtigte Vertreterin im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen anzusehen. Die Vertretungsmacht eines GmbH-Geschäftsführers stehe in ihrem Wesen zwischen einer rechtsgeschäftlich begründeten und einer gesetzlichen Vertretung, da es einer Bestellung als Geschäftsführer bedürfe. Es sei nicht überzeugend, dass Prokuristen und Generalbevollmächtigte, nicht aber die mit weitergehenden Kompetenzen ausgestatteten Geschäftsführer von der Regelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen erfasst sein sollten. Auch enthalte die englische Textfassung des OECD-Musterabkommens in Art. 16 die Formulierung "directors' fees", woraus ebenfalls deutlich werde, dass Geschäftsführer von der Regelung des Art. 16 DBA umfasst seien.
Im Übrigen würden alle anderen von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen, die - wie das DBA-Polen - in Art. 16 vom OECD-Musterabkommen abwichen, das Besteuerungsrecht für Bezüge der Geschäftsführung dem Ansässigkeitsstaat des Unternehmens zuweisen.
Dies entspreche auch der weit überwiegenden Literaturmeinung. Aus der polnischen Sprachfassung, die in Absatz 1 Geschäftsführer ausdrücklich erfasse, sei ersichtlich, dass die Tätigkeit eines Geschäftsführers aus der Sicht beider Staaten unter Art. 16 DBA-Polen fallen solle. Aus Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen ergebe sich, dass die deutsche Sprachfassung des DBA im Kontext der polnischen Sprachfassung auszulegen sei.
Der Beklagte verweist zudem auf Gespräche, die im Jahr 2010 zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland zur Frage der Besteuerung von in Deutschland ansässigen Geschäftsführern polnischer Gesellschaften geführt worden seien. Zwar habe die zu klärende Problematik nicht direkt die hier streitgegenständliche Fallgestaltung betroffen. Es ergebe sich aber eindeutig, dass die beteiligten Staaten bei der Abfassung des DBA-Polen davon ausgegangen seien, dass Geschäftsführer unter Art. 16 DBA-Polen fielen. Die Fälle, in denen ein in Deutschland ansässiger Geschäftsführer einer polnischen Gesellschaft betroffen sei, und die, in denen ein in Polen ansässiger Geschäftsführer einer deutschen Gesellschaft betroffen sei, seien einheitlich zu beurteilen. Dies ergebe sich auch aus der Schlussformel des DBA-Polen, wonach der deutsche und der polnische Wortlaut gleichermaßen verbindlich sein solle.
Wenn die Klägerin sich darauf berufe, dass Polen die Einkünfte der Beigeladenen besteuert habe, so könne dies keine andere Beurteilung bewirken, denn aus der Steuererklärung der Beigeladenen lasse sich kein Hinweis auf eine DBA-Problematik erkennen und es handele sich hierbei um eine selbstveranlagende Erklärung, so dass keine substantiierte Prüfung durch die polnische Finanzverwaltung stattgefunden habe.
Die Zurverfügungstellung des Firmenwagens stelle einen geldwerten Vorteil dar, welcher als Bestandteil des laufenden Arbeitslohnes unabhängig vom Einsatzort des Pkw im Rahmen der 1 %-Regelung zu besteuern sei.
Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen gelte auch für die Abfindung, da auch diese in der Eigenschaft als "bevollmächtigte Vertreterin" bezogen worden sei.
Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen, da die Formulierung "Zahlungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter bezieht" gegenüber der in Art. 15 Abs. 2 DBA-Polen gewählten Formulierung "Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbstständige Arbeit bezieht" weitergehend sei. Für Art. 15 DBA-Polen sei anerkannt, dass darunter auch Abfindungen fielen, sodass dies auch für Art. 16 DBA-Polen gelten müsse.
Darüber hinaus sei ohne Vorliegen einer Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 EStG ungeachtet des Bestehens eines deutschen Besteuerungsrechts ein Steuerabzug vom Lohn vorzunehmen, sodass der Haftungsbescheid bereits aus diesem Grund rechtmäßig sei. Dies ergebe sich aus Art. 29 DBA-Polen, wonach nur auf Antrag von der Quellenbesteuerung abgesehen werden könne.
Sowohl die feste als auch die variable Vergütung und die Abfindungszahlung unterlägen gem. Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen vollumfänglich der Besteuerung in Deutschland. Im Zeitraum von Januar 2010 bis Dezember 2013 sei eine Lohnsteuer in Höhe von ... € entstanden, die noch nicht entrichtet worden sei. Darüber hinaus sei ein Solidaritätszuschlag in Höhe von ... € entstanden, sodass sich eine Haftungsschuld von ... € ergebe.
Die Klägerin habe von der an die Beigeladene geleisteten Vergütung nur teilweise Lohnsteuer abgeführt, sie hafte deshalb für die Differenz gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG. Er, der Beklagte, habe das ihm zustehende Auswahlermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin rechtmäßig ausgeübt, da sowohl die Erteilung als auch die Vollstreckung eines Nachforderungsbescheids gegen die im Ausland ansässige Arbeitnehmerin mit erheblichem Verwaltungsaufwand und hohen Kosten für die Steuerverwaltung verbunden wäre. Insbesondere sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Klägerin im Zeitpunkt der Auszahlung weder Freistellungsbescheinigungen vorgelegen hätten, noch diese überhaupt beantragt gewesen seien. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum der Klägerin liege nicht vor. Sie habe bereits im Jahr 2007 erkannt, dass die Rechtslage schwierig sei, und daher eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft um steuerliche Beratung ersucht. Diese habe es versäumt, in Deutschland oder Polen eine Auskunft bei der zuständigen Steuerverwaltung einzuholen.
Auf das Sitzungsprotokoll des Erörterungstermins vom 25.04.2017 wird verwiesen. Dem Gericht lagen die Akte des BZSt, die Arbeitgeberakte - Sonderakte: Arbeitnehmerin D und die Rechtsbehelfsakte zu der Steuernummer .../.../... vor. Ferner hat das Gericht die Akte über das finanzgerichtliche Verfahren 6 K 261/14 beigezogen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Gericht entscheidet gem. § 90a Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Haftungsbescheid ist gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO i. V. m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Der Haftungsbescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere war der Beklagte als Betriebsstättenfinanzamt für den Lohnsteuerabzug und damit auch für den Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheids zuständig, § 41a Abs. 1 EStG.
2. Der Haftungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig, da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin vorlagen und der Beklagte das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
Ein Haftungsbescheid kann ergehen, wenn die in Haftung genommene Person für eine fremde Steuerschuld haftet. Die Klägerin haftet gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuerschuld der Beigeladenen, da die Klägerin ihre Arbeitgeberin war.
a) Die Klägerin ist Arbeitgeberin der Beigeladenen im Sinne des § 42d Abs. 1 EStG.
Arbeitgeber ist derjenige, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird oder dessen Weisung er zu befolgen hat. Dies ist regelmäßig der Vertragspartner des Arbeitnehmers aus dem Dienstvertrag (BFH-Urteile vom 24.03.1999, I R 64/98, BStBl II 2000, 41; vom 19.02.2004, VI R 122/00, BFH/NV 2004, 871). Im Konzern ist diejenige Konzerngesellschaft als Arbeitgeberin anzusehen, mit der der Arbeitsvertrag geschlossen wurde (BFH-Urteil vom 19.02.2004, VI R 122/00, BFH/NV 2004, 871). Der Arbeitsvertrag wurde am ... 2007 zwischen der Klägerin und der Beigeladenen geschlossen. Die Beigeladene ist unstreitig als Arbeitnehmerin im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG i. V. m. § 1 Abs. 2 und 3 LStDVO anzusehen, da sie typische Arbeitnehmerrechte für sich beanspruchen konnte und typische Arbeitnehmerpflichten zu erfüllen hatte. Die Beigeladene stand nach dem Arbeitsvertrag ein festes Gehalt zu, und sie hatte Anspruch auf Erholungsurlaub sowie auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie war gegenüber der Klägerin weisungsgebunden. Zudem hatte sie die vorherige Erlaubnis für Nebentätigkeiten einzuholen. Somit ist die Klägerin als Arbeitgeberin anzusehen.
b) In Höhe der festgesetzten Haftungsschuld besteht eine Steuerschuld der Beigeladenen, für die die Klägerin haftet.
Aufgrund der Akzessorietät der Haftungsschuld zur Steuerschuld besteht eine Haftungsschuld nur in der Höhe, in der der Steuerschuldner steuerpflichtig ist. Die Beigeladene schuldet Lohnsteuer in Höhe von ... € und Solidaritätszuschlag in Höhe von ... €.
Die Lohnsteuer ist gem. § 38 Abs. 1 EStG die Einkommensteuer, die durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben wird. Bei einer Haftung für Lohnsteuer ist die Haftungsschuld auch nach Ablauf des Kalenderjahres mit der Vorauszahlungsschuld identisch (BFH-Beschluss vom 12.12.1975, VI B 124/75, BStBl II 1976, 543), sodass die sich die Höhe der Haftungsschuld für nicht einbehaltene Lohnsteuer nach der Jahres-Lohnsteuer gem. § 39b Abs. 2 Sätze 3-10 EStG a.F. bestimmt. Die Höhe des Solidaritätszuschlags bemisst sich gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2a SolzG nach der Höhe der Lohnsteuer.
aa) Die Beigeladene unterliegt der beschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 EStG, da sie im Zeitraum von Januar 2010 bis Dezember 2013 in Deutschland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sowohl die laufende Vergütung als auch die Abfindung stellen inländische Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG dar, die im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht dem deutschen Besteuerungszugriff unterliegen.
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 c) EStG gehören zu den inländischen Einkünften Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, die als Vergütung für eine Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer Gesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland bezogen werden. Diese Voraussetzungen erfüllt die Beigeladene als Geschäftsführerin der Klägerin, die eine GmbH mit Sitz in A ist. Die Beigeladene ist auch, wie bereits dargelegt, als Arbeitnehmerin anzusehen.
Unter den Begriff der Vergütung fallen sowohl Geld- als auch Sachleistungen. Somit handelt es sich bei den festen und variablen Gehaltszahlungen, bei dem Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens und bei der Entschädigungszahlung für nicht genommene Urlaubstage um inländische Einkünfte.
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 d) EStG sind inländische Einkünfte auch solche Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, die als Entschädigung im Sinne des § 24 Nummer 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben. Da die Geschäftsführervergütung im Inland gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 c) EStG steuerpflichtig war, sind auch die sich aus dem Aufhebungsvertrag ergebenen Zahlungen an die Beigeladene als inländische Einkünfte einzuordnen. Auch Abfindungszahlungen unterliegen gem. § 39d Abs. 3 EStG der Lohnsteuer.
bb) Die Steuerschuld der Beigeladenen in Höhe der nicht einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer besteht unabhängig von der Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland nach dem DBA-Polen das Besteuerungsrecht zusteht. Ein etwaiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf das ihr nach §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 4 c) und d) EStG zustehende Besteuerungsrecht ist vom Vorliegen einer Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 EStG a. F. abhängig, welche der Klägerin nicht vorliegt. Die Regelung des § 39b Abs. 6 EStG wurde zwar zum 01.01.2012 durch § 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG ersetzt, galt aber gem. § 52 Abs. 51b EStG im streitgegenständlichen Zeitraum fort (vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, 07.08.2013, IV C 5-S 2363/13/10003, Rn. 8).
Ein etwaiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf ihr Besteuerungsrecht durch Art. 15 Abs. 1 DBA-Polen wirkt sich auf die Lohnsteuerabzugsverpflichtung nicht aus, da das Recht der Bundesrepublik Deutschland zur Erhebung von Abzugssteuern nach Art. 29 Abs. 1 DBA-Polen nicht berührt wird. Die Klägerin war daher bei Auszahlung der Vergütung zum Lohnsteuerabzug verpflichtet. Nach § 39b Abs. 6 EStG a. F. i. V. m. Art. 29 Abs. 1 DBA-Polen ist für die steuerfreie Auszahlung des Arbeitslohns eine Freistellungsbescheinigung erforderlich (BFH-Urteil vom 10.05.1989, I R 50/85, BStBl II 1989, 755; Becht, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 39b EStG Rn. 66). Zwar ergibt sich aus § 39b Abs. 6 EStG a. F. selbst keine Verpflichtung zur Antragstellung (BFH-Urteil vom 10.05.1989, I R 50/85, BStBl II 1989, 755). Allerdings ist ein etwa in Art. 15 DBA-Polen ausgesprochener Steuerverzicht der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 29 Abs. 1 DBA-Polen antragsabhängig ausgestaltet. Im Wege des Steuerabzugs erhobene Steuern werden danach auf Antrag des Steuerpflichtigen erstattet, wenn sie nach dem DBA steuerfrei sind. Von der Erhebung der Quellensteuer kann daher nur abgesehen werden, wenn das hierfür nach nationalem Recht vorgesehene Verfahren eingehalten wurde. Da der Klägerin die zur steuerfreien Auszahlung des Arbeitslohns erforderliche Freistellungsbescheinigung nicht vorlag, war sie zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer auf die gesamte Vergütung verpflichtet.
Die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ist nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig (im Ergebnis ebenso Thürmer, in: Blümich, § 39 EStG Rn. 66; Becht, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 39b EStG Rn. 66). Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des Erfordernisses einer Freistellungsbescheinigung. Durch das Lohnsteuerabzugsverfahren soll eine vereinfachte Steuererhebung ohne Prüfung der steuerrechtlichen Verhältnisse ermöglicht werden. Die Freistellungsbescheinigung dient zur Vereinfachung des Verfahrens, indem bei ihrem Vorliegen ein Lohnsteuerabzug im Hinblick auf die bestehende Verpflichtung zur Erstattung der Steuer nach einem DBA unterbleiben kann. Die Klägerin war ursprünglich unabhängig von einer etwaig anderen Zuweisung des Besteuerungsrechts durch das DBA-Polen dazu verpflichtet, Lohnsteuer abzuführen. Führt die Klägerin entgegen dieser Verpflichtung keine Lohnsteuer ab, ist der Erlass eines Haftungsbescheids nicht vom Bestehen eines Besteuerungsrechts unter Berücksichtigung von Doppelbesteuerungsabkommen abhängig. Auch verlöre die Erforderlichkeit einer Freistellungsbescheinigung ihren Sinn, wenn der Lohnsteuerabzugsverpflichtete allein durch die Nichtabführung der Lohnsteuer erreichen könnte, dass seine Inanspruchnahme von dem Bestehen des Besteuerungsrechts abhängt.
Dieses Verfahren war nicht gem. § 74 FGO auszusetzen, um zunächst die Entscheidung im Verfahren 6 K 71/17 abzuwarten. Der Klägerin hätten die Freistellungsbescheinigungen nicht erteilt werden können, denn Deutschland stand das Besteuerungsrecht zu (siehe d) aa)).
c) Ein Verschulden des Arbeitgebers ist gem. § 42d EStG nicht erforderlich für eine Haftung. Die Haftung hängt allein von der Nichtabführung der Lohnsteuer ab.
d) Die Ausübung des dem Beklagten zustehenden Ermessens hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid ist nicht zu beanstanden. Die Ermessensausübung des Beklagten ist gem. § 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Das Gericht ist nur zur Prüfung berechtigt, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei ist vom gesetzgeberischen Zweck des Lohnsteuerabzugsverfahrens auszugehen, durch den Abzug an der Quelle den schnellen Eingang der Lohnsteuer in einem vereinfachten Verfahren sicherzustellen (BFH-Urteil vom 20.06.1990, I R 157/87, BStBl II 1992, 43).
aa) Die Inanspruchnahme wegen des Fehlens der erforderlichen Freistellungsbescheinigung ist ermessensfehlerfrei erfolgt, da die von der Klägerin beantragte Freistellungsbescheinigung nicht rechtmäßig hätte erteilt werden können. Die Gehaltszahlungen und die Abfindung sind nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen in Deutschland steuerpflichtig.
Das sich aus §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ergebende deutsche Besteuerungsrecht ist nicht durch Art. 15 Abs. 1 DBA-Polen ausgeschlossen.
Nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen, der Art. 15 als speziellere Regelung vorgeht, steht Deutschland das Besteuerungsrecht sowohl hinsichtlich der Gehaltszahlungen (einschließlich geldwerter Vorteile) als auch hinsichtlich der Abfindungszahlungen zu.
(a) Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen findet keine Anwendung, da die Beigeladene als Geschäftsführerin nicht unter die in der Vorschrift genannten Personengruppen fällt.
Nach Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen können Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen und ähnliche Zahlungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrats oder Verwaltungsrats einer Gesellschaft bezieht, die im anderen Vertragsstaat ansässig ist, im anderen Staat besteuert werden.
Der Begriff "Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats" umfasst nicht Geschäftsführer. Die Auslegung von im DBA-Polen verwendeten Begriffen richtet sich gem. Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen vorrangig nach dem nationalen Begriffsverständnis. Nach Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen hat bei der Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, jeder im Abkommen nicht definierte Ausdruck die Bedeutung, die ihm im Anwendungszeitraum nach dem Recht dieses Staates über die Steuern zukommt, für die das Abkommen gilt, wobei die Bedeutung nach dem in diesem Staat anzuwendenden Steuerrecht den Vorrang vor einer Bedeutung hat, die der Ausdruck nach anderem Recht dieses Staates hat.
Bereits nach dem Wortlaut ist der Anwendungsbereich der Vorschrift auf Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitglieder beschränkt.
Aufsichtsratsmitglieder sind Personen, die zur Überwachung der Geschäftsführung bestimmt sind, insbesondere die Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, GmbH, Genossenschaft oder eines VVaG. Unter Verwaltungsrat sind insbesondere die Überwachungsorgane von Sparkassen und ähnlichen öffentlichen Einrichtungen zu verstehen. Als Geschäftsführerin ist die Beigeladene hiervon nicht erfasst.
Eine analoge Anwendung der Regelung auf Geschäftsführer kommt auch unter Berücksichtigung des abweichenden polnischen Wortlauts des DBA-Polen nicht in Betracht. Die polnische Textfassung des DBA führt Geschäftsführer ausdrücklich in Art. 16 Abs. 1 auf. Nach der Schlussklausel des DBA ist zwar der Wortlaut der deutschen und der polnischen Fassung gleichermaßen verbindlich, was darauf hindeutet, dass die Vertragsparteien das Doppelbesteuerungsabkommen einheitlich anwenden wollten. Der Widerspruch der Textfassungen lässt sich jedoch auch unter Anwendung des für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen maßgeblichen Wiener Übereinkommens über die Anwendung von Verträgen (WÜRV, BGBl II 1985, 926, in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 03.08.1985 am 20.08.1987) nicht auflösen. Nach Art. 31 Abs. 1 WÜRV ist der Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.
Eine erweiternde Auslegung oder eine analoge Anwendung der Regelung mit dem Ergebnis, Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen auch auf Geschäftsführer anzuwenden, ist jedoch aufgrund der Systematik des Art. 16 DBA-Polen sowie mangels Vergleichbarkeit des Geschäftsführers mit Verwaltungs- und Aufsichtsräten nicht möglich.
Zwar ist gem. Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen eine vom nationalen Begriffsverständnis abweichende Auslegung von Begriffen möglich, wenn der Abkommenszusammenhang dies erfordert. Eine analoge Anwendung setzt jedoch die Vergleichbarkeit von Geschäftsführern mit Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitgliedern voraus, welche nicht gegeben ist. Bei Aufsichts- und Verwaltungsräten handelt es sich im Unterschied zu Geschäftsführern um Organe, die die Geschäftsführung überwachen. Auch die Systematik des Art. 16 DBA-Polen steht einer analogen Anwendung des Art. 16 Abs. 1 auf Geschäftsführer entgegen. Art. 16 DBA-Polen regelt in Absatz 1 die Besteuerung solcher Personen, deren Befugnisse auf die Überwachung der Geschäftsführung beschränkt sind. In Absatz 2 wird die Besteuerung von Personen geregelt, die die Geschäfte einer Gesellschaft führen. Aufgrund dieser Trennung der Personengruppen nach Funktionen können Geschäftsführer nicht von Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen umfasst sein.
Zudem widerspräche eine solche Analogie dem mutmaßlichen Willen der Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat. Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen entspricht Art. 16 des OECD-MA. Dieses wird dahingehend ausgelegt, dass unter die Regelung nur solche Personen fallen, die die Geschäftsführung beaufsichtigen, nicht aber diejenigen, die selbst die Geschäfte führen (BFH-Urteil vom 05.10.1994, I R 67/93, BStBl II 1995, 95; Prokisch, in: Vogel/Lehner, Art. 16 OECD-MA Rn. 4a m. w. N.). Es ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Formulierung des OECD-MA übernommen hat, ihr aber eine andere Bedeutung beilegen wollte. Die in Art. 33 Abs. 3 WÜRV niedergelegte Vermutung, dass die Ausdrücke der unterschiedlichen Textfassungen jeweils dieselbe Bedeutung haben, ist daher widerlegt. Aufgrund der im Widerspruch zueinander stehenden deutschen und polnischen Textfassung des DBA ist eine Auslegung, die beiden Textfassungen gleichermaßen zur Wirksamkeit verhilft, nicht möglich. Aufgrund des Gleichrang-Verhältnisses beider Fassungen kann bei einander widersprechenden Formulierungen keiner Fassung der Vorrang eingeräumt werden.
(b) Die Beigeladene ist aber als bevollmächtigte Vertreterin im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen anzusehen (so auch Prokisch, in: Vogel/Lehner, Art. 16 OECD-MA Rn. 23, der Geschäftsführer bereits als vom Wortlaut der Vorschrift umfasst sieht).
Nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter einer Gesellschaft bezieht, die im anderen Vertragsstaat ansässig ist, im anderen Staat besteuert werden.
Nach dem nationalen Begriffsverständnis ist ein Geschäftsführer zwar kein Bevollmächtigter. Eine erweiternde Auslegung auf Geschäftsführer ist jedoch geboten. Auch der Zusammenhang des Abkommens erfordert eine vom nationalen Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Begriffs des "bevollmächtigter Vertreters", Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen.
Nach nationalem Recht ist Vollmacht die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht, § 164 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Der Bevollmächtigte tritt als Stellvertreter des Vollmachtgebers in dessen Namen auf. Ein Geschäftsführer hingegen ist gem. § 35 GmbHG gesetzlicher Vertreter der GmbH und kein Bevollmächtigter. Zudem wird der durch den Geschäftsführer vertretenen GmbH dessen Handeln unmittelbar zugerechnet. Allerdings ist die Stellung des Geschäftsführers einem bevollmächtigten, also rechtsgeschäftlichen, Vertreter vergleichbar (so auch Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, § 35 GmbHG Rn. 7; unentschieden Stephan/Tieves, in: MünchKomm GmbHG, § 35 Rn. 91). Die Vertretungsmacht des Geschäftsführers entsteht zwar gesetzlich, setzt aber einen Bestellungsakt voraus, der im vorliegenden Fall gem. § 6 Abs. 3 Satz 2 GmbHG in der Bestellung der Beigeladenen als Geschäftsführerin durch den Aufsichtsrat als Bestellungsorgan liegt. Auch hinsichtlich des Umfangs der Vertretungsmacht ist der Geschäftsführer einem bevollmächtigten Vertreter vergleichbar. Die Vertretungsmacht eines Geschäftsführers, die rechtsgeschäftlich nicht mit Wirkung für das Außenverhältnis beschränkt werden kann, ist gegenüber einem bevollmächtigten Vertreter wie z. B. einem Prokuristen umfassender, sodass der Geschäftsführer im Wege eines Erst-Recht-Schlusses als von Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen erfasst anzusehen ist. Gründe für eine unterschiedliche Besteuerung beider Personengruppen sind nicht ersichtlich. Ergänzend ergibt sich aus der Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 c) EStG, in der die Besteuerung von Geschäftsführern, Prokuristen und Vorstandsmitgliedern einer Gesellschaft einheitlich geregelt wurde, dass auch der nationale Steuergesetzgeber die genannten Personengruppen als miteinander vergleichbar ansieht.
Auch eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen gebietet die Einbeziehung von Geschäftsführern. Es würde einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, wenn Geschäftsführer im Unterschied zu bevollmächtigten Vertretern nicht von der Regelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen umfasst wären. Es sind keine Umstände von solchem Gewicht ersichtlich, dass eine abweichende Beurteilung der Besteuerung von Geschäftsführern gerechtfertigt wäre.
Eine Auslegung aus dem Zusammenhang des Abkommens ist erforderlich, da die Regelung in Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen als Verteilungsnorm eine bestimmte Aufteilung der Besteuerungszuständigkeiten sicherstellen soll (Dürrschmidt, in: Vogel/Lehner, Art. 3 Rn. 116c) und nach dem innerstaatlichen Recht die Gefahr von Doppelbesteuerung besteht, die nach dem Zweck des Vertrags vermieden werden sollte.
Im Unterschied zu Art. 15 Abs. 1 DBA-Polen, nach dem es für die Zuweisung des Besteuerungsrechts auf den Ort der Tätigkeitsausübung ankommt, richtet sich nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen für Vertreter einer Gesellschaft das Besteuerungsrecht nach dem Sitz der vertretenen Gesellschaft. Unabhängig von der tatsächlichen Ausübung der Tätigkeit wird das Besteuerungsrecht also dem Staat zugeordnet, in dem die vertretene Gesellschaft ihren Sitz hat, sich die Tätigkeit also auswirkt. Damit wird faktisch eine Verwertung an dem Ort fingiert, an dem die Gesellschaft, für die die Tätigkeit ausgeübt wird, ansässig ist (Tcherveniachki in: Schönfeld/Ditz, Art. 16 OECD-MA Rn. 2). Dies dient der Verfahrenserleichterung, da der Ort der Tätigkeit häufig nur schwer feststellbar ist (Art. 16 Nr. 1 OECD-MK, Prokisch, in: Vogel/Lehner, Art. 16 OECD-MA Rn. 4). Vor diesem Hintergrund sind keine die abweichende Behandlung von Geschäftsführern gegenüber Verwaltungs- und Aufsichtsräten sowie bevollmächtigten Vertretern rechtfertigenden Unterschiede ersichtlich.
Der Wille der Vertragsstaaten, Geschäftsführer unter Art. 16 DBA-Polen zu fassen, äußert sich insbesondere darin, dass die polnische Textfassung Geschäftsführer bereits ausdrücklich in Absatz 1 aufführt. Es erscheint nicht als naheliegend, dass es dem Willen der Vertragsstaaten entsprach, dass Polen das Besteuerungsrecht für in Deutschland ansässige Geschäftsführer polnischer Gesellschaften zustehen soll, aber Deutschland im Gegenzug nicht das Besteuerungsrecht für in Polen ansässige Geschäftsführer deutscher Gesellschaften hätte beanspruchen wollen. Zudem würde es zu Besteuerungskonflikten kommen, wenn aus nationaler Sichtweise Art. 16 DBA-Polen auf Geschäftsführer keine Anwendung fände. Dies führte dazu, dass im Fall eines in Polen ansässigen Geschäftsführers einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft aus polnischer Sicht Deutschland das Besteuerungsrecht gem. Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen hätte, während aus deutscher Sicht Deutschland allenfalls ein anteiliges Besteuerungsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Polen zustünde. Da Polen die Doppelbesteuerung gem. Art. 24 Abs. 2 a) DBA-Polen durch Freistellung vermeidet, käme es zur doppelten Nichtbesteuerung. Im umgekehrten Fall eines in Deutschland ansässigen Geschäftsführers einer in Polen ansässigen Gesellschaft würde Polen gem. Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen das Besteuerungsrecht beanspruchen; zugleich würde Deutschland die Vergütung nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Polen (zumindest anteilig) besteuern. In diesem Fall käme es zur Doppelbesteuerung.
Es ist bei einander widersprechenden Wortlauten diejenige Bedeutung zugrunde zu legen, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrags die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt. Daher soll diejenige Auslegung angestrebt werden, die am ehesten Aussicht hat, in beiden Vertragsstaaten akzeptiert zu werden. Dies ergibt sich aus Art. 33 Abs. 3 und 4 WÜRV, wonach vermutet wird, dass die Vertragsparteien dasselbe regeln wollten, und, sofern eine Auslegung nach Art. 31 und 32 WÜRV nicht zum Erfolg führt, diejenige Bedeutung zugrunde zu legen ist, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrags die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt. Der Grundsatz der Entscheidungsharmonie (BFH-Urteil vom 02.09.2009, I R 111/08, BStBl II 2010, 387) gebietet, Geschäftsführer aus deutscher Sicht als bevollmächtigte Vertreter anzusehen. Da Geschäftsführer aus den oben genannten Gründen aus nationaler Sicht aufgrund des Wortlauts und der Systematik nicht unter Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen gefasst werden können, entspricht es dem mutmaßlichen Willen der Vertragsstaaten am besten, aus deutscher Sicht Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen zur Anwendung zu bringen. Die danach unterschiedliche Anwendung des DBA im Hinblick auf den anzuwendenden Absatz des Art. 16 DBA-Polen führt nicht zu Besteuerungskonflikten. Beide Absätze weisen das Besteuerungsrecht dem Staat zu, in dem die vertretene Gesellschaft ihren Sitz hat. Ein Unterschied ergibt sich lediglich im Hinblick auf die anwendbare Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Während Polen die Einkünfte von der Besteuerung ausnimmt, für die Deutschland nach Art. 16 Abs. 1 und 2 DBA-Polen das Besteuerungsrecht hat, stellt Deutschland nur die Einkünfte nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen frei; hinsichtlich der Einkünfte nach Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen vermeidet Deutschland die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der polnischen Steuer.
Das gefundene Auslegungsergebnis wird durch die Anwendung des Art. 16 DBA-Polen in den Vertragsstaaten gestützt. Nach Art. 31 Abs. 3 (b) WÜRV ist auch jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsstaaten über seine Auslegung hervorgeht, bei der Auslegung zu berücksichtigen. Aus den zwischen den Finanzverwaltungen beider Staaten geführten Gesprächen ist ersichtlich, dass beide Staaten davon ausgehen, dass auf Geschäftsführer Art. 16 DBA-Polen Anwendung findet, auch wenn sie dies auf unterschiedliche Absätze der Norm stützen (siehe z. B. Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern, 03.09.2010, IV-S 1368-00000-2010/00; Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg, 16.06.2010, 35-S 1391.POL-1/09). Selbst wenn die Gespräche zu den Fällen in Deutschland ansässiger Geschäftsführer polnischer Gesellschaften geführt wurden, wird die Praxis, dass Art. 16 DBA-Polen auf Geschäftsführer angewendet wird, daraus hinreichend deutlich. In den geführten Gesprächen wurde die Anwendbarkeit des Art. 16 auf Geschäftsführervergütungen nicht in Frage gestellt, sondern lediglich die Folgen, nämlich die aus deutscher Sicht unklare Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, diskutiert. Aus der Sicht beider Vertragsstaaten bestand dabei Gesprächsbedarf lediglich im Hinblick auf die geschilderte Fallkonstellation, da sich im umgekehrten Fall die Frage nicht stellt, welche Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zur Anwendung kommt.
Warum im konkreten Fall Polen trotz des in der polnischen Abkommensfassung eindeutigen Wortlauts die Vergütungen besteuert hat, ist unklar.
Aufgrund des in Polen üblichen Verfahrens der Steuererhebung nach Steueranmeldung wurde möglicherweise eine materiell-rechtliche Prüfung nicht durchgeführt. Der Erklärungsansatz der Klägerin, dass Polen als Geschäftsführer im Sinne des Art. 16 DBA-Polen nur selbstständig Tätige einordnet, überzeugt insofern nicht, als Art. 16 DBA-Polen nicht nur lex specialis gegenüber Art. 14 DBA-Polen, sondern ausdrücklich auch gegenüber Art. 15 DBA-Polen ist. Zudem dürfte der Begriff des "Geschäftsführers" auch aus polnischer Sicht die organschaftliche Vertretung bezeichnen, die unabhängig vom Anstellungsverhältnis ist, weswegen eine Differenzierung bei der Besteuerung von Geschäftsführern nur aufgrund des Anstellungsverhältnisses nicht nahe liegt.
Entgegen der klägerischen Auffassung lässt sich aus der polnischen Sprachfassung nicht ableiten, die Vertragsparteien hätten Geschäftsführer zumindest nicht unter Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen fassen wollen. Aufgrund der oben genannten Grundsätze bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, insbesondere der Entscheidungsharmonie, ist das Abkommen im Zusammenhang auszulegen. Eine isolierte Betrachtung einzelner Regelungen ist daher nicht vorzunehmen. Dem mutmaßlichen Willen der Vertragsstaaten entspricht es besser, dass die Besteuerung der Vergütung von Geschäftsführern sich aus polnischer Sicht nach Art. 16 Abs. 1 und aus deutscher Sicht nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen richtet, als dass es aufgrund einer Anwendung von Art. 15 DBA-Polen zu Besteuerungskonflikten kommt.
Dem gefundenen Auslegungsergebnis steht nicht entgegen, dass andere Doppelbesteuerungsabkommen Geschäftsführer ausdrücklich erwähnen.
So heißt es in Art. 16 DBA-Schweden:
"Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen und ähnliche Zahlungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats, als Geschäftsführer oder als Vorstandsmitglied einer Gesellschaft bezieht, die im anderen Vertragsstaat ansässig ist, können im anderen Staat besteuert werden."
In Art. 16 Abs. 2 DBA-Österreich heißt es bei gleichlautendem Absatz 1:
"Ungeachtet der Artikel 14 und 15 dürfen Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer oder als Vorstandsmitglied einer Gesellschaft bezieht, die in dem anderen Vertragsstaat ansässig ist, im anderen Staat besteuert werden."
Die Formulierung im DBA-Kasachstan ist nahezu gleichlautend mit der Formulierung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Österreich.
Im DBA-Japan vom 22.04.1996 (Neufassung im Jahr 2015), auf das die Klägerin ebenfalls verweist, heißt es in Art. 16:
"Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrates oder der geschäftsführenden Organe einer Gesellschaft bezieht, die in dem anderen Vertragsstaat ansässig ist, können in dem anderen Vertragsstaat besteuert werden."
Ein Umkehrschluss aus diesen Abkommen, in denen Geschäftsführer ausdrücklich genannt werden, auf das DBA-Polen ist nicht möglich. Eine von der streitgegenständlichen Formulierung abweichende Abkommenspraxis kann zwar ein Indiz für eine bewusst abweichende Regelung sein. Die Auslegung hat aber vorrangig aus dem Abkommen selbst zu erfolgen. Zudem stimmen die vorstehend zitierten Regelungen darin überein, dass darin der Anwendungsbereich über die in Art. 16 OECD-MA genannten Personen auf Geschäftsführungsorgane erstreckt wird. Der Umstand, dass in Art. 16 DBA-Polen Geschäftsführer nicht ausdrücklich genannt werden, kann vor diesem Hintergrund aber nicht als bewusste Nichtregelung verstanden werden. Vielmehr verfolgt Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen gegenüber den vorgenannten Abkommen eine andere Zielrichtung, indem davon nicht nur geschäftsführende Organe, sondern auch bevollmächtigte Vertreter erfasst werden sollen. In seinem Anwendungsbereich ist Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen entgegen der Auffassung der Klägerin somit nicht enger gefasst als die vorgenannten Regelungen in anderen Doppelbesteuerungsabkommen, sondern geht über sie hinaus.
(c) Als Vergütung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen sind sämtliche Geld- und Sachbezüge anzusehen, die in der Eigenschaft als Geschäftsführer bezogen wurden. Der Begriff der Vergütung ist weit auszulegen (Tcherveniachki, in: Schönfeld/Ditz, Art. 16 OECD-MA Rn. 36, Art. 16 Nr. 1 OECD-MK). Er umfasst die gesamte Vergütung einschließlich Sachbezüge sowie die Abfindungszahlungen.
(aa) Sowohl der feste als auch der variable Bestandteil der bis Oktober 2013 geleisteten Vergütung unterfällt der Regelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen.
Hinsichtlich der von Januar 2010 bis Juni 2013 bezogenen Vergütung ergibt sich die Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen aus der Qualifizierung der Beigeladenen als bevollmächtigte Vertreterin. Der Begriff der Vergütung umfasst auch den geldwerten Vorteil der privaten Nutzung des Dienstwagens (Tcherveniachki, in: Schönfeld/Ditz, Art. 16 OECD-MA Rn. 36)
Auch die Besteuerung der ab Juli bezogenen Vergütung richtet sich nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen. Der erforderliche Zusammenhang nach Art. 16 DBA-Polen endet nicht mit dem Ende der gesellschaftsrechtlichen Stellung als Geschäftsführerin durch Freistellung oder Löschung im Handelsregister. Die Freistellung stellt lediglich eine interne Maßnahme dar, die die Stellung als Geschäftsführerin nicht beeinträchtigt.
Die Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen endete auch nicht mit der Abberufung der Beigeladenen als Geschäftsführerin zum 01.09.2013. Zwar endet die organschaftliche Stellung des Geschäftsführers mit dem Widerruf der Bestellung, § 38 Abs. 1 GmbHG. Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen umfasst aber nicht nur die Vergütung, die während der organschaftlichen Stellung als Geschäftsführerin bezogen wurden, sondern die Vergütung, die kausal mit der Geschäftsführerstellung verknüpft ist. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Abkommens, wonach die Vergütung, die der Geschäftsführer in dieser Eigenschaft erhält, besteuert werden soll. Die Vergütung des Geschäftsführers ergibt sich nicht aus seiner organschaftlichen Stellung, sondern richtet sich nach dem Anstellungsvertrag. Stellte man, der Auffassung der Klägerin folgend, auf die organschaftliche Stellung des Geschäftsführers ab, liefe Art. 16 DBA-Polen leer, da sich die Vergütung stets aus dem Anstellungsvertrag und nicht aus der organschaftlichen Stellung ergibt.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen in zeitlicher Hinsicht mit dem Erlöschen der Vertretungsmacht endet. Gegen eine solche Auslegung spricht der weit zu verstehende Begriff der Vergütungen. Zudem ist für die Auslegung von Art. 16 OECD-MA anerkannt, dass unter den Begriff der Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats bezieht, auch Abfindungen fallen (Tcherveniachki, in: Schönfeld/Ditz, Art. 16 OECD-MA Rn. 37; Prokisch, in: Vogel/Lehner, Art. 16 OECD-MA Rn. 4c), welche üblicherweise zu einem Zeitpunkt gezahlt werden, in dem die Stellung als Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsmitglied bereits beendet ist. Daraus ist zu entnehmen, dass auch die Vergütungen von dem entsprechend dem OECD-MA formulierten Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen erfasst werden, die nach Beendigung der Stellung als Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsmitglied gezahlt werden. Die Regelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen ist in ihrer Formulierung hieran angelehnt. Daher ist davon auszugehen, dass der Begriff der Vergütung in beiden Absätzen gleich auszulegen ist. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass die Formulierung "in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter" im Unterschied zu Absatz 1 die Anwendbarkeit auf den Zeitraum der Vertretungsbefugnis begrenzt. Vielmehr entspricht es dem Sinn und Zweck der Sonderregelung des Art. 16 DBA-Polen, dass alle im Zusammenhang mit der Stellung als Geschäftsführer geleisteten Vergütungen unter Art. 16 fallen sollten. Die Vergütungen wurden zudem aufgrund des Anstellungsvertrags gezahlt, durch den die Beigeladene als Geschäftsführerin angestellt wurde. Die starke Verknüpfung zwischen dem Anstellungsvertrag und der Geschäftsführerstellung ist auch daraus ersichtlich, dass der Dienstvertrag vom ... 2010 unter der aufschiebenden Wirkung der Bestellung der Beigeladenen zum Vorstandsmitglied steht. Zudem war sie für die Klägerin nur als Geschäftsführerin und nie in einer anderen Funktion tätig.
Die Zahlung für die Entschädigung nicht genommener Urlaubstage stellt eine Zahlung zur Abgeltung vertraglich erdienter Ansprüche dar. Diese stellt ebenfalls eine Vergütung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen dar.
(bb) Auch die Besteuerung der Abfindungszahlungen richtet sich nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen.
Abfindungen sind Zahlungen, die dem Arbeitnehmer anlässlich seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis gezahlt werden. Bei den Abfindungen handelt es sich um Vergütungen im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen. Für Art. 16 OECD-MA ist anerkannt, dass unter den Begriff der Vergütungen auch Abfindungen fallen (Tcherveniachki, in: Schönfeld/Ditz, Art. 16 OECD-MA Rn. 37; Prokisch, in: Vogel/Lehner, Art. 16 OECD-MA Rn. 4c). Der in der Formulierung daran angelehnte Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen ist ebenso zu verstehen. Dies ergibt sich aus den oben unter (aa) genannten Gründen.
Auf die ständige Rechtsprechung des BFH zum Begriff der Vergütungen des Art. 15 DBA (BFH-Urteile vom 10.07.1996, I R 83/95, BStBl II 1997, 341; vom 02.09.2009, I R 111/08, BStBl II 2010, 387; vom 02.09.2009, I R 90/08, BFH/NV 2009 S. 2041) kommt es aufgrund des abweichenden Begriffsverständnisses in Art. 16 nicht an. Aus diesem Grund steht auch die Neueinführung des § 50d Abs. 12 EStG der Besteuerung der Abfindung in Deutschland nicht entgegen. Dieser regelt insbesondere die Frage der örtlichen Zuordnung zum früheren Tätigkeitsstaat. Vor Gesetzeseinführung war streitig, ob bei der örtlichen Zuordnung an die früher ausgeübte Tätigkeit angeknüpft werden kann (so zunächst die Auffassung der Finanzverwaltung) oder ob an die Verhältnisse bei Auszahlung der Abfindung (so die Rechtsprechung des BFH) anzuknüpfen ist.
Im Anwendungsbereich des Art. 16 DBA-Polen steht das Besteuerungsrecht aber unabhängig davon, wo die Tätigkeit ausgeübt wird, dem Staat zu, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Die in § 50d Abs. 12 EStG geregelte Frage stellt sich somit bei Abfindungen, die unter Art. 16 DBA-Polen fallen, nicht.
Der Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen steht auch nicht entgegen, dass die Abberufung als Geschäftsführer gem. § 38 GmbHG jederzeit erfolgen kann, ohne dass eine Entschädigungszahlung erforderlich ist. Der Kausalzusammenhang mit der Geschäftsführerstellung genügt für die Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen (s. o. unter (aa)). Der erforderliche Zusammenhang mit der Geschäftsführertätigkeit besteht darin, dass die Beigeladene nach dem Dienstvertrag als Geschäftsführerin der Klägerin bis zum 31.12.2015 tätig sein sollte. Die Klägerin war somit auf die Mitwirkung der Beigeladenen zur Aufhebung des Vertrags angewiesen.
(d) Nach Art. 16 Abs. 2 steht dem Staat das Besteuerungsrecht zu, in dem die Gesellschaft ansässig ist. Dies ist die Bundesrepublik Deutschland, da die Klägerin dort ihren Sitz hat.
bb) Auch die Auswahl der Klägerin als Haftungsschuldnerin ist ermessensfehlerfrei erfolgt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind hinsichtlich der Lohnsteuer Gesamtschuldner gem. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG. Der Beklagte hat über die Geltendmachung der Steuer- oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der von Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen und unter Abwägung der Interessen aller Beteiligten zu befinden (BFH-Urteil vom 20.06.1990, I R 157/87, BStBl II 1992, 43). Er ist berechtigt, die Lohnsteuerschuld gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend zu machen (§ 42d Abs. 3 Satz 2: dazu BFH-Urteil vom 29.10.1993, VI R 26/92, BStBl II 1994, 197).
Die Haftung des Arbeitgebers kann ausgeschlossen sein, wenn er schuldlos gehandelt hat oder ihn nur ein geringfügiges Verschulden trifft. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn sich der Arbeitgeber im entschuldbaren Rechtsirrtum befand (BFH-Urteile vom 18.09.1981, VI R 44/77, BStBl II 1981, 801; vom 18.08.2005, VI R 32/03, BStBl II 2006, 30; Herrmann, in: Frotscher, EStG, § 42d Rn. 21; Schmieszek, in: Bordewin/Brandt, § 42d EStG Rn. 74; Eisgruber, in: Kirchhof, § 42d EStG Rn. 32). Ein entschuldbarer Rechtsirrtum liegt vor, wenn der Arbeitgeber bei seinem Kenntnisstand trotz sorgfältiger Prüfung überzeugt sein konnte, dass Lohnsteuer im konkreten Einzelfall nicht einzubehalten sei (Eisgruber, s. o.). Es obliegt dem Arbeitgeber, sich zwecks vorschriftsmäßigen Lohnsteuereinbehalts über die einschlägigen Gesetze, Verordnungen und Richtlinien der Finanzverwaltung zu unterrichten (Herrmann, in: Frotscher, § 42d EStG Rn. 64). Die Inanspruchnahme ist hingegen ermessensfehlerfrei, wenn der Arbeitgeber in schwierigen Fällen, in denen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Zweifel über die Rechtslage kommen müssen, einem Rechtsirrtum unterliegt, weil er von der Möglichkeit der Anrufungsauskunft nach § 42e EStG keinen Gebrauch gemacht hat, sondern seinem eigenen Urteil vertraut (BFH-Urteil vom 18.08.2005, VI R 32/03, BStBl II 2006, 30; BFH-Beschluss vom 19.05.2009, VI B 8/08, BFH/NV 2009, 1454).
Die Klägerin war nicht subjektiv überzeugt davon, dass die Lohnsteuer für die Vergütung der Beigeladenen nur teilweise einzubehalten war. Sie hat ihre steuerliche Beraterin, ihre Prozessbevollmächtigte im hiesigen Verfahren, mit der Führung des Lohnsteuerkontos beauftragt, sodass deren Kenntnis ihr zuzurechnen ist. Die Prozessbevollmächtigte veröffentlichte am ... 2010 als Tax News einen Hinweis auf die Mitteilung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 22.01.2010, sodass ihr bekannt war, dass Geschäftsführer nach der Verwaltungsauffassung als bevollmächtigte Vertreter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen angesehen werden. Darüber hinaus setzt sie selbst durch die Formulierung "bevollmächtigte Vertreter (Geschäftsführer)" Geschäftsführer mit bevollmächtigten Vertretern gleich. Auch in der Veröffentlichung ... der Klägerin (Vetter/Schreiber, IWB 2010, 488 ff.) werden in dieser Art bevollmächtigte Vertreter und Geschäftsführer gleichgesetzt (S. 492). In dem Beitrag weisen die Verfasser zudem ausdrücklich auf die Verwaltungsauffassung (S. 493: "Deutschland ordnet die Einkünfte eines Geschäftsführers Art. 16 Abs. 2 DBA Polen zu") sowie auf die Auffassung der OFD Münster hin, dass die Anwendung von Art. 15 nicht der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung entspricht.
Die Klägerin konnte auch nicht deswegen auf die Richtigkeit des vorgenommenen Lohnsteuerabzugs vertrauen, weil nach ihren Angaben eine Besteuerung der Differenzbeträge in Polen erfolgt ist. Die Besteuerung in Polen lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines deutschen Besteuerungsrechts zu. Eine etwaige Doppelbesteuerung hätte gem. Art. 26 DBA-Polen durch ein Verständigungsverfahren vermieden werden müssen. Zudem hätte die Klägerin gem. § 39b Abs. 6 EStG vor Ablauf der jeweiligen Veranlagungszeiträume eine Freistellungsbescheinigung beantragen können, um eine Haftung wegen einer fehlerhaften Auslegung des DBA zu vermeiden. Einen entsprechenden Antrag hatte die Klägerin erst im Jahr 2014 gestellt.
Auch in objektiver Hinsicht konnte die Klägerin nicht davon überzeugt sein, dass keine weitere Lohnsteuer einzubehalten sei. Bei sorgfältiger Prüfung hätte die Klägerin erkennen können, dass zwei Landesfinanzverwaltungen die Auffassung vertreten hatten, dass Geschäftsführer unter die Regelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen zu fassen seien und Art. 15 DBA-Polen keine Anwendung findet (Oberfinanzdirektion Münster vom 22.03.2010, Kurzinformation Internationales Steuerrecht 1/2010; Bayerisches Landesamt für Steuern vom 22.01.2010, S 1301.1.1 - 15/4 St 32).
Auch das Bundesfinanzministerium hat im Schreiben vom 14.09.2006 durch die Formulierung "das für die Geschäftsführung eines Unternehmens verantwortliche Personal (z. B. Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen)" (BStBl II 2006, 532 [BFH 14.09.2005 - VI R 148/98]) seine Auffassung geäußert, dass Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen auf Geschäftsführer Anwendung findet. Dies entsprach auch der überwiegenden Literaturauffassung (vgl. Bernhardt/Piekielnik, IStR 2005, 366, 368; Haase, AStG, DBA, Art. 16 MA Rn. 37, 43; Bourseaux/Levedag in: Schönfeld/Ditz, Art. 15 DBA Rn. 143; dagegen Reith, in: Wassermeyer, Art. 16 Rn. 11-12 DBA-Polen, der jedoch auf die unklare Rechtslage hinweist).
Der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin steht nicht entgegen, dass bislang keine Steuerfestsetzung gegen die Arbeitnehmerin, die Schuldnerin der Steuer ist, erfolgt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 21.05.2004, VII B 212/03, BFH/NV 2004, 1368 [BFH 21.05.2004 - V B 212/03]).
Die Begründung der Ermessensentscheidung zur Inanspruchnahme der Klägerin als Arbeitgeberin mit der Erwägung, dass die Arbeitnehmerin im Ausland ansässig ist, ist nicht zu beanstanden (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 03.12.1996, I B 44/96, BStBl II 1997, 306; vom 08.11.2000, I B 59/00, BFH/NV 2001, 448).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und auf § 139 Abs. 4 FGO.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen.