31.05.2012 · IWW-Abrufnummer 122002
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 26.01.2012 – 2 K 49/11
Eine unselbständige Zweigniederlassung ist keine Unternehmerin i. Sinne von § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin.
Die Klägerin ist eine deutsche Zweigniederlassung der Aktiengesellschaft ... Rechts A-1 mit Sitz in B, ... (im Folgenden: A-1). Sie wurde als Zweigniederlassung in das Handelsregister des Amtsgerichts C (HRB ...) unter der Firma A-2, Zweigniederlassung der A-1, eingetragen. Der Gegenstand der Klägerin ist - wie bei der ... Hauptniederlassung - der Betrieb eines ..., vornehmlich für ...
Zwischen der Klägerin und der Hauptniederlassung wurde eine zum ... April 2008 wirksame ” Vereinbarung” geschlossen. Diese hat im Wesentlichen folgenden Inhalt:
Die Klägerin übernimmt die Ausbildung neuer Mitarbeiter für das A-1 ... Zusätzlich soll die Klägerin individuelle Aufgaben für A-1 durchführen und Wege finden, bei neuen Kunden in Deutschland Umsätze im Bereich ... zu generieren. Auch die Pflege deutscher Kundenkontakte kann als Aufgabe an die Klägerin weitergegeben werden. Die Hauptniederlassung besitzt alle Vertriebsrechte an den ... und übernimmt die Abrechnung für alle Kunden. Ferner bezahlt die A-1 für die Durchführung der Aufgaben an die Klägerin ein Honorar, welches den tatsächlichen Kosten inklusive Zinsen und Abschreibungen plus 5 % auf die angefallenen Lohnkosten der Klägerin entspricht.
Die Klägerin gab für sich als Unternehmerin ab 2008 Umsatzsteuererklärungen ab. In ihrer Umsatzsteuererklärung 2008 erklärte sie keine steuerpflichtigen Umsätze, aber Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern in Höhe von 11.532,74 €. Ein Umsatzsteuerbescheid 2008 erging nicht. Der Vorsteuerüberschuss wurde an die Klägerin ausgezahlt. In ihrer Umsatzsteuererklärung 2009 erklärte die Klägerin wiederum keine steuerpflichtigen Umsätze, sondern nur Vorsteuerbeträge in Höhe von 16.163,34 €. Ein Umsatzsteuerbescheid erging ebenfalls nicht. Der Vorsteuerüberschuss wurde an die Klägerin ausgezahlt. Mit Umsatzsteuervoranmeldung für das erste Quartal 2010 meldete die Klägerin einen Vorsteuerüberschuss in Höhe von 1.481,79 € an, der ihr ausgezahlt wurde. Für das zweite Quartal 2010 meldete sie einen Vorsteuerüberschuss von 1.920,21 € an. Dieser Betrag wurde nicht ausgezahlt. In beiden Voranmeldungen erklärte die Klägerin wiederum keine steuerbaren Umsätze.
Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung verneinte der Beklagte die Unternehmereigenschaft der Klägerin und setzte mit Änderungsbescheiden vom ... November 2010 die Umsatzsteuer für die Jahre 2008 und 2009 sowie für das erste Quartal 2010 auf jeweils 0 € fest. Die ausgezahlten Vorsteuerbeträge wurden zurückgefordert. Mit Bescheid vom ... November 2010 wurde auch die Umsatzsteuer für das zweite Quartal 2010 auf 0 € festgesetzt.
Die Klägerin legte dagegen am ... Dezember 2010 Einspruch ein. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass sie als Zweigniederlassung nicht rechtlich selbständig sei. Es handle sich bei ihr um einen unselbständigen Teil der Hauptniederlassung. Sie könne nicht am Rechtsverkehr teilnehmen und folglich nicht Unternehmerin sein. Zwischen der Zweig- und der Hauptniederlassung könnten auch keine Vereinbarungen geschlossen werden, weil die Zweigniederlassung als solche nicht Vertragspartner sein könne. Bei der Vereinbarung zum April 2008 handele es sich nur um eine betriebswirtschaftliche Anweisung, wie der Betriebsteil in Deutschland wirtschaftlich behandelt werden solle. Richtig sei es, auf die Hauptniederlassung in ... abzustellen. Die A-1 sei Unternehmerin im Sinne von § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Sie werde in Deutschland durch die Zweigniederlassung tätig. Die Feststellungen des Beklagten hätten zur Folge, dass die einer Zweigniederlassung in Rechnung gestellte Vorsteuer mangels Unternehmereigenschaft niemals geltend gemacht werden könne und auch eigene Umsätze der Zweigniederlassung nicht steuerbar wären. Die Steuerbescheide seien daher gemäß § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) nichtig. Sie litten an einem besonders schweren Fehler. Jedenfalls seien die Verwaltungsakte rechtswidrig.
Mit Einspruchsentscheidung vom ... Februar 2011 wies der Beklagte die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Einsprüche als unbegründet zurück. Die Klägerin sei als unselbständige Zweigstelle keine Unternehmerin im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG. Sie nehme nicht selbständig am Rechtsverkehr in Deutschland teil, trage kein Unternehmerrisiko und habe zudem kein eigenes Konto. Sie habe vielmehr nur die Funktion eines Repräsentationsbüros in Deutschland; sämtliche Umsätze seien somit der Hauptniederlassung in ... zuzuordnen. Da es sich dabei um ein im Ausland ansässiges Unternehmen handele, sei für eine Vorsteuervergütung das Bundeszentralamt für Steuern unter den Voraussetzungen der §§ 59-61 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) zuständig. Eine Vorsteuererstattung nach den allgemeinen Vorschriften können nicht beansprucht werden.
Die Klägerin hat am ... März 2011 Klage erhoben. Die Steuerbescheide seien nichtig, jedenfalls aber rechtswidrig. Sie habe als Zweigniederlassung zwar keine Unternehmereigenschaft. Es müsse aber auf ihre Hauptniederlassung abgestellt werden. Diese sei Unternehmerin im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG und werde in Deutschland durch die Zweigniederlassung tätig. Es sei unerheblich, ob bisher über die deutsche Zweigniederlassung Umsätze abgerechnet worden seien. Darauf komme es nicht an. Die in § 2 UStG geforderte nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen werde durch die Hauptniederlassung erfüllt. Im Übrigen sei es durchaus beabsichtigt gewesen, in Deutschland Umsätze zu erzielen. Wenn das Büro in Deutschland als Zweigniederlassung eingetragen sei, müssten die damit zusammenhängenden Vorsteuern im Wege des Veranlagungsverfahrens und nicht im Wege des Vergütungsverfahrens erstattet werden. Die A-1 sei wegen der inländischen Zweigniederlassung keine ausländische Unternehmerin im Sinne des Gesetzes. Sie, die Klägerin, habe in geringem Umfang ertragsteuerliche Erlöse erzielt, weil sie von der A-1 einen 5 %igen Aufschlag beim Kostenersatz erhalten habe. Bei der Beurteilung ihrer Unternehmereigenschaft sei zu berücksichtigen, dass eine eigenständige Organisation mit Mitarbeitern vorhanden gewesen sei und Innenumsätze getätigt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 sowie die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für das I. und II. Kalendervierteljahr 2010, jeweils vom ... November 2010 sowie die diesbezügliche Einspruchsentscheidung vom ... Februar 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Bei der A-1 handele es sich um eine ausländische Unternehmerin, die nicht im Inland ansässig sei. Die Zweigniederlassung begründe keine Ansässigkeit für umsatzsteuerliche Zwecke. Daher erfolge der Vorsteuerabzug gemäß § 18 Abs. 9 UStG in Verbindung mit §§ 59-61 UStDV über das Bundeszentralamt für Steuern im Wege des Vergütungsverfahrens. Eine Abwicklung der Vorsteuererstattung im regulären Verfahren komme nicht in Betracht. Die Klägerin sei als Repräsentationsbüro zu qualifizieren, das nicht zur Ansässigkeit der A-1 im Sinne des Umsatzsteuerrechts führe. Die Zweigniederlassung möge zwar grundsätzlich über eine hinreichend beständige Struktur verfügen, welche durch die erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen sichergestellt sei. Sie habe aber keine autonomen Leistungen (Außenumsätze) erbracht. Die von ihr in ihren Steuererklärungen angegebenen steuerfreien Umsätze seien lediglich an die A-1 weiterbelastete Kosten. Auf die theoretische Möglichkeit, dass die Zweigniederlassung autonome Leistungen an Dritte erbringen könne, komme es nicht an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Steuerakten des Beklagten (Umsatzsteuerakten, Betriebsprüfungsakten, Bp-Arbeitsakten, Rechtsbehelfsakten) Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Das Aktivrubrum war klarstellend so zu berichtigen, dass Klägerin die A-2 als Zweigniederlassung der A-1 ist. Dafür sprechen das Rubrum und die Eingangsausführungen der Klageschrift, wonach die A-1 unter dieser Zweigniederlassung Klage erhebt. In der Begründung der Klage wird unter anderem zwar geltend gemacht, dass die Hauptniederlassung Unternehmerin im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG und auf diese abzustellen sei. Die Klägerin hat indes für sich als Unternehmerin die streitgegenständlichen Umsatzsteuererklärungen abgegeben, für sie wurde eine Steuernummer vergeben und die angegriffenen Bescheide einschließlich der Einspruchsentscheidung richten sich dementsprechend an sie. Der Beklagte verneint mit den angefochtenen Bescheiden die Unternehmereigenschaft der Klägerin, nicht die der Hauptniederlassung. Die Unternehmereigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG hängt nicht von der Rechtsfähigkeit ab (ständige Rspr., vgl. etwa BFH-Urteil vom 21. April 1994 VR 105/91, BStBl II 1994, 671; BFH-Beschluss vom 26. Februar 2008 II B 6/08, BFH/NV 2008, 1004), so dass auch die Klägerin als nicht rechtsfähiger Teil der ... Hauptniederlassung grundsätzlich umsatzsteuerlich Unternehmerin und damit steuerrechtsfähig sein kann. Die Hauptniederlassung ist durch die angefochtenen Bescheide hingegen nicht betroffen, auch wenn die Klägerin nur ein davon rechtlich unselbständiger Teil ist. Die Klägerin ist beteiligten- und prozessfähig. Für sie handeln die vertretungsberechtigten Personen der A-1 (§ 58 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide vom ... November 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... Februar 2011 sind rechtmäßig und die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. Die Bescheide waren deshalb nicht aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat den geltend gemachten Vorsteuerabzug zu Recht versagt.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmen für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Unternehmer im Sinne des im Rahmen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG maßgeblichen § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG ist, wer eine gewerbliche oder berufliche, das heißt nachhaltige Umsatztätigkeit selbständig ausübt (vgl. etwa BFH-Urteile vom 21. April 1994 V R 105/91, BStBl II 1994, 671 und vom 13. Juli 1994 XI R 97/92, BFH/NV 1995, 168).
Daran gemessen war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum keine Unternehmerin im Sinne von § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG. Als Zweigniederlassung der in ... ansässigen A-1 war die Klägerin nicht selbständig tätig.
Eine Zweigniederlassung im Sinne von § 13 des Handelsgesetzbuchs (HGB) ist ein auf Dauer räumlich und organisatorisch getrennter Teil der Hauptniederlassung. In der Regel ist sie mit einem gesonderten Teil des Geschäftsvermögens ausgestattet mit der Folge, dass sie eigenständig Leistungen erbringen kann und eine eigene Buchführung hat (vgl. BGH-Urteil vom 08. Mai 1972 II ZR 155/69, NJW 1972, 1859). Die Haupt- und die Zweigniederlassung bilden jedoch eine rechtliche und wirtschaftliche Einheit. Die Zweigniederlassung ist daher grundsätzlich nur unselbständiger Teil des Unternehmens der Hauptniederlassung und somit nicht selbst Unternehmer (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1961 VII 79/59 U, BStBl III 1961, 329; FG Köln, Urteil vom 19. Oktober 2006 2 K 3048/03, EFG 2008, 814; Stadie, in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2 UStG Rdn. 88).
Diese nationale Sichtweise stimmt mit der Auslegung des Artikels 4 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überein. Nach dem EuGH-Urteil vom 23. März 2006 (C-210/04, DB 2006, 934) bildet eine Zweigniederlassung zusammen mit der Hauptniederlassung jedenfalls dann einen einzigen „Steuerpflichtigen” im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (nunmehr Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL), wenn die Zweigniederlassung nicht selbst die wirtschaftlichen Risiken trägt, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind (vgl. auch FG Köln, Urteil vom 19. Oktober 2006 2 K 3048/03, EFG 2008, 814).
Die Klägerin ist unstreitig als Zweigniederlassung ein rechtlich und wirtschaftlich unselbständiger Teil des Unternehmens der ... Hauptniederlassung. Das mit ihrer Tätigkeit verbundene Risiko trug die ... Gesellschaft. Für diese soll die Klägerin nach der zum ... April 2008 geschlossenen „Vereinbarung” weisungsgebunden neue Mitarbeiter ausbilden und andere Aufgaben übernehmen. Die A-1 besitzt danach alle Vertriebsrechte an den ... und übernimmt die Abrechnung mit den Kunden. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass es sich bei der „Vereinbarung” nicht um einen Vertrag handelt, weil sie als rechtlich unselbständiger Teil der ... Hauptniederlassung nicht rechtsfähig ist. Soweit der Klägerin in der „Vereinbarung” ein Honorar zugesprochen wird, handelt es sich somit nicht um einen Vergütungsanspruch für deren Tätigkeit, sondern um die Zusage einer innerbetrieblichen Kostenerstattung. Diese „Innenumsätze” führen - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht zur Unternehmereigenschaft, weil ihr damit gerade im Wege eines innerbetrieblichen Ausgleichs das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit in Deutschland abgenommen wurde.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann in vorliegenden Verfahren nicht auf die Hauptniederlassung abgestellt werden, deren Unternehmereigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG vom Beklagten in der Einspruchsentscheidung anerkannt wird. Die Hauptniederlassung hat für sich keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben und ist nicht Adressatin der angefochtenen Bescheide. Ob sie einen Vorsteuererstattungsanspruch im Besteuerungsverfahren nach § 18 UStG beim Beklagten oder im Vorsteuervergütungsverfahren nach § 18 Abs. 9 UStG in Verbindung mit §§ 59 ff. UStDV beim Bundeszentralamt für Steuern geltend zu machen hätte, kann hier dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist.