19.12.2002 · IWW-Abrufnummer 021868
Bundesfinanzhof: Urteil vom 27.08.2002 – VI R 22/01
Für eine (Auslands-)Reise kann ein hinreichend konkreter beruflicher Anlass auch dann vorliegen, wenn es sich zwar um die Teilnahme an einer Gruppenreise handelt, die Organisation und Durchführung einer solchen Reise jedoch Dienstaufgabe des damit betrauten Arbeitnehmers ist.
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die als wissenschaftliche Hilfskraft an einem Universitätsinstitut für Geographie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, nahm in der Zeit vom 25. September bis 15. Oktober 1999 an einer unter ihrer Beteiligung vorbereiteten und organisierten Exkursion in den Südwesten der USA (Nationalparks und Naturkunde des Wilden Westens) teil. In ihrer Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1999 machte die Kl ägerin Werbungskosten in Höhe von insgesamt 7 774 DM geltend; in diesen waren u.a. ein Reisekostenanteil für die Exkursion mit 3 879 DM sowie Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1 920 DM enthalten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte dagegen lediglich den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 2 000 DM.
Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA führte zur Begründung aus, Reisen seien in der Regel nur dann ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen, wenn ihnen offensichtlich ein unmittelbarer beruflicher Anlass oder konkreter Auftrag des Arbeitgebers zugrunde liege. Das sei bei Auslandsgruppenreisen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) regelmäßig nicht der Fall (BFH-Urteile vom 22. Januar 1993 VI R 64/91, BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612; vom 27. März 1991 VI R 51/88, BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575; vom 21. Oktober 1996 VI R 39/96, BFH/NV 1997, 469). Die Exkursion in die USA sei nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlasst gewesen, da die Reise zu einer Vielzahl touristisch attraktiver Stätten (z.B. Monument Valley, Grand Canyon Nationalpark, Bryce Canyon Nationalpark) geführt habe, deren Besuch auch für jeden anderen Reisenden interessant gewesen wäre. Dies gelte auch für die Aufenthalte in Las Vegas und San Francisco. Die Exkursion, der ein gewisser Erlebniswert zukomme, sei vergleichbar mit einer von einem Reiseveranstalter angebotenen Urlaubsreise. Allgemeine berufliche Interessen der Klägerin, wie z.B. die, durch eingehende Beobachtungen der Vegetation oder der Bodenstruktur anschließend ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft besser ausüben zu können, reichten nicht aus, um die Exkursion als beruflich veranlasst erscheinen zu lassen. Die Exkursion sei auch nicht etwa deshalb beruflich, weil die Klägerin mit der Organisation der Reise betraut gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Dabei folgte es der Begründung der Einspruchsentscheidung und sah gemäß § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575 führte es ergänzend aus, zwar habe die Klägerin auch in ihrer Funktion als wissenschaftliche Hilfskraft, also aus beruflichen Gründen, an der Exkursion teilgenommen; gleichwohl seien die dabei entstandenen Ausgaben als sog. gemischte Aufwendungen nicht als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Zur Begründung führt sie aus, die fraglichen Aufwendungen seien allein durch die Erzielung von Einkünften aus ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft und damit als Arbeitnehmerin veranlasst. Es gehöre zu ihren Aufgaben, dem Lehrbetrieb unterstützend zur Verfügung zu stehen. Bei der Exkursion habe es sich um eine offizielle Lehrveranstaltung der Hochschule gehandelt. Während der Exkursion habe sie, die Klägerin, als Begleitperson ausschließlich dienstliche Aufgaben wahrgenommen. Dies habe die Regelung reisetechnischer Fragen im Zusammenhang mit dem exkursionsbedingten Orts- und Quartierwechsel, die Organisation der Besuche von Informationszentren und Exkursionszielen sowie von Terminen bei und mit lokalen Fachleuten umfasst. Zu ihren dienstlichen Aufgaben habe es ferner gehört, die studentischen Teilnehmer in Bezug auf die zu fertigenden Exkursionsprotokolle zu beraten.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 5 799 DM festzusetzen.
Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen. Ergänzend führt es aus, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie nach ihrem Arbeitsvertrag verpflichtet gewesen sei, an der Exkursion teilzunehmen.
II.
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach der Rechtsprechung des BFH liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und der jeweiligen Einkunftsart ein Veranlassungszusammenhang besteht (BFH-Beschlüsse vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, 216; vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105; BFH-Urteil vom 1. Oktober 1982 VI R 192/79, BFHE 136, 488, BStBl II 1983, 17). Es muss objektiv ein Zusammenhang mit der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit bestehen und die Aufwendungen müssen subjektiv zur Förderung dieser Tätigkeit gemacht werden.
2. Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde liegt, sind in der Regel ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen, selbst wenn solche Reisen in mehr oder weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt werden. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Verfolgung privater Reiseinteressen den Schwerpunkt der Reise bildet. Als unmittelbaren beruflichen Anlass hat der BFH u.a. angesehen das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Vortrages auf einem Fachkongress, die Durchführung eines Forschungsauftrages oder die Absicht eines Künstlers, am Reiseziel wegen des dort vorhandenen landschaftlichen und kulturellen Umfelds in einer seinem besonderen Malstil entsprechenden Arbeitsweise tätig zu werden (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1993 VI R 94/90, BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674). In dem vorgenannten Urteil sowie in den Urteilen in BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575 und vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78 (BFHE 134, 325, BStBl II 1982, 69) hat der BFH die Durchführung eines Forschungsauftrags lediglich beispielhaft für einen engen und konkreten Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen genannt bzw. dafür angeführt, dass die Reise durch besondere berufliche Belange sowie die spezielle Tätigkeit des Steuerpflichtigen veranlasst war (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Mai 2002 VI B 34/00, BFH/NV 2002, 1030, zu einer Auslandsreise, bei der der Steuerpflichtige die Funktion eines stellvertretenden Exkursionsleiters wahrgenommen hat). Anders sind dagegen solche Reisen zu beurteilen, denen ein konkreter Bezug zur beruflichen Tätigkeit fehlt, wie das z.B. bei der Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise regelmäßig der Fall ist (s. auch BFH-Urteil vom 30. Juni 1995 VI R 22/91, BFH/NV 1996, 30).
3. Im Streitfall hat die Klägerin an der von ihr mit vorbereiteten und organisierten Exkursion in ihrer Funktion als wissenschaftliche Hilfskraft an einem Universitätsinstitut für Geographie teilgenommen. Aus dem Exkursionsprotokoll ergibt sich ein dicht gedrängtes Reiseprogramm. Dieses umfasste neben der Anschauung der jeweils aufgesuchten Naturphänomene die wissenschaftliche Behandlung der damit zusammenhängenden geowissenschaftlichen Fragestellungen, u.a. durch Lehrwanderungen, Vorträge und Diskussionen. So ist die Klägerin in dem vom FG in Bezug genommenen Exkursionsprotokoll neben dem die Exkursion leitenden Hochschullehrer zu insgesamt zehn Programmpunkten als Vortragende genannt.
4. Im Hinblick auf die berufliche Veranlassung der Reise ist die Vorentscheidung von anderen Grundsätzen ausgegangen; sie war deshalb aufzuheben. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob die Teilnahme der Klägerin an der von ihr vorbereiteten Exkursion durch ihre besonderen beruflichen Belange, d.h. ihre berufliche Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft veranlasst war (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1030; BFH-Urteile vom 25. März 1993 VI R 14/90, BFHE 171, 206, BStBl II 1993, 559; in BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612). Dazu wird das FG die maßgeblichen Umstände des Streitfalls, insbesondere den genauen Ablauf der Exkursion, die von der Klägerin zur Vorbereitung, Durchführung und Auswertung bzw. Dokumentation der Exkursion wahrgenommenen Tätigkeiten nach Art und Umfang sowie den Aufgabenbereich einer wissenschaftlichen Hilfskraft an einem Universitätsinstitut für Geographie einzubeziehen und zu würdigen haben (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1030). Ferner wird von Bedeutung sein, aus welchen Gründen die Klägerin an der Exkursion zusätzlich zu dem als Leiter der Exkursion tätigen Hochschullehrer teilgenommen und weshalb die Klägerin von ihrem Arbeitgeber keine Erstattung der Reisekosten erhalten hat (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674). Die unterbliebene Kostenerstattung als solche muss allerdings nicht den Schluss zulassen, die Klägerin habe auch aus privaten Erwägungen an der Exkursion teilgenommen. Dies gilt insbesondere, sofern eine Kostenerstattung --wie von der Klägerin mit der Steuererklärung vorgetragen-- wegen fehlender Institutsmittel nicht erfolgt sein sollte. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung wird das FG auch zu berücksichtigen haben, dass nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 3. Juli 2002 VI R 93/00 (BFH/NV 2002, 1444) eine von einer Hochschule veranstaltete wissenschaftliche (Auslands-)Exkursion dann nicht mit einer von einem Reiseveranstalter angebotenen Urlaubsreise vergleichbar ist, wenn es sich nach dem Lehrplan um eine Pflichtveranstaltung handelt. Zwar betrifft das vorgenannte Urteil die beruflich veranlasste Teilnahme im Rahmen eines als Berufsfortbildung anzuerkennenden Zweitstudiums. Die Entscheidung gilt jedoch insoweit entsprechend für die mit der Durchführung einer solchen Exkursion betrauten Hochschulangehörigen. Dadurch unterscheidet sich der Streitfall auch von dem dem BFH-Urteil in BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674 zugrunde liegenden Sachverhalt. Das vorgenannte Urteil betraf einen Arbeitnehmer, der auf Weisung seines Arbeitgebers eine über einen Reiseveranstalter gebuchte Bildungsgruppenreise vorbereitet und daran auf eigene Kosten teilgenommen hatte. Demgegenüber handelte es sich im Streitfall um eine von einer Universität organisierte und durchgef ührte wissenschaftliche (Auslands-)Exkursion.