08.01.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 19.02.2001 – 6 K 481/97
-Besteht weder nach der objektiven noch nach der von den Steuerpflichtigen angenommenen subjektiven Rechtslage eine zu tilgende Steuerschuld, deren rechtzeitige Tilgung durch das Druckmittel der Säumniszuschläge hätte gefördert werden können, ist die Festsetzung von Säumniszuschlägen unbillig.
-Wenn Säumniszuschläge auf einer irrtümlich vorangemeldeten Steuerschuld beruhen und unter Zugrundelegung der irrtümlich angenommenen Rechtslage objektiv keine Steuerschuld bestanden hätte, besteht ein Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge.
Unter Aufhebung der Verfügung vom 29.08.1996 und der Einspruchsentscheidung vom 17.12.1996 wird das Finanzamt verpflichtet, die für den Zeitraum 10.02.1996 und 08.07.1996 angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von ... DM zu erlassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA-) zu Recht den Erlaß von Säumniszuschlägen in Höhe von ... DM abgelehnt hat, die für den Zeitraum zwischen der irrtümlichen Voranmeldung von Umsatzsteuern und ihrer Berichtigung angefallen sind, wenn weder nach der objektiven Rechtslage noch nach der von dem Stpfl. irrtümlich angenommene Rechtslage wegen einer dann bestehenden Stundungssituation eine Säumnis bestand.
Am 27.10.1995 veräußerte die klagende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein in vollem Umfang für geschäftliche Zwecke vermietetes Geschäftsgrundstück für den Kaufpreis von ... Millionen DM + ... DM Umsatzsteuer. In dem notariellen Vertrag wurde vereinbart, daß der Käufer verpflichtet war, den aus der Grundstücksübertragung resultierenden Vorsteuererstattungsanspruch an die Klägerin abzutreten. Nutzen und Lasten des Grundstücks gingen am 1.12.1995 über. Beide Beteiligten gingen bei Vertragsschluß davon aus, daß die Grundstücksübertragung umsatzsteuerpflichtig sei.
Demgemäß machten die Käufer nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums am 10.1.1996 den Vorsteuererstattungsanspruch geltend und reichten bei dem für sie zuständigen FA die Abtretungsanzeige zu Gunsten der Klägerin ein. Die Verkäuferin (Klägerin) reichte am 1.2.1996 bei dem für sie zuständigen FA (Beklagten) für Dezember 1996 eine Umsatzsteuervoranmeldung nebst Kopie der Abtretungsanzeige über das Vorsteuerguthaben der Käufer ein, was zu einer Erstattung führte. Ein ausdrücklicher Stundungsantrag der vorangemeldeten Steuerschuld bis zum Eingang des abgetretenen Guthabens wurde nicht gestellt. Auf eine Mahnung der Finanzkasse vom 7.3.1996 erhielt die Klägerin auf telefonische Nachfrage die Antwort, es handele sich um ein Versehen, weil eine „Mahnsperre” gesetzt sei. Die Klägerin ging während dieses Zeitraums davon aus, wegen des abgetretenen Vorsteuerguthabens keine offenen Steuerschulden zu besitzen und nicht säumig zu sein.
Im Verlauf einer Umsatzsteuersonderprüfung bei den Käufern ergab sich, daß es sich bei dem Grundstücksverkauf um eine seit 1994 nicht mehr steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen handelte.
Als die Klägerin hiervon erfuhr, erhielt sie die Rechnung mit Umsatzusteuerausweis von den Käufern zurück und reichte am 8.7.1996 eine berichtigte Voranmeldung ein, in der der Grundstücksumsatz nicht mehr erfaßt war und beantragte Erlaß der zwischenzeitlich angefallenen Säumniszuschläge. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei nicht von einer Säumnis ausgegangen, weil im Falle der angenommenen Umsatzsteuerpflicht ein gleich hoher Erstattungsanspruch zur Tilgung der Schuld geführt hätte. Da der Zweck des § 240 AO darin bestehe, säumige Steuerschuldner zur pünktlichen Zahlung anzuhalten, entspreche die Zahlung von Säumniszuschlägen nicht dem Normzweck.
Den Erlaßantrag lehnte das FA am 28.8.1996 mit der Begründung ab, Säumniszuschläge würden auch dann verwirkt, wenn die festgesetzte Steuer unrichtig sei. Zudem habe die Klägerin der Voranmeldung zwar eine Abtretungsanzeige, nicht aber einen ausdrücklichen Stundungsantrag beigefügt.
Hiergegen legte die Klägerin am 11.9.1996 fristgerecht Einspruch ein. Das FA gehe auf die Begründung nicht ein. Bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, daß die Klägerin auf die Wirksamkeit der Abtretung vertraut habe und deshalb nicht säumig gewesen sei. Für das FA sei aufgrund der unrichtigen Voranmeldung kein Schaden entstanden, weil es nicht zu einem unberechtigten Vorsteuerabzug gekommen sei, noch habe die Klägerin einen Zinsvorteil gezogen.
Mit Verfügung vom 17.10.1996 stundete das FA zwar die Steuerschuld der Voranmeldung Dezember 1995 für den Zeitraum ab Eingang der berichtigten Voranmeldung (8.7.1996) bis zur Zustimmung des Festsetzungsfinanzamtes, jedoch nicht für den Zeitraum ab Eingang der irrtümlichen Voranmeldung (10.2.1996) und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 17.12.1996 zurück. Zur Begründung führte es aus, die verwirkten Säumniszuschläge zwischen dem 10.2.1996 (unrichtige Voranmeldung) und Korrektur am 8.7.1996 seien nicht zu erlassen, weil keine Stundungssituation vorgelegen habe. Denn der irrtümlich vorangemeldeten Umsatzsteuer habe nach der objektiven Rechtslage kein Vorsteuererstattungsanspruch gegenüber gestanden. Zudem habe die Klägerin keinen ausdrücklichen Stundungsantrag gestellt.
Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Ein ausdrücklicher Stundungsantrag sei nicht erforderlich gewesen. Wie die Mahnsperre zeige, sei das FA zunächst auch nicht von einer Säumnis ausgegangen. Eine Stundung setze keinen ausdrücklichen Antrag voraus. Entscheidend sei nur, daß eine Stundungssituation tatsächlich gegeben war.
Die Klägerin beantragt
das FA unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.12.1996 und der ablehnenden Verfügung vom 29.8.1996 zu verpflichten, die zur Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 1996 angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von ... DM zu erlassen.
Das FA beantragt
die Klage abzuweisen.
Es habe auch nach der angenommenen Rechtslage keine Stundungssituation bestanden, weil kein ausdrücklicher Stundungsantrag gestellt worden sei.
Gründe
Die Klage ist begründet.
1. Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Säumniszuschläge (§ 37 Abs.1 i.V.m. § 3 Abs.3 AO 1977). Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603). Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlaß ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn lediglich der Erlaß der Steuerschuld als einzige rechtmäßige Alternative in Betracht kommt. Der Senat gelangt anhand der Würdigung der Besonderheiten des Falles zu dem Ergebnis, daß die Ablehnung des begehrten Erlasses unbillig ist.
2. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Dem FA ist im Ausgangspunkt seiner Erlaßablehnung zuzustimmen, daß die materielle Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 1995 allein noch keinen Grund darstellt, die Säumniszuschläge zu erlassen. Denn Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer steuerrechtlichen Vorschrift bewußt in Kauf genommen hat, rechtfertigen keinen Erlaß aus Billigkeitsgründen (Urteil des BFH vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906). In § 240 Absatz 1 Satz 4 AO hat jedoch der Gesetzgeber in bewußter Abkehr von der Rechtsprechung des Großen Senates des BFH (Beschluß vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262), wonach bei einer Herabsetzung der Steuerschuld auch Säumniszuschläge herabzusetzen seien, entschieden, daß allein die formelle Festsetzung einer vollziehbaren Steuerschuld ungeachtet ihrer materiellen Richtigkeit zu Säumniszuschlägen führen kann. Der Steuerpflichtige kann die darin liegende Härte vermeiden, in dem er die Vollziehbarkeit einer unrichtig festgesetzten Steuerschuld rechtzeitig durch einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Rückwirkung beseitigt (BFH-Beschluß vom 10.Dezember 1986 I B 121/86, BStBl II 1987, 389).
3. Der Streitfall enthält jedoch Besonderheiten, die über den Sachverhalt der Einziehung von Säumniszuschlägen auf der Basis einer materiell unrichtigen Steuerschuld hinausgehen. Diese bestehen darin, daß weder nach der objektiven noch nach der von den Steuerpflichtigen angenommenen subjektiven Rechtslage eine zu tilgende Steuerschuld bestand, deren rechtzeitige Tilgung durch das Druckmittel der Säumniszuschläge hätte gefördert werden können. Wäre die Grundstücksveräußerung - wie von der Klägerin und ihrem Vertragspartner angenommen - tatsächlich umsatzsteuerbar gewesen, so wäre von der Klägerin keine Steuerschuld zu tilgen gewesen, weil sich die Klägerin den aus der Grundstücksübertragung ergebenden Vorsteuererstattungsanspruch des Käufers hatte abtreten lassen. In diesem Fall wäre bis zur Fälligkeit des Vorsteuererstattungsanspruchs eine Stundungssituation entstanden, bei der das FA verpflichtet gewesen wäre, die Steuerschuld bis zur Tilgung durch die abgetretene Vorsteuer zinslos zu stunden (sog. Verrechnungsstundung, vgl Tipke/Kruse, AO und FGO § 222 Tz.28 f). Da die Klägerin ihrer Voranmeldung eine Kopie der Abtretungsanzeige beigefügt hatte, war auch für das FA auch ohne ausdrücklich gestellten Stundungsantrag das Begehren der Klägerin auf Stundung klar erkennbar. Ein ausdrücklich gestellter Antrag ist für die Gewährung einer Stundung nicht notwendige Voraussetzung (Tipke Kruse, § 222 AO Tz. 50). Den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Umsatzbesteuerung der Grundstücksübertragung und Abtretung des hiermit zusammenhängenden Vorsteuererstattungsanspruchs hatte das FA auch zutreffend erkannt, wie sich aus der intern gesetzten Mahnsperre ergibt. Nach der objektiven Rechtslage fehlte hingegen der Grundstücksübertragung als Geschäftsveräußerung im Ganzen die Steuerbarkeit, so daß ohne den Rechtsirrtum ebenfalls keine Säumnis entstehen konnte. Es ist aber unbillig und mit dem Zweck des § 240 AO nicht zu vereinbaren, wenn das FA einerseits zu Lasten des Steuerpflichtigen ihn an seiner auf Irrtum beruhenden Steueranmeldung mit der Folge von Säumniszuschlägen festhält und andererseits für die Verneinung einer Stundungssituation, die sich notwendig wegen des abgetretenen Vorsteuererstattungsanspruchs zu seinen Gunsten ergeben hätte, auf die objektive Rechtslage abstellt. Mangels Steuerschuld bestand auch kein Anlaß für sie, Aussetzung der Vollziehung ihrer eigenen Voranmeldung zu beantragen. Da die Einziehung von Säumniszuschlägen dem Zweck des § 240 AO, Druck auf den Stpfl. zur Tilgung offener Steuerschulden auszuüben, nicht entspricht, wenn Säumniszuschläge auf einer irrtümlich vorangemeldeten Steuerschuld beruhen und auch unter Zugrundelegung der irrtümlich angenommenen Rechtslage keine Steuerschuld bestanden hätte, hat die Klägerin Anspruch auf Erlaß der Säumniszuschläge. Der Senat erkennt durch, weil er den Erlaß der Säumniszuschläge als einzig ermessensgerechte Entscheidung ansieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Absatz 1 FGO.