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  • 26.04.2022 · IWW-Abrufnummer 228866

    Hessisches Finanzgericht: Gerichtsbescheid vom 15.12.2021 – 9 K 133/21

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Orientierungssatz

        Für den Lohn, den ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer von seinem Schweizer Arbeitgeber für die Phase einer unwiderruflichen Freistellung erhält, steht dem Ansässigkeitsstaat Deutschland und nicht dem (früheren) Tätigkeitsstaat Schweiz das Besteuerungsrecht zu.

    Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang
    nachgehend BFH München, I R 1/22, Revision anhängig
    Tenor

        Die Klage wird abgewiesen.

        Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

        Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

        Die Beteiligten streiten darüber, inwieweit von einem Schweizer Arbeitgeber bezogene Lohneinkünfte der inländischen Besteuerung unterliegen.

        Der Kläger zu 1. war seit dem Jahr 2011 als Außendienstmitarbeiter bei einem Schweizer Unternehmen mit Sitz in A (Kanton ) beschäftigt.

        Im Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass der Kläger zu 1. seine Arbeitspflicht in A erfülle, wobei seine Tätigkeit eine häufige Reisetätigkeit erfordere. Falls es die Erfüllung der vertraglich übernommenen Aufgaben ausnahmsweise oder periodisch erfordere, erbringe der Kläger zu 1. seine Arbeitsleistung auch an einem anderen Ort. Des Weiteren wurden 25 Urlaubstage pro Kalenderjahr vereinbart; bei unterjährigem Austritt sollte der Urlaub anteilsmäßig gewährt werden. Mit Nachtrag vom 23.12.2011 wurde vereinbart, dass Dienstsitz des Klägers zu 1. ab dem 01.01.2012 im Homeoffice an dessen jeweiligem Wohnsitz sei; seine Arbeitsleistung habe er im zugewiesenen Verkaufsgebiet zu erbringen (vgl. Bl. 37 ff. Gerichtsakte).

        Der Kläger zu 1. verfügte seit Beginn seiner Tätigkeit in der Schweiz stets nur über einen deutschen Wohnsitz.

        Mit Schreiben vom 26.04.2016 kündigte der Schweizer Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu 1. zum 31.10.2016 und stellte ihn mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts; das im Arbeitsvertrag ursprünglich vereinbarte Konkurrenzverbot wurde für hinfällig erklärt (vgl. Bl. 44 f. Gerichtsakte). Der Kläger zu 1. erhielt im Streitjahr 2016 von seinem Schweizer Arbeitsgeber noch (Brutto-)Lohn i.H.v. insgesamt 131.895,-- CHF. Darin enthalten war eine Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF (vgl. Bl. 46 f. Gerichtsakte). Bis zum Tag der Freistellung (27.04.2016) verbrachte der Kläger im Streitjahr elf Arbeitstage in der Schweiz und 52 Arbeitstage in Deutschland; der Rest entfällt auf Wochenenden sowie Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage. In diesem Zeitraum kehrte der Kläger zu 1. außerdem an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurück (vgl. Bl. 9 f. der Einkommensteuerakte 2016).

        Der Kläger zu 1. machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr, mit welcher er Einzelveranlagung beantragte, steuerfreien Arbeitslohn nach einem Doppelbesteuerungsabkommen --DBA-- i.H.v. 98.525,-- EUR geltend. Dieser Betrag ergab sich aus dem vom Kläger zu 1. erklärten Bruttoarbeitslohn i.H.v. 106.835,-- EUR und dem darauf angewendeten Verhältnis von angeblich 166 Arbeitstagen, für welche der Schweiz das Besteuerungsrecht zustehe, zu insgesamt 180 tatsächlichen Arbeitstagen im Streitjahr (vgl. Bl. 5, 10 f. der Einkommensteuerakten 2016).

        Der Beklagte folgte dem mit Einkommensteuerbescheid vom 30.08.2019 (vgl. Bl. 42 ff. der Einkommensteuerakten) nicht. Er nahm vielmehr an, dass der während des Zeitraums der Freistellung bezogene Arbeitslohn dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege. Ausgehend von einem Umrechnungskurs zum 30.09.2015 i.H.v. 100,-- CHF = 91,88 EUR teilte der Beklagte den Bruttoarbeitslohn i.H.v. 121.193,-- EUR unter Berücksichtigung von nur elf in der Schweiz verbrachten Arbeitstagen auf in einen Betrag i.H.v. 11.447,-- EUR, der unter Progressionsvorbehalt von der deutschen Steuer freizustellen sei, und in einen Betrag i.H.v. 109.746,-- EUR, der vollständig der deutschen Einkommensteuer unterliege (vgl. Schreiben des Beklagten vom 30.04.2019, Bl. 37 f. der Einkommensteuerakten 2016).

        Der Kläger zu 1. legte dagegen Einspruch ein. In seiner Einspruchsbegründung vom 04.09.2019 (vgl. Bl. 50 der Einkommensteuerakten 2016) akzeptierte der Kläger zu 1. zunächst die vom Beklagten vorgenommene Aufteilung und begehrte nur die Berücksichtigung der in der Schweiz gezahlten Altersvorsorgebeiträge und der in der Schweiz vom Lohn einbehaltenen Quellensteuer sowie die Anwendung der Fünftelregelung im Hinblick auf die erhaltene Abfindung. Im Übrigen beantragte er die Zusammenveranlagung mit der Klägerin zu 2., gegenüber der bereits am 09.07.2018 ein Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ergangen war.

        Im Laufe des Einspruchsverfahrens kam der Kläger zu 1. jedoch zu der Auffassung, dass der auf die Freistellungsphase entfallende Lohn nur in der Schweiz besteuert werden könne. Der Antrag auf Zusammenveranlagung wurde nur für den Fall aufrechterhalten, dass der Beklagte bei seiner Auffassung bleiben sollte.

        Mit Einspruchsentscheidung vom 23.12.2020 hob der Beklagte den Einkommensteuerbescheid vom 30.08.2019 auf und erließ gegenüber den Klägern einen neuen Zusammenveranlagungsbescheid (vgl. Bl. 92 ff. der Einkommensteuerakten 2016). In diesem berücksichtigte er die Schweizer Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben. Er blieb jedoch bei seiner Ansicht, dass der während der Freistellungsphase zugeflossene Lohn nur dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege und dementsprechend auch eine Anrechnung der Schweizer Steuer ausscheide. Im Übrigen wandte der Beklagte auch nicht die Fünftelregelung auf die Abfindung an.

        Hiergegen haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Im Verlauf des Klageverfahrens haben sich die Beteiligten in verschiedenen Punkten geeinigt:

        Der Beklagte hat den Klägern zugestimmt, dass entgegen dem bisher von ihm angewandten Umrechnungskurs von 100 CHF = 91,88 EUR entsprechend § 33a Abs. 1 Satz 8 Einkommensteuergesetz --EStG-- der Umrechnungskurs datierend vom 30.09.2015 anzuwenden ist, welcher 100 CHF = 91,61 EUR beträgt.

        Die Beteiligten sind sich einig, dass der Kläger zu 1. bis zu seiner Freistellungsphase unter Berücksichtigung von jeweils sechs Urlaubs- und Krankheitstagen effektiv 63 Tage gearbeitet hat, wovon 52 Tage auf eine Tätigkeit in Deutschland und 11 Tage auf eine Tätigkeit in der Schweiz entfielen. Die Beteiligten gehen des Weiteren von 208 Soll-Arbeitstagen im Zeitraum Januar-Oktober 2016 (Bestehen des Arbeitsverhältnisses des Klägers zu 1.) aus. Ausgehend von einem Bruttoarbeitslohn i.H.v. 131.895,-- CHF abzüglich der erhaltenen Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF ergibt sich demnach ein rechnerischer Tageslohn i.H.v. 489,17 CHF, sodass (52 x 489,17 CHF =) 25.436,69 CHF (= 23.302,55 EUR) in Deutschland zu versteuern sind und (11 x 489,17 CHF =) 5.380,84 CHF (= 4.929,39 EUR) unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freizustellen sind.

        Die Beteiligten sind sich einig, dass die vom Kläger zu 1. noch vor seiner Freistellung in Anspruch genommenen sechs Urlaubstage entsprechend der im vorigem Punkt dargestellten Aufteilung zu verteilen sind. Dabei gehen die Beteiligten davon aus, dass dem Kläger zu 1. entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelung im Streitjahr anteiliger Urlaub von insgesamt 21 Tagen zustand (25 Urlaubstage x 10/12). Ausgehend von dem im vorigen Punkt dargestellten rechnerischen Tageslohn i.H.v. 489,17 CHF = 448,13 EUR ergibt sich ein Entgelt für die sechs Urlaubstage i.H.v. 2.688,76 EUR, von dem 2.219,29 EUR (52 Tage/63 Tage, s.o.) in Deutschland zu versteuern sind und 469,47 EUR (11 Tage/63 Tage, s.o.) unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freizustellen sind.

        Entsprechend sind sich die Beteiligten einig, den Arbeitslohn für die sechs Krankheitstage aufzuteilen, d.h. diesbezüglich sind ebenfalls 2.219,29 EUR in Deutschland zu versteuern und 469,47 EUR unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freizustellen.

        Hinsichtlich der erhaltenen Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF sind sich die Beteiligten einig, dass der Betrag gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung --KonsVerCHEV-- nach den Orten aufzuteilen ist, von wo der Kläger zu 1. seine Tätigkeit seit Beginn ausgeübt hatte. Demnach ergibt sich eine Besteuerung in Deutschland i.H.v. 21.941,22 CHF = 20.100,36 EUR und eine Freistellung unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes i.H.v. 8.207,03 CHF = 7.518,45 EUR (wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnung des Beklagten in dessen Schriftsatz vom 26.02.2021 verwiesen, vgl. Bl. 54 f. Gerichtsakte). Die Beteiligten sind sich außerdem einig, dass die Abfindungsleistung unter Anwendung der Fünftelregelung des § 34 Einkommensteuergesetz --EStG-- zu versteuern ist.

        Im Übrigen sind die Kläger weiterhin der Ansicht, dass der Lohn, der auf die Freistellungsphase entfällt ([208 Sollarbeitstage ./. 63 effektive Arbeitstage ./. 6 in Anspruch genommene Urlaubstage ./. 6 Krankheitstage =] 133 Tage x 489,17 CHF [s.o.] = 57.721,71 CHF = 52.878,86 EUR), unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes von der deutschen Einkommensteuer freizustellen sei. Unter Bezugnahme auf eine Stimme in der Literatur (Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl. 2021, Art. 15 OECD-Musterabkommen --MA-- Rn. 71 a.E.) und auf ein Urteil des Finanzgerichts --FG-- München (vom 12.09.2018 - 15 K 1010/18, EFG 2019, 1658; Revision beim Bundesfinanzhof --BFH-- anhängig unter dem Az. I R 32/19) gehen sie davon aus, dass in Fällen, in denen die Arbeitsleistung vom Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen werde, der Arbeitnehmer also für sein Nichtstun bezahlt werde, ein Unterlassen Vertragsgegenstand sei, so dass auf den Ort abzustellen sei, wo nach dem Arbeitsvertrag die Arbeit hätte ausgeübt werden müssen. Da nach dem Arbeitsvertrag der Arbeitsort des Klägers zu 1. in A (Schweiz) gewesen sei und er dort auch „in den Betrieb eingegliedert“ i.S.d. § 6 KonsVerCHEV gewesen sei, stehe der Schweiz das Besteuerungsrecht für den Lohn, der auf die Freistellungsphase entfalle, zu.

        Die Kläger haben beantragt,

        den Bescheid für 2016 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Zinsen dahingehend zu ändern, dass Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit (Ehemann) mit 47.841,-- EUR als in Deutschland steuerpflichtig angesetzt werden, hiervon 20.100,36 EUR nach § 34 Abs. 1 EStG zu versteuern, sowie 66.972,-- EUR als steuerfrei unter Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen,

        die Zinsfestsetzungen aufzuheben,

        festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren notwendig war.

        Der Beklagte beantragt,

        die Klage abzuweisen,

        die Kosten des Verfahrens den Klägern aufzuerlegen.

        Der Beklagte hat am 09.08.2021 einen Änderungsbescheid erlassen, in dem der die oben genannten ‒ nunmehr zwischen den Beteiligten unstreitigen ‒ Punkte berücksichtigt hat. Zusätzlich hat er noch einen Teil des Arbeitslohnes, der auf die im Streitjahr nicht mehr in Anspruch genommenen Urlaubstage entfällt (insgesamt 15 Tage x 489,17 CHF [s.o.] = 7.337,55 CHF = 6.721,89 EUR), unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freigestellt.

        Dabei ist er davon ausgegangen, dass diese Tage entsprechend der tatsächlichen Arbeitsausübung während der Tätigkeitsphase aufzuteilen sind, sodass er einen Betrag i.H.v. 1.173,67 EUR freigestellt hat (11/63 [s.o.] x 6,721,89 EUR). Im Übrigen bleibt der Beklagte bei seiner Auffassung, dass der auf den Zeitraum der Freistellung entfallende Arbeitslohn der deutschen Besteuerung unterliege.

        Dem Senat haben zwei Bände Einkommensteuerakten vorgelegen.

        Das Verfahren hinsichtlich der Zinsfestsetzung ist durch Beschluss des Senates abgetrennt worden.

    Entscheidungsgründe

        Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 09.08.2021, der gemäß § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung --FGO-- Gegenstand des Verfahrens geworden ist, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

        1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere mussten die Kläger gegen den als Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 23.12.2020 ergangenen erstmaligen Zusammenveranlagungsbescheid nicht zunächst erneut Einspruch einlegen. Ein solcher wäre nämlich gemäß § 348 Nr. 1 Abgabenordnung --AO-- unstatthaft gewesen. Diese Vorschrift gilt auch für den hier vorliegenden Fall, dass durch die Einspruchsentscheidung ein Dritter (hier: die Klägerin zu 2.) erstmalig beschwert wird (vgl. Bartone, in: Gosch, AO/FGO, Stand Juni 2019, § 348 AO Rn. 6 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

        2. Die Klage ist unbegründet. Den Klägern steht keine weitere Steuerfreistellung hinsichtlich des Arbeitslohnes des Klägers zu 1. zu. Die vom Beklagten zuletzt mit Änderungsbescheid vom 09.08.2021 anerkannte teilweise Steuerfreistellung ist bereits zu hoch erfolgt; sie ist aufgrund des finanzgerichtlichen Verböserungsverbotes (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) vom Senat jedoch nicht zu korrigieren.

        Der Kläger war im Streitjahr ‒ was zwischen den Beteiligten unstreitig ist ‒ aufgrund seines inländischen Wohnsitzes in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) und mangels Anknüpfungspunktes zur Schweiz auch in Deutschland ansässig i.S.v. Art. 4 Abs. 1 DBA Schweiz.

        Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz können grundsätzlich Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

        a) Der dem Art. 15 DBA Schweiz vorrangige Art. 15a DBA Schweiz ist vorliegend nicht anzuwenden, da bei dem Kläger zu 1. im gesamten Streitjahr keine Grenzgängereigenschaft vorlag.

        Gemäß Art. 15a Abs. 1 DBA Schweiz können ungeachtet des Artikels 15 DBA Schweiz Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Zum Ausgleich kann der Vertragstaat, in dem die Arbeit ausgeübt wird, von diesen Vergütungen eine Steuer im Abzugsweg erheben.

        Gemäß Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz ist „Grenzgänger“ jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

        Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

        Für die Freistellungsphase entfällt somit die Grenzgängereigenschaft des Klägers zu 1. schon allein deswegen, weil er in dieser Zeit nicht mehr von seinem Arbeitsort in der Schweiz regelmäßig an seinen Wohnsitz in Deutschland zurückgekehrt ist (ebenso Finanzgericht --FG-- Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.2012 - 3 K 632/10, juris).

        Für die Zeit bis zum Beginn der Freistellung (27.04.2016) liegt keine Grenzgängereigenschaft vor, weil der Kläger zu 1. in diesem Zeitraum an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrte. Aufgrund des insoweit verkürzten Tätigkeitszeitraums ist die in Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz genannte Grenze von 60 Nichtrückkehrtagen neu zu berechnen, und zwar sind gemäß Ziffer II. 3 des Verhandlungsprotokolls zum DBA Schweiz vom 18.12.1991 für jeden vollen Monat der Beschäftigung fünf Tage und für jede volle Woche der Beschäftigung ein Tag anzusetzen, sodass sich hier eine maßgebliche Grenze von 18 Tagen ergibt, die der Kläger zu 1. überschritten hat.

        b) Der gesamte im Streitjahr vom Schweizer Arbeitgeber bezogene Lohn des Klägers zu 1. ist deshalb nach Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz zu beurteilen. Demnach hat die Schweiz das Besteuerungsrecht insoweit, als der Kläger zu 1. seine Tätigkeit in der Schweiz ausgeübt hat. Die diesbezüglichen Einkünfte sind gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA Schweiz von der deutschen Besteuerung freizustellen; sie unterliegen allerdings gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA Schweiz, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt.

        Im Hinblick auf die Aufteilung des Besteuerungsrechts ist zwischen der Phase der aktiven Arbeitstätigkeit des Klägers zu 1. (01.01.2016-26.04.2016) und seiner Freistellungsphase (27.04.2016-31.10.2016) zu unterscheiden.

        aa) Im Hinblick auf die Phase seiner aktiven Arbeitstätigkeit hat der Kläger zu 1. eine Liste mit den in diesem Zeitraum verbrachten Arbeitstagen vorgelegt (vgl. Bl. 68 der Gerichtsakten). Danach ergibt sich, dass der Kläger zu 1. während dieser Phase 11 Arbeitstage in der Schweiz verbracht hat (11.01.-14.01., 08.02.-11.02., 11.04-13.04.2016).

        Für die Aufteilung des Arbeitslohnes hat die Rechtsprechung folgendes Berechnungsschema entwickelt (vgl. BFH-Urteil vom 29.01.1986 - I R 22/85, BStBl. II 1986, 479; Wassermeyer/Schwenke, in: Wassermeyer, DBA, Stand Juli 2019, Art. 15 OECD-MA Rn. 143 ff. m.w.N.):

        Grundlage für die Berechnung der steuerfreien Einkünfte ist die Zahl der vertraglich vereinbarten Arbeitstage pro Kalenderjahr. Darunter sind die Kalendertage pro Jahr abzüglich der Tage zu verstehen, an denen der Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag nicht zu arbeiten verpflichtet ist (= Urlaubstage sowie arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage).

        Im vorliegenden Fall sind aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2016 nur 305 Kalendertage anzusetzen. Hiervon abzuziehen sind zunächst die laut Arbeitsvertrag anteiligen 21 Urlaubstage für diesen Zeitraum (10/12 * 25 Urlaubstage). Zu weiteren arbeitsfreien Tagen äußert sich der Arbeitsvertrag des Klägers zu 1. nicht. Abzuziehen sind jedoch in jedem Fall zusätzlich die bis zum 31.10.2016 anfallenden Sonntage (vgl. Art. 18 Arbeitsgesetz Schweiz: grundsätzliches Verbot der Sonntagsarbeit) und entsprechend die Feiertage (vgl. Art. 20a Abs. 1 Abs. 1 Arbeitsgesetz Schweiz; § 6 Buchst. e Nr. 2 Aargauer Einführungsgesetz zum Arbeitsrecht: Neujahr, Karfreitag, Ostermontag, Auffahrt [= Christi Himmelfahrt], Pfingstmontag, Bundesfeiertag [01.08.]). Danach sind abzuziehen sechs Feiertage und zusätzlich weitere 44 Sonntage. Dementsprechend ergeben sich zunächst 305 ./. 21 ./. 6 ./. 44 = 234 Arbeitstage. Davon abzuziehen sind jedoch außerdem noch die bis zum 31.10.2016 anfallenden Samstage. Im Arbeitsvertrag des Klägers zu 1. findet sich zwar diesbezüglich keine Regelung, allerdings ist aus der vom Kläger vorgelegten Liste über seine Arbeitstage (vgl. Bl. 68 der Gerichtsakte) zu entnehmen, dass er samstags nicht arbeitete (vgl. auch BFH-Urteil vom 26.07.1995 - I R 80/94, BFH/NV 1996, 200: Samstage zählen dann nicht zu den Arbeitstagen, wenn eine Arbeit an diesen Tagen weder ausdrücklich vereinbart ist noch der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete unselbständige Arbeit einen anderweitigen Freizeitausgleich oder ein zusätzliches Entgelt gewährt). Abzuziehen sind demnach nochmals 44 Samstage, sodass sich eine Gesamtzahl der vertraglich vereinbarten Arbeitstage i.H.v. (234 ./. 44 =) 190 ergibt. Die sechs Krankheitstage des Klägers zu 1. sind hingegen nicht abzuziehen (vgl. Wassermeyer/Schwenke, a.a.O., Rn. 148).

        Den vereinbarten Arbeitstagen ist das für die entsprechende Zeit vereinbarte Arbeitsentgelt (Lohn, Gehalt, sonstige Vorteile) gegenüberzustellen. Das vereinbarte Arbeitsentgelt ist in Beziehung zu den vereinbarten Arbeitstagen zu setzen. Aus der Beziehung ergibt sich ein vereinbartes Arbeitsentgelt pro vereinbartem Arbeitstag.

        Der im Streitjahr vom Schweizer Arbeitgeber bezogene Bruttolohn des Klägers zu 1. betrug 131.895 CHF. Hiervon auszuscheiden ist die erhaltene Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF, da sie nach der Rechtsprechung kein Entgelt für eine frühere Tätigkeit i.S.d. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA Schweiz darstellt (vgl. nur BFH-Urteil vom 10.06.2015 - I R 79/13, BStBl. II 2016, 326; der diese Rechtsprechung korrigierende § 50d Abs. 12 EStG findet erst ab dem Veranlagungszeitraum 2017 Anwendung). Danach ergibt sich ein Betrag von 101.746,75 CHF. Gegen den von den Beteiligten herangezogenen Umrechnungskurs vom 30.09.2015 (nach § 33a Abs. 1 Satz 8 EStG) i.H.v. 100 CHF = 91,61 EUR bestehen keine Bedenken, sodass das vereinbarte Arbeitsentgelt 93.210,20 EUR beträgt. Das vereinbarte Arbeitsentgelt pro vereinbartem Arbeitstag beläuft sich somit auf (93.210,20 EUR / 190 =) 490,58 EUR.

        Das vereinbarte Arbeitsentgelt pro Arbeitstag ist schließlich in Beziehung zu den vereinbarten Arbeitstagen zu setzen, an denen sich der Arbeitnehmer tatsächlich im Tätigkeitsstaat aufhält. Dies war vorliegend an 11 Tagen der Fall. Die sechs Krankheitstage sind hierin ‒ auch nicht anteilig ‒ einzubeziehen, da es keinerlei Hinweise gibt, dass der Kläger zu 1. diese Tage tatsächlich in der Schweiz verbracht hätte (so der überzeugende Maßstab von Schmidt, in: Haase, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, Art. 15 OECD-MA Rn. 93, allerdings str.). Demnach unterfallen (11 x 490,58 EUR =) 5.396,38 EUR dem Schweizer Besteuerungsrecht.

        Im Ergebnis sind somit 5.396,38 EUR von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer auszunehmen (jedoch gleichzeitig dem Progressionsvorbehalt zu unterstellen). Da ‒ wie sogleich auszuführen ist ‒ keine weitere Freistellung von Lohnbestandteilen von der deutschen Einkommensteuer in Betracht kommt, war die mit Änderungsbescheid vom 09.08.2021 durch den Beklagten erfolgte Steuerfreistellung i.H.v. 8.543 EUR bereits überobligatorisch.

        bb) Die dem Kläger zu 1. zugeflossene Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF = 27.618,81 EUR unterliegt vollständig der deutschen Einkommenbesteuerung; die von den Beteiligten stattdessen herangezogene Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 KonsVerCHEV bindet die Gerichte nicht (vgl. das bereits oben zitierte BFH-Urteil vom 10.06.2015 - I R 79/13, BStBl. II 2016, 326; ebenfalls bereits oben ausgeführt wurde, dass der diese Rechtsprechung korrigierende § 50d Abs. 12 EStG erst ab dem Veranlagungszeitraum 2017 Anwendung findet).

        cc) Der von dem Kläger zu 1. während seiner Freistellung bezogene Arbeitslohn unterliegt ebenfalls vollständig der deutschen Einkommenbesteuerung.

        Für den hier vorliegenden Fall einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsverpflichtung fällt das Besteuerungsrecht für den weiter bezogenen Lohn dem Ansässigkeitsstaat, hier also Deutschland, zu.

        Der BFH hat diese Konstellation bislang nicht höchstrichterlich geklärt. In einem schon älteren Urteil hatte er über den Fall einer Schauspielerin mit Wohnsitz in Deutschland zu befinden, die gegenüber einer amerikanischen Filmgesellschaft die Verpflichtungen einging, sich für etwaige Schauspielproduktionen zur Verfügung zu halten und jegliche Konkurrenztätigkeit zu unterlassen (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.1970 - I R 19/69, BStBl. II 1970, 867). Der BFH entschied zum einen, dass sich das Zur-Verfügung-Halten nicht in den USA vollzogen habe, da sich eine Person stets nur dort zur Verfügung halten könne, wo sie sich tatsächlich befinde. Im Hinblick auf das Konkurrenzverbot unterschied der BFH danach, ob das Verbot nur durch Tätigkeiten in den USA der auch durch Tätigkeiten in jedem anderen Staat habe verletzt werden können. Dieses Urteil ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar (a.A. wohl Kempermann, in: Flick/Wassermeyer/ders., DBA Schweiz, Stand August 2020, Art. 15 Rn. 44), da bei einer unwiderruflichen Freistellung gerade keine Verpflichtung mehr zum Sich-zur-Verfügung-Halten besteht und der Arbeitgeber des Klägers zu 1. das ursprünglich im Arbeitsvertrag vereinbarte Wettbewerbsverbot für hinfällig erklärt hatte.

        Vielmehr ist im vorliegenden Fall offensichtlich, dass mit Beginn der unwiderruflichen Freistellung jeder Bezug zu einer etwaigen in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit verlorengegangen ist. Die bloße Tatsache, dass der in dieser Phase weitergezahlte Lohn anlässlich einer früheren tatsächlichen Tätigkeit in der Schweiz gezahlt wird, ist ‒ wie schon die oben zitierte Rechtsprechung zu den Abfindungsfällen geurteilt hat ‒ für die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA Schweiz nicht ausreichend.

        Diese Ansicht, dass im Falle einer Freistellung ein Besteuerungsrecht des früheren Tätigkeitsortes ausscheidet, wird vom FG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.09.2012 - 3 K 632/10, juris) und vom FG Köln (Urteil vom 25.02.2014 - 8 K 2555/11, EFG 2014, 1114) geteilt (zustimmend auch Cordes/Kraft, FR 2020, 885, 892; ebenso wie hier: Schmidt, in: Haase, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, Art. 15 OECD-MA Rn. 89 f.; unentschieden Bourseaux/Sendler/Rauert, in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 15 OECD-MA Rn. 85). Die von den Klägern herangezogene Literaturmeinung (Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl. 2021, Art. 15 OECD-MA Rn. 71 a.E.; zustimmend wohl Kempermann, in: Flick/Wassermeyer/ders., DBA Schweiz, Stand August 2020, Art. 15 Rn. 44), wonach in Fällen, in denen die Arbeitsleistung vom Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen werde, der Arbeitnehmer also für sein Nichtstun bezahlt werde, ein Unterlassen Vertragsgegenstand sei, so dass auf den Ort abzustellen sei, wo nach dem Arbeitsvertrag die Arbeit hätte ausgeübt werden müssen, ist hingegen nicht überzeugend. Sie konstruiert eine angebliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zu einem Unterlassen, die jedenfalls im Fall des Klägers zu 1. in keiner Weise tatsächlich bestand (explizit dagegen auch FG Köln, a.a.O.).

        Soweit im Übrigen in der Literatur darauf verwiesen wird, dass der OECD-Musterkommentar --MK-- für Fälle der Arbeitsfreistellung im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehe, dass die Arbeitsleistung weiterhin dem Tätigkeitsstaat zuzuordnen sei (so Wassermeyer/Schwenke, in: Wassermeyer, DBA, Stand Juli 2019, Art. 15 OECD-MA Rn. 64, die diese angebliche Ansicht der OECD für zutreffend halten), so ist dies bestenfalls eine verkürzte Wiedergabe. Ziffer 2.6 des OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA sieht diese Rechtsfolge nämlich nur für den Fall vor, „if the employee is told not to work during the notice period“. Der Kläger zu 1. durfte aber bereits in der Freistellungsphase eine neue Tätigkeit aufnehmen. Im Übrigen steht der OECD-MK lediglich in einem vergleichbaren Rang wie Gesetzesmaterialien (vgl. BFH-Urteil vom 11.07.2018 - I R 44/16, BFH/NV 2019, 149).

        Schließlich hilft den Klägern auch nicht der Verweis auf das Urteil des FG München vom 12.09.2018 (15 K 1010/18, EFG 2019, 1658; Revision beim BFH anhängig unter dem Az. I R 32/19). Die Kläger meinen, aus diesem Urteil ergebe sich, dass das Besteuerungsrecht in dem Staat liegen soll, in dem sich die Lohnkosten gewinnmindernd auswirken. Einen solchen allgemeinen Rechtssatz hat das FG München jedoch nicht aufgestellt; vielmehr hat es damit nur die Regelungsintention der Sondervorschrift des Art. 15 Abs. 2 DBA Schweiz umschrieben, welche vorliegend überhaupt keine Rolle spielt.

        3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Der Beklagte hat mit Änderungsbescheid vom 09.08.2021 dem Klagebegehren insoweit entsprochen, als er die der Einkommensteuer unterfallenden Einkünfte des Klägers zu 1. aus nichtselbständiger Arbeit von 108.746 EUR auf 105.266 EUR und damit um 3.480 EUR verringert hat. Da die Kläger zuvor eine Verringerung auf 47.841 EUR begehrt haben, war ihre Klage insoweit i.H.v. gerundet 5,7 % erfolgreich. In Anbetracht der im Gegenzug zu berücksichtigenden steuererhöhenden Wirkung, welche die Erhöhung der Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen (d.h. die dem Schweizer Besteuerungsrecht unterliegen), bewirkt, ist dieses Obsiegen als geringfügig i.S.v. § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO anzusehen (vgl. Ratschow, in: Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 136 Rn. 6 m.w.N.).

        4. Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.