24.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111707
Finanzgericht Münster: Urteil vom 18.03.2011 – 4 K 3477/09 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster, 4 K 3477/09 E
18.03.2011
4. Senat
Urteil
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 26.03.2009 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 26.08.2009 werden dahin abgeändert, dass der Verlust aus der Veräußerung der in der Schweiz belegenen Arztpraxis in voller Höhe (EUR 131.320) bei der Ermittlung des Steuersatzes in Abzug gebracht wird.
Die Steuerfestsetzung wird dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob sich der Verlust aus der Veräußerung einer in der Schweiz belegenen Arztpraxis nach § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) nur zu einem Fünftel oder in vollem Umfang steuersatzmindernd auswirkt.
Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2006 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Bis zum 31.03.2006 betrieben sie in O-Stadt eine ärztliche Gemeinschaftspraxis. Diese Praxis veräußerten die Kläger mit Wirkung zum 01.04.2006. Der Veräußerungsgewinn betrug EUR xxxxxx.
Am 01.02.2006 eröffneten die Kläger eine ärztliche Gemeinschaftspraxis in L-Stadt in der
Schweiz. Bereits zum 30.09.2006 gaben sie diese Praxis wieder auf und nahmen
wiederum in O-Stadt ihre ärztliche Tätigkeit auf. Der Verlust aus der Veräußerung der schweizerischen Praxis betrug CHF 210.321 (= EUR 131.320). Der Verlust ist dem Grunde und der Höhe nach unstreitig.
Der Beklagte berücksichtigte den Verlust aus der Veräußerung der Praxis im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts zunächst in vollem Umfang. Eine bei den Klägern durchgeführte Betriebsprüfung vertrat dagegen die Ansicht, dass der Verlust gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG nicht in vollem Umfang, sondern nur in Höhe eines Fünftels bei der Ermittlung des Steuersatzes in Abzug gebracht werden könne. Wegen der Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 16.12.2008 Bezug genommen.
Der Beklagte folgte der Auffassung der Betriebsprüfung und änderte die Einkommensteuerfestsetzung für 2006 entsprechend in dem vorliegend angefochtenen Bescheid vom 26.03.2009. Unter Einbeziehung negativer außerordentlicher ausländischer Einkünfte in Höhe von EUR 26.264 (1/5 von EUR 131.320) ermittelte der Beklagte einen Steuersatz von xy v.H., den er auf das der Höhe nach unstreitige zu versteuernde Einkommen von EUR yyyyyy anwandte.
Der Einspruch, mit dem die Kläger eine volle Verlustberücksichtigung nach § 32b EStG begehrten, blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2009 führte der Beklagte aus, die Fünftel-Regelung in § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG gelte nicht nur für positive ausländische außerordentliche Einkünfte, sondern auch für negative. Der in der Vorschrift verwandte Begriff der Einkünfte entspreche der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG und umfasse somit auch Verluste (Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 15.05.2002 I B 73/01, BFH/NV 2002, 1295).
Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen an, die Vorschrift des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG erfasse nur positive ausländische außerordentliche Einkünfte. Der Sinn der Regelung liege darin, ausländische außerordentliche Einkünfte in einer den inländischen außerordentlichen Einkünften vergleichbaren Weise zu besteuern, welche nur mit einem Fünftel ihres Betrages eine Progressionssteigerung hervorriefen. Die Vorschrift des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG beziehe sich auf § 34 EStG, wonach nur positive Einkünfte erfasst würden. Inländische negative außerordentliche Einkünfte fielen hingegen nicht unter § 34 EStG. Die Fünftel-Regelung könne daher auch nicht für entsprechende ausländische Einkünfte gelten.
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 26.03.2009 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 26.08.2009 dahin abzuändern, dass der Verlust aus der Veräußerung der in der Schweiz belegenen Arztpraxis in voller Höhe (EUR 131.320) bei der Ermittlung des Steuersatzes in Abzug gebracht wird.
Ferner beantragen die Kläger,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner bisherigen Auffassung fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst beigefügten Unterlagen, die Einspruchsentscheidung vom 26.08.2009 sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgänge.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe:
Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2006 vom 26.03.2009 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 26.08.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Verlust aus der in der Schweiz belegenen Arztpraxis ist gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht nur zu einem Fünftel, sondern in voller Höhe von EUR 131.320 im Wege des negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
Der Verlust aus der Veräußerung der Arztpraxis, der zwischen den Beteiligten weder dem Grunde noch der Höhe nach streitig ist, gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit der Kläger gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 3 EStG. Ein Verlustausgleichsverbot nach § 2a EStG besteht nicht.
Allerdings steht nach den Vorschriften des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz vom 11.08.1971, BGBl II 1072, 1021, (DBA-Schweiz) der Schweiz das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung einer in ihrem Land belegenen festen Einrichtung, die dort der Ausübung eines freien Berufes gedient hat, zu (Art. 14 i.V.m. Art. 13 Abs. 2 DBA-Schweiz). Gleiches gilt auch für Veräußerungsverluste. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c DBA-Schweiz stellt die Bundesrepublik Deutschland diese Einkünfte - positiver oder negativer Art – im Inland steuerfrei, bezieht sie aber bei der Ermittlung des Steuersatzes ein (Steuerfreistellung mit Progressionsvorbehalt).
Die Freistellung mit Progressionsvorbehalt für im Ausland zu besteuernde Einkünfte hat der Gesetzgeber innerstaatlich mit der Vorschrift des § 32b EStG umgesetzt. Nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ist für einen Steuerpflichtigen, der zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, auf das zu versteuernde Einkommen u.a. dann ein besonderer Steuersatz anzuwenden, wenn er - wie im Streitfall - Einkünfte erzielt hat, die nach Maßgabe eines Doppelbesteuerungsabkommens unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gestellt werden. Der "besondere Steuersatz" ist in diesem Fall der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um die steuerfrei gestellten (Auslands-)Einkünfte, wobei die darin enthaltenen "außerordentlichen Einkünfte" mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind (§ 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG).
Im Streitfall ist der Verlust aus der Veräußerung der schweizerischen Arztpraxis nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. C DBA-Schweiz i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG bei der Ermittlung des Steuersatzes für die Einkommensteuer 2006 negativ zu berücksichtigen, und zwar in vollem Umfang und nicht - wie sich scheinbar aus § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG ergeben mag - nur zu einem Fünftel.
Die Vorschrift des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG wurde durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433) mit Wirkung ab dem Jahr 2001 modifiziert. Vormals waren - steuerfreie – ausländische außerordentliche Einkünfte von der Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt ausdrücklich ausgenommen; sie waren somit gar keiner inländischen steuerlichen Belastung ausgesetzt. Durch die Neufassung der Vorschrift, mit der nunmehr auch außerordentliche ausländische Einkünfte in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden, wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen durch diese Einkünfte gestiegen ist (vgl. BT-Drs. 14/2683, Seite 115). In Anlehnung an die Fünftel-Regelung für außerordentliche inländische Einkünfte gemäß § 34 EStG sollte auch im Rahmen des § 32b EStG sichergestellt werden, dass durch die Einbeziehung der ausländischen Einkünfte keine übermäßige Progressionsverschärfung eintritt (BT-Drs. 14/2683, Seite 115; BT-Drs. 14/3366, Seite 119).
Vor diesem Hintergrund hält es der Senat mit der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum für zwingend, dass - anders als es der Beklagte meint - die Fünftel-Regelung des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG keine Anwendung bei negativen ausländischen außerordentlichen Einkünften findet (vgl. Lambrecht in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 32b Rdnr. 32; Wagner in Blümich, EStG, § 32b Rdnr. 81; Frenz in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG/KStG, § 32b EStG Rdnr. E 23; Dankmeyer in Frotscher, EStG, § 32b Rdnr. 61, 93; a.A. lediglich Probst in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32b EStG Rdnr. 132). Der Zweck der Vorschrift orientiert sich ausweislich der Gesetzesmaterialien an der ermäßigten Besteuerung inländischer außerordentlicher Einkünfte gemäß § 34 EStG. Zur Vermeidung von Progressionshärten werden diese Einkünfte nach § 34 Abs. 1 EStG so besteuert, als wären sie über einen Zeitraum von fünf Jahren angefallen (Fünftel-Regelung). Für negative inländische außerordentliche Einkünfte (z.B. ein Veräußerungsverlust nach § 16 EStG) gilt die Fünftel-Regelung dagegen nicht. Durch die infolge des Verlustes verminderte steuerliche Leistungsfähigkeit sind negative Einkünfte bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte in vollem Umfang in Abzug zu bringen. Nichts anderes kann daher für ausländische negative außerordentliche Einkünfte im Rahmen des (negativen) Progressionsvorbehalts gelten. Der Senat hält es auch für ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber den Fall negativer Einkünfte in § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG zwar nicht erwähnt, ihn jedoch spiegelbildlich miterfassen wollte. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung war eine Angleichung der Regelung des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr . 2 Satz 1 EStG an die für inländische Einkünfte geltende Regelung des § 34 EStG gewollt (BT-Drs. 14/2683, Seite 115; BT-Drs. 14/3366, Seite 119).
Der Wortlaut der Vorschrift steht der hier vertretenen Auslegung nicht entgegen. Zwar trifft es zu, dass das Tatbestandsmerkmal "Einkünfte" i.S. von § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG dem Einkünftebegriff aus § 2 Abs. 2 EStG entspricht, so dass auch negative Einkünfte zu erfassen sind. Allerdings hat diese Auslegung nur
Bedeutung für die Anwendung der Grundsatzregelung des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 1 EStG ("... die dort bezeichneten Einkünfte, ..."). Für den vorliegenden speziellen Fall des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG müssen dagegen "außerordentliche Einkünfte" vorliegen. Außerordentliche Einkünfte in diesem Sinne sind in Anlehnung an § 34 Abs. 2 EStG nur positive Einkünfte. Im Streitfall fehlt es aufgrund des Verlustes an einer dementsprechenden Außerordentlichkeit.
Die Übertragung der Steuerberechnung auf den Beklagten rechtfertigt sich aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Die schlichte Aufhebung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für 2006 vom 26.03.2009 war deshalb nicht angezeigt, da die Höhe der als Sonderausgabe zu berücksichtigenden Kirchensteuer - offenbar unstreitig - von EUR 3.337 im ursprünglichen Bescheid vom 26.09.2007 auf EUR 541 im angefochtenen Bescheid gemindert wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Nach Auffassung des Senats bedarf es einer höchstrichterlichen Entscheidung zu der Frage, ob die in § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG genannte Fünftel-Regelung nur für positive oder auch für negative außerordentliche ausländische Einkünfte Anwendung findet.