10.09.2012
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 27.06.2012 – 2 K 1224/12
Dem im EU-Ausland gemeinsam mit dem Kind wohnhaften Elternteil, der weder nach Art. 11 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 883/2004 den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt noch die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 EStG, 1 Abs. 1 BKGG erfüllt, steht kein gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG gegenüber dem Anspruch des in Deutschland wohnhaften und erwerbstätigen anderen Elternteils vorrangiger Kindergeldanspruch zu. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehe der Elternteile geschieden ist.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld gegenüber dem in Deutschland wohnhaften Kläger mit der Begründung aufheben durfte, der in Zypern lebenden, nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Kindesmutter, in deren Haushalt die gemeinsamen Kinder aufgenommen sind, stehe nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der vorrangige Kindergeldanspruch zu.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und der leibliche Vater der beiden Kinder A, geboren am 25. Juli 1995, und B, geboren am 17. November 1996. Seit April 1999 ist er als Beamter beim Statistischen Bundesamt in W beschäftigt. Er wohnt mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind N, geboren am 10. Januar 2005, in L.
Die Kindesmutter, Frau C. T., ist zyprische Staatsangehörige und lebt mit A und B seit dem 01. Juli 2004 in Zypern. Die Ehe des Klägers und der Kindesmutter war im Mai 2004 geschieden worden. Bis Dezember 2003 hatte die bis dahin im öffentlichen Dienst beschäftigte Kindesmutter Kindergeld für A und B erhalten. Danach wurde die Zahlung von Kindergeld eingestellt.
Aufgrund eines im September 2005 eingereichten Kindergeldantrags des Klägers setzte die beklagte Familienkasse mit Bescheid vom 19. November 2008 gegenüber dem Kläger zunächst Kindergeld für A und B ab Juli 2004 i.H. von 308,00 € monatlich fest. Nachdem sie durch Mitteilungen der zuständigen zyprischen Behörde erfahren hatte, dass die Kindesmutter in Zypern erwerbstätig ist und zyprische Familienleistungen für A und B erhält, setzte die Beklagte Kindergeld für A und B vorläufig i.H. des Unterschiedsbetrags zwischen den an die Kindesmutter gezahlten zyprischen Familienleistungen und dem deutschen Kindergeld gemäß § 165 Abs. 1 AO fest, zuletzt mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Mai 2010 ab Mai 2010 i.H. von 180,08 € (vgl. Bl. 220 ff. d. KG-Akte).
Mit Bescheid vom 24. Januar 2012 hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für A und B ab Februar 2012 gemäß § 70 Abs. 3 EStG auf. Zur Begründung verwies sie darauf, dass nach § 64 Abs. 1 EStG für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt werde. Bei mehreren Berechtigten werde das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG derjenigen Person gewährt, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe. Nach den bei ihr vorliegenden Unterlagen lebten die Kinder nicht im Haushalt des Klägers, sondern bei der Kindesmutter in Zypern. Daher müsse die an ihn erfolgte Kindergeldfestsetzung nach § 63 Abs. 1 Satz 4 EStG i.V. mit § 2 Abs. 4 Satz 2 BKGG aufgehoben werden (Bl. 404 d. KG-Akte).
Gegen den Aufhebungsbescheid vom 24. Januar 2012 legte der Kläger am 08. Februar 2012 Einspruch ein, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2012 als unbegründet zurückwies.
Zur Begründung heißt es in der Einspruchsentscheidung, der Einspruchsführer erfülle zwar die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG. Für die Kinder A und B bestehe jedoch zugleich in einem anderen Staat der EU-Staat ein Anspruch auf Kindergeld, nämlich in Zypern. Welcher Anspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen EU-/EWR-Staaten seit dem 01. Mai 2010 nach den Regelungen der VO 883/2004 und der DVO 987/2009. Von den Rangfolgeregelungen der VO unabhängig zu beurteilen sei allerdings, an wen die Familienleistungen (auch Differenzbeträge) auszubezahlen seien. Das Gemeinschaftsrecht regele nicht, an welche in Betracht kommenden Personen die Familienleistungen auszuzahlen seien. Dies bestimme sich ausschließlich nach dem nationalen Recht des jeweiligen Staates, in Deutschland somit nach § 64 EStG im Bereich des steuerrechtlichen Kindergeldes. Hiernach werde das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe (§ 64 Abs. 2 AO). Da die Kinder bei der leiblichen Mutter in Zypern lebten, sei diese somit nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt. An den Einspruchsführer könnten hingegen keine Leistungen (auch keine Differenzbeträge) ausgezahlt werden (vgl. Bl. 420 ff. d. KG-Akte).
Mit seiner am 27. Februar 2012 bei Gericht eingegangenen Klage stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf ein Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. September 2011 (Az.: 2 K 1471/11), in welchem der Senat zu der - auch im vorliegenden Klageverfahren vertretenen - Rechtsansicht der Familienkasse zur vermeintlich vorrangigen Kindergeldberechtigung der Kindesmutter hinsichtlich einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab März 2011 bereits Stellung genommen hatte und dieser nicht gefolgt war. Wegen des weiteren Sachvortrags des Klägers wird auf die Klagebegründung vom 24. Februar 2012 (Bl. 3 ff. d. PA) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß und schriftsätzlich,
den Bescheid vom 24. Januar 2012 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.
Gründe
Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 90 Abs. 2 FGO), ist begründet.
Die Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung zu Unrecht mit Wirkung ab Februar 2012 aufgehoben. Die Auszahlung von Kindergeld an den Kläger kann nicht mit der Begründung versagt werden, der in Zypern gemeinsam mit den Kindern lebenden Kindesmutter stehe nach Art. 67 der zum 01. Mai 2010 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (nachfolgend kurz: VO (EG) Nr. 883/2004) i.V. mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein eigener und gegenüber dem Anspruch des Klägers nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangiger Kindergeldanspruch zu.
a) Auf den Kläger, die Kindesmutter und die beiden Kinder A und B finden als deutsche bzw. zyprische Staatsangehörige in Bezug auf den streitigen Kindergeldanspruch die VO (EG) Nr. 883/2004 und die hierzu ergangene Durchführungs-Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (nachfolgend kurz: DVO (EG) Nr. 987/2009) sowohl persönlich (Art. 2 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 883/2004) als auch sachlich (vgl. EuGH, Urteil vom 04. Mai 1999, C-262/96 „Sürül”; BFH, Urteil vom 13. August 2002, VIII R 54/00, BStBl II 2002, 869) Anwendung.
Nach Art. 11 Abs. 3 Buchstabe b) der VO (EG) Nr. 883/2004 unterliegt der Kläger als bei einer deutschen Behörde beschäftigter Beamter den deutschen Rechtsvorschriften. Dass er auch die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 32 Abs. 1 EStG erfüllt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keiner näheren Ausführungen.
b) Anders als der Kläger unterliegt die in Zypern lebende Kindesmutter weder den deutschen Rechtsvorschriften noch stünde ihr nach deutschem Kindergeldrecht ein Anspruch auf Kindergeld zu.
Ausweislich der letzten in der Kindergeldakte vorliegenden Bescheinigung E 411 vom 04. März 2011 hat die Kindesmutter in Zypern vom 01. Januar 2010 „bis heute” eine berufliche Tätigkeit ausgeübt (Bl. 283 d. KG-Akte). Dafür, dass sich die Verhältnisse in der Folgezeit geändert haben könnten, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Damit unterlag die Kindesmutter nicht den deutschen, sondern den zyprischen Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a) der VO (EWG) Nr. 883/2004). Darüber hinaus wäre sie in Ermangelung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) bzw. mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2, 3 EStG oder des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 4 BKGG nach deutschem Kindergeldrecht auch nicht anspruchsberechtigt.
c) Gleichwohl meint die beklagte Familienkasse, der Kindesmutter stehe ein Anspruch auf deutsches Kindergeld zu, welcher den Kindergeldanspruch des Klägers nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG verdränge. Sie stützt ihre Ansicht auf die im Januar 2010 geänderte Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht der Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse Direktion (nachfolgend kurz: DA-üzV), wonach sich aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH (in diesem Zusammenhang zitiert wird insbesondere: Urteil vom 10. Oktober 1996, C-245/94, Hoever/Zachow, Slg. 1996, I-04895) zu Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend kurz: VO (EWG) Nr. 1408/71) ergebe, dass das Kindergeld auch dann an den gemäß §§ 64 EStG, 3 BKGG kindergeldberechtigten Elternteil zu zahlen sei, wenn dieser selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege (vgl. DA-üzV 214.7, 214.2 Abs. 3).
Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Ein Kindergeldanspruch der in Zypern lebenden Kindesmutter lässt sich aus Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 i.V. mit der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht herleiten. Zudem wäre ein solcher Anspruch nach Ansicht des Senats nicht geeignet, den Kindergeldanspruch des Klägers zu verdrängen.
Im Einzelnen:
c 1) Gemäß Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Eine ähnliche Regelung enthielt bereits Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71, wonach ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterlag, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnten, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hatte, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten. Darüber hinaus bestimmt Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der DVO (EG) Nr. 987/2009, dass bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO (EG) Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen (sog. Familienbetrachtung).
c 2) Der in DA-üzV 214.7 zitierten Rechtssache „Hoever/Zachow” lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerinnen und ihre Ehegatten waren deutsche Staatsangehörige und lebten mit ihren Kindern in den Niederlanden. Die Ehemänner der Klägerinnen waren in Deutschland vollzeitbeschäftigt und hatten daher nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V. mit § 1 Abs. 4 BErzGG keinen Anspruch auf Erziehungsgeld. Die Klägerinnen wiederum waren zwar nicht voll erwerbstätig; ein Anspruch auf Erziehungsgeld wäre bei ihnen jedoch daran gescheitert, dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hatten (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG).
Der EuGH hat vor diesem Hintergrund entschieden, dass es dem Sinn und Zweck des Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71 zuwider laufe, wenn dem Ehegatten eines Arbeitnehmers eine Leistung verweigert würde, die er hätte beanspruchen können, wenn er in dem die Leistung erbringenden Staat geblieben wäre. Der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliege und mit seiner Familie in einem anderen Mitgliedstaat lebe, habe daher aufgrund von Art. 73 der VO Nr. 1408/71 im Mitgliedstaat der Beschäftigung einen eigenen Anspruch auf eine im Beschäftigungsstaat vorgesehene Familienleistung (vgl. EuGH, Hoever/Zachow, aaO). Der EuGH legt die Vorschrift des Art. 73 der VO Nr. 1408/71, wonach ein Arbeitnehmer „für” seine in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Familienangehörigen einen Anspruch auf die im Beschäftigungsstaat vorgesehenen Familienleistungen hat, demnach - für den Fall, dass anderenfalls die Familienleistung nicht gewährt werden könnte - dahingehend aus, dass der Familienangehörige selbst einen Anspruch auf die im Beschäftigungsstaat vorgesehenen Familienleistungen erlangt.
Nach Ansicht des Senats lassen sich die zugrunde liegenden Erwägungen des EuGH auf die vorliegende Fallgestaltung jedoch nicht übertragen. Denn es ist keine Notwendigkeit erkennbar, dem geschiedenen Ehegatten eines in Deutschland erwerbstätigen Elternteils einen eigenen Anspruch auf Kindergeld nach Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 zuzuge-stehen, wenn dem in Deutschland erwerbstätigen Elternteil bereits ein solcher Kindergeldanspruch zusteht. Der Zweck des Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004, die Gewährung der nach den anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehenen Familienleistungen sicherzustellen (vgl. EuGH, Hoever/Zachow, C-245/94, Rn. 32, aaO), erfordert eine derart extensive Auslegung gerade nicht. Auch soweit der EuGH ausführt, Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71 (jetzt: Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004) solle vor allem verhindern, dass ein Mitgliedstaat die Gewährung oder die Höhe von Familienleistungen davon abhängig machen könne, dass die Familienangehörigen des Erwerbstätigen in dem die Leistungen erbringenden Mitgliedstaat wohnten, wodurch wiederum verhindert werden solle, dass der EG-Erwerbstätige davon abgehalten werde, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (vgl. EuGH, Hoever/Zachow, Tz. 32, aaO), erschließt sich dem Senat nicht, inwiefern der in Deutschland erwerbstätige Elternteil gehindert sein könnte, von seinen Grundfreiheiten nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Gebrauch zu machen, wenn nicht auch seinem geschiedenen Ehegatten ein eigener Anspruch auf Kindergeld zugestanden wird.
c 3) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache „Slanina”.
Der EuGH hat in der Rechtssache „Slanina” - unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Rechtssache „Hoever/Zachow” - zum Fall einer geschiedenen, nicht erwerbstätigen Klägerin, die mit ihrem Kind von Österreich nach Griechenland gezogen war, während der Kindesvater weiterhin in Österreich wohnte und dort eine Beschäftigung ausübte, entschieden, die Klägerin behalte gemäß Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71 ihren Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe auch nach dem Wegzug nach Griechenland, obwohl der Kindesvater die Familienbeihilfe in seinem Wohnmitgliedstaat beziehen könnte (vgl. EuGH, Urteil vom 26. November 2009, C-363/08, Slanina, Slg. 2009, I-11111).
Allerdings lag auch dem Urteil des EuGH in der Rechtssache „Slanina” - ähnlich wie in der Rechtssache „Hoever/Zachow” - eine Situation zugrunde, in der nur einer der beiden Elternteile - nämlich die Kindesmutter - die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der österreichischen Familienbeihilfe erfüllte. Denn nach österreichischem Familienbeihilferecht besteht ein Anspruch auf Familienbeihilfe nur für diejenige Person, zu deren Haushalt das Kind gehört (§ 2 Abs. 1 Satz 1 FLAG), während im Kindergeldrecht die Anspruchsvoraussetzungen ausschließlich in den §§ 62, 63 EStG geregelt sind und die Haushaltsaufnahme lediglich für die Rangfolgeregelung des § 64 Abs. 2 und 3 EStG maßgeblich ist.
c 4) Ohnedies kann die in Zypern wohnhafte und vom Kläger geschiedene Kindesmutter nicht als Familienangehörige i.S. von Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 angesehen werden.
Nach Art. 1 Buchst. i) Nr. 1 Buchst. i) der VO (EG) Nr. 883/2004 richtet sich die Bestimmung des Begriffs „Familienangehöriger” für Zwecke der Verordnung vorrangig nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, nach denen die betreffenden Leistungen gewährt werden. Da in den maßgeblichen deutschen Rechtsvorschriften der Begriff des „Familienangehörigen” jedoch nicht definiert ist, kommt im Streitfall Art. 1 Buchst. i) Nr. 2 der VO (EG) Nr. 883/2004 zur Anwendung, wonach nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder, nicht jedoch der geschiedene Ehegatte, als Familienangehörige angesehen werden. Soweit der EuGH in der Rechtssache „Slanina” ausgeführt hat, es lasse sich nicht rechtfertigen, Familiensituationen nach einer Scheidung vom Anwendungsbereich der VO auszunehmen, ist diese zur VO (EG) Nr. 1408/71 ergangene Rechtsprechung des EuGH nicht auf die VO (EG) Nr. 883/2004 übertragbar. Der Senat schließt sich der entsprechenden Rechtsauffassung des Niedersächsischen FG an (vgl. Urteil vom 08. Dezember 2011, 16 K 291/11, in juris).
c 5) Soweit z.T. die Rechtsansicht vertreten wird, nach der sog. Familienbetrachtung in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der DVO (EG) Nr. 987/2009 sei zu fingieren, dass alle Familienangehörigen unter die deutschen Rechtsvorschriften fielen und demnach auch einen - den Anspruch des den deutschen Rechtsvorschriften unterliegenden Elternteils gegebenenfalls verdrängenden - Kindergeldanspruch erlangten (vgl. FG Bremen, Urteil vom 10. November 2011, 3 K 26/11, in juris), folgt der Senat dem nicht (a.A. wohl auch Reuß, EFG 2011, 1326; vgl. darüber hinaus Siegers, EFG 2012, 720). Ein eigener Anspruch des „Familienangehörigen” der den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats unterliegenden „Person” auf eine nach diesen Rechtsvorschriften vorgesehene Familienleistung ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 noch aus dem des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der DVO (EG) Nr. 987/2009. Soweit der EuGH in den Rechtssachen „Hoever/Zachow” und „Slanina” für bestimmte Ausnahmefälle einen eigenen Anspruch des Familienangehörigen aus dem Sinn und Zweck des Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71 (jetzt: Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004) hergeleitet hat, liegt eine solche Ausnahme im Streitfall nicht vor. Für die hier vertretene Rechtsauffassung spricht im Übrigen auch Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der DVO (EG) Nr. 987/2009, wonach ein Antrag des anderen Elternteils auf Familienleistungen erst dann zu berücksichtigen ist, wenn die „Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben,” dieses Recht nicht wahr nimmt.
d) Der Senat sieht gleichwohl von einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV ab. Denn es kann letztlich dahin stehen, ob dem geschiedenen Ehegatten einer nach den Vorschriften des EStG kindergeldberechtigten Person, der selbst nach den deutschen Kindergeldvorschriften nicht kindergeldberechtigt ist, gemäß Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 i.V. mit der Rechtsprechung des EuGH ein Anspruch auf deutsches Kindergeld zusteht. Selbst wenn ein solcher Anspruch bestünde, könnte das Kindergeld nur an den den Vorschriften des EStG unterliegenden und nach diesen Vorschriften kindergeld-berechtigten Elternteil ausgezahlt werden. Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht entnehmen, dass ein etwaiger eigener Anspruch des im EU-Ausland wohnhaften Elternteils nach Art. 67 der VO (EG) Nr. 883/2004 den Anspruch des anderen Elternteils auf die Familienleistung verdrängen könnte. Die Frage, wie eine „interne” Anspruchskonkurrenz im Falle mehrerer Anspruchsberechtigter aufzulösen ist, war durch den EuGH nicht zu klären und fällt auch nicht in den Regelungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004. Die Vorschriften der VO (EG) Nr. 883/2004 sollen die in den Mitgliedstaaten vorgesehenen Leistungen der sozialen Sicherheit aufeinander abstimmen und insbesondere festlegen, welche nationalen Rechtsvorschriften in grenzüberschreitenden Fällen zur Anwendung kommen. Darüber hinaus dienen sie dem Zweck, sekundärrechtlich zu gewährleisten, dass Unionsbürgern dadurch, dass sie von ihren Grundfreiheiten nach dem AEUV Gebrauch machen, keine Nachteile entstehen. In der VO (EG) Nr. 883/2004 ist hingegen nicht geregelt, welcher von mehreren Personen, denen ein Anspruch auf eine Familienleistung im zuständigen EU-Mitgliedstaat zusteht, diese Familienleistung auszuzahlen ist. Die Bestimmung einer Rangfolge für den Fall des Zusammentreffens mehrerer Ansprüche auf eine Leistung eines EU-Mitgliedstaats fällt vielmehr in die Regelungskompetenz des nationalen Gesetzgebers.
Für das deutsche Kindergeldrecht enthält § 64 Abs. 2 und 3 EStG eine solche Rangfolgeregelung, wonach das Kindergeld bei mehreren Berechtigten grundsätzlich demjenigen gezahlt wird, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Anspruchsberechtigt in diesem Sinne können nach Auffassung des Senats jedoch nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG bzw. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 - 4 BKGG erfüllen. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften. Die Auszahlung von Kindergeld an eine Person kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn diese unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 EStG) oder aber einen durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 - 4 BKGG geregelten besonderen Bezug zur deutschen Sozialrechtsordnung aufweist.
Hierfür spricht - neben den erwähnten systematischen Überlegungen - auch, dass das Kindergeld in erster Linie der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung dient (§ 31 Satz 1 EStG). Aus dieser gesetzlich ausdrücklich festgelegten Zielsetzung der Kindergeldgewährung erklärt sich die Anknüpfung der kindergeldrechtlichen Anspruchsberechtigung an die Steuerpflicht gemäß § 1 EStG (vgl. Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 62, Rz. A 6). Mit dem hiernach durch die kindergeldrechtlichen Bestimmungen vorrangig verfolgten Zweck der steuerlichen Entlastung wäre es nicht vereinbar, Personen Kindergeld zu gewähren, die - wie die Kindesmutter im Streitfall - mit ihren Einkünften nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen (so bereits FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. März 2011, 2 K 2248/10, EFG 2011, 1323; ebenso FG München, Urteil vom 27. Oktober 2011, 5 K 3245/10, in juris; vgl. auch BFH, Beschluss vom 14. November 2008, III B 17/08, BFH/NV 2009, 380; vom 22. Dezember 2008, III B 156/07, BFH/NV 2009, 580, wonach die Anknüpfung der Kindergeldberechtigung an die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht gegen Europarecht verstößt).
Entgegen der Ansicht des FG Bremen (vgl. Urteil vom 10. November 2011, aaO) steht die sog. Familienbetrachtung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) Nr. 987/2009 der hier vertretenen Sichtweise nicht entgegen. Denn Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) Nr. 987/2009, verhält sich nicht dazu, wie eine „interne” Anspruchskonkurrenz zwischen mehreren Berechtigten aufzulösen ist. Dies beurteilt sich allein nach § 64 Abs. 2 und 3 EStG i.V. mit § 62 Abs. 1 EStG, für deren Durchführung Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) Nr. 987/2009 jedoch nicht maßgeblich ist.
Im Übrigen erwächst dem Kind, dem das Kindergeld letztlich zugute kommen soll, mit der Auszahlung des Kindergeldes an den in Deutschland wohnhaften Elternteil auch kein Nachteil. Sollte dieser seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nachkommen, kann das Kind die Abzweigung des Kindergeldes verlangen (§ 74 Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Abzweigungsanspruch ist nicht davon abhängig, dass das Kind in Deutschland wohnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit mit Abwendungsbefugnis auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordern (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).