03.04.2008 · IWW-Abrufnummer 080995
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 28.02.2008 – C-293/06
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFS
(Vierte Kammer)
28. Februar 2008(*)
„Niederlassungsfreiheit – Körperschaftsteuer – Monetäre Wirkungen bei der Rückführung von Dotationskapital, das ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hat“
In der Rechtssache C‑293/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Juni 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2006, in dem Verfahren
Deutsche Shell GmbH
gegen
Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters G. Arestis, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Deutschen Shell GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte A. Raupach und D. Pohl,
– des Finanzamts für Großunternehmen in Hamburg, vertreten durch M. Fromm als Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, M. de Mol und M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und G. Wilms als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. November 2007
folgendes
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Deutschen Shell GmbH (im Folgenden: Deutsche Shell) und dem Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg (im Folgenden: Finanzamt) wegen der Art und Weise, in der die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die Währungsabwertung, von der das Kapital betroffen war, mit dem das Unternehmen seine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte ausgestattet hatte (im Folgenden: Dotationskapital), bei der Rückführung des Kapitals steuerlich behandelt haben.
Rechtlicher Rahmen
Das Doppelbesteuerungsabkommen
Art. 3 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Italien vom 31. Oktober 1925 (RGBl. 1925 II, S. 1146, im Folgenden: Abkommen) bestimmt:
„Sachsteuern, welche die Einkünfte aus dem Betriebe von Handel, Industrie oder sonstigem Gewerbe jeder Art treffen, werden nur von dem Staate erhoben, in dessen Gebiet das Unternehmen seine Betriebsstätte hat; …
...
Hat das Unternehmen Betriebsstätten in beiden vertragschließenden Staaten, so wird jeder der beiden Staaten die Sachsteuern von dem Teile der Einkünfte erheben, der durch die Tätigkeit der in seinem Gebiete befindlichen Betriebsstätten erzielt wird.
…“
Art. 11 des Abkommens bestimmt:
„Personalsteuern, die das Gesamteinkommen des Steuerpflichtigen treffen, werden von jedem der vertragschließenden Staaten nach folgenden Bestimmungen erhoben:
(1) Auf die Einkünfte
…
c) aus dem Betriebe von Handel, Industrie und sonstigem Gewerbe einschließlich der Einkünfte aus dem Betriebe der Seeschifffahrt,
…
finden dieselben Bestimmungen Anwendung, die für diese Einkünfte in den betreffenden Artikeln getroffen sind.
…“
Das im entscheidungserheblichen Zeitraum in Deutschland geltende Steuerrecht
§ 1 des Körperschaftsteuergesetzes vom 11. März 1991 (BGBl. 1991 I S. 637, im Folgenden: KStG) bestimmt:
„(1) Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind die folgenden Körperschaften, … die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben:
1. Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, … Gesellschaften mit beschränkter Haftung …);
…
(2) Die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte.
…“
§ 12 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) bestimmt:
„Betriebstätte ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient.
Als Betriebstätten sind insbesondere anzusehen:
…
– Zweigniederlassungen,
…“
§ 2a Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes vom 7. September 1990 (BGBl. 1990 I S. 1898, im Folgenden: EStG) bestimmt:
„Sind nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen aus einer in einem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätte stammende Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit von der Einkommensteuer zu befreien, so ist auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Verlust, der sich nach den Vorschriften des inländischen Steuerrechts bei diesen Einkünften ergibt, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abzuziehen, soweit er vom Steuerpflichtigen ausgeglichen oder abgezogen werden könnte, wenn die Einkünfte nicht von der Einkommensteuer zu befreien wären, und soweit er nach diesem Abkommen zu befreiende positive Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit aus anderen in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten übersteigt. … Der nach den Sätzen 1 und 2 abgezogene Betrag ist, soweit sich in einem der folgenden Veranlagungszeiträume bei den nach diesem Abkommen zu befreienden Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit aus in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt, in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wieder hinzuzurechnen. …“
§ 3c Abs. 1 EStG lautet:
„Soweit Ausgaben mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, dürfen sie nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden.“
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
Die Deutsche Shell, eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland, begründete 1974 in Italien eine Betriebsstätte für Erdgas- und Erdöl-Exploration und ‑förderung (im Folgenden: die Betriebsstätte). Von 1974 bis 1991 wurde die Betriebsstätte von der Klägerin mit Finanzmitteln in Form von Dotationskapital versehen.
Die Gewinnrückführungen nach Deutschland wurden jeweils unter Zugrundelegung des Kurses der Deutschen Mark zur italienischen Lira am Tag der einzelnen Zahlungen der Betriebsstätte an die Deutsche Shell vom fortgeschriebenen Dotationskapital abgezogen.
Die Währungsabwertung, von der das der Betriebsstätte gewährte Dotationskapital betroffen war, wurde in Italien im Rahmen der Gewinnbesteuerung der Betriebsstätte nicht berücksichtigt, da die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung in italienischen Lire festgesetzt worden war.
Die Deutsche Shell ist in Deutschland mit ihrem Welteinkommen nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt steuerpflichtig.
Zum 28. Februar 1992 brachte die Deutsche Shell die Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte unter Aufdeckung der stillen Reserven in eine italienische Tochtergesellschaft, die Sierra Gas Srl, ein. Die Betriebsstätte wurde mit der Einbringung dieser Wirtschaftsgüter eingestellt. Die Deutsche Shell veräußerte ihre Anteile an der Sierra Gas Srl noch am selben Tag an die Edison Gas SpA.
Der aus diesem Verkauf erzielte Lire-Betrag wurde am 17. Juli 1992 als Rückzahlung des Dotationskapitals an die Deutsche Shell überwiesen.
Die Umrechnung des zurückgezahlten Dotationskapitals von 83 658 896 927 ITL ergab zum Stichtagskurs, der 1 000 ITL für 1,3372 DM betrug, einen Betrag von 111 868 677 DM.
Die Deutsche Shell sah den negativen Differenzbetrag von 122 698 502 DM, der sich aus einer Gegenüberstellung des Betrags von 111 868 677 DM mit dem Dotationskapital ergibt, als Währungsverlust an.
Im Rahmen der Berechnung des zu versteuernden Einkommens der Deutschen Shell für das Steuerjahr 1992 erkannte das Finanzamt diesen Verlust im Körperschaftsteuerbescheid der Deutschen Shell vom 19. September 1997 nicht an.
Gegen diesen Steuerbescheid legte die Deutsche Shell am 2. Oktober 1997 Einspruch ein.
Nach Änderungen dieses Bescheids am 16. November 2001 und am 5. August 2003 aus für das Ausgangsverfahren unerheblichen Gründen wies das Finanzamt den Einspruch mit Entscheidung vom 7. August 2003 als unbegründet zurück. Es war u. a. der Ansicht, die Deutsche Shell habe keinen realen finanziellen Verlust erlitten, die Währungsabwertung, von der das Dotationskapital betroffen sei, stelle nur einen Teil der Betriebsstättenergebnisse dar, und das Unternehmen habe im fraglichen Steuerjahr auch unter Einbeziehung dieser Abwertung ein positives Betriebsstättenergebnis erzielt.
Am 14. August 2003 erhob die Deutsche Shell gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs Klage beim Finanzgericht Hamburg.
Vor diesem Gericht machte die Deutsche Shell geltend, dass die Nichtabzugsfähigkeit des Währungsverlusts im Rahmen der Körperschaftsteuer der Niederlassungsfreiheit widerspreche. Sie werde im vorliegenden Fall schlechter gestellt, als wenn sie das streitige Dotationskapital in eine in Deutschland ansässige Gesellschaft investiert hätte.
Unter diesen Umständen war das Finanzgericht der Meinung, dass der bei ihm anhängige Rechtsstreit von der Auslegung der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit abhänge, und hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Widerspricht es Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag, wenn die Bundesrepublik Deutschland als Herkunftsstaat einen Währungsverlust des inländischen Stammhauses aus der Rückführung des einer italienischen Betriebsstätte gewährten sogenannten Dotationskapitals als Teil des Betriebsstättengewinns behandelt und aufgrund Freistellung gem äß Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 11 Nr. 1 Buchst. c des Abkommens von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausnimmt, obwohl der Währungsverlust nicht in den für die italienische Besteuerung zu ermittelnden Betriebsstättengewinn eingehen kann und somit weder im Herkunftsstaat noch im Betriebsstättenstaat berücksichtigt wird?
2. Für den Fall, dass diese Frage zu bejahen ist: Widerspricht es Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag, wenn der erwähnte Währungsverlust zwar in die Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer einzubeziehen ist, aber nur in jenem Umfang als Betriebsausgabe abgezogen werden darf, in dem keine Gewinne aus der italienischen Betriebsstätte steuerfrei erzielt werden?
Zur Klage
Zur ersten Frage
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Währungsverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist.
Zum Sachverhalt des Rechtsstreits, der zu dem Vorabentscheidungsersuchen geführt hat, tragen das Finanzamt und die deutsche Regierung vor, dass es im vorliegenden Fall keinen wirklichen wirtschaftlichen Verlust aufgrund des zum Zeitpunkt der Übertragung der Betriebsstätte und der Rückführung ihres Dotationskapitals geltenden Wechselkurses gegeben habe. Außerdem seien die Deutsche Shell und die Betriebsstätte eine unteilbare wirtschaftliche Einheit, und in der Konzernbilanz habe es ständig Finanzströme im Zusammenhang mit der Entwicklung des Wechselkurses gegeben.
Dazu ist festzustellen, dass es Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist, zu ermitteln, ob die im Ausgangsverfahren geltend gemachten Wechselkursschwankungen zu einem Währungsverlust geführt haben, der einen wirklichen wirtschaftlichen Verlust darstellt, der sich negativ auf die Ergebnisse der Deutschen Shell im betreffenden Wirtschaftsjahr ausgewirkt hat.
Dagegen ist es Sache des Gerichtshofs, das Vorabentscheidungsersuchen unter Zugrundelegung der Feststellungen des vorlegenden Gerichts zu beantworten, und diesem alle sachdienlichen Hinweise für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits an die Hand zu geben.
Somit hat der Gerichtshof darüber zu befinden, ob im Fall eines Währungsverlusts, der einen wirklichen wirtschaftlichen Verlust darstellt, die Entscheidung des Finanzamts, diesen Verlust von der Besteuerungsgrundlage für dieses Unternehmens auszunehmen, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern kann.
Nach ständiger Rechtsprechung ist als solche Behinderung jede Maßnahme anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit verbietet, behindert oder weniger attraktiv macht (vgl. Urteile vom 30. November 1995, Gebhard, C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165, Randnr. 37, und vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France, C‑442/02, Slg. 2004, I‑8961, Randnr. 11).
Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass solche Behinderungen entstehen können, wenn ein Unternehmen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften davon abgehalten werden könnte, untergeordnete Einheiten – wie etwa Betriebsstätten – in anderen Mitgliedstaaten zu gründen und seine Tätigkeiten über diese Einheiten auszuüben (vgl. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Randnrn. 32 und 33, sowie vom 23. Februar 2006, Keller Holding, C‑471/04, Slg. 2006, I‑2107, Randnr. 35).
Wie die Generalanwältin in den Nrn. 43 und 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wird durch das fragliche Steuersystem das wirtschaftliche Risiko der in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Einheit gründen möchte, erhöht, wenn dort eine andere Währung als im Herkunftsstaat gilt. In einem solchen Fall ist das Stammhaus nicht nur den üblichen Risiken im Hinblick auf die Gründung einer solchen Einheit ausgesetzt, sondern hat durch deren Ausstattung mit Dotationskapital darüber hinaus ein zusätzliches Steuerrisiko zu tragen.
In Bezug auf das Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass die Deutsche Shell aufgrund der Ausübung der Niederlassungsfreiheit einen finanziellen Verlust erlitten hat, der weder von den nationalen Steuerbehörden bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer in Deutschland noch im Rahmen der Besteuerung ihrer Betriebsstätte in Italien berücksichtigt wurde.
Somit stellt die im Ausgangsverfahren streitige Steuerregelung eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit dar.
In Bezug auf eine etwaige Rechtfertigung dieser Behinderung machen das Finanzamt und die deutsche Regierung hilfsweise geltend, dass sie aus Gründen der Kohärenz der Steuervorschriften und der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den beiden betroffenen Mitgliedstaaten gerechtfertigt sei.
Zum ersten Rechtfertigungsgrund wird ausgeführt, dass die Berücksichtigung des Währungsverlusts bei der Festsetzung der Besteuerungsgrundlage für die Deutsche Shell in Deutschland zu einer Inkohärenz des Steuersystems führen würde, da ein in einer vergleichbaren Situation erlangter Währungsgewinn auch nicht berücksichtigt würde. Somit sei der Nachteil, der sich aus der Nichtberücksichtigung eines Währungsverlusts ergebe, die logische Folge des Vorteils, der sich daraus ergebe, dass ein Währungsgewinn ebenfalls nicht in die Besteuerungsgrundlage einfließe.
Zum zweiten Rechtfertigungsgrund wird ausgeführt, dass die Aufteilung der Steuerhoheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik durch das Abkommen ein legitimes Ziel sei. Die Mitgliedstaaten dürften die Kriterien für die Aufteilung der Steuerhoheit einseitig oder durch bilaterale Abkommen festlegen. Mit dem Abkommen hätten die beiden Mitgliedstaaten die Einkünfte einer im Hoheitsgebiet des jeweils anderen Vertragsstaats belegenen Betriebsstätte von der Steuer befreien wollen, so dass eine Berücksichtigung des Währungsverlusts, um den es hier gehe, ausgeschlossen sei.
Diese beiden Gründe sind zurückzuweisen.
Erstens ist zum Grund der Kohärenz der Steuervorschriften zu bemerken, dass der Gerichtshof anerkannt hat, dass die Notwendigkeit der Wahrung einer solchen Kohärenz eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann (vgl. Urteile vom 28. Januar 1992, Bachmann, C‑204/90, Slg. 1992, I‑249, Randnr. 28, Kommission/Belgien, C‑300/90, Slg. 1992, I‑305, Randnr. 21, Keller Holding, Randnr. 40, und vom 8. November 2007, Amurta, C‑379/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 46).
Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass ein solcher Rechtfertigungsgrund nur Erfolg haben kann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (vgl. Urteile vom 14. November 1995, Svensson und Gustavsson, C‑484/93, Slg. 1995, I‑3955, Randnr. 58, vom 21. November 2002, X und Y, C‑436/00, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 52, Keller Holding, Randnr. 40, sowie vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer, C‑386/04, Slg. 2006, I‑8203, Randnrn. 54 bis 56).
Überdies muss die Unmittelbarkeit dieses Zusammenhangs im Hinblick auf das mit der fraglichen Steuervorschrift verfolgte Ziel auf der Ebene des Steuerpflichtigen durch eine enge Wechselwirkung zwischen dem Kriterium der Abzugsfähigkeit und dem für die Besteuerung hergestellt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. August 1995, Wielockx, C‑80/94, Slg. 1995, I‑2493, Randnr. 24).
Zu der im Ausgangsverfahren fraglichen Steuerregelung ist festzustellen, dass der Vergleich zwischen Währungsverlusten einerseits und Währungsgewinnen andererseits nicht erheblich ist, da zwischen diesen beiden Kriterien kein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne der in den beiden vorstehenden Randnummern angeführten Rechtsprechung besteht. Die Nichtberücksichtigung eines Währungsverlusts bei der Festsetzung der Besteuerungsgrundlage für die Deutsche Shell für das Steuerjahr 1992 wird weder durch einen Steuervorteil in dem Mitgliedstaat, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat, noch in dem Mitgliedstaat ausgeglichen, in dem sich die Betriebsstätte befindet.
Zweitens ist zu dem Vorbringen, das sich auf die Existenz des Abkommens stützt, durch das die Steuerhoheit zwischen den beiden betroffenen Mitgliedstaaten aufgeteilt wird, zu bemerken, dass in Ermangelung gemeinschaftlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten auch weiterhin befugt sind, die Kriterien für die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens festzulegen, um die Doppelbesteuerung gegebenenfalls im Vertragswege zu beseitigen (vgl. Urteile vom 3. Oktober 2006, FKP Scorpio Konzertproduktionen, C‑290/04, Slg. 2006, I‑9461, Randnr. 54, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C‑374/04, Slg. 2006, I‑11673, Randnr. 52, und vom 18. Juli 2007, Oy AA, C‑231/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 52).
Diese Befugnis beinhaltet auch, dass ein Mitgliedstaat für die Zwecke seines Steuerrechts nicht dazu verpflichtet sein kann, die negativen Ergebnisse einer Betriebsstätte, die in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist und zu einem im ersten Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen gehört, nur deshalb zu berücksichtigen, weil diese Ergebnisse im Betriebsstättenmitgliedstaat steuerlich nicht berücksichtigt werden können.
Die Niederlassungsfreiheit kann nämlich nicht dahin verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf diejenigen eines anderen Mitgliedstaats abzustimmen, um in allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, beseitigt, da die Entscheidungen, die eine Gesellschaft in Bezug auf die Festlegung von Unternehmensstrukturen im Ausland trifft, im Einzelfall Vor- oder Nachteile für sie haben können (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juli 2005, Schempp, C‑403/03, Slg. 2005, I‑6421, Randnr. 45).
Bezüglich des Ausgangsverfahrens ist darauf hinzuweisen, dass der fragliche Steuernachteil einen besonderen im Geschäftsgang aufgetretenen Umstand betrifft, den nur die deutschen Steuerbehörden berücksichtigen können. Zwar hat jeder Mitgliedstaat, der ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung geschlossen hat, dieses durch Anwendung seines eigenen Steuerrechts durchzuführen und dementsprechend die Einkünfte zu bestimmen, die einer Betriebsstätte zuzuordnen sind, doch darf er Währungsverluste, die der Betriebsstätte naturgemäß nie entstehen können, nicht von der Besteuerungsgrundlage für das Stammhaus ausnehmen.
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Währungsverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist.
Zur zweiten Frage
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, falls die erste Frage bejaht wird, Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag auch einer Regelung entgegensteht, nach der der betreffende Währungsverlust als Betriebsausgabe eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens nur in dem Umfang abgezogen werden darf, in dem seine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte keine steuerfreien Gewinne erzielt hat.
Wie aus den Ausführungen in den Randnrn. 30 und 31 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kann eine Beschränkung der Anrechnung der durch diese Betriebsstätte entstandenen Währungsverluste nach Maßgabe der von ihr erzielten Einkünfte eine Gesellschaft ebenfalls davon abhalten, ihre grenzüberschreitenden Tätigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft mittels einer solchen Betriebsstätte auszuüben, und ist daher als eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit anzusehen.
In Bezug auf eine Rechtfertigung dieser Beschränkung haben das Finanzamt und die deutsche Regierung ihre Auffassung wiederholt, dass die Steuerregelung aus Gründen der Kohärenz der Steuervorschriften und der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den beiden betroffenen Mitgliedstaaten gerechtfertigt sei, und die hierzu vorgebrachten Ausführungen entsprechen mehr oder weniger den in den Randnrn. 34 bis 35 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen.
Das Finanzamt und die deutsche Regierung sind auch der Auffassung, dass durch die fragliche Steuerregelung eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten vermieden werden solle, indem Ausgaben zur Erzielung von ausländischen Einkünften, die gemäß dem Abkommen befreit seien, nicht abgezogen werden könnten. Müsste der Währungsverlust als Betriebsausgabe des Unternehmens in Deutschland berücksichtigt werden, käme die Deutsche Shell in den Genuss eines doppelten Steuervorteils, da die positiven Ergebnisse ihrer Betriebsstätte gemäß dem Abkommen in Deutschland von der Steuer befreit seien, ohne dass der Währungsverlust bei der Besteuerung in Italien berücksichtigt werden könnte. Mit anderen Worten: Ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang würde künstlich zugunsten der Deutschen Shell aufgespaltet, da die Einkünfte der Betriebsstätte gemäß dem Abkommen befreit seien und der Währungsverlust wie eine von den anderen Ausgaben des Unternehmens getrennte Betriebsausgabe behandelt würde.
Da zwei der vom Finanzamt und der deutschen Regierung geltend gemachten Gründe im Wesentlichen nur eine Wiederholung ihrer Ausführungen zur ersten Frage sind, genügt es, auf die Randnrn. 37 bis 44 des vorliegenden Urteils zu verweisen, aus denen hervorgeht, dass die Nichtberücksichtigung des Währungsverlusts nicht durch die oben in Randnr. 48 genannten Gründe gerechtfertigt werden kann.
Zu dem speziellen Argument, dass die Deutsche Shell aufgrund des Währungsverlusts in den Genuss eines doppelten Vorteils kommen könnte, ist festzustellen, dass ein Mitgliedstaat, der durch den Abschluss eines bilateralen Steuerabkommens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf die Ausübung seiner Steuerhoheit verzichtet hat, sich nicht auf seine fehlende Besteuerungsbefugnis bezüglich der Ergebnisse einer Betriebsstätte, die zu einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen gehört, berufen kann, um die Ablehnung des Abzugs solcher Betriebsausgaben dieses Unternehmens zu rechtfertigen, die im Betriebsstättenmitgliedstaat kraft ihrer Natur nicht berücksichtigt werden können.
Zudem ist es für das Recht der Deutschen Shell, den Währungsverlust aus der R ückführung des der Betriebsstätte gewährten Dotationskapitals in voller Höhe als Betriebsausgabe des Unternehmens abzuziehen, unerheblich, dass diese Betriebsstätte Gewinne erzielt hat. Anderenfalls könnte der Währungsverlust weder von dem Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, noch von dem Mitgliedstaat berücksichtigt werden, in dem die Betriebsstätte belegen ist, da in deren Büchern, die in der nationalen Währung geführt werden, die Währungsabwertung, von der das Dotationskapital betroffen ist, nicht in Erscheinung tritt.
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag auch einer Regelung entgegensteht, nach der ein Währungsverlust als Betriebsausgabe eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens nur in dem Umfang abgezogen werden darf, in dem seine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte keine steuerfreien Gewinne erzielt hat.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG) steht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Währungsverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist.
2. Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) in Verbindung mit Art. 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG) steht auch einer Regelung entgegen, nach der ein Währungsverlust als Betriebsausgabe eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens nur in dem Umfang abgezogen werden darf, in dem seine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte keine steuerfreien Gewinne erzielt hat.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg