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  • 05.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120084

    Finanzgericht Köln: Beschluss vom 16.11.2011 – 10 V 2336/11

    Die zwangsweise gewinnerhöhende Auslösung eines nach den Grundsätzen des Betriebsstättenerlasses vom 24.12.1999 (BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.6.1.) anlässlich der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte gebildeten Ausgleichspostens nach Ablauf von zehn Jahren begegnet ernsthaften europarechtlichen Bedenken.


    BESCHLUSS
    In dem Rechtsstreit
    hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … am 16.11.2011 beschlossen:
    Tatbestand
    I.
    Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Frage, ob ein im Jahre 1998 anlässlich der Übertragung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte gebildeter bilanzieller Ausgleichsposten im Streitjahr 2008 gewinnerhöhend aufgelöst werden darf.
    Die Klägerin gründete im Jahre 1997 eine Betriebsstätte in Belgien, die anschließend den weltweiten Vertrieb der von der A N.V. (im Folgenden A), einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Belgien, hergestellten Produkte übernahm. Im Jahre 1998 wurden die im Gesamthandsvermögen der Klägerin befindlichen Aktien der A kraft Funktionszusammenhang der belgischen Betriebsstätte zugeordnet. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig, ebenso der Wert der seinerzeit überführten Aktien, welche stille Reserven in einer Höhe von 1.385.151,06 EUR enthielten.
    Im Rahmen der Veranlagung des Jahres 1998 aktivierte der Antragsgegner im Zusammenhang mit der Überführung der Aktien in die ausländische Betriebsstätte die stillen Reserven bei der Antragstellerin. Gleichzeitig bildete er in entsprechender Höhe einen passiven Ausgleichsposten, so dass im Jahre 1998 aus der Aktivierung keine steuerlichen Folgen zu ziehen waren. In dem entsprechenden Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1998 vom 05.04.2009 wies der Antragsgegner in den Erläuterungen darauf hin, dass aufgrund der Überführung der Beteiligung in die ausländische Betriebsstätte nach Verwaltungsauffassung und früherer Rechtsprechung ein Gewinn entstanden sei, der jedoch aufgrund der Billigkeitsregelungen im Betriebsstättenerlass durch die Bildung eines Korrekturpostens nicht im Entstehungsjahr, sondern in den Folgejahren, spätestens nach zehn Jahren, zu versteuern sei. Insoweit sei davon auszugehen, dass der gebildete Korrekturposten weiterhin Gültigkeit habe. Soweit aus dem Urteil des BFH vom 17.07.2008 (I R 77/06) folge, dass die Überführung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte nicht zu einer sofortigen Gewinnrealisation führe, habe dies im Änderungsbescheid nicht berücksichtigt werden können, da das Urteil noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden sei.
    Im Rahmen der Veranlagung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 löste der Antragsgegner den gebildeten passiven Ausgleichsposten in einer Höhe von 1.385.151,06 EUR gewinnerhöhend auf. Insoweit wich er von der Steuererklärung der Antragstellerin ab.
    Gegen den Feststellungsbescheid vom 20.04.2011 legte die Antragstellerin am 20.05.2011 Einspruch ein, den sie dahingehend begründete, dass die Verwaltungsauffassung, wonach entsprechend der Billigkeitsregelung im Betriebsstättenerlass spätestens nach zehn Jahren in eine ausländische Betriebsstätte überführte Aktien im Hinblick auf ihre stillen Reserven zu versteuern seien, infolge der Aufgabe der sogenannten Theorie der finalen Entnahme seitens des Bundesfinanzhofes überholt sei. In seiner Entscheidung vom 17.07.2008 habe der BFH festgestellt, dass die Regelung des § 6 Abs. 5 EStG erstmals für alle nach dem 31.12.1998 abgeschlossenen Erwerbsvorgänge gelte. Aus diesem Grunde sei die im Jahre 1998 erfolgte Übertragung der Aktien durch die Antragstellerin weder als steuerpflichtige Außentransaktion noch als Entnahme, noch als Lösung aus dem bisherigen betrieblichen Funktionszusammenhang zu sehen. Mangels eines Außenumsatzes sei kein Realisationstatbestand erfüllt. Die Versteuerung der stillen Reserven im Jahre 2008 entbehrte somit einer gesetzlichen Grundlage.
    Mit Einspruchsentscheidung vom 08.07.2011 wies der Antragsgegner den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Verwaltung mit dem BMF-Schreiben vom 20.05.2009 (BStBl II 2009, 671) und der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, 1768) auf die mit Urteil vom 17.07.2008 geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert habe. Nach dem BMF-Schreiben sei die Entscheidung über die Aufgabe der finalen Entnahmetheorie über den entscheidenden Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Durch die Einfügung der Sätze 2 und 3 in § 52 Abs. 8 b EStG habe der Gesetzgeber weiterhin die Möglichkeit genutzt, die Besteuerung von Zurechnungsfällen sachgerecht und zeitlich lückenlos zu regeln und die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung auf den entschiedenen Einzelfall zu beschränken. Bedenken hinsichtlich einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung bestünden seitens des Gesetzgebers nicht, da die rückwirkende Regelung eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis kodifiziere. Insoweit sei auf die Ausführungen in der Bundestagsdrucksache 17/3549 vom 28.10.2010 Bezug zu nehmen. Im Übrigen sei als Rechtsgrundlage für die sogenannte Theorie der finalen Entnahme § 4 Abs. 1 EStG heranzuziehen.
    Parallel wandte sich die Antragstellerin mit Einspruch vom 20.05.2011 gegen den Bescheid 2008 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 05.05.2011 mit gleicher Begründung.
    Zugleich stellte die Antragstellerin am 20.05.2011 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei dem Antragsgegner. Dieser lehnte die Aussetzung mit Bescheid vom 08.07.2011 ab. Zur Begründung verwies er auf die Einspruchsentscheidung.
    Gegen die Einspruchsentscheidung wandte sich die Antragstellerin mit Klage vom 19.07.2011. Zugleich stellte sie den vorliegenden gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.
    Zur Begründung führte sie aus, dass keine Rechtsgrundlage für eine Besteuerung der stillen Reserven existiere. Aus der Entscheidung des BFH vom 17.07.2008 folge, dass für die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter von einem Betriebsvermögen in ein anderes ausländisches Betriebsvermögen im Streitjahr keine steuerlichen Folgen zu ziehen seien. Auch wenn der BMF die Anwendung dieses BFH-Urteils für Zeiträume vor Gültigkeit des SEStEG ablehne, habe der BFH seine Rechtsprechung im Urteil vom 28.10.2009 (I R 99/08) wiederholt. Auch die Versteuerung der stillen Reserven im Jahre 2008 komme mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht in Betracht. Eine solche Besteuerung könne nicht aufgrund einer schlichten Verwaltungsanweisung – mit dem BMF-Schreiben vom 12.02.1990 – durchgeführt werden. Soweit die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 8 b Sätze 2 und 3 EStG eine entsprechende Besteuerung ermöglichte, handele es sich um eine unzulässige Rückwirkung. Der allgemeine Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, welcher mit dem SEStEG eingeführt wurde, befasse sich lediglich mit Sachverhalten, die ab dem 01.01.2006 verwirklicht wurden. Sachverhalte, die bereits einige Jahre zuvor stattgefunden hätten, dürften hierdurch nicht tangiert werden. Daran ändere auch nichts die entsprechende Bundestagsdrucke 17/3549. Zum einen habe die behauptete langjährige Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung im Jahre 2010 längst nicht mehr bestanden, sondern sei durch zwei BFH-Urteile seit 2008 überholt gewesen. Zum anderen sei die Rechtmäßigkeit der damaligen und heutigen Auffassung der Finanzverwaltung vom überwiegenden Schrifttum schon immer entschieden bestritten worden (Nachweise z.B. bei Meilicke, GmbH-Rundschau 2009, Seite 55). Insoweit liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz vor. Die Besteuerung noch nicht realisierter stiller Reserven werde ungleich mit reinen Inlandssachverhalten behandelt. Weiterhin liege ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht vor, da insoweit das Recht zur Niederlassungsfreiheit der Antragstellerin beeinträchtigt werde. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11.03.2004, Rechtssache C 9/02, de Lasteyrie du Saillant, DB 2004, 686) verstoße bereits die sofortige Besteuerung unrealisierter Wertsteigerungen in wesentlichen Beteiligungen beim Wegzug des Steuerpflichtigen in einen anderen EU-Mitgliedstaat gegen die Niederlassungsfreiheit. Diese Überlegungen müssten erst recht für die grenzüberschreitende Überführung von Wirtschaftsgütern im betrieblichen Bereich bzw. innerhalb eines Betriebes gelten. Der Gewerbesteuermessbescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil sich der in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vorausgesetzte Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Beteuerungsrechts nach einhelliger Ansicht nicht auf die Gewerbesteuer beziehe (Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481). Die Entstrickungstatbestände seien im EStG und KStG angesiedelt, so dass nur eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich Einkommensteuer und Körperschaftsteuer erfasst sei.
    Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner die Besteuerung eines Sachverhaltes aus dem Jahre 1998 in das Jahr 2008 verlagert habe. Sollte dies zulässig sein, müssten dann konsequenterweise auch die gesetzlichen Besteuerungsgrundlagen einschließlich der Tarifvorschriften für das Jahr 2008 Anwendung finden. Dies übersehe der Antragsgegner, da er die Regelungen des Halbeinkünfteverfahrens gemäß § 3 Nr. 40 EStG, welche gemäß § 7 Satz 4 Gewerbesteuergesetz bei der Ermittlung des Gewerbeertrags ebenfalls zu berücksichtigen seien, nicht anwende. Insoweit seien nur 50 % der aufgelösten stillen Reserven zu besteuern. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass auch kein praktisches Bedürfnis für eine Besteuerung im Jahre 2008 bestehe. Die Jahresabschlüsse der Antragstellerin wiesen die in den überführten Aktien ruhenden stillen Reserven als Ausgleichsposten aus. Die Jahresabschlüsse wiesen ferner auch das Vermögen der belgischen Betriebsstätte, darunter auch die überführten Aktien in ihrem Anlagevermögen aus. Es sei für die Finanzverwaltung daher eindeutig und problemlos erkennbar, ob die überführten Aktien – etwa durch Veräußerung oder Entnahme – dem belgischen Betriebsvermögen entnommen worden sind. Ein praktisches Bedürfnis für eine vorherige Besteuerung bestehe nicht.
    Schließlich habe die Antragstellerin der nunmehrigen Behandlung des Ausgleichspostens auch zu keinem Zeitpunkt zugestimmt. Daran ändere auch nichts, dass der Antragsgegner seine eigene, gegenteilige Auffassung in dem Feststellungsbescheid 1998 festgehalten habe.
    Eine echte Rückwirkung sei im Übrigen nur dann zulässig, wenn ein ganz besonderer Ausnahmefall vorliege. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 15.10.2008, 1 BvR 1138/06, Juris, zur Mehrmütterorganschaft dargelegt, dass hier eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sei, weil der Steuerpflichtige kein schützenswertes Vertrauen an dem Fortbestand des geltenden Rechtes gehabt haben konnte. Dies gelte allerdings nur deshalb, weil der Gesetzgeber nach einer unerwarteten Rechtsprechungsänderung nur die vor der Rechtsprechungsänderung gültige Rechtslage wiederhergestellt habe. Dies treffe im Hinblick auf die Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme durch den BFH jedoch nicht zu. Die Antragstellerin habe im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtsprechungsänderung vom 17.07.2008 disponiert, indem sie darauf verzichtet habe, das streitige Betriebsvermögen vor Ablauf des Veranlagungszeitraums 2008 in die deutsche Betriebsstätte zurückzuführen. Dieses Vertrauen sei verfassungsrechtlich geschützt, das Jahressteuergesetz 2010 griffe zu Unrecht in dieses Vertrauen ein. Im Übrigen sei bereits im Jahre 1998, jedenfalls aber im Jahre 2008 erkennbar gewesen, dass der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung ändern werde.
    Die Antragstellerin beantragt,
    den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 vom 20.04.2011 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 08.07.2011 sowie den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2008 vom 05.05.2011 von der Vollziehung auszusetzen. Hilfsweise wird beantragt, den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 in einer Höhe von 692.575,53 EUR und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2008 vom 05.05.2011 in einer Höhe von 24.240 EUR von der Vollziehung auszusetzen.
    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzulehnen.
    Zur Begründung wiederholt der Antragsgegner seine Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung. Im Übrigen sei im Jahre 2008 lediglich ein Merkposten aufgelöst worden, der im Billigkeitswege 1998 gebildet worden sei. Die Frage des Halbeinkünfteverfahrens stelle sich daher aus seiner Sicht nicht. Desweiteren hätten Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 AO auch Auswirkung auf die Gewinnermittlung bei der Gewerbesteuer.
    Im Hinblick auf den Vertrauensschutz sei auch darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin bis zur Veröffentlichung des Urteils vom 17.07.2008 in keiner Weise zu erkennen gegeben habe, dass sie die in der eingereichten Steuererklärung 1998 vorgenommene Behandlung der Übertragung von Aktien in die ausländische Betriebsstätte durch Bildung eines Ausgleichspostens ablehne.
    Gründe
    II.
    Der Antrag ist begründet.
    1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – soll das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen worden, so kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO die Vollziehung aufgehoben werden (BFH vom 29. Oktober 2009, III B 233/08, juris). Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – seit Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, Bundessteuerblatt – BStBl – III 1967, 182; vgl. BFH-Beschluss vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372).
    a. Der Senat lässt offen, ob die von der Antragstellerin angesprochene Rückwirkungsproblematik dazu führt, dass aus diesem Grund Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in der Hauptsache angefochtenen Bescheide bestehen.
    Nach der Rechtsprechung des BFH ist es zumindest zweifelhaft, ob der Vortrag, ein formal ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz sei verfassungswidrig, ohne weiteres einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung begründen kann (vgl. Koch in Gräber, § 69 FGO, Rz. 113 m.w.N.).
    b. Für den Senat bestehen nach summarischer Prüfung aber Zweifel daran, ob die angefochtenen Verwaltungsakte auf Basis der von dem Antragsgegner angewendeten Rechtsnormen mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) in Einklang stehen. Nach der Rechtsprechung des BFH können Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes wegen eines möglichen Verstoßes gegen den EG-Vertrag einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung begründen (BFH vom 17. Mai 2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778). Dies gilt damit auch für einen möglichen Verstoß gegen den nunmehr geltenden Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV).
    aa. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (vgl. u.a. EuGH-Urteile vom 13. Dezember 2005 Rs. C-446/03 „Marks & Spencer”, Slg. 2005, I-10837 Rz 29; vom 12. Dezember 2006 Rs. C-374/04 „Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation”, Slg. 2006, I-11673, Rz 36). Der Spielraum der nationalen Gesetzgeber endet dort, wo die Grundfreiheiten des Vertrages berührt werden (vgl. EuGH-Urteil vom 22. Januar 2009 Rs. C-377/07 „STEKO Industriemontage GmbH”, Slg. 2009, I-299, Rz 49 m.w.N.).
    bb. Die Niederlassungsfreiheit regelt das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Niederlassungsstaats für seine eigenen Angehörigen. Soweit der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit nach seinem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern soll, so verbietet er es doch auch, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert (EuGH vom 11. März 2004 C-9/02 „de Lasteyrie du Saillant”, Slg. 2004, I-02409)
    cc. Nach früherer Rechtsprechung des BFH stellte die Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte eine Entnahme dar, die zur Versteuerung der stillen Reserven zu führen hatte (sog. Theorie der finalen Entnahme, BFH vom 24. November 1982 I R 123/78, BFHE 137, 59, BStBl II 1983, 113). Die Finanzverwaltung hatte sich dieser Ansicht angeschlossen (sog. Betriebsstättenerlass vom 24.12.1999, Tz. 2.6.1 VV DEU BMF 1999-12-24 IV B 4-S 1300-111/99, BStBl I S. 1076). Danach durfte aus Billigkeitsgesichtspunkten die Besteuerung der stillen Reserven durch Bildung eines passiven Merkpostens um maximal 10 Jahre hinausgeschoben werden.
    Mit Urteil vom 17. Juli 2008 (I R 77/06, BStBl II, 646) hat der BFH seine Rechtsprechung zur finalen Entnahme ausdrücklich aufgegeben und dargelegt, dass allein die Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte mangels Rechtsgrundlage und einer fehlerhaften abkommensrechtlichen Beurteilung nicht zu einer Besteuerung der stillen Reserven führe.
    Bezüglich dieser Rechtsprechung hat der BMF mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (BMF vom 20. Mai 2009, IV C 6-S 2134/07/10005, 2009/0300414, BStBl I 2009, 671). Mit dem SEStEG vom 07.12.2006 normierte der Gesetzgeber die Steuerentstrickungsvorschrift des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG, wonach einer Entnahme der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts gleichsteht. Mit dem JStG 2010 stellte der Gesetzgeber im Satz 4 des § 4 Abs. 1 EStG klar, dass ein solcher Ausschluss oder eine Beschränkung insbesondere dann vorliege, wenn ein Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zugeordnet werde. Diese Vorschrift soll gemäß § 52 Abs. 8b S. 2 EStG rückwirkend für alle noch nicht bestandskräftigen Jahre gelten. § 4g EStG regelt weiterhin, dass soweit das Wirtschaftsgut in die Betriebsstätte in einem Mitgliedsstaat der EU übertragen wird, auf Antrag die Besteuerung der stillen Reserven durch Bildung eines Ausgleichspostens auf eine Dauer von 5 Jahren gestreckt werden kann.
    dd. Das FG Rheinland-Pfalz hat den Betriebsstättenerlass unter Bezugnahme auf weite Teile des Schrifttums insoweit als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) angesehen, als die Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zu einer Betriebsstätte im EU-Ausland zu einer Besteuerung der stillen Reserven führt, während dies bei reinen Inlandssachverhalten nicht geschieht (Urteil vom 17. Januar 2008 4 K 1347/03, EFG 2008, 680 m. w. N.). Der BFH hat diese Frage im anschließenden Revisionsverfahren offen gelassen, da er nach Aufgabe der finalen Entnahmetheorie nicht mehr von einem Besteuerungstatbestand ausging (Urteil vom 28. Oktober 2009 I R 28/08, BFH/NV 2010, 432).
    Die nunmehr durch den Gesetzgeber angeordnete Regelung der Besteuerung von stillen Reserven bei Übertragung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten wird durch große Teile der Literatur allerdings weiterhin als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit angesehen (z. B. Frotscher in Frotscher, § 4g EStG, Rz. 3 und 9; Korn in Carle/ Korn/ Stahl /Strahl, § 4 EStG, Rz. 297.17; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 21; Rödder/ Schumacher, DStR 2006, 1481; zweifelnd Heinicke in Schmidt, § 4g EStG, Rz. 1). Die Gegenauffassung ist der Ansicht, dass Deutschland sich auf den Rechtfertigungsgrund der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse” stützen könne und aus diesem Grund ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nicht vorliege (z. B. Musil in H/ H/ R, § 4 EStG, Rz. 211 unter Hinweis auf EuGH vom 13. Dezember 2005 Rs. C-446/03 „Marks & Spencer”, Slg. 2005, I-10837).
    ee. Vor diesem Hintergrund hat der Senat nach summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte, da die Vereinbarkeit der Versteuerung der stillen Reserven durch Auflösung des Ausgleichspostens mit dem Europarecht in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert wird. Hierzu abschließend eine Entscheidung zu treffen, bleibt einem Hauptsacheverfahren vorbehalten, so dass die angefochtenen Verwaltungsakte von der Vollziehung auszusetzen sind.
    Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheides ergeben sich bereits wegen § 35b Abs. 1 S. 1 GewStG wegen der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.
    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 S. 3 FGO.

    VorschriftenEStG § 4 Abs 1