04.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231598
Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteiil vom 17.05.2022 – 4 K 110/21
Die Auszahlungsbegrenzung nach § 70 Abs. 1 S. 1 EStG in der Fassung des SozialMissbrG ist nicht zu beanstanden.
Finanzgericht Schleswig-Holstein
In dem Rechtsstreit
wegen Kindergeldes
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen die Anwendung von § 70 Abs. 1 S. 2 EStG in seiner durch das SozialMissbrG eingeführten Fassung (n.F. "sog. Auszahlungsbeschränkung").
Der Kläger beantragte am 5. August 2019 die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes für die Zeit vom August 2018 bis Oktober 2019 für das Kind A. Mit Bescheid vom 7. Mai 2020 setzte daraufhin der Beklagte das Kindergeld für das Kind A für den beantragten Zeitraum August 2018 bis einschließlich Oktober 2019 fest. Jedoch wurde die Auszahlung auf den Zeitraum Februar 2019 bis Oktober 2019 begrenzt - für den Zeitraum August 2018 bis einschließlich Januar 2019 wurde keine Auszahlung verfügt. Auf Seite 2 des angegriffenen Bescheides führte der Beklagte insoweit Folgendes aus:
Aufgrund der gesetzlichen Änderung nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG können Anträge, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen, unabhängig vom festgesetzten Zeitraum rückwirkend nur zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse führen. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.
Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 5. Juni 2020, soweit die Auszahlung des bewilligten Kindergeldes auf die letzten sechs Monate vor dem Eingang des Antrags begrenzt wurde. Er verwies dazu auf die Rechtsprechung zur damaligen Auszahlungsbeschränkung nach § 66 Abs. 3 EStG in seiner vor dem SozialMissbrG geltenden Fassung (a.F.). Das Verfahren ruhte zwischenzeitlich.
Mit Einspruchsentscheidung vom 18. August 2021 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Sie verwies auf § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 17. September 2021 eingegangenen Klage. Zur Begründung trägt er vor, dass der BFH mit seinem Urteil vom 19. Februar 2020 (III R 66/18) geurteilt habe, dass die Familienkasse den Auszahlungsanspruch nicht unter Berufung auf § 66 Abs. 3 EStG a.F. begrenzen dürfe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Auszahlung in der Einspruchsentscheidung auf den Zeitraum von Februar 2019 - Oktober 2019 begrenzt werde.
Der Kläger beantragt wörtlich,
den angegriffenen Bescheid vom 7. Mai 2020 in Form der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2021, zugegangen am 20. August 2021, aufzuheben und dem Kläger für die Zeit von August 2019 bis einschließlich September 2019 das Kindergeld auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf § 70 Abs. 1 EStG n.F. Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung zu § 66 Abs. 3 EStG a.F. berufe, sei dies durch die Neufassung von § 70 Abs. 1 EStG überholt.
Der Berichterstatter hat sich mit Verfügung vom 15. März 2022 an die Beteiligten gewandt, auf die Entstehungsgeschichte der Neufassung von § 70 Abs. 1 EStG, sowie darauf hingewiesen, dass die Neufassung hier anwendbar sein dürfte und bislang in der Rechtsprechung auch angewendet worden sei, und dass jedoch Verfahren beim BFH anhängig seien. Er bat die Beteiligten um Mitteilung, ob das Verfahren im Lichte der Ausführungen erledigt werden könne, oder ob - wenn eine übereinstimmende Erledigung nicht zustande käme - die Beteiligten mit einem Ruhen einverstanden wären. Ein Einvernehmen mit der vorgeschlagenen Erledigung oder mit dem Ruhen des Verfahrens bis zur Klärung durch den BFH kam nicht zustande.
Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid über die Begrenzung der Auszahlung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.
1.) Das Gericht legt den Klagantrag rechtsschutzgewährend dahingehend aus, dass der Kläger die Auszahlung desjenigen Kindergeldes begehrt, welches ihm verwehrt wurde. Die Auszahlung des beantragten und festgesetzten Kindergeldes ist auf den Zeitraum Februar 2019 bis Oktober 2019 begrenzt - für den Zeitraum August 2018 bis einschließlich Januar 2019 wurde keine Auszahlung verfügt. Letzteres wurde mit dem Einspruch angegriffen und war Gegenstand der Einspruchsentscheidung. Soweit der Kläger nunmehr wörtlich die Auszahlung von Kindergeld für "August 2019 bis einschließlich September 2019" - also nur für zwei (unstreitige) Monate - begehrt, liegt ein offenbarer Schreibfehler vor, da sich aus den sonstigen Umständen ergibt, dass sich der Kläger gegen das verwehrte und nicht das zur Auszahlung gestellte Kindergeld wehrt.
2.) Die Beteiligten streiten über die Auszahlungsbegrenzung, welche in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. vorgesehen ist. Insoweit handelt es sich um eine Streitigkeit, welche die Verwirklichung - und nicht die Festsetzung - kindergeldrechtlicher Ansprüche betrifft. Die im angegriffenen Bescheid angeordnete Verfügung stellt insoweit einen Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 AO dar, welcher durch Einspruch angegriffen und durch die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung bestätigt wurde (s.a. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 11. Mai 2021, 12 K 246/20, juris).
3.) Die dagegen gerichtete Klage hat keinen Erfolg, da die Begrenzung der Auszahlung gem. § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. rechtmäßig ist. Nach § 70 Abs. 1 S. 1 EStG n.F. wird das Kindergeld von den Familienkassen durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt. Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt gem. § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt (§ 70 Abs. 1 S. 3 EStG n.F.). Nach diesen Vorschriften hat die Familienkasse die Auszahlung zu Recht entsprechend begrenzt, obwohl die Festsetzung des Kindergeldes einen weiter zurückliegenden Zeitraum erfasste.
4.) Soweit sich die Klägerseite auf die Rechtsprechung des BFH zum Az. III R 66/18 beruft, hat sie keinen Erfolg. In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte die Familienkasse das Kindergeld im Festsetzungsverfahren ohne Einschränkung gewährt und sodann die Auszahlung auf die letzten 6 Monate beschränkt. Dabei stützte sich die Familienkasse auf § 66 Abs. 3 EStG in der damaligen Fassung (a.F.). Der BFH hielt die Beschränkung für unzulässig, weil die Norm des § 66 Abs. 3 EStG seiner Meinung nach dem Festsetzungsverfahren zuzuordnen sei. Damit habe die Behörde - wenn sie das Kindergeld uneingeschränkt festsetzte - die Festsetzung nicht im selben Bescheid zugleich wieder einschränken können.
Als Reaktion darauf hat der Gesetzgeber die Norm des § 66 Abs. 3 EStG a.F. aufgehoben und mit dem SozialMissbrG in die Vorschrift des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. überführt. Der Gesetzgeber hat dazu (s. BT- Drucks. 19/8691, S. 65) dargelegt:
Entgegen der Intention dieser gesetzlichen Regelung wird in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und im steuerrechtlichen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass § 66 Absatz 3 im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei. Sofern Kindergeld rückwirkend für mehr als sechs Monate vor Antragstellung festgesetzt werde, stehe § 66 Absatz 3 der Auszahlung des festgesetzten Kindergeldes nicht entgegen. Im Ergebnis wäre das Kindergeld unter Umständen für mehrere Jahre rückwirkend auszuzahlen. Ausgehend von der ursprünglichen gesetzlichen Intention soll Kindergeld auch weiterhin nur für sechs Monate rückwirkend ausgezahlt werden. Um klarzustellen, dass die Regelung das Erhebungsverfahren betrifft, wird Absatz 3 in § 66 aufgehoben und nunmehr in § 70 Absatz 1 Satz 2 und 3 aufgenommen.
Auch der BFH hat in seiner o.g. Entscheidung zum Az. III R 66/18 dargelegt, dass der Gesetzgeber in § 70 Abs. 1 EStG - anders als § 66 Abs. 3 EStG - den dem Erhebungsverfahren zuzuordnenden Auszahlungsvorgang beschreiben will. Die neue Vorschrift des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG - welche die Auszahlungssperre nunmehr dem "richtigen" Erhebungsverfahren zuordnen soll - ist gem. § 52 Abs. 50 Satz 1 EStG auf Anträge anzuwenden, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen. Der Antrag auf Kindergeld ist am 6. August 2019 und damit im Geltungsbereich des neuen § 70 Abs. 1 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. eingegangen. Damit ist die Auszahlung in einer dem zutreffenden Erhebungsverfahren zuordenbaren Vorschrift rechtmäßig auf sechs Monate begrenzt worden.
Die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. ist bereits in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung - welcher sich der Senat anschließt - bestätigt worden; durchgreifende (etwa verfassungsmäßige) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Norm wurden nicht erkannt (FG Niedersachsen, Urteil vom 11. Mai 2021, 12 K 246/20; FG Nürnberg, Urteil vom 28. Juli 2021, 3 K 1589/20; FG Münster, Urteil vom 21. Mai 2021, 4 K 3164/20 AO). Da sich der BFH zu der neuen Norm noch nicht eingehend geäußert hat, wurde jeweils die Revision zugelassen (Az. des BFH III R 21/21, III R 28/21); die anhängigen Verfahren sind bislang nicht entschieden.
5.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Revision wurde gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO mit Blick auf die anhängigen Revisionsverfahren zugelassen.
Urteil vom 17.05.2022
In dem Rechtsstreit
wegen Kindergeldes
hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 17. Mai 2022 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beantragte am 5. August 2019 die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes für die Zeit vom August 2018 bis Oktober 2019 für das Kind A. Mit Bescheid vom 7. Mai 2020 setzte daraufhin der Beklagte das Kindergeld für das Kind A für den beantragten Zeitraum August 2018 bis einschließlich Oktober 2019 fest. Jedoch wurde die Auszahlung auf den Zeitraum Februar 2019 bis Oktober 2019 begrenzt - für den Zeitraum August 2018 bis einschließlich Januar 2019 wurde keine Auszahlung verfügt. Auf Seite 2 des angegriffenen Bescheides führte der Beklagte insoweit Folgendes aus:
Aufgrund der gesetzlichen Änderung nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG können Anträge, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen, unabhängig vom festgesetzten Zeitraum rückwirkend nur zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse führen. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.
Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 5. Juni 2020, soweit die Auszahlung des bewilligten Kindergeldes auf die letzten sechs Monate vor dem Eingang des Antrags begrenzt wurde. Er verwies dazu auf die Rechtsprechung zur damaligen Auszahlungsbeschränkung nach § 66 Abs. 3 EStG in seiner vor dem SozialMissbrG geltenden Fassung (a.F.). Das Verfahren ruhte zwischenzeitlich.
Mit Einspruchsentscheidung vom 18. August 2021 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Sie verwies auf § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 17. September 2021 eingegangenen Klage. Zur Begründung trägt er vor, dass der BFH mit seinem Urteil vom 19. Februar 2020 (III R 66/18) geurteilt habe, dass die Familienkasse den Auszahlungsanspruch nicht unter Berufung auf § 66 Abs. 3 EStG a.F. begrenzen dürfe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Auszahlung in der Einspruchsentscheidung auf den Zeitraum von Februar 2019 - Oktober 2019 begrenzt werde.
Der Kläger beantragt wörtlich,
den angegriffenen Bescheid vom 7. Mai 2020 in Form der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2021, zugegangen am 20. August 2021, aufzuheben und dem Kläger für die Zeit von August 2019 bis einschließlich September 2019 das Kindergeld auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf § 70 Abs. 1 EStG n.F. Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung zu § 66 Abs. 3 EStG a.F. berufe, sei dies durch die Neufassung von § 70 Abs. 1 EStG überholt.
Der Berichterstatter hat sich mit Verfügung vom 15. März 2022 an die Beteiligten gewandt, auf die Entstehungsgeschichte der Neufassung von § 70 Abs. 1 EStG, sowie darauf hingewiesen, dass die Neufassung hier anwendbar sein dürfte und bislang in der Rechtsprechung auch angewendet worden sei, und dass jedoch Verfahren beim BFH anhängig seien. Er bat die Beteiligten um Mitteilung, ob das Verfahren im Lichte der Ausführungen erledigt werden könne, oder ob - wenn eine übereinstimmende Erledigung nicht zustande käme - die Beteiligten mit einem Ruhen einverstanden wären. Ein Einvernehmen mit der vorgeschlagenen Erledigung oder mit dem Ruhen des Verfahrens bis zur Klärung durch den BFH kam nicht zustande.
Entscheidungsgründe
1.) Das Gericht legt den Klagantrag rechtsschutzgewährend dahingehend aus, dass der Kläger die Auszahlung desjenigen Kindergeldes begehrt, welches ihm verwehrt wurde. Die Auszahlung des beantragten und festgesetzten Kindergeldes ist auf den Zeitraum Februar 2019 bis Oktober 2019 begrenzt - für den Zeitraum August 2018 bis einschließlich Januar 2019 wurde keine Auszahlung verfügt. Letzteres wurde mit dem Einspruch angegriffen und war Gegenstand der Einspruchsentscheidung. Soweit der Kläger nunmehr wörtlich die Auszahlung von Kindergeld für "August 2019 bis einschließlich September 2019" - also nur für zwei (unstreitige) Monate - begehrt, liegt ein offenbarer Schreibfehler vor, da sich aus den sonstigen Umständen ergibt, dass sich der Kläger gegen das verwehrte und nicht das zur Auszahlung gestellte Kindergeld wehrt.
2.) Die Beteiligten streiten über die Auszahlungsbegrenzung, welche in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. vorgesehen ist. Insoweit handelt es sich um eine Streitigkeit, welche die Verwirklichung - und nicht die Festsetzung - kindergeldrechtlicher Ansprüche betrifft. Die im angegriffenen Bescheid angeordnete Verfügung stellt insoweit einen Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 AO dar, welcher durch Einspruch angegriffen und durch die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung bestätigt wurde (s.a. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 11. Mai 2021, 12 K 246/20, juris).
3.) Die dagegen gerichtete Klage hat keinen Erfolg, da die Begrenzung der Auszahlung gem. § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. rechtmäßig ist. Nach § 70 Abs. 1 S. 1 EStG n.F. wird das Kindergeld von den Familienkassen durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt. Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt gem. § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt (§ 70 Abs. 1 S. 3 EStG n.F.). Nach diesen Vorschriften hat die Familienkasse die Auszahlung zu Recht entsprechend begrenzt, obwohl die Festsetzung des Kindergeldes einen weiter zurückliegenden Zeitraum erfasste.
4.) Soweit sich die Klägerseite auf die Rechtsprechung des BFH zum Az. III R 66/18 beruft, hat sie keinen Erfolg. In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte die Familienkasse das Kindergeld im Festsetzungsverfahren ohne Einschränkung gewährt und sodann die Auszahlung auf die letzten 6 Monate beschränkt. Dabei stützte sich die Familienkasse auf § 66 Abs. 3 EStG in der damaligen Fassung (a.F.). Der BFH hielt die Beschränkung für unzulässig, weil die Norm des § 66 Abs. 3 EStG seiner Meinung nach dem Festsetzungsverfahren zuzuordnen sei. Damit habe die Behörde - wenn sie das Kindergeld uneingeschränkt festsetzte - die Festsetzung nicht im selben Bescheid zugleich wieder einschränken können.
Als Reaktion darauf hat der Gesetzgeber die Norm des § 66 Abs. 3 EStG a.F. aufgehoben und mit dem SozialMissbrG in die Vorschrift des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. überführt. Der Gesetzgeber hat dazu (s. BT- Drucks. 19/8691, S. 65) dargelegt:
Entgegen der Intention dieser gesetzlichen Regelung wird in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und im steuerrechtlichen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass § 66 Absatz 3 im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei. Sofern Kindergeld rückwirkend für mehr als sechs Monate vor Antragstellung festgesetzt werde, stehe § 66 Absatz 3 der Auszahlung des festgesetzten Kindergeldes nicht entgegen. Im Ergebnis wäre das Kindergeld unter Umständen für mehrere Jahre rückwirkend auszuzahlen. Ausgehend von der ursprünglichen gesetzlichen Intention soll Kindergeld auch weiterhin nur für sechs Monate rückwirkend ausgezahlt werden. Um klarzustellen, dass die Regelung das Erhebungsverfahren betrifft, wird Absatz 3 in § 66 aufgehoben und nunmehr in § 70 Absatz 1 Satz 2 und 3 aufgenommen.
Auch der BFH hat in seiner o.g. Entscheidung zum Az. III R 66/18 dargelegt, dass der Gesetzgeber in § 70 Abs. 1 EStG - anders als § 66 Abs. 3 EStG - den dem Erhebungsverfahren zuzuordnenden Auszahlungsvorgang beschreiben will. Die neue Vorschrift des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG - welche die Auszahlungssperre nunmehr dem "richtigen" Erhebungsverfahren zuordnen soll - ist gem. § 52 Abs. 50 Satz 1 EStG auf Anträge anzuwenden, die nach dem 18. Juli 2019 eingehen. Der Antrag auf Kindergeld ist am 6. August 2019 und damit im Geltungsbereich des neuen § 70 Abs. 1 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. eingegangen. Damit ist die Auszahlung in einer dem zutreffenden Erhebungsverfahren zuordenbaren Vorschrift rechtmäßig auf sechs Monate begrenzt worden.
Die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG n.F. ist bereits in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung - welcher sich der Senat anschließt - bestätigt worden; durchgreifende (etwa verfassungsmäßige) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Norm wurden nicht erkannt (FG Niedersachsen, Urteil vom 11. Mai 2021, 12 K 246/20; FG Nürnberg, Urteil vom 28. Juli 2021, 3 K 1589/20; FG Münster, Urteil vom 21. Mai 2021, 4 K 3164/20 AO). Da sich der BFH zu der neuen Norm noch nicht eingehend geäußert hat, wurde jeweils die Revision zugelassen (Az. des BFH III R 21/21, III R 28/21); die anhängigen Verfahren sind bislang nicht entschieden.
5.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Revision wurde gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO mit Blick auf die anhängigen Revisionsverfahren zugelassen.
RechtsgebietEStG n.F.Vorschriften§ 70 Abs. 1 S. 1, 2, 3 EStG n.F.