01.04.2011
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Beschluss vom 07.01.2011 – 1 V 1217/10
Die Sofortbesteuerung stiller Reserven bei einer grenzüberschreitenden Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung einer SE nach Österreich im Zeitpunkt des Wegzugs unterliegt vor dem Hintergrund europarechtlicher Primärrechtsnormen jedenfalls im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung erheblichen Bedenken.
Tatbestand
I.
Streitig sind die ertragsteuerlichen Folgen einer grenzüberschreitenden Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung einer SE nach Österreich.
Die Antragstellerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft. Unternehmensgegenstand im Inland (X) war die Beteiligungsverwaltung (Beteiligung an der ... Holdings BV) und der Betrieb eines „Family Office”. Mit Datum vom 07. Februar 2007 reichte die Antragstellerin dem Firmengericht in Y, Österreich die Sitzverlegung innerhalb der EU zur Eintragung im Firmenbuch Y ein, die Eintragung erfolgte am 08. Februar 2007. Sodann wurde die Eintragung der Antragstellerin im Handelsregister X gelöscht, am Ort des bisherigen Sitzes und der Geschäftsleitung verblieb nichts zurück.
In der der Körperschaftsteuererklärung für das Rumpf-Wirtschaftsjahr 01.01.-07.02.2007 beigefügten Steuerbilanz führte die Antragstellerin folgendes aus (Bl. 25 KSt-Akten):
” ... nach § 12 Abs. 1 KStG soll die Sitzverlegung die Aufdeckung der in den Wirtschaftsgütern befindlichen stillen Reserven zur Folge haben. Diese Vorschrift verstößt nach Auffassung der Steuerpflichtigen gegen die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU und ist damit als EU-rechtswidrig anzusehen. Der Vorgang wurde daher wie folgt in der Steuerbilanz abgebildet:
Die Wirtschaftsgüter wurden in der Steuerbilanz zum 07.02.2007 zu Dokumentationszwecken mit ihren gemeinen Werten angesetzt. In Höhe des sich daraus ergebenden Ertrags wurde ergebniswirksam ein steuerlicher Ausgleichsposten gebildet, sodass sich der Vorgang ergebnisneutral darstellt. Es ist klarzustellen, dass es sich bei der gebildeten Position um keinen Ausgleichsposten i.S. von § 4g EStG handelt. Ziel der Vorgehensweise ist es, den Vorgang in der Steuererklärung durch Ansatz der gemeinen Werte transparent darzustellen und den aus Ansatz des gemeinen Wertes resultierenden Betrag zu dokumentieren, jedoch die Ergebniswirkung aufgrund der EU-Rechtswidrigkeit von § 12 Abs. 1 KStG zu eliminieren.
Steuerliche Buchwerte zum 07.02.2007: | |
Beteiligung an der ... Holdings BV | 3.151.883.369,17 |
Pensionsrückstellung | 3.164.587,00 |
Gemeine Werte zum 07.02.2007: | |
Beteiligung an der ... Holdings BV | 4.226.183.741,17 |
Pensionsrückstellung | 9.175.891,05 |
Ertrag aus der Aufdeckung stiller Reserven | 1.068.289.067,95 |
Aufwand aus der Bildung eines steuerlichen Ausgleichspostens | - 1.068.289.067,95.” |
Der Antragsgegner folgte dieser Sachbehandlung im Bescheid über Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2007 vom 19. November 2008 nicht. Nach der dem Bescheid beigefügten Anlage ging er von einem Anwendungsfall des § 12 Abs. 1 KStG aus. Danach werde eine Veräußerung der von der Antragstellerin gehaltenen Beteiligung an der ... Holdings BV fingiert. Auf den Entstrickungsgewinn sei § 8b Abs. 2 KStG anzuwenden, allerdings mit der Folge der Versteuerung von 5% nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. Daher sei von einem vorläufigen Entstrickungsgewinn iHv 1.068.289.067 Euro auszugehen, von dem 53.414.453 Euro (=5%) zu versteuern seien.
Über den hiergegen erhobenen Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids ohne Sicherheitsleistung hat er mit Schreiben vom 12. Februar 2009 (Bl. 22 f Rechtsbehelfsakten) und 30. November 2009 (Bl. 65 ff Rechtsbehelfsakten) abgelehnt. Hiergegen hat die Antragstellerin Einspruch erhoben.
Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2010 hat die Antragstellerin bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids beantragt. Streitig sei nicht das Besteuerungsrecht für im Inland erwirtschaftete Wertzuwächse als solches. Es lägen aber gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids sprechende Gründe dahingehend vor, dass deren sofortige Besteuerung bereits im Zeitpunkt der Sitzverlegung ohne ein Realisationsgeschäft nicht mit den europarechtlichen Grundfreiheiten in Einklang stehe. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Deutschland als Reaktion auf ein von der Kommission geführtes Vertragsverletzungsverfahrens (Nr. 1999/4371) die Norm des § 6 AStG dahingehend geändert habe, dass im Wegzugsfall innerhalb der EU/EWR eine Steuerfestsetzung bei gleichzeitiger zinsloser Stundung der fälligen Steuer auf die Wertzuwächse erfolge.
Es sei bereits zweifelhaft, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG erfüllt seien. Der BFH habe unter Aufgabe der Theorien zur finalen Entnahme und zur finalen Betriebsaufgabe in mehreren grundlegenden Entscheidungen für die Rechtslage vor dem SEStEG in der Verlegung eines Betriebs in das Ausland, ohne dass in Deutschland eine Betriebsstätte zurückbleibe, keinen die stillen Reserven betreffenden Realisationstatbestand erkannt. Auch die Entstrickungsregeln der durch das SEStEG eingeführten § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG liefen aufgrund dieser geänderten Rechtsprechung des BFH ins Leere. Denn weil Deutschland danach das Besteuerungsrecht hinsichtlich der allein relevanten im Entstrickungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven selbst dann behalte, wenn nach dem Wegzug bzw. der Betriebsverlegung keine inländische Betriebsstätte verbleibe, komme es gerade nicht zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG (Entstrickung) seien daher bereits nach nationalem Recht nicht erfüllt.
Aber selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG als erfüllt angesehen und damit sämtliche Wirtschaftsgüter unter Aufdeckung der stillen Reserven fiktiv als zum gemeinen Wert veräußert gelten würden, bestünden im Hinblick auf eine sich sodann ergebende sofortige Steuerzahlung anlässlich eines Wegzugs ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere der SE-VO, der Fusionsrichtlinie (RL 90/434/EWG) und vor allem der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 EG, 54 EG.
Art. 10b Abs. 1 der Fusionsrichtlinie verbiete eine Besteuerung anlässlich des Wegzugs einer SE, soweit Wirtschaftsgüter weiterhin einer Betriebsstätte im Wegzugsstaat zuzurechnen seien. Darüber hinaus gehende Regelungen zur Sitzverlegung einer SE, insbesondere ein Besteuerungsgebot für die Wirtschaftsgüter, die keiner zurückbleibenden Betriebsstätte zugerechnet werden könnten, enthalte die Vorschrift nicht. Bei der Ausgestaltung der damit verbleibenden planmäßigen Regelungslücke durch nationales Steuerrecht hätten die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Grundfreiheiten, zu beachten. Dabei verstoße eine sofortige Besteuerung stiller Reserven gegen die Niederlassungsfreiheit, § 12 Abs. 1 KStG sei insoweit unanwendbar.
Für natürliche Personen sei durch die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) geklärt, dass eine Sofortbesteuerung stiller Reserven anlässlich des Wegzugs eine nicht rechtfertigungsfähige, weil unverhältnismäßige Beschränkung der Grundfreiheiten darstelle. Jede steuerliche Benachteiligung einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung führe zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Weil bei einer SE, die ihren Sitz nicht oder nur innerhalb Deutschlands verlege, eine Aufdeckung stiller Reserven nicht drohe, könnten die deutschen steuerrechtlichen Regelungen eine SE davon abhalten, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und damit von ihrem Recht auf freie Niederlassung Gebrauch zu machen.
Dem stehe auch die EuGH-Entscheidung in der Rs. Daily Mail (C-81/87), auf die der Antragsgegner sich berufe, nicht entgegen. Zwar besitze danach eine juristische Person nur innerhalb der Rechtsordnung, nach der sie gegründet worden sei, eine Persönlichkeit mit der Folge, dass ihr Gründungsstaat Bedingungen an die Genehmigung des Wegzugs stellen oder diesen sogar vollständig untersagen dürfe. Dies sei mit der Entscheidung in der Rs. Cartesio (C-210/06) bestätigt worden, allerdings habe der EuGH auch bekräftigt, dass ein Mitgliedstaat nicht befugt sei, eine Sitzverlegung, bei der sich das anwendbare Recht ändere, zu behindern. Insbesondere für den Fall der Sitzverlegung einer nach gemeinschaftsrechtlich vorgegebener Rechtsordnung gegründeten SE als einer genuin europäischen Rechtsform nach Maßgabe von Art. 8 SE-VO - wie im Streitfall - ändere sich das auf die Gesellschaft anwendbare Recht. Darüber hinaus gelte eine SE auch nach einer - ausdrücklich erlaubten - identitätswahrenden Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat als wirksam gegründet und fortbestehend, ein Übergang von Wirtschaftsgütern auf einen neuen Rechtsträger finde nicht statt. Eine SE könne sich dementsprechend auch und insbesondere nach den Grundsätzen in der Cartesio-Entscheidung auf die Niederlassungsfreiheit berufen. An ihren Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat dürfe die Rechtsfolge einer Auflösung und Liquidation der Gesellschaft nicht geknüpft werden. Auch die Verweisung in der SE-VO auf das nationale Aktienrecht führe nicht dazu, dass deren Wegzug steuerlich wie ein nicht identitätswahrender Wegzug zu behandeln sei. Behindere daher Deutschland als Wegzugsstaat durch die Sofortbesteuerung der stillen Reserven den Wegzug der Antragstellerin in einen anderen Mitgliedstaat, stelle dies eine grundsätzlich unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Der EG-rechtliche effet-utile-Grundsatz verbiete es, die Ziele der Fusions-Richtlinie und der SE-VO durch beschränkende steuerliche Regelungen zu konterkarieren. Für die Beschränkung einer Grundfreiheit reiche es aus, wenn eine (hier: steuerliche) Regelung deren Ausübung (hier: den Wegzug einer SE in einen anderen Mitgliedstaat) weniger attraktiv machen oder der Steuerpflichtige von der Ausübung der Grundfreiheiten abgehalten werden könnte.
Insgesamt ergäben sich, auch wenn derzeit noch keine Urteile des EuGH zu der Wegzugsbesteuerung juristischer Personen vorlägen, insoweit zumindest ernstliche Rechtmäßigkeitszweifel an einer Sofortversteuerung. Die Auslegung der Niederlassungsfreiheit durch den EuGH in den Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) habe nach Auffassung der EU-Kommission direkte Auswirkungen auf eine auf Unternehmen erhobene Wegzugssteuer der Mitgliedstaaten. Steuerpflichtige, die ihre Niederlassungsfreiheit wahrnähmen, indem sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegten, dürften weder früher noch höher besteuert werden als jene, deren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat blieben (KOM 2006-825 endg., S. 6 und S. 7). Überdies habe die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen verschiedene Mitgliedstaaten (Schweden Az. 2007/2372, nach Anpassung des schwedischen Rechts eingestellt; Spanien Az. 2007/2365; Portugal Az. C-38/10 und Belgien) eingeleitet, deren steuerrechtliche Regelungen in einer dem § 12 Abs. 1 KStG vergleichbaren Weise stille Reserven anlässlich des Wegzugs eines Unternehmens einer sofortigen Besteuerung unterwerfen würden. Bereits die darin zum Ausdruck kommende Auffassung der Kommission lasse Zweifel an der EG-Rechtmäßigkeit auch der genannten deutschen Norm als begründet erscheinen.
Der Hinweis des Antragsgegners auf die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Truck-Center (C-282/07) gehe unabhängig davon, dass diese sich mit der Erhebungstechnik einer Steuer auf Zinszahlungen befasse, fehl, weil es dort im Hinblick auf eine Beschränkung der Grundfreiheiten um eine unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Steuerpflichtiger gegangen sei, im Streitfall aber zu prüfen sei, ob die sofortige Erhebung der Steuer bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Sitz von Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat verlege, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle, wenn gleichzeitig bei einem Steuerpflichtigen mit einer Sitzverlegung innerhalb Deutschlands eine derartige Steuer nicht anfalle. Im Übrigen habe der EuGH mit der Entscheidung in der Rs. Truck Center nicht, wie dies der Antragsgegner mit seiner Interpretation, eine Sofortbesteuerung sei wegen der nach Wegzug schwierigeren Eintreibung der Steuer zulässig, behaupte, seine Rechtsprechung zur Wegzugsbesteuerung aus den Urteilen de Lasteyrie du Saillant und N aufgegeben. Letztlich sei in der Rechtssache Truck Center auch entscheidend gewesen, dass dort bei grenzüberschreitenden Zinszahlungen eine Anrechnung von im Quellenstaat auf Zinsen erhobene Steuern im Wohnsitzstaat des Zinsempfängers erfolge. Das sei im hier streitigen Wegzugsfall anders, denn hier erfolge eine Anrechnung der im Wegzugsstaat erhobenen Steuer auf die stillen Reserven im Zuzugsstaat nicht.
Diese Beschränkung einer Grundfreiheit sei auch nicht gerechtfertigt. Nach den o.g. EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) sei der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz nicht einschlägig. Wenn auch die Aufdeckung stiller Reserven ein grundsätzlich geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse unter den Mitgliedstaaten darstelle, komme es hierauf im Fall einer Wegzugsbesteuerung überhaupt nicht an. Denn der Zuzugsstaat ignoriere die im Wegzugsstaat erhobene Steuer, eine korrespondierende Entlastung gebe es nicht. Selbst bei Ansatz der Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert im Zuzugsstaat käme es durch erhöhte Absetzungen allenfalls im Verlauf der betriebsüblichen Nutzungsdauer zeitlich versetzt zu einer korrespondierenden Steuerentlastung, die aber die durch die sofortige Besteuerung entstehende steuerliche Belastung nicht ausgleichen könne. Hinzu komme im Streitfall, dass bei dem ausschließlich aus Beteiligungen bestehenden Betriebsvermögen der Antragstellerin eine korrespondierende Steuerentlastung im Zuzugsstaat ohnehin von einem späteren Weiterverkauf der Beteiligungen abhängig sei.
Eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven sei zudem nicht verhältnismäßig und gehe jedenfalls, auch wenn sie ein zur Erreichung der o.g. Ziele geeignetes Mittel sei, über das dazu Erforderliche hinaus. Die vom EuGH für natürliche Personen als milderes und gleichermaßen geeignetes Mittel angesehene Steuerfestsetzung und zinslose Stundung sei auch für einen SE-Wegzug anwendbar. Unabhängig davon, ob administrative Hindernisse etwa bei der Sachverhaltsermittlung überhaupt zur Rechtfertigung einer Grundfreiheitenbeschränkung dienen könnten, stünden im Verhältnis zu Österreich und insbesondere im Streitfall solche Hemmnisse einer Stundungsregelung nicht entgegen. Eine Stundung könne bei der Realisation der stillen Reserven durch Veräußerung der Anteile an der JAB Holdings BV widerrufen werden, eine Überwachung der Anteile durch die Finanzbehörde sei ohne weiteres möglich. Die Antragstellerin könne regelmäßig ihren Anteilsbesitz nachweisen. Im Verhältnis zu Österreich könnten die deutschen Finanzbehörden zur Überprüfung dieser Nachweise auch auf die Instrumente der Amtshilfe-Richtlinie (RL 77/779/EWG) zurückgreifen. Zudem könne sich Deutschland zur Durchsetzung seiner Steuerforderungen bei erfolgter Realisation der stillen Reserven auf die Beitreibungsrichtlinie (RL 76/308/EWG) berufen. Die Verpflichtung zur Stellung von Sicherheiten habe der EuGH in der Rechtssache N (C-470/04) vor dem Hintergrund der sich bei gebietsfremden Steuerpflichtigen möglicherweise ergebenden Erhebungsschwierigkeiten bewusst als unverhältnismäßig abgelehnt.
Die Befürchtung, die Antragstellerin habe es ohne eine Sofortversteuerung in der Hand, durch einen weiteren Wegzug in einen Drittstaat die Zugriffs- und Kontrollmöglichkeiten der deutschen Finanzverwaltung vollends auszuschalten, könne jedenfalls eine Beschränkung des ersten Wegzugs nicht rechtfertigen. Unabhängig davon, dass damit einem von dem Wegzugsrecht nach Art. 8 SE-VO Gebrauch machenden Steuerpflichtigen die Vorbereitung eines späteren Wegzugs in einen Drittstaat - für den es hier jedoch keine Anhaltspunkte gebe - unzulässig unterstellt würde, könne die Antragstellerin als SE ihren Sitz nicht in einen Drittstaat verlegen, zudem könne ein solcher Wegzug analog der Behandlung des Wegzugs natürlicher Personen als Widerrufstatbestand iSd § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG gelten. Überdies sei ein solcher Wegzug einer Gesellschaft aus der EU in ein Drittland in der eigenständigen Vorschrift des § 12 Abs. 3 KStG mit einer eigenen Rechtsfolge geregelt.
Die vom Antragsgegner vorgenommene Trennung von steuerfreien Veräußerungsgewinnen einerseits und nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben andererseits sei darüber hinaus willkürlich und unzulässig. Zwar treffe es zu, dass die durch eine etwaige Anwendung von § 12 Abs. 1 KStG aufgedeckten stillen Reserven in den Anteilen an der ... Holdings BV steuerfrei seien. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ergebe sich aber daraus, dass 5% dieser steuerfreien fiktiven Veräußerungsgewinne als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben fingiert würden. Da es in einem vergleichbaren Inlandsfall nicht zu einer Fiktion derartiger steuerfreier Veräußerungsgewinne gekommen wäre, würden dort auch nicht nichtabzugsfähige Betriebsausgaben der Besteuerung unterliegen. Es sei gerade diese Verkettung von § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG, die bei der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG zu einer Beschränkung führe. Denn die fiktiven nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben, deren Regelung per se keinen Verstoß gegen die Grundfreiheiten darstelle, seien die direkte Folge des fiktiven Veräußerungsgewinns, dessen Besteuerung § 12 Abs. 1 KStG anordne.
Die vom Antragsgegner insoweit herangezogenen EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen KBC Bank NV (C-439/07) und Beleggen NV (C-499/07) beträfen mit der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 der Mutter-/Tochter-Richtlinie andere, mit dem Streitfall nicht vergleichbare Sachverhalte.
Überdies habe der Antragsgegner auch die Höhe eines eventuellen Entstrickungsgewinns fehlerhaft berechnet. Bei unterstellter Anwendbarkeit des § 12 Abs. 1 KStG sei die Aufdeckung der stillen Reserven in der Beteiligung an der ... Holdings BV steuerfrei nach § 8b Abs. 2 KStG, wobei 5% der aufgedeckten stillen Reserven als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben der Besteuerung unterlägen, § 8b Abs. 3 KStG. Dagegen sei die Aufdeckung der stillen Lasten in der Pensionsrückstellung voll steuerpflichtig, eine Saldierung vor Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG insoweit unzulässig. Die vom Antragsgegner vorgenommene Saldierung des nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreien Entstrickungsgewinns aus den stillen Reserven in den Holding-Anteilen mit den aufgedeckten stillen Lasten in der Pensionsrückstellung führe im Ergebnis dazu, dass sich die Zuführung zur Pensionsrückstellung nur zu 5% auswirke. Der Entstrickungsgewinn sei vielmehr dergestalt zu berechnen, dass sich aus einer Gegenüberstellung des sich aus den aufgedeckten stillen Reserven iHv 1.074.300.372 Euro ergebenden steuerpflichtigen Anteils iHv 53.715.018 Euro und der stillen Lasten aus der Pensionsrückstellung iHv 6.011.034 Euro ein gesamter steuerpflichtiger Entstrickungsgewinn iHv 47.703.984 Euro ergebe.
Die Aussetzung der Vollziehung sei ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, die Anordnung einer solchen sei ermessensfehlerhaft. Die Regelung in dem AEAO zu § 361 AO, Tz. 9.2.2, nach der die Anordnung einer Sicherheitsleistung gerechtfertigt sei, wenn der Steuerbescheid im Ausland bzw. einem Mitgliedstaat der EU vollstreckt werden müsse, sei überholt und letztlich gemeinschaftsrechtswidrig. Denn mittlerweile sei durch die Ausdehnung der EG-Beitreibungsrichtlinie (RL 76/308/EWG idF der RL 2001/44/EG) auf die direkten Steuern jedenfalls eine Vollstreckung in einem anderen EU-Mitgliedstaat möglich. Überdies bestehe mit Österreich bilateral ein Rechtshilfeabkommen (BGBl. 1955 II, 834), das auch für die Vollstreckung von Steuerforderungen aus der Körperschaft- und Gewerbesteuer gelte (vgl. Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung - Beitreibung -, BStBl I 2004, 66).
Im Rahmen der Ermessensausübung seien auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Besteuerung des Wegzugs natürlicher Personen in § 6 Abs. 5 AStG zu berücksichtigen. Der deutsche Gesetzgeber habe sich dort zutreffenderweise dafür entschieden, die geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Wäre also statt der Antragstellerin eine natürliche Person nach Österreich weggezogen, könne eine Sicherheitsleistung nicht gefordert werden. Diese gesetzgeberische Wertung sei bei der Ermessensausübung ebenso zu berücksichtigen wie die aufgeworfenen bedeutsamen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Sofortbesteuerung. Eine Sicherheitsleistung sei danach unzumutbar.
Die vom Antragsgegner vorgebrachten Gründe für eine die Anordnung einer Sicherheitsleistung rechtfertigende Gefährdung des Steueranspruchs - für die ihn die Feststellungslast treffe - wie die Höhe der Steuerschuld und die voraussichtliche Verfahrensdauer seien nach der Rechtsprechung des BFH ungeeignet. Ähnlich verhalte es sich auch mit der Komplexität des Steuerfalls. Unabhängig von dem summarischen Charakter des Aussetzungsverfahrens habe die Komplexität der materiell-rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes keinerlei Auswirkung auf die Durchsetzung eines ggfls. bestehenden Steueranspruchs. Eine Gefährdung oder Einschränkung desselben könne auch nicht mit der vom Antragsgegner angesprochenen Sitzverlegung der Antragstellerin in einen Staat, mit dem kein Vollstreckungsabkommen bestehe, begründet werden. Denn eine solche hypothetische Sitzverlegung in einen anderen EU-Mitgliedstaat verschlechtere die Vollstreckungsmöglichkeiten angesichts der EG-Beitreibungsrichtlinie nicht, eine Vollstreckung sei auf dieser Basis in jedem anderen EU-Mitgliedstaat möglich. Überdies sei eine solche zweite Sitzverlegung von Österreich in einen anderen EU-Mitgliedstaat für die Frage der Sicherheitsleistung grundsätzlich unbeachtlich. Im Übrigen könne der Antragsgegner als milderes Mittel zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht vorliege, Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung gewähren und diese insoweit mit einem Widerrufsvorbehalt versehen. Letztlich sei die vom Antragsgegner angesichts der zu erwartenden langen Verfahrensdauer befürchtete Gefahr einer Verschlechterung der Vollstreckungsmöglichkeiten durch eine zweite Sitzverlegung im Falle des Wegzugs einer natürlichen Person noch viel höher, weil eine solche ohne die im Rahmen der Sitzverlegung einer SE zu beachtenden Fristen und formellen Voraussetzungen ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat verlegen könne. Gleichwohl habe der Gesetzgeber hier eine zinslose Stundung der geschuldeten Steuer ohne Sicherheitsleistung bis zum Eintritt eines Widerrufstatbestands wie der Sitzverlegung in einen Drittstaat vorgesehen.
Weil die Klärung der streitigen Rechtsfrage angesichts der Rechtsauffassung des Antragsgegners im Einspruchsverfahren nicht zu erwarten sei, sei die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehende Dauer der begehrten Aussetzung der Vollziehung über das Einspruchsverfahren hinaus bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens zu erstrecken.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Bescheides über Körperschaftsteuer für 2007 vom 19. November 2008 bis einen Monat nach Zustellung des Urteils in einem noch durchzuführenden finanzgerichtlichen Hauptsacheverfahren auszusetzen bzw. aufzuheben,
hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
An der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestünden keine ernsthaften Zweifel.
Die Veräußerungsfiktion des mit dem SEStEG neu geschaffenen § 12 Abs. 1 KStG sei mit dem EG-Recht vereinbar. Dabei komme es nicht auf den Wegzug einer Kapitalgesellschaft an, vielmehr darauf, ob Wirtschaftsgüter, die durch inländische Wertschöpfung entstanden seien, weiterhin dem deutschen Besteuerungsrecht unterlägen. Behalte eine Kapitalgesellschaft nach ihrem Wegzug weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland, entfalle deren unbeschränkte Steuerpflicht. Bestehe nach dem Wegzug auch keine inländische Betriebsstätte im Inland, der die Wirtschaftsgüter zuzuordnen seien, komme es mangels Anknüpfungspunkt für eine beschränkte Steuerpflicht regelmäßig zum Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der in diesen Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven. An dem Ausschluss bzw. der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ändere auch die geänderte BFH-Rechtsprechung zur finalen Entnahme- bzw. der finalen Betriebsaufgabetheorie nichts. Zwar habe der BFH damit festgestellt, dass das deutsche Besteuerungsrecht an den bislang gebildeten stillen Reserven bei der grenzüberschreitenden Verlagerung von Wirtschaftsgütern bzw. beim Wegzug des Unternehmers ggfls. nicht eingeschränkt werde. Diese Rechtsprechung sei auf den Streitfall aber nicht übertragbar, weil sie zur Rechtslage vor Geltung des § 12 Abs. 1 KStG in seiner jetzigen Form ergangen sei. Insbesondere die zum Wegzug natürlicher Personen ergangenen Entscheidungen seien Einzelfallentscheidungen, die keine allgemeinen, generell auf Rechtsfragen des neu gefassten § 12 Abs. 1 KStG anwendbaren Aussagen enthielten.
Sekundärrechtliche europarechtliche Vorgaben stünden der Aufdeckung stiller Reserven anlässlich eines Wegzugs einer Gesellschaft nicht entgegen. So verlange Art. 10b Fusionsrichtlinie zwar, dass die stillen Reserven derjenigen Wirtschaftsgüter, die auch nach Wegzug einer SE in einer inländischen Betriebsstätte steuerverstrickt seien, im Wegzugszeitpunkt keiner Schlussbesteuerung unterliegen dürften. Weil aber über die Besteuerung von Wirtschaftsgütern, die nach Wegzug einer inländischen Betriebsstätte nicht mehr zugeordnet werden könnten, dort keine Regelung getroffen sei, führe der Umkehrschluss dazu, dass diese stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden dürften.
Es sei auch eine Verletzung der primärrechtlich allein in Betracht kommenden Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 54 AEUV nicht gegeben.
Bereits deren Schutzbereich sei nicht berührt. Die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) könnten insoweit auf den Streitfall nicht übertragen werden, weil sie den Wegzug natürlicher Personen betroffen hätten, nicht aber den von Kapitalgesellschaften. Aus den dies betreffenden EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Daily Mail (C-81/87) und Cartesio (C-210/06) sei zu schließen, dass es Deutschland unbenommen sei, anlässlich der Sitzverlegung einer nach inländischem Recht gegründeten Gesellschaft stille Reserven aufzudecken und zu besteuern. Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit sei danach für Gesellschaften nicht eröffnet, sofern sie sich gegenüber dem Staat, nach dessen Recht sie gegründet worden seien, auf die Niederlassungsfreiheit beriefen. Der Staat, nach dessen Rechtsordnung die Gesellschaft gegründet sei, könne über die Voraussetzungen für die Beibehaltung der Rechtsform nach einem Wegzug entscheiden. Lasse der EuGH also zu, dass der Wegzugsstaat sogar die Auflösung der Gesellschaft anlässlich ihres Wegzugs anordnen dürfe, würde er erst Recht weniger einschneidende Regelungen, die den Wegzug einer Gesellschaft beschränkten, als mit den Grundfreiheiten vereinbar anerkennen. Deutschland schöpfe insoweit seine Rechte nicht einmal vollständig aus. Insofern unterschieden sich, wie der EuGH in den Rechtssachen Überseering (C-208/00) und Inspire Art (C-167/01) festgestellt habe, Sachverhalte mit einer Wegzugskonstellation von solchen, bei denen es um Beschränkungen des Zuzugs von Gesellschaften gehe.
Selbst wenn der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit berührt wäre, fehle es jedenfalls an einer Beschränkung dieser Grundfreiheit.
Denn von einer solchen sei nur auszugehen, wenn gleiche Sachverhalte zu Unrecht ungleich oder ungleiche Sachverhalte zu Unrecht gleich behandelt würden. Bei Betrachtung des maßgeblichen Vergleichspaares, nämlich einer ohne Zurücklassung einer Betriebsstätte im Inland ins Ausland verziehenden Kapitalgesellschaft einerseits und einer innerhalb Deutschlands umziehenden Gesellschaft andererseits, bleibe bei einem Umzug innerhalb des Inlands das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung der jeweiligen Wirtschaftsgüter trotz Umzugs weiterhin bestehen, während dieses bei einem Wegzug ins Ausland ohne verbleibende Betriebsstätte im Inland verloren ginge. Insoweit fehle es also von vornherein an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Gleich zu behandeln wären nur Sachverhalte, für deren Ergebnisse dem betroffenen Mitgliedstaat das Besteuerungsrecht zustehe. Dies spiegle sich auch, wie der EuGH in der Rechtssache Truck Center (C-282/07) ausgeführt habe, in der Einziehung der Steuer wieder. Während eine im Inland umziehende Gesellschaft der Kontrolle der deutschen Steuerverwaltung mit der Möglichkeit der Zwangsbeitreibung unterliege, sei bei einer wegziehenden Gesellschaft ohne beibehaltene Betriebsstätte im Inland für die Steuereinziehung ggfls. die Unterstützung der Steuerverwaltung des neuen Sitzstaates erforderlich. Das gelte entsprechend bei einem Wegzug einer SE in das EU/EWR-Ausland. Zwar ermögliche Art. 8 SE-VO einen identitätswahrenden Wegzug, ohne dass die Mitgliedstaaten eine Auflösung und Abwicklung der SE wegen der Sitzverlegung anordnen könnten. Aber auch hier falle der steuerliche Anknüpfungspunkt weg, sodass die Besteuerung der stillen Reserven notwendig werde. Wenn auch die Aussagen des Daily-Mail-Urteils auf den Wegzug einer SE nicht übertragbar sein sollten, weil es sich dabei nicht um eine nach nationalem, sondern nach europäischem Recht gegründete Gesellschaft handele, dürfe nicht übersehen werden, dass die SE-VO in weiten Bereichen auf die für Aktiengesellschaften geltenden Regelungen des nationalen Rechts verweise. Es könne daher nicht von einem europaweit einheitlichen Rechtsrahmen für SE ausgegangen werden. Zudem bestehe kein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung des Wegzugs einer SE und der nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaften.
Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit sei im Streitfall letztlich auch mangels steuerlicher Belastung nicht betroffen. § 12 Abs. 1 KStG führe lediglich zu einer Veräußerungsfiktion, die im Streitfall mit der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 2 KStG einhergehe, weil das Betriebsvermögen ausschließlich eine Beteiligung enthalte. Daher würden zwar die in den Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven aufgedeckt, diese blieben jedoch bei der Besteuerung außer Ansatz. Durch die von der Antragstellerin gerügte Veräußerungsfiktion als solche entstehe keine steuerliche Belastung der in den Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven. Von deren Aufdeckung sei die Entstehung von durch die Veräußerungsfiktion generierten nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG iHv 5% des fiktiven Veräußerungsgewinns zu unterscheiden. Es werde gerade kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn, sondern nichtabzugsfähige Betriebsausgaben fingiert. Letzteres stehe, soweit dies diskriminierungsfrei an alle in- und ausländischen Veräußerungsgewinne anknüpfe, in Einklang mit sekundärrechtlichen Grundsätzen wie Art. 4 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie. Danach sei, wäre es statt der fiktiven Veräußerung zu einer tatsächlichen Vollausschüttung der Antragstellerin in das Ausland gekommen, die Besteuerung der nichtabziehbaren Betriebsausgaben EG-rechtskonform. Art. 4 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie wiederum sei nach Auffassung des EuGH in den Rechtssachen KBC Bank NV (C-439/07) und Beleggen (C-499/07) mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar.
Die von der Antragstellerin angesprochene von der Kommission gegen Portugal erhobene Klage führe zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig davon, dass dieses Verfahren noch nicht entschieden sei, seien die jeweiligen Sachverhalte nicht vergleichbar. Denn dort seien portugiesische Vorschriften zur Wegzugsbesteuerung von Körperschaften streitig, die die Aufdeckung stiller Reserven bei Verziehen der Körperschaften ins Ausland anordneten, während im Streitfall die stillen Reserven unbesteuert blieben und lediglich ein fiktiver Betriebsausgabenabzug von 5% an den Grundfreiheiten zu messen sei.
Läge dennoch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor, sei diese jedenfalls aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die Regelung des § 12 Abs. 1 KStG diene insbesondere der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten. Der EuGH habe in der Rechtssache N (C-470/04) auf Art. 13 Abs. 5 OECD-MA hingewiesen, wonach Gewinne aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen in dem Staat der Steuer unterlägen, in dem der Veräußerer ansässig sei. Es entspreche diesem Grundsatz der steuerlichen Territorialität, dass die streitigen Bestimmungen die Beitreibung der beim Wegzug des betreffenden Steuerpflichtigen festgesetzten und bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile gestundeten Steuer auf den angefallenen Wertzuwachs vorsähen. Dies ermögliche eine Besteuerung der bis zum Wegzug innerhalb des Territoriums des Wegzugsstaates entstandenen Wertzuwächse durch diesen Wegzugsstaat. Von dieser abkommensrechtlichen Möglichkeit habe der deutsche Gesetzgeber mit § 12 Abs. 1 KStG Gebrauch gemacht.
Eine Rechtfertigung der Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven ergebe sich auch daraus, dass die ausgewogene Aufteilung von Besteuerungsrechten nicht zur Disposition von Unternehmen oder Unternehmensgruppen stehen dürfe, diese damit der Vermeidung von Steuerumgehungen diene und das Ziel der Verhinderung von Steuerflucht verfolge. Sonst käme es zu einer Wahlfreiheit der Unternehmen, selbst zu bestimmen, in welcher Höhe in welchem Staat ein Gewinn besteuert werde. Ohne die Besteuerung nach § 12 Abs. 1 KStG träte eine Verschiebung der Aufteilung der Besteuerungsrechte ein, Deutschland müsse die Verlagerung von Steuersubstrat endgültig hinnehmen, der andere Mitgliedstaat dürfe dagegen spätere Gewinne besteuern, die erst durch eine Berücksichtigung der Anfangssubventionen durch Deutschland ermöglicht worden seien.
Zudem sei die Aufdeckung und sofortige Besteuerung stiller Reserven anlässlich der Sitzverlegung auch verhältnismäßig. Zwar wirke eine Besteuerung erst bei tatsächlicher Realisierung stiller Reserven im Zuzugsstaat weniger einschränkend, weil es erst in dem gleichen Moment wie bei einem reinen Inlandsfall zu einer steuerlichen Belastung käme. Diese habe aber nicht die gleiche Wirksamkeit wie eine sofortige Besteuerung. Bei dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts sei eine solche Steuerstundung in Fällen wie dem vorliegenden allerdings nicht administrierbar. Denn es mache einen Unterschied, ob ein Steuerpflichtiger unmittelbar der mitgliedstaatlichen Steuerverwaltung mit der Möglichkeit der Zwangsbeitreibung unterliege oder ob ein Mitgliedstaat bei der Steuereinziehung der Unterstützung der Steuerverwaltung eines anderen Staates bedürfe. Eine derartige Steuerstundung sei daher nicht so effektiv wie eine Sofortversteuerung, sie wäre ohne in Deutschland verbliebene Betriebsstätte mit erheblichen Zugriffs- und Kontrollschwierigkeiten verbunden. Es sei für die deutsche Steuerverwaltung nur schwer bzw. gar nicht nachvollziehbar, wann genau die stillen Reserven tatsächlich realisiert würden, denn die wegziehende Gesellschaft sei Deutschland gegenüber nicht mehr erklärungspflichtig. Sie hätte es in der Hand, durch einen weiteren Wegzug in einen dritten Staat die Zugriffs- und Kontrollmöglichkeiten der deutschen Finanzverwaltung vollends auszuschalten. Eine Steuerstundung bedeute daher eine Gefährdung des Besteuerungsrechts Deutschlands.
Auf das vom Antragsgegner vorgelegte „Grundsatzpapier” (Bl. 95-108 PA, Verfasser nicht erkennbar) wird im Übrigen Bezug genommen.
Gründe
II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Körperschaftsteuerbescheids ist zulässig und begründet.
Die Vollziehung ist ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll - u.a. und soweit hier einschlägig - erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 iVm Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 23. September 2008, I B 92/08, BStBl II 2009, 524, m.w.N.).
Im Streitfall bestehen derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuersteuerbescheids. Diese ergeben sich im Ergebnis auf verschiedenen Stufen der durchzuführenden (lediglich) summarischen Prüfung des angefochtenen Bescheids - wobei der Senat im Streitfall nicht zuletzt im Hinblick auf das vom Antragsgegner vorgelegte „Grundsatzpapier” Veranlassung sieht, auf diesen Verfahrensgrundsatz für Verfahren der vorliegenden Art besonders hinzuweisen.
Zwar ließe sich ein sofortiges Besteuerungsrecht der in der Beteiligung der Antragstellerin an der ... Holding BV innewohnenden stillen Reserven zum Zeitpunkt ihres Wegzugs aus Deutschland nach Österreich, so wie es der Antragsgegner umgesetzt hat, zunächst den Vorschriften des § 12 Abs. 1 iVm § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG entnehmen. Mit diesem Vorgang könnte im Sinne der genannten Vorschriften das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts als ausgeschlossen/beschränkt angesehen werden mit der Folge, dass dies als Veräußerung zum gemeinen Wert zu gelten habe. Allerdings unterliegt das so gefundene konkrete Besteuerungsergebnis - nämlich Sofortbesteuerung im Zeitpunkt des Wegzugs - vor dem Hintergrund des zu beachtenden europarechtlichen Primärrechts, der Rechtsprechung des EuGH und auch des BFH Zweifeln in einem derartigen Umfang, dass jedenfalls die Voraussetzungen für die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung erfüllt sind.
Festzuhalten ist zunächst, dass im Streitfall nicht die grundsätzliche Besteuerung der stillen Reserven streitig ist. Insofern hat auch die Antragstellerin mehrfach ausdrücklich klargestellt, dass ein solches grundsätzliches Besteuerungsrecht Deutschlands an den stillen Reserven, soweit sie in Deutschland aufgebaut wurden, im Falle eines Wegzugs ohne im Inland verbleibende Betriebsstätte außer Frage stehe. Das Begehren der Antragstellerin ist ersichtlich vielmehr (nur) darauf gerichtet, eine etwaige zu diesem Zeitpunkt zwingend vorzunehmende sofortige Besteuerung zu vermeiden. Diesem Begehren schließt sich der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf der Basis gemeinschaftsrechtlicher Regelungen im Ergebnis an.
Nach summarischer Prüfung sprechen im Streitfall gewichtige Gründe für die Annahme einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit iSd Art. 49, 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - als der allein in Betracht kommenden europarechtlichen Grundfreiheit durch die Anwendung der Vorschrift des § 12 Abs. 1 KStG in deren Zusammenwirken mit § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG. Erscheint es bereits zweifelhaft, ob eine solche Beschränkung als gerechtfertigt anzusehen ist, vermag der Senat im vorliegenden Verfahren jedenfalls nicht zu erkennen, dass diese beschränkenden Regelungen auch den Voraussetzungen einer sodann durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung genügen.
Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit wird durch alle Maßnahmen berührt, die deren Ausübung verhindern, beschränken oder weniger attraktiv machen (vgl. etwa EuGH-Urteil in der Rs. Columbus Container Services vom 06. Dezember 2007, Rs. C-298/05, Rn. 34, Slg 2007, I-10451). Sie ist die zentrale Grundfreiheit, die der nationalen Unternehmensbesteuerung gemeinschaftsrechtliche Schranken setzt. Mit ihrer doppelten Schutzrichtung, nämlich zum einen dem Schutz des Inländers, der in das EU-Ausland strebt (Beschränkungsverbot), und zum anderen dem Schutz des Ausländers, der in das EU-Inland strebt (Diskriminierungsverbot), sichert die Niederlassungsfreiheit u.a. den Gesellschaften mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft die wirtschaftliche Mobilität innerhalb der Gemeinschaft und schützt dabei wie alle anderen Grundfreiheiten vor allen Maßnahmen, die geeignet sind, grenzüberschreitendes Wirtschaften unmittelbar, mittelbar oder potentiell zu behindern (vgl. schon EuGH-Urteil in der Rs. Dassonville vom 11. Juli 1974, 8/74, Slg 1974, 837). So sind nationale Rechtsvorschriften bereits dann als eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen, wenn sie geeignet sind, deren Ausübung in einem Mitgliedstaat durch in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften zu beschränken. Dabei bedarf es eines Nachweises einer tatsächlich beschränkenden Wirkung dieser Vorschriften nicht (vgl. etwa dafür, dass Gesellschaften zum Verzicht auf Erwerb, Gründung oder Aufrechterhaltung einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat bewegt worden sind EuGH-Urteil in der Rs. Oy AA vom 18. Juli 2007, C-231/05, Slg 2007, I-06373, Randnr. 42 m.w.N.). Allerdings kann die Niederlassungsfreiheit nicht dahin verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf diejenigen eines anderen Mitgliedstaats abzustimmen, um in allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, beseitigt (EuGH-Urteile in den Rechtssachen Deutsche Shell vom 22. Februar 2008, C-293/06, Slg 2008, I-01129, Rn. 43; Krankenheim Wannsee vom 23. Oktober 2008, C-157/07, Slg 2008, I-08061, Rn. 50).
Nach dem so verstandenen Begriff einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit besteht im Hinblick auf die streitgegenständlichen Regelungen - in ihrem Zusammenwirken, s.u. - die Möglichkeit, dass eine inländische Kapitalgesellschaft (mit der Struktur der Antragstellerin) von einem Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat Abstand nimmt. Denn die durch die körperschaftsteuerlichen Regelungen einer im Inland verziehenden Gesellschaft eröffnete Umzugsmöglichkeit ohne Auslösung unmittelbarer ertragsteuerlicher Konsequenzen steht danach einer in das EU-Ausland verziehenden Gesellschaft so nicht zur Verfügung. Damit handelt es sich um eine Maßnahme, die geeignet ist, grenzüberschreitendes Wirtschaften vor dem Hintergrund der dadurch ausgelösten zeitnah drohenden steuerlichen Lasten jedenfalls mittelbar oder potentiell zu behindern.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission wegen den dem Regelungsergebnis der deutschen Vorschriften ähnlichen steuerlichen Vorschriften vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und der Mitteilung der Kommission über die Wegzugsbesteuerung (KOM(2006) 825 vom 19.12.2006) beschlossen hat, Klage vor dem EuGH gegen die Mitgliedstaaten Spanien und Portugal zu erheben. In dem Umstand, dass beide Länder für Unternehmen, die ihre jeweilige dortige Steueransässigkeit aufgeben, eine sofortige Wegzugsbesteuerung vorsehen, sieht die Kommission eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, weil diese nationalen Vorschriften geeignet seien, Unternehmen davon abzuhalten, von der Ausübung der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen (vgl. die Pressemitteilung der Kommission IP/09/1460 vom 08.10.2009). Die Kommission hat überdies Portugal aufgefordert, seine Steuervorschriften, nach denen natürliche Personen einer Wegzugsbesteuerung unterliegen, wegen deren Unvereinbarkeit mit dem Recht auf Freizügigkeit zu ändern (vgl. die Pressemitteilung der Kommission IP/09/1635 vom 29.09.2009). Außerdem hat die Kommission beschlossen, zwei weitere Staaten wegen ähnlicher nationaler Regelungen zu verklagen (vgl. die Pressemitteilung der Kommission IP/10/1565 vom 24.11.2010). Mögen auch diese Beschlüsse angesichts des jeweiligen Verfahrensstandes noch nicht zu gefestigten Erkenntnissen geführt haben, kann ihnen auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Kommission gegen Deutschland bisher kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, eine für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren zumindest indizielle Bedeutung nicht abgesprochen werden.
Einer Berührung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit stehen nicht die Erwägungen des EuGH in den Rechtssachen Daily Mail (C-81/87) und Cartesio (C-210/06) entgegen. Unabhängig davon, dass danach ein Mitgliedstaat bei einer Sitzverlegung, bei der sich das anzuwendende Recht ändert, nicht zu einer Behinderung der Gesellschaft berechtigt ist, handelt es sich bei der Antragstellerin um eine nach der SE-VO gegründete Gesellschaft. Ob auf diese die Erwägungen des EuGH unbesehen übertragen werden können, hält der Senat angesichts dieser im Vergleich zu den den genannten Rechtssachen zugrundeliegenden Sachverhalten „neuen” und gerade einer erweiterten EU-Mobilität dienenden Rechtsform für zweifelhaft. Soll die Rechtsform der SE eine identitätswahrende wirtschaftliche Betätigung im Bereich der EU ermöglichen und weitgehend gewährleisten, erscheint es nicht konsequent, diese Möglichkeit mit unmittelbar wirksamen erheblichen steuerlichen Belastungen wiederum zu belasten. Dies ist auch zur Wahrung der Besteuerungsbefugnisse - weil dieselben im Grundsatz nicht tangiert werden - nicht erforderlich (dazu s. weiter unten).
Wenn sich auch die die Antragstellerin beschwerende steuerliche Belastung auf den ersten Blick zunächst nicht primär aus § 12 Abs. 1 KStG zu ergeben scheint, sondern auf der Vorschrift des § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG (zur Verfassungsmäßigkeit des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG vgl. den Beschluss des BVerfG vom 12. Oktober 2010, 1 BvL 12/07, DStR 2010, 2393) beruht, hat dies gleichwohl nicht zur Folge, dass, wie der Antragsgegner dies vorträgt, der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit bereits deswegen als nicht berührt anzusehen wäre. Die steuerliche Belastung der Antragstellerin ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenspiel der genannten nationalen Normen. Ohne dass nach § 12 Abs. 1 KStG eine Veräußerung von Wirtschaftsgütern fingiert würde, kämen die eine solche Veräußerung voraussetzenden Vorschriften des § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG für derartige Vorgänge nicht zur Anwendung. Die Ursache für die steuerliche Belastung liegt also gerade in der Fiktion des quasi die Eingangsvorschrift bildenden § 12 Abs. 1 KStG.
Die beschriebene ungleiche Behandlung ist im Sinne der gemeinschaftsrechtlich orientierten Rechtsprechung (vgl. etwa die Grundsätze im EuGH-Urteil in der Rs. X Holding BV vom 25. Februar 2010, C-337/08, DStR 2010, 427, Randnr. 20) nur dann mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind. Für den vorliegenden Streitfall indes hält der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine Vergleichbarkeit des Sachverhaltes mit Gemeinschaftsbezug einerseits und eines rein innerstaatlichen Sachverhalts andererseits für möglich. Sowohl in der einen als auch in der anderen Sachverhaltsalternative, die sich - lediglich - durch den grenzüberschreitenden Umzug unterscheiden, kommt es gleichermaßen nicht zu einer effektiven Realisierung der angewachsenen stillen Reserven im Sinne einer tatsächlichen Veräußerung. Nur die - soweit hier interessierend - eine EU-Grenze überschreitende Gesellschaft wird von der im Ergebnis belastenden Fiktion der Veräußerung eines Wirtschaftsguts unmittelbar erfasst.
Weitere Rechtfertigungsgründe sind nach derzeitigem Verfahrensstand nicht zu erblicken. So hält der Senat die demnach grundsätzlich verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Streitfall auch nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses für gerechtfertigt.
Während sich noch nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. Marks & Spencer vom 13. Dezember 2005, C-446/03, Slg 2005, I-10837 (freilich unter einer anderen Fragestellung) eine Rechtfertigung nur aus dem Zusammenspiel der drei Gesichtspunkte
- Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse,
- Verhinderung der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung und
- Verhinderung der Gefahr einer Steuerflucht
(sog. Rechtfertigungstrias) ergeben konnte (Randnr. 51; so auch in der Rs. Rewe Zentralfinanz eG vom 29. März 2007, C-347/04, Slg. 2007, I-02647), hat es der EuGH in der Rs. Oy AA, a.a.O., für eine Rechtfertigung genügen lassen, wenn der Gesichtspunkt der Notwendigkeit der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zusammen mit dem der Verhinderung einer Steuerumgehung erfüllt ist (Randnr. 60). In diesem Sinne, dass nämlich eine nationale steuerrechtliche Regelung auch durch - lediglich - zwei der o.g. drei Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein kann, wurde auch in der Rs. Lidl Belgium vom 15. Mai 2008, C-414/06, Slg 2008, I-03601, dahingehend entschieden, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zusammen mit der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung als ausreichend anzusehen ist (Randnr. 40 ff). In der in diesem Zusammenhang, soweit ersichtlich, aktuellsten Entscheidung X Holding BV vom 25.02.2010 hat es der EuGH genügen lassen, dass auch nur die Voraussetzungen eines einzelnen Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind (Randnr. 28-33; so auch schon in der Entscheidung in der Rs. N vom 07. September 2006, C-470/04, Slg. 2006, I-07409, Randnr. 42). Er ist insoweit inhaltlich letztlich den Ausführungen in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott vom 19.11.2009 in dieser Rs. (Randnr. 70), Juris und auch in der Rs. SGI vom 10.09.2009, C-311/08, Randnr. 60, Juris, gefolgt (auch wenn in der dem folgenden Entscheidung des EuGH vom 21.01.2010 in der Rs. SGI in Randnr. 69 ein zweites Merkmal, nämlich die Verhinderung einer Steuerumgehung, jedenfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit aufgenommen wurde). Wenn auch der Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten eine gewisse Nähe zu dem vom EuGH nicht als zur Rechtfertigung geeigneten Hinweis auf drohende Verluste des Steueraufkommens eines Mitgliedstaats aufweist, misst der EuGH diesem Gesichtspunkt - durchgängig - offensichtlich eine große Bedeutung als Rechtfertigungsgrund zu (vgl. zur Entwicklung der Rechtfertigungsgründe auch Kessler/Eicke, IStR 2008, 581; Pache/Englert, IStR 2007, 844).
Für den Streitfall hält der Senat, mit der Antragstellerin, diesen Rechtfertigungsgrund indes für nicht durchgreifend. Denn die grundsätzliche Berechtigung des deutschen Fiskus zur steuerlichen Erfassung des Steuersubstrats in Gestalt der durch die Antragstellerin in Deutschland aufgebauten Wertzuwächse wird nicht in Frage gestellt. Eine Besteuerung der bis zum Wegzug innerhalb des Territoriums des Wegzugsstaates (also in Deutschland) entstandenen Wertzuwächse ist ein auch durch die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache N letztlich nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehenes Anliegen. Indes trifft dies die vorliegende Streitfrage nicht, jedenfalls nicht in ihrem Kernbereich, bei dem es, wie ausgeführt, um das der grundsätzlichen Frage nachgelagerte Problem geht, ob diese Besteuerung sofort im Wegzugszeitpunkt umgesetzt werden darf. Angesichts der dem Wegzugsstaat Deutschland zustehenden grundsätzlichen Besteuerungsbefugnis erachtet der Senat auch die vom Antragsgegner vorgetragene Gefahr, die ausgewogene Besteuerung der stillen Reserven könne ohne Sofortbesteuerung zur Disposition der Unternehmen stehen mit der Folge einer Wahlfreiheit dahingehend, in welcher Höhe in welchem Staat ein Gewinn zu versteuern sei, als nicht gegeben. Dies gilt entsprechend auch für die somit befürchtete Steuerumgehung und Steuerflucht.
Unabhängig davon ist eine Beschränkung einer Grundfreiheit auch nur dann statthaft, wenn sie neben der Rechtfertigung durch einen Rechtfertigungsgrund außerdem geeignet ist, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten und dabei nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (EuGH in der Rs. Oy AA, C-231/05, a.a.O., Rn. 44 m.w.N.). Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die streitgegenständlichen Regelungen, mögen sie auch zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet sein, einer solchen Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
Zu Recht weist die Antragstellerin an dieser Stelle auf die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) hin, nach denen es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, ein Steuersystem einzuführen, nach dem der latente Wertzuwachs von Gesellschaftsanteilen besteuert wird, wenn ein Steuerpflichtiger aus diesem Mitgliedstaat wegzieht und das die Stundung dieser Steuer von der Leistung von Sicherheiten abhängig macht. Der Senat hält diese grundlegenden Erwägungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für den Streitfall für anwendbar, auch wenn es sich hier im Unterschied zu den den EuGH-Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten bei der Antragstellerin nicht um eine natürliche Person handelt, sondern um eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer SE. Darf ein Wegzug einer natürlichen Person, der unter vergleichsweise einfacheren Bedingungen als derjenige einer inländischen Kapitalgesellschaft oder einer SE umgesetzt werden kann, nicht den geschilderten steuerlichen Sofortfolgen unterworfen werden, ist nicht einzusehen, aus welchen Gründen dies bei einer Gesellschaft anders zu beurteilen sein sollte. Einschränkende Differenzierungen, die eine diesbezügliche Deutung zuließen, vermag der Senat den Entscheidungen des EuGH insoweit jedenfalls nicht zu entnehmen.
Bestärkt wird diese Einschätzung angesichts der ab dem 13.12.2006 anzuwenden Fassung des § 6 AStG. Nach dessen Abs. 5 ist dann, wenn die nach Abs. 1 geregelte Besteuerung für einen Staatsangehörigen u.a. eines Mitgliedstaats der EU durchzuführen ist, der nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem mitgliedstaatlichen Zuzugsstaat einer der unbeschränkten deutschen Steuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt, die nach Abs. 1 geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn die Amtshilfe und die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat gewährleistet sind. Im Weiteren sieht Abs. 5 Satz 4 konkrete Möglichkeiten zum Widerruf der gewährten Stundung vor, beispielsweise bei Veräußerung oder Entnahme von Gesellschaftsanteilen oder Wegzug in einen Drittstaat. Diese den Wegzug natürlicher Personen behandelnde Regelung zeigt auf, in welcher Weise bei grundsätzlicher Wahrung des deutschen Besteuerungsrechts gleichzeitig auch die Belange des Steuerpflichtigen Berücksichtigung finden können. Angesichts der zinslosen Stundungsmöglichkeit, zudem ohne Sicherheitsleistung, bis zum Eintritt der in Satz 4 genannten Ereignisse stellt diese gleichermaßen mit dem SEStEG eingeführte Vorschrift eine im Vergleich zur streitgegenständlichen Rechtslage erheblich mildere Regelung dar und enthält im Sinne des o.g. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dasjenige, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Eine sinngemäße Anwendung auf die Sachlage des Streitfalls erscheint dem Senat möglich.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine aufgeschobene Besteuerung, wenn auch in anderem Zusammenhang (Privatvermögen), ebenfalls nach § 17 Abs. 5 EStG idF des SEStEG vorgesehen ist. Nach Satz 1 dieser Vorschrift stehen die Beschränkung oder der Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft im Fall der Verlegung des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft in einen anderen Staat der Veräußerung der Anteile zum gemeinen Wert gleich. Nach Satz 2 allerdings gilt dies nicht in den Fällen der Sitzverlegung einer Europäischen Gesellschaft nach Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 und der Sitzverlegung einer anderen Kapitalgesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Erst bei späterer Veräußerung der Anteile ist der Gewinn in gleicher Weise zu besteuern, wie die Veräußerung dieser Anteile zu besteuern gewesen wäre, wenn keine Sitzverlegung stattgefunden hätte.
Nicht zuletzt sieht der Senat seine Einschätzung auch durch die Grundsätze des BFH in dessen neueren Entscheidungen zur finalen Entnahme und insbesondere der finalen Betriebsaufgabe (BFH-Urteile vom 28. Oktober 2009, I R 99/08, BFH/NV 2010, 346 und I R 28/08, BFH/NV 2010, 432), bestätigt. Mit den zuletzt genannten Entscheidungen hat der BFH unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung die sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe aufgegeben und entschieden, dass dann, wenn die unbeschränkte deutsche Steuerpflicht eines Unternehmers entfällt, weil dieser nicht nur seinen Betrieb, sondern auch seinen Wohnsitz in einen ausländischen EU-Mitgliedstaat verlegt, das deutsche Besteuerungsrecht im Hinblick auf die im Inland entstandenen stillen Reserven nicht verloren geht und Deutschland an der späteren Besteuerung der im Inland entstandenen stillen Reserven im Falle einer Realisierung nicht, auch nicht aufgrund abkommensrechtlicher Bestimmungen gehindert ist. Dies deckt sich mit der auch für den Streitfall festgestellten grundsätzlichen Beurteilung. Der BFH führt sodann weiter aus, dass allein die faktischen Schwierigkeiten beim Vollzug des späteren Besteuerungszugriffs nicht geeignet sind, eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, die stillen Reserven des Betriebsvermögens bei einer Betriebsverlegung ins Ausland - im Gegensatz zu innerstaatlichen Betriebsverlegungen - ohne Realisierungsvorgang der sofortigen Besteuerung zu unterwerfen. Handelt es sich dabei auch, wie letztlich bei jeder gerichtlichen Entscheidung, um Einzelfallentscheidungen, fügen sich diese dennoch in die aufgezeigte, insbesondere von der EuGH-Rechtsprechung geprägte Entwicklung ein. Daher kommt ihnen, auch wenn sie (noch) nicht im BStBl II veröffentlicht sind und die Rechtslage vor dem SEStEG betreffen