17.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131374
Finanzgericht Köln: Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 930/09
Ein nach Deutschland entsandter polnischer Arbeitnehmer, der für die Streitjahre einen Antrag auf Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtiger Grenzpendler gem. § 1 Abs. 3 EStG gestellt hat, hat für die Monate seines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland einen Anspruch auf Differenzkindergeld über das polnische Kindergeld hinaus.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 15. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … ehrenamtliche Richterin … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 30.01.2013 für Recht erkannt:
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger für die Veranlagungszeiträume 2004, 2005 und 2006 Kindergeld für sein am …. Januar 1996 geborenes eheliches Kind A zusteht.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger, der in der Zeit vom 6. Dezember 2004 bis 30. November 2005 und in der Zeit vom 8. März 2006 bis 30. August 2006 im Auftrag einer polnischen Arbeitgeberin in Deutschland arbeitete. Einen weiteren Unternehmenssitz unterhielt die Arbeitgeberin – die B AG – in der C-Straße …, D. In dem vorgenannten Entsendungszeitraum, wohnte der in Polen weiterhin sozialversicherte Kläger in Deutschland (E). Auf die entsprechende Bescheinigung des Arbeitgebers wird Bezug genommen (Bl. 5 und 6 der Kindergeldakte). Für den Veranlagungszeitraum 2005 erließ das Finanzamt F im Jahr 2007 einen Einkommensteuerbescheid, mit dem der Kläger und seine Ehefrau als unbeschränkt steuerpflichtig zusammen veranlagt wurden. Für den Veranlagungszeitraum 2004 und 2006 hat der Kläger keine Einkommensteuerbescheide vorgelegt. Für den Veranlagungszeitraum 2006 existiert eine an die inländische Adresse des Klägers adressierte besondere Lohnsteuerbescheinigung der B SA, ausgestellt an ihrem inländischen Unternehmenssitz. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Unterlagen verwiesen (Bl. 8-10 der Kindergeldakte).
Ausweislich des Formulars „E 411 PL” erhielt der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 und 1. März 2006 bis 31. August 2006 in Polen Familienleistungen in Höhe von insgesamt 821 Zloty. Auf das entsprechende Formular wird Bezug genommen (Bl. 36-41 der Kindergeldakte). Ausweislich einer weiteren Bescheinigung E 411 PL erhielt der Kläger in der Zeit vom 1. Dezember 2004 bis 31. August 2006 Familienleistungen i.H.v. 1083 Zloty (Bl. 59, 60 der Prozessakte).
Mit Bescheid vom 23. Juli 2008 lehnte die Beklagte die vom Kläger beantragte Festsetzung von Kindergeld für sein Kind A ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2008 (einem Donnerstag) als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dem Kläger stehe ein Kindergeldanspruch nicht zu, weil er den polnischen Vorschriften über die Gewährung von Familienleistungen unterliege.
Am 13. November 2008 beantragte der Kläger unter Beifügung der Erklärung nach § 117 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung – ZPO – die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Fortführung seines Begehrens im Klageverfahren.
Nachdem der 14. Senat des Finanzgerichts Köln den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 4. März 2009 14 K 3924/08, den Rechtsanwälten G, H und I am 5. März 2009 per Fax zugesandt, aus sachlichen Gründen abgelehnt hatte, hat der Kläger am 20. März 2009 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zum Wiedereinsetzungsantrag trägt der Kläger vor, erst mit der Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag sei das Klagehindernis weggefallen.
In der Sache selbst trägt der Kläger vor, er erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes – EStG –, weil er auf seinen Antrag hin als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG behandelt worden sei. Außerdem habe er sich im Rahmen seiner entsandten Tätigkeit ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten, so dass nach der Vermutung des § 9 S. 2 der Abgabenordnung – AO – von einem inländischen gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen sei. Die Beklagte gehe zu Recht davon aus, dass die Verordnung (EWG) 1408/71 auf ihn anwendbar sei. Fehlerhaft sei jedoch die Annahme der Beklagten, dass es für das Bestehen eines Kindergeldanspruches darauf ankomme, in welchem Mitgliedstaat der Betroffene der Sozialversicherungspflicht unterliege. In der Rechtssache Bosmann habe der Europäische Gerichtshof – EuGH – diese Auslegung für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Nach der Entscheidung des EuGH sei allein darauf abzustellen, ob die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialleistungen erfüllt seien.
Der Ausschlusstatbestand des § 65 EStG, auf den sich die Beklagte stütze, komme im Streitfall nicht zur Anwendung. Die gegenteilige Auffassung würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass eine zunächst gemeinschaftsrechtlich verbindliche Kollisionsregelung aufgrund einer mitgliedstaatlichen Regelung wieder dahingehend geändert werden würde, dass ein der gemeinschaftsrechtlichen Regelung entgegenstehendes Ergebnis erzielt werde. Das ergebe sich bereits aus dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs III R 92/07 und aus der nachfolgenden Entscheidung des EuGH vom 12. Juni 2012 C-611/10 und C-612/10.
Im Übrigen habe ein vollständiger Ausschluss des Kindergeldes wegen des Bezugs von Familienleistungen in einem anderen Mitgliedsstaat die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift zur Folge, weil insoweit ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliege. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 4. August 2011 verwiesen (Blatt 79 ff. der Prozessakte)
Nach § 66 Abs. 2 EStG habe er im Übrigen einen Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Zeitraum, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien und nicht allein für den Zeitraum seiner Beschäftigung im Inland. Da er seinen Anspruch auf eine antragsgemäße Veranlagung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Person stütze, bestehe der Anspruch auf Kindergeld für jedes volle Kalenderjahr, in dem die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG vorgelegen hätten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den Kläger niemand erschienen. Der
Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 23. Juli 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2008 zu verpflichten, ihm für die Veranlagungszeiträume 2004-2006 Kindergeld i.H.v. 5544 EUR (36 × 154 EUR) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie über das erklärte Teilanerkenntnis hinausgehe,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte hat zunächst die Auffassung vertreten, dass dem Kläger kein Anspruch auf deutsches Kindergeld zustehe, weil er in der Zeit vom 6. Dezember 2004 bis zum 31. November 2005 und vom 1. März 2006 bis zum 31. August 2006 entsandter Arbeitnehmer im Sinne der VO (EWG) 1408/71 gewesen sei, der zugleich in Polen Familienleistungen bezogen habe.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter erklärt, dass sich die für die Familienkasse maßgebliche Weisungslage im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 12. Juni 2012 C-611/10 und C-612/10 geändert habe. Aufgrund der neuen Weisungslage sei es ihm möglich, den Kläger hinsichtlich eines Differenzkindergeldes klaglos zu stellen. Der vom Gericht ermittelte Umrechnungskurs für das in Polen gewährte Kindergeld in Höhe von 43 polnischen Zloty (10,96 EUR) sei dabei nicht zu beanstanden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2013 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Dem Kläger ist wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 58 der Finanzgerichtsordnung – FGO – zu gewähren.
Im finanzgerichtlichen Prozess ist es möglich, innerhalb der Klagefrist lediglich einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag zu stellen, ohne hierdurch einen endgültigen Rechtsverlust durch die eintretende Bestandskraft der anzufechtenden Behördenentscheidung zu erleiden. Denn ein mittelloser Beteiligter, der eine Klage ankündigt, hat Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn er sein Prozesskostenhilfegesuch innerhalb der Klagefrist zusammen mit der Erklärung i.S.d. § 117 Abs. 2 bis 4 ZPO bei Gericht vorgelegt hat (FG Düsseldorf, Urteil vom 6. August 2007 18 Ko 2303/07 GK, EFG 2008, 78 mit Verweis auf BFH, Beschlüsse vom 19. November 1985 VII B 103/85, BFH/NV 1986, 180 und vom 3. April 1987 VI B 150/85, BFHE 149, 409, BStBl II 1987, 573, jeweils unter Hinweis auf die ständige Rspr. der obersten Gerichtshöfe des Bundes; Brandis in Tipke/ Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 142 FGO Tz. 7, 15 ff.; Gräber/Ruban, 5. Aufl. 2002, § 142 FGO Rz. 20, 21) und wenn er nach Gewährung der PKH bis zum Ablauf der 2-wöchigen Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO, die ab Zustellung der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag läuft, per Post oder per Telefax die versäumte Handlung vornimmt (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO), d.h. die unterzeichnete Klageschrift bei Gericht einreicht (so FG Münster Beschluss vom 17. August 2006 14 S 1430/06 PKH, EFG 2006, 1688 mit Anm. Morsbach, EFG 2006, 1689).
Diese Voraussetzungen liegen ausweislich des Prozesskostenhilfebeschlusses des FG Köln vom 4. März 2009 14 K 3924/08 und der Daten über die Klageerhebung vor. Da auch die Beklagte gegen die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Einwände erhoben hat, sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab.
Die Klage ist teilweise begründet.
Der angefochtene Ablehnungsbescheid vom 23. Juli 2008 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig, weil dem Kläger für die Monate seines Aufenthalts in Deutschland vom Dezember 2004 bis einschließlich November 2005 und März 2006 bis einschließlich August 2006 Kindergeld unter Anrechnung der in Polen gewährten, dem deutschen Kindergeld vergleichbaren Familienleistungen zusteht.
Der Kläger hat in den Entsendemonaten Dezember 2004 bis einschließlich November 2005 und März 2006 bis einschließlich August 2006 nach den nationalen Rechtsvorschriften (§§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes – EStG –) einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld.
Für Kinder im Sinne des § 63 hat nach § 62 Abs. 1 EStG (u.a.) derjenige Anspruch auf Kindergeld, der im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
In den Entsendemonaten erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, weil er nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Beteiligten, dessen Richtigkeit vom Senat nicht in Zweifel gezogen wird, während dieser 18 Monaten in Deutschland wohnte und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Der sich hieraus ergebenden Anspruchsberechtigung stehen nicht die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 entgegen.
Der Kläger unterliegt als entsandter Arbeitnehmer i.S.d. Art. 14 VO (EWG) 1408/71 dem Regelwerk dieser Verordnung. Die Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) 1408/71 bezwecken nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (EuGH-Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365). Das entspricht auch der Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 110, 412).
Gleichwohl hat der EuGH mit Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10 und C-612/10, ABl EU 2012, Nr C 227, 4 (nur Leitsatz); DStRE 2012, 999-1007 (red. Leitsatz und Gründe), zu Art. 14 Nr. 1a und Art. 14a Nr. 1a der VO (EWG) 1408/71 entschieden, dass diese Vorschriften es einem Mitgliedstaat, der hiernach nicht als zuständiger Staat bestimmt ist, nicht verwehren, nach seinem nationalen Recht einem Wanderarbeitnehmer, der in seinem Hoheitsgebiet vorübergehend eine Arbeit ausführt, auch dann Leistungen für Kinder zu gewähren, wenn erstens festgestellt wird, dass der betreffende Erwerbstätige durch die Wahrnehmung seines Rechts auf Freizügigkeit keinen Rechtsnachteil erlitten hat, da er seinen Anspruch auf gleichartige Familienleistungen im zuständigen Mitgliedstaat behalten hat, und zweitens, dass weder dieser Erwerbstätige noch das Kind, für das diese Leistung beansprucht wird, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Mitgliedstaats haben, in dem die vorübergehende Arbeit ausgeführt wurde.
Der EuGH führt hierzu aus, dass das Primärrecht der Union einem Versicherten zwar nicht garantiere, dass ein Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist, so dass die Anwendung einer nationalen Regelung – gegebenenfalls aufgrund der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 –, die in Bezug auf Leistungen der sozialen Sicherheit weniger günstig ist, grundsätzlich mit den Anforderungen des Primärrechts der Union auf dem Gebiet der Personenfreizügigkeit vereinbar sein kann (EuGH, a.a.O, Seite 9, Textziffer 43 der Juris-Dokumentation).
Dass die deutschen Behörden nach dem Unionsrecht nicht verpflichtet sind, das in Rede stehende Kindergeld zu gewähren, schließt nach den weiteren Ausführungen des EuGH allerdings die Möglichkeit einer solchen Gewährung nicht aus. Insoweit seien die Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 1408/71 im Lichte des Art. 48 AEUV auszulegen, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern solle und u. a. impliziere, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürften, weil sie das ihnen vom Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben (EuGH, a.a.O., mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 20. Mai 2008, Bosmann, (C-352/06, Slg. 2008, I-3827, Rn. 29 ff.).
Nach der Rechtsauffassung des Senates gilt diese Rechtslage auch und erst Recht für Wanderarbeitnehmer, die während des Entsendezeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, weil solche Personen alle Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfüllen. Der Senat sieht sich bei dieser Auslegung im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der bei der europarechtlichen Betrachtung den Umstand, dass der Berechtigte Leistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften allein aufgrund seiner unbeschränkten Steuerpflicht in Anspruch nehmen kann, ebenfalls für bedeutsam hält (vgl. EuGH, C-611/10, 612/10, a.a.O., Tenor zu 1. und Ziffer 68 der Juris-Dokumentation).
Beim Kläger liegen diese Voraussetzungen für die Streitzeiträume Dezember 2004 bis November 2005 und März 2006 bis August 2006 vor, weil er aufgrund seines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war.
Dem (teilweisen) Kindergeldanspruch steht § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht entgegen.
Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld oder einer in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Leistung vergleichbar sind. Die Leistungsgewährung im Ausland muss rechtmäßig erfolgen. Das ergibt sich aus der Formulierung des Gesetzes, das den Ausschluss eines inländischen Kindergeldanspruchs schon bei Bestehen eines vergleichbaren ausländischen Anspruchs zeigt („oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären”),
Im Streitfall sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt. Der Kläger hat in den Entsendemonaten von den polnischen Behörden monatlich 43 Zloty Kindergeld erhalten. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, dass der Kläger diese Leistungen zu Unrecht bezogen hat, so dass ein Kindergeldanspruch des Klägers bei isolierter Betrachtung des nationalen Rechts ausgeschlossen wäre.
Allerdings hat der EuGH mit dem oben aufgeführten Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10 und C-612/10, a.a.O., entschieden, dass die Bestimmungen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dahin auszulegen sind, dass sie in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift wie § 65 des Einkommensteuergesetzes entgegenstehen, soweit diese nicht zu einer Kürzung des Betrags der Leistung um die Höhe des Betrags einer in einem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung, sondern zum Ausschluss der Leistung führt.
Das führt nach Auffassung des Senates dazu, dass § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG den Kindergeldanspruch des Klägers um die in Polen erhaltenen, dem inländischen Kindergeld vergleichbaren Leistungen mindert.
Denn die Anrechnung des ausländischen Kindergeldes steht nach der o.g. Rechtsprechung des EuGH mit dem primären Europarecht in Einklang, so dass § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nach Auffassung des erkennenden Senats geltungserhaltend dahingehend zu reduzieren, dass das deutsche Kindergeld um die im Ausland erhaltenen Familienleistungen zu kürzen ist (zur geltungserhaltenden Reduktion vgl. BFH-Urteil vom 05. Mai 2010 I R 105/08, BFH/NV 2010, 2043). Bei der Berechnung des Kürzungsbetrages sind nur die monatlich gezahlten Familienbeihilfen in Höhe von 43 polnischen Zloty zu berücksichtigen. Die einmalig im September 2005 und 2006 gezahlten Beträge in Höhe von 90 polnischen Zloty sind dem deutschen Kindergeld nicht vergleichbar. Dem steht nicht entgegen, dass der Charakter dieser Leistungen letztlich nicht geklärt werden konnte. Denn es handelt sich um Einmalleistungen und solche sind in der Anlage zu § 65 EStG der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes – DA-FamEStG – als vergleichbare Leistungen nicht ausgewiesen.
Hinsichtlich der Höhe des vom Gericht ermittelten Umrechnungsbetrages besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, so dass dem Kläger für die Entsendungsmonate Kindergeld in Höhe von 143,04 EUR zusteht. Die weitergehende Klage auf Zahlung von Kindergeld in Höhe von 154 EUR ist hinsichtlich des Differenzbetrages abzuweisen.
Die Klage ist (ebenfalls) unbegründet, soweit der Kläger Kindergeld auch für die Monate des Streitzeitraums begehrt, in denen er nicht in Deutschland als entsandter Arbeitnehmer tätig war.
Zu Unrecht beruft sich der Kläger insoweit auf eine Veranlagung als unbeschränkt Steuerpflichtiger nach § 1 Abs. 3 EStG. Eine unbeschränkte Steuerpflicht kommt nach dieser Vorschrift nur dann in Betracht, wenn der Kläger im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt und darüber hinaus in dieser Zeit inländische Einkünfte i.S.d. § 1 Abs. 3 EStG erzielt hat. Beides ist vorliegend nicht der Fall.
Darüber hinaus hat der Kläger trotz entsprechender Aufforderung durch das Gericht nicht nachgewiesen, dass er in den Veranlagungszeiträumen nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt worden ist (vgl. zu diesem Erfordernis: BFH-Urteil vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BStBl II 2012, 897). Für die Veranlagungszeiträume 2004 und 2005 fehlen Steuerklärungen und Steuerbescheide. Für den Veranlagungszeitraum 2006 liegt ein Steuerbescheid vor, dem jedoch nicht anzusehen ist, ob er auf einer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 oder einer solchen nach § 1 Abs. 3 EStG beruht.
Aber selbst wenn ein solcher Nachweis geführt worden wäre, stünde dem Kläger auch bei einer Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG nur für die Monate Kindergeld zu, in denen er inländische Einkünfte erzielt hat (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 2012 V R 43/11, noch nicht veröffentlicht, BFH-Homepage). Das sind die Monate, für die dem Kläger mit diesem Urteil Differenzkindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 143,04 zugesprochen wird. Ein volles Kindergeld (ohne Anrechnung der polnischen Familienleistungen) hätte dem Kläger auch bei einer Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG für diese Monate nicht zugesprochen werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision war zuzulassen, weil die Frage, welche Auswirkungen sich aus dem Urteil des EuGH vom 12. Juni 2012 C-611/10 und 612/10 auf das nationale Recht ergeben von grundsätzlicher Bedeutung ist und eine höchstrichterliche Entscheidung erfordert.