Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 21.12.2005 · IWW-Abrufnummer 053587

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)

    13. Dezember 2005(*)

    ?Artikel 43 EG und 48 EG ? Körperschaftsteuer ? Konzern ? Steuervorteil ? Gewinne von Muttergesellschaften ? Abzug der Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft ? Bewilligung ? Abzug der Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft ? Ausschluss?

    In der Rechtssache C‑446/03

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 16. Juli 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2003, in dem Verfahren

    Marks & Spencer plc

    gegen

    David Halsey (Her Majesty?s Inspector of Taxes)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas, der Richter C. Gulmann (Berichterstatter), A. La Pergola, J.‑P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. Kluèka, U. Lõhmus, E. Levits und A. Ó Caoimh,

    Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

    Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 2005,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    ? der Marks & Spencer plc, vertreten durch G. Aaronson, QC, und P. Farmer, Barrister,

    ? der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Bethell als Bevollmächtigten im Beistand von R. Plender, QC, und D. Ewart, Barrister,

    ? der deutschen Regierung, vertreten durch W.‑D. Plessing und A. Tiemann als Bevollmächtigte,

    ? der griechischen Regierung, vertreten durch K. Boskovits und V. Kyriazopoulos sowie durch I. Pouli und S. Trekli als Bevollmächtigte,

    ? der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Jurgensen‑Mercier als Bevollmächtigte,

    ? Irlands, vertreten durch D. J. O?Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von E. Fitzsimons, SC, und G. Clohessy, BL,

    ? der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, S. Terstal und J. van Bakel als Bevollmächtigte,

    ? der finnischen Regierung, vertreten durch A. Guimaraes‑Purokoski als Bevollmächtigte,

    ? der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten,

    ? der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2005

    folgendes

    Urteil

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 43 EG und 48 EG.

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Marks & Spencer plc (im Folgenden: Marks & Spencer) und der britischen Steuerverwaltung über die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung eines Steuervorteils, mit dem Marks & Spencer den Abzug der Verluste ihrer in Belgien, in Deutschland und in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften von ihrem steuerpflichtigen Gewinn im Vereinigten Königreich geltend macht.

    Rechtlicher Rahmen

    Die für das Ausgangsverfahren maßgeblichen nationalen Rechtsvorschriften sind im Income and Corporation Tax Act 1988 (im Folgenden: ICTA) enthalten. Sie werden im Folgenden auf der Grundlage der Angaben in der Vorlageentscheidung wiedergegeben.

    Körperschaftsteuerpflicht

    Gemäß Sections 6 (1) und 11 (1) ICTA sind Gewinne von Unternehmen, die ihren Sitz im Vereinigten Königreich haben oder dort durch eine Zweigniederlassung oder Agentur gewerblich tätig sind, körperschaftsteuerpflichtig.

    Gemäß Section 8 (1) ICTA sind gebietsansässige Gesellschaften mit ihren weltweit erwirtschafteten Gewinnen körperschaftsteuerpflichtig. Gebietsfremde Gesellschaften sind gemäß Section 11 (1) nur mit den Gewinnen körperschaftsteuerpflichtig, die ihrer Zweigniederlassung oder Agentur im Vereinigten Königreich zuzurechnen sind.

    Nach den Steuerabkommen, die das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland insbesondere mit dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik geschlossen hat, unterliegen die ausländischen Tochtergesellschaften von gebietsansässigen Gesellschaften als gebietsfremde Gesellschaften der britischen Körperschaftsteuer mit ihrer gewerblichen Tätigkeit nur, soweit diese im Vereinigten Königreich durch eine Betriebsstätte im Sinne dieser Abkommen ausgeübt wird.

    Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht im Vereinigten Königreich ein System von Steuergutschriften.

    Dieses System weist die beiden folgenden Merkmale auf:

    Erstens wird eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat durch eine dort ansässige Zweigniederlassung gewerblich tätig ist, entweder im Vereinigten Königreich für Gewinne dieser Zweigniederlassung besteuert und zieht von der fälligen Steuer die in einem anderen Mitgliedstaat entrichtete Steuer ab, oder ihr wird gestattet, diese Steuer bei der Berechnung der Gewinne oder Verluste der im Vereinigten Königreich ansässigen Zweigniederlassung abzuziehen. Der Betriebsgewinn der Zweigniederlassung wird nach den steuerrechtlichen Regeln des Vereinigten Königreichs ermittelt. Ein Betriebsverlust kann mit dem Gewinn der im Vereinigten Königreich ansässigen Zweigniederlassung verrechnet werden. Nicht verrechnete Verluste können auf spätere Rechnungsjahre übertragen werden. Der Umstand, dass der Verlust in dem anderen Mitgliedstaat auf die künftigen Gewinne der Zweigniederlassung übertragbar ist, steht seiner Verrechnung mit den Gewinnen im Vereinigten Königreich nicht entgegen.

    Zweitens wird eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat durch eine dort ansässige Tochtergesellschaft gewerblich tätig ist, im Vereinigten Königreich für von dieser Tochtergesellschaft ausgeschüttete Dividenden besteuert und erhält eine Steuergutschrift in Höhe der Steuer, die in dem anderen Mitgliedstaat auf die Gewinne, aus denen die Dividenden ausgeschüttet wurden, entrichtet wurde, sowie der gegebenenfalls entrichteten Quellensteuer. Falls die Rechtsvorschriften über die Besteuerung beherrschter ausländischer Gesellschaften nicht anwendbar sind, wird die Muttergesellschaft nicht für von ihrer gebietsfremden Tochtergesellschaft ausgeschüttete Dividenden besteuert und kann auch deren Verluste nicht mit ihren Gewinnen verrechnen.

    Gemäß Section 208 ICTA werden Dividenden, die an eine im Vereinigten Königreich ansässige Muttergesellschaft von einer ebenfalls dort ansässigen Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, anders als Dividenden, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, nicht besteuert.

    Sonderregelung für Verluste im Rahmen von Konzernen (Konzernabzug)

    Im Vereinigten Königreich können gebietsansässige Gesellschaften aufgrund einer Regelung über den Konzernabzug untereinander ihre Gewinne und Verluste verrechnen.

    Section 402 ICTA bestimmt:

    ?(1) Gemäß diesem Kapitel und Section 492 (8) kann ein Abzug von der Körperschaftsteuer für Betriebsverluste und sonstige im Rahmen der Körperschaftsteuer abzugsfähige Beträge gemäß den ? in den Subsections (2) und (3) aufgeführten Fällen von einer übertragenden Gesellschaft (übertragende Gesellschaft) übertragen werden und von einer anderen Gesellschaft (antragstellende Gesellschaft) auf Antrag in Form des so genannten Konzernabzugs vorgenommen werden.

    (2) Der Konzernabzug kann gewährt werden, wenn die übertragende und die antragstellende Gesellschaft zum selben Konzern gehören ??

    Section 403 ICTA bestimmt:

    ?(1) Hat die übertragende Gesellschaft in einem Rechnungsjahr (Übertragungszeitraum)

    a) Betriebsverluste ?, so kann dieser Verlust gemäß den Bestimmungen dieses Kapitels bei der Körperschaftsteuer vom Gesamtgewinn der antragstellenden Gesellschaft im entsprechenden Geschäftsjahr abgesetzt werden.?

    In Bezug auf die Rechnungsjahre, die vor dem 1. April 2000 endeten, bestimmt Section 413 (5) ICTA:

    ?Als Gesellschaft im Sinne dieses Kapitels gelten nur Körperschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich ??

    Seit dem Rechnungsjahr 2000 ist infolge einer auf das Urteil des Gerichtshofes vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C‑264/96 (ICI, Slg. 1998, I‑4695) zurückgehenden Gesetzesänderung der Konzernabzug auf Gewinne und Verluste beschränkt, die in den Anwendungsbereich des Steuerrechts des Vereinigten Königreichs fallen.

    Infolge dieser Gesetzesänderung

    ? können Verluste einer im Vereinigten Königreich ansässigen Zweigniederlassung einer gebietsfremden Gesellschaft auf eine andere Konzerngesellschaft übertragen werden, um von deren steuerpflichtigen Gewinnen im Vereinigten Königreich abgezogen zu werden;

    ? können Verluste einer im Vereinigten Königreich ansässigen Konzerngesellschaft auf die Zweigniederlassung übertragen werden, um von deren Gewinnen im Vereinigten Königreich abgezogen zu werden.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    Marks & Spencer ist eine in England und Wales gegründete und im Handelsregister eingetragene Gesellschaft. Sie hat Tochtergesellschaften im Vereinigten Königreich und in anderen Staaten. Sie ist eines der führenden Einzelhandelsunternehmen im Vereinigten Königreich für Bekleidung, Lebensmittel, Haushaltswaren und Finanzdienstleistungen.

    1975 begann sie mit der Eröffnung eines Geschäfts in Paris ihre Expansion in andere Staaten. Ende der neunziger Jahre verfügte sie über Verkaufsstellen in über 36 Ländern mit einem Netz von Tochtergesellschaften und einem System von Franchiseverträgen.

    Mitte der neunziger Jahre zeichnete sich eine Tendenz zu steigenden Verlusten ab.

    Im März 2001 kündigte Marks & Spencer an, dass sie sich aus ihrem kontinentaleuropäischen Geschäft zurückziehen wolle. Am 31. Dezember 2001 hatte sie die französische Tochtergesellschaft an Dritte verkauft, und die übrigen Tochtergesellschaften, darunter auch die deutsche und die belgische, hatten ihre gewerbliche Tätigkeit eingestellt.

    Im Vereinigten Königreich beantragte Marks & Spencer Konzernabzug gemäß Anhang 17a Absatz 6 ICTA für die Verluste ihrer in Belgien, in Deutschland und in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften in den vier jeweils am 31. März 1998, 1999, 2000 und 2001 abgelaufenen Rechnungsjahren. Wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, sind sich die Parteien darüber einig, dass die Verluste nach britischem Steuerrecht zu berechnen sind. Auf Aufforderung der Steuerverwaltung berechnete Marks & Spencer die Verluste auf dieser Basis neu.

    Die genannten Tochtergesellschaften hatten ihre gewerbliche Tätigkeit im Mitgliedstaat ihres Sitzes ausgeübt. Sie hatten im Vereinigten Königreich, wo sie nicht gewerblich tätig waren, keine Betriebsstätte.

    Die Anträge auf Konzernabzug wurden mit der Begründung abgelehnt, dass ein Konzernabzug nur für Verluste im Vereinigten Königreich zulässig sei.

    Die von Marks & Spencer gegen diesen ablehnenden Bescheid bei den Special Commissioners of Income Tax erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

    Marks & Spencer legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, ein. Dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:

    1. Stellt es eine Beschränkung im Sinne von Artikel 43 EG in Verbindung mit Artikel 48 EG dar, wenn

    ? Vorschriften eines Mitgliedstaats wie die Bestimmung des Vereinigten Königreichs über den Konzernabzug eine Muttergesellschaft, die in diesem Staat Steuerinländer ist, daran hindern, ihre steuerpflichtigen Gewinne in diesem Staat dadurch zu senken, dass sie sie mit Verlusten verrechnet, die Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten, in denen sie Steuerinländer sind, entstanden sind, während eine solche Verrechnung möglich wäre, wenn es sich um Verluste von im Sitzstaat der Muttergesellschaft ansässigen Tochtergesellschaften handelte;

    ? im Mitgliedstaat der Muttergesellschaft

    ? eine Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat für ihren gesamten Gewinn, einschließlich des Gewinns von Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten, körperschaftsteuerpflichtig ist, wobei für die in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Steuern eine Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht, nach der Verluste von Zweigniederlassungen bei diesen steuerpflichtigen Gewinnen berücksichtigt werden;

    ? die nicht ausgeschütteten Gewinne von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften nicht körperschaftsteuerpflichtig sind;

    ? die Muttergesellschaft für alle Gewinnausschüttungen in Form von Dividenden, die die Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommen hat, körperschaftsteuerpflichtig ist, während die Muttergesellschaft für Gewinnausschüttungen in Form von Dividenden durch im Sitzstaat der Muttergesellschaft ansässige Tochtergesellschaften nicht körperschaftsteuerpflichtig ist;

    ? die Muttergesellschaft zur Vermeidung der Doppelbelastung für die auf Dividenden erhobene Quellensteuer und sonstige ausländische Steuern, die für Gewinne entrichtet wurden, aus denen in anderen Mitgliedstaaten ansässige Tochtergesellschaften Dividenden ausgeschüttet haben, eine Steuergutschrift erhält?

    ? Wenn ja, ist diese Beschränkung nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt?

    2. a) Welchen Unterschied macht es gegebenenfalls für die Antwort auf die erste Frage, dass es je nach Gesetzeslage im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft unter gewissen Umständen möglich ist oder möglich sein kann, einige oder alle Verluste der Tochtergesellschaft mit steuerpflichtigen Gewinnen in ihrem Sitzstaat zu verrechnen?

    b) Falls sich ein Unterschied ergibt, welche Bedeutung kommt dann gegebenenfalls dem Umstand zu, dass

    ? eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft ihre gewerbliche Tätigkeit eingestellt hat und, obwohl in diesem Staat unter bestimmten Voraussetzungen ein Verlustabzug vorgesehen ist, nicht nachweisen kann, dass ihr dieser tatsächlich gewährt wurde;

    ? eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft an einen Dritten verkauft wurde und, obwohl in diesem Staat unter bestimmten Voraussetzungen ein Verlustabzug vorgesehen ist, nicht sicher ist, ob dieser im konkreten Fall vorgenommen wurde;

    ? die Voraussetzungen, unter denen der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft die Verluste von im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaften berücksichtigt, unabhängig davon Anwendung finden, ob auch in einem anderen Mitgliedstaat ein Verlustabzug stattfindet?

    c) Würde es einen Unterschied machen, wenn nachgewiesen werden könnte, dass in dem Mitgliedstaat, in dem die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, ein Verlustabzug stattgefunden hat, und wenn ja, wäre es von Bedeutung, wenn der Abzug später von einem unverbundenen Konzern vorgenommen wurde, an den die Tochtergesellschaft verkauft wurde?

    Zur ersten Frage

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 43 EG und 48 EG der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt.

    Es geht demnach um die Frage, ob eine solche Regelung eine den Artikeln 43 EG und 48 EG zuwiderlaufende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

    Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (vgl. insbesondere Urteil vom 8. März 2001 in den Rechtssachen C‑397/98 und C‑410/98, Metallgesellschaft u. a., Slg. 2001, I‑1727, Randnr. 37 und die angeführte Rechtsprechung).

    Mit der Niederlassungsfreiheit, die Artikel 43 EG den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, ist gemäß Artikel 48 EG für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (vgl. Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C‑307/97, Saint-Gobain ZN, Slg. 1999, I‑6161, Randnr. 35).

    Auch wenn die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, so verbieten sie es doch ebenfalls, dass der Herkunftsstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. u. a. Urteil ICI, Randnr. 21).

    Ein Konzernabzug wie der im Ausgangsverfahren streitige stellt für die betreffenden Gesellschaften eine Steuervergünstigung dar. Er beschleunigt den Ausgleich der Verluste der defizitären Gesellschaften durch ihre unmittelbare Verrechnung mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften und verschafft dem Konzern dadurch einen Liquiditätsvorteil.

    Ist eine solche Vergünstigung im Hinblick auf Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft, die im Mitgliedstaat der Muttergesellschaft nicht wirtschaftlich tätig ist, ausgeschlossen, so ist dies geeignet, die Muttergesellschaft in der Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit zu behindern, da sie dadurch von der Gründung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten abgehalten wird.

    Ein solcher Ausschluss beschränkt damit die Niederlassungsfreiheit im Sinne der Artikel 43 EG und 48 EG, da er zu einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Verlusten einer gebietsansässigen und solchen einer gebietsfremden Tochtergesellschaft führt.

    Eine derartige Beschränkung kann nur zulässig sein, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In einem solchen Fall muss allerdings ihre Anwendung zur Erreichung des damit verfolgten Zieles geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (Urteile vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C‑250/95, Futura Participations und Singer, Slg. 1997, I‑2471, Randnr. 26, sowie vom 11. März 2004 in der Rechtssache C‑9/02, De Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I‑2409, Randnr. 49).

    Das Vereinigte Königreich und die anderen Mitgliedstaaten, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen eingereicht haben, machen geltend, dass sich die gebietsansässigen und die gebietsfremden Tochtergesellschaften hinsichtlich einer Konzernabzugsregelung wie der hier streitigen nicht in der gleichen steuerrechtlichen Lage befänden. Nach dem im Völkerrecht wie im Gemeinschaftsrecht geltenden Territorialitätsprinzip fehle dem Mitgliedstaat des Sitzes der Muttergesellschaft die Steuerhoheit gegenüber gebietsfremden Tochtergesellschaften. Diese stehe nach der auf diesem Gebiet üblichen Aufteilung grundsätzlich den Staaten zu, in deren Gebiet die Tochtergesellschaften ansässig und wirtschaftlich tätig seien.

    Hierzu ist festzustellen, dass im Steuerrecht der Sitz des Steuerpflichtigen ein Kriterium sein kann, das nationale Regelungen, die zu einer Ungleichbehandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen führen, rechtfertigen kann. Jedoch ist der Sitz nicht immer ein gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium. Könnte nämlich der Mitgliedstaat der Niederlassung nach seinem Belieben eine Ungleichbehandlung allein deshalb vornehmen, weil sich der Sitz einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet, so würde diese Vorschrift ihres Sinnes entleert (vgl. Urteil vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnr. 18).

    In jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob die Beschränkung der Anwendung einer Steuervergünstigung auf gebietsansässige Steuerpflichtige durch objektive, relevante Kriterien gestützt ist, die geeignet sind, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

    In einer Situation wie der des Ausgangsrechtsstreits steht es zwar mit dem ? im internationalen Steuerrecht geltenden und vom Gemeinschaftsrecht anerkannten ? Territorialitätsprinzip im Einklang, wenn der Mitgliedstaat des Sitzes der Muttergesellschaft die gebietsansässigen Gesellschaften für ihren weltweit erwirtschafteten Gewinn und die gebietsfremden Gesellschaften ausschließlich für den Gewinn aus ihrer inländischen Tätigkeit besteuert (vgl. insbesondere das Urteil Futura Participations und Singer, Randnr. 22).

    Der Umstand allein, dass dieser Mitgliedstaat den Gewinn gebietsfremder Tochtergesellschaften einer in seinem Gebiet ansässigen Muttergesellschaft nicht besteuert, rechtfertigt jedoch noch keine Beschränkung des Konzernabzugs auf Verluste der gebietsansässigen Tochtergesellschaften.

    Zur Beurteilung der Frage, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt ist, ist zu untersuchen, welche Folgen es hätte, eine Vergünstigung wie die im Ausgangsverfahren streitige uneingeschränkt auszudehnen.

    Hierzu haben das Vereinigte Königreich und die anderen Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, drei Rechtfertigungsgründe vorgetragen.

    Erstens handele es sich bei Gewinnen und Verlusten steuerrechtlich gesehen um die zwei Seiten derselben Medaille, die im Rahmen eines Steuersystems spiegelbildlich zu behandeln seien, um eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren. Zweitens bestehe, wenn die Verluste im Mitgliedstaat der Muttergesellschaft berücksichtigt würden, die Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung. Drittens bestehe, wenn die Verluste nicht im Mitgliedstaat der Niederlassung der Tochtergesellschaft berücksichtigt würden, eine Steuerfluchtgefahr.

    Zum ersten Rechtfertigungsgrund ist daran zu erinnern, dass der Rückgang von Steuereinnahmen nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden kann, der zur Rechtfertigung einer grundsätzlich gegen eine Grundfreiheit verstoßenden Maßnahme angeführt werden kann (vgl. insbesondere Urteil vom 7. September 2004 in der Rechtssache C‑319/02, Manninen, Slg. 2004, I‑7477, Randnr. 49 und die angeführte Rechtsprechung).

    Es kann jedoch, wie das Vereinigte Königreich zu Recht ausführt, zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich sein, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem dieser Staaten niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur dessen Steuerrecht anzuwenden.

    Würde nämlich den Gesellschaften die Möglichkeit eingeräumt, für die Berücksichtigung ihrer Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder aber in einem anderen Mitgliedstaat zu optieren, so würde dadurch die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigt, da die Besteuerungsgrundlage im ersten Staat um die übertragenen Verluste erweitert und im zweiten Staat entsprechend verringert würde.

    Zum zweiten Rechtfertigungsgrund ? doppelte Verlustberücksichtigung ? ist anzuerkennen, dass die Mitgliedstaaten dies verhindern können müssen.

    Tatsächlich ist eine Ausdehnung des Konzernabzugs auf gebietsfremde Tochtergesellschaften mit einer solchen Gefahr verbunden. Sie wird durch eine Regelung vermieden, die einen Abzug dieser Verluste ausschließt.

    Was schließlich den dritten Rechtfertigungsgrund ? Steuerfluchtgefahr ? angeht, so ist anzuerkennen, dass die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten einer gebietsfremden Tochtergesellschaft auf eine gebietsansässige Gesellschaft die Gefahr birgt, dass die Verlustübertragungen innerhalb eines Gesellschaftskonzerns in Richtung der Gesellschaften geleitet werden, die in den Mitgliedstaaten ansässig sind, in denen die höchsten Steuersätze gelten und folglich der steuerliche Wert der Verluste am höchsten ist.

    Ein Ausschluss des Konzernabzugs für Verluste von gebietsfremden Tochtergesellschaften verhindert solche Praktiken, die durch das Bestehen deutlicher Unterschiede in den Steuersätzen der verschiedenen Mitgliedstaaten veranlasst sein könnten.

    Insgesamt ergibt sich aus diesen drei Rechtfertigungsgründen, dass eine beschränkende Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige zum einen ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt und zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht und dass sie zum anderen zur Erreichung dieser Ziele geeignet ist.

    Dieser Beurteilung stehen die im zweiten Teil der ersten Frage enthaltenen Angaben zu den im Vereinigten Königreich geltenden Regelungen betreffend

    ? die Gewinne und die Verluste einer ausländischen Zweigniederlassung einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft,

    ? die Dividenden, die an eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden,

    nicht entgegen.

    Es ist jedoch zu prüfen, ob die beschränkende Maßnahme nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die verfolgten Ziele zu erreichen.

    Marks & Spencer und die Kommission haben nämlich vorgetragen, dass weniger belastende Maßnahmen als ein allgemeiner Ausschluss in Frage kämen. Als Beispiele nannten sie die Möglichkeit, den Abzug davon abhängig zu machen, dass die ausländische Tochtergesellschaft sämtliche in ihrem Sitzmitgliedstaat bestehenden Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat. Außerdem nannten sie die Möglichkeit, den Abzug davon abhängig zu machen, dass spätere Gewinne der gebietsfremden Tochtergesellschaft in Höhe der vorher verrechneten Verluste zu den steuerpflichtigen Gewinnen der Gesellschaft, die von dem Konzernabzug Gebrauch gemacht hat, wieder hinzugerechnet werden.

    Der Gerichtshof ist insoweit der Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren streitige beschränkende Maßnahme dann über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die verfolgten Ziele im Wesentlichen zu erreichen, wenn

    ? die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und

    ? keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden.

    Sofern die gebietsansässige Muttergesellschaft gegenüber den Steuerbehörden nachweist, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, verstößt es gegen die Artikel 43 EG und 48 EG, wenn es ihr verwehrt wird, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn die Verluste ihrer gebietsfremden Tochtergesellschaft abzuziehen.

    In diesem Kontext ist noch hinzuzufügen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nationale Maßnahmen beizubehalten oder zu erlassen, die speziell bezwecken, nur zur Umgehung des nationalen Steuerrechts oder zur Steuerflucht geschaffene Sachverhalte von einem Steuervorteil auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteile ICI, Randnr. 26, und De Lasteyrie du Saillant, Randnr. 50).

    Im Übrigen bedürfen, soweit es andere, weniger belastende Maßnahmen geben sollte, solche Maßnahmen jedenfalls einer vom Gemeinschaftsgesetzgeber zu erlassenden Harmonisierungsregelung.

    Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Artikel 43 EG und 48 EG beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft allgemein verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt. Es verstößt jedoch gegen die Artikel 43 EG und 48 EG, der gebietsansässigen Muttergesellschaft eine solche Möglichkeit dann zu verwehren, wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und wenn keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden.

    Zur zweiten Frage

    In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

    Kosten

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

    Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft allgemein verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt. Es verstößt jedoch gegen die Artikel 43 EG und 48 EG, der gebietsansässigen Muttergesellschaft eine solche Möglichkeit dann zu verwehren, wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und wenn keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden.

    Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

    RechtsgebietGemeinschaftsrechtVorschriftenArt. 43, 48 EG