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  • 17.04.2013

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 11.12.2012 – 1 K 4165/09

    1) Die Ermittlung der Welteinkünfte im Rahmen der Beurteilung der Wesentlichkeitsgrenzen nach § 1 Abs. 3 EStG erfolgt nach deutschem Recht.

    2) Nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, bleiben unberücksichtigt, soweit vergleichbare Einkünfte auch im Inland steuerfrei sind.

    3) Nach diesen Maßstäben bleiben niederländische Verluste aus einer in den Niederlanden eigengenutzten Wohnung unberücksichtigt, während niederländisches Arbeitslosengeld in die Berechnung einzubeziehen ist.

    4) Diese Ermittlungsmethode ist europarechtskonform.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 1. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 11.12.2012 für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Die Kläger sind deutsche Staatsangehörige. Sie wohnen in den Niederlanden und begehren, als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden und als Ehegatten gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt zu werden.

    Der Kläger bezog in den Streitjahren 2005 und 2006 Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit in Deutschland. Die Klägerin bezog Einkünfte in den Niederlanden. Streitig dabei sind Einkünfte aus niederländischem Arbeitslosengeld und negative Einkünfte aus selbstgenutztem Wohnraum. Hinsichtlich der genauen Höhe wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 23.11.2009 Bl. 4 und 5 der Akte verwiesen.

    In den Einkommensteuererklärungen der Kläger setzten diese die niederländischen Einkünfte mit weniger als 10 % der Gesamteinkünfte an, weil sie das niederländische Arbeitslosengeld, das in den Niederlanden der Einkommensteuer unterliegt, nicht in die Berechnung einbezogen, die negativen Einkünfte aus dem selbstgenutzten Wohnraum dagegen mitberücksichtigten.

    Mit Bescheiden vom 16.1.2007 und 18.4.2008 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger ab. Mit ablehnender Einspruchsentscheidung vom 23.11.2009 führte der Beklagte aus: Das niederländische Arbeitslosengeld sei in die Berechnung nach § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) einzubeziehen, da es nach dem deutschen Einkommensteuerrecht einkommensteuerpflichtig sei (§ 1 Abs. 3 S. 2 EStG), weil es nicht nach deutschem Sozialrecht gezahlt werde (siehe § 3 Nr. 2 EStG), aber auch nach § 1 Abs. 3 S. 4 EStG nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, da es in den Niederlanden besteuert werde. Umgekehrt dürften die Verluste aus selbstgenutzter Wohnung nicht in die Berechnung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG einbezogen werden, weil es sich insoweit nach deutschem Steuerrecht nicht um (negative) Einkünfte handele.

    Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage vom 23.12.2009. Die Kläger tragen vor: Nach dem Urteil des EuGH in Sachen „Meindl” sei das niederländische Arbeitslosengeld der Klägerin nicht zu berücksichtigen, da es in Deutschland steuerfrei sei, mindestens sei aber die niederländische Lohnsteuer von der Berechnung auszunehmen. Verfassungsrechtlich sei der absolute Mindestbetrag in § 1 Abs. 3 S. 2 EStG; er sollte schon in den Streitjahren dem Grundfreibetrag des § 32 a EStG entsprechen. Schließlich sei es widersprüchlich, das niederländische Arbeitslosengeld nach niederländischem Recht als steuerpflichtig zu behandeln, den Verlust aus eigengenutzter Wohnung, der nach niederländischem Recht berücksichtigt werde, aber von der Berechnung auszuschließen.

    Die Kläger beantragen,

    die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre 2005 und 2006 dahin zu ändern, dass die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er wiederholt und vertieft die Gründe seiner Einspruchsentscheidung.

    Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 EStG, da sie nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und auch nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden können, was ihnen nach § 1 a Abs. 1 Nr. 2 EStG die Zusammenveranlagung eröffnen würde. Sie erfüllen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG nicht.

    Eine Zusammenveranlagung ist danach nur möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen (so genannte relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 12.272 EUR nicht übersteigen (so genannte absolute Wesentlichkeitsgrenze).

    Die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, bei denen dies nicht der Fall ist, aufzuteilen.

    Bei der Ermittlung der Welteinkünfte sind sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, ob sie im In- oder im Ausland erzielt wurden, nach deutschem Recht zu ermitteln. § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG enthält keine spezielle Regelung, wie die Einkünfte zu ermitteln sind, so dass der Begriff der Einkünfte dem deutschen Einkommensteuerrecht zu entnehmen ist. Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG allerdings nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 S. 4 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20.12.2007, Bundesgesetzblatt I 2007, 3150). Diese Regelung gilt auch für Veranlagungszeiträume vor 2008, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind.

    Siehe zu diesen Grundsätzen das BFH-Urteil vom 20.8.2008 I R 78/07, BStBl II 2009,708 mit den Nachweisen der ständigen Rechtsprechung.

    Die Kläger erfüllen danach die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG nicht, da sowohl die relative als auch die absolute Wesentlichkeitsgrenze der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte, nämlich der in den Niederlanden erzielten Einkünfte überschritten wird. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen der Einspruchsentscheidung verwiesen. Insbesondere ließ der Beklagte bei der Ermittlung der Welteinkünfte (erste Stufe) zu Recht die Verluste der Klägerin aus eigengenutzter Wohnung unberücksichtigt, weil die Selbstnutzung der Wohnung nach dem maßgeblichen deutschen Einkommensteuerrecht nicht in den Bereich der Einkünfte fällt. Zu Recht bezog der Beklagte andererseits das niederländische Arbeitslosengeld sehr wohl in die Berechnung mit ein, da es nach deutschem Einkommensteuerrecht nicht steuerfrei ist, es wird nämlich nicht nach dem deutschen Sozialrecht gewährt (siehe § 3 Nr. 2 EStG). Es ist auch nicht nach § 1 Abs. 4 EStG von der Berechnung auszunehmen, da diese Vorschrift – die in Umsetzung des EuGH-Urteils „Meindl” (EuGHE I 2007, 1107) eingeführt wurde – nur solche Einkünfte ausnimmt, die im Ausland steuerfrei sind und deren deutsche Entsprechungen auch nach deutschem Einkommensteuerrecht steuerfrei wären. Der Grund für die Nichtberücksichtigung solcher Einkünfte ist, dass der ausländische Staat an solche Einkünfte keine steuerlichen Vergünstigungen knüpfen kann und dies auch nach deutscher steuerrechtlicher Auffassung nicht können würde. Das niederländische Arbeitslosengeld ist aber in den Niederlanden steuerpflichtig, so dass der niederländische Staat bezogen auf diese Einkünfte steuerrechtliche Vergünstigungen gewähren kann. Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch der Bruttobetrag des Arbeitslosengeldes anzusetzen, da Einkünfte nach deutschem Recht die auf sie entfallende Einkommensteuer mitumfassen. Gerade der Einkommensteueranteil erlaubt ja dem niederländischen Staat, die persönlichen Verhältnisse der Kläger nach Maßgabe seines Steuerrechts zu berücksichtigen.

    Gegen die Höhe der absoluten Mindestgrenze hat der Senat keine durchgreifenden Bedenken. Sie liegt im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens.

    Das Ergebnis ist auch in europarechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Es verletzt nicht die in Art. 39 EG (heute Art. 45 a EUVO) verbriefte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dass die Kläger nicht in gleichem Maße begünstigt werden wie in Deutschland ansässige Steuerpflichtige stellt keine europarechtswidrige Diskriminierung dar, da die Situation von im Inland lebenden Steuerpflichtigen mit der von im Ausland lebenden nicht vergleichbar ist.

    Siehe dazu die Ausführungen im zitierten BFH-Urteil vom 20.8.2008 mit den Nachweisen der EuGH Rechtsprechung, denen der Senat sich anschließt.

    Maßgeblich ist danach allein, ob der Ansässigkeitsstaat, hier die Niederlande, den persönlichen Verhältnissen der Ehegatten Rechnung tragen kann, was bei Überschreiten der Wesentlichkeitsgrenzen von Gesetzes wegen anzunehmen ist. Ob die im Ansässigkeitsstaat erzielten aufgrund Doppelbesteuerungsabkommen nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte im Ansässigkeitsstaat tatsächlich zu einer Besteuerung führen ist dagegen unerheblich.

    Siehe Urteil des FG Köln vom 20.4.2012 4 K 1943/09, EFG 2012, 1677.

    Wenn, wie vorliegend aufgrund der Anerkennung von Verlusten aus eigengenutzter Wohnung, der Ansässigkeitsstaat steuerliche Vorteile gewährt, die das deutsche Steuerrecht nicht kennt, so kann dies nicht dazu führen, dass der deutsche Staat seinerseits zusätzliche Vergünstigungen, die sich aus § 1 Abs. 3 EStG ergeben würden, gewähren müsste.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat lässt die Revision zu, da er der Frage der Berücksichtigung des niederländischen Arbeitslosengeldes sowie der Frage, inwieweit die tatsächliche Besteuerung der Einkünfte in den Niederlanden maßgeblich sein kann, grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO beimisst.

    VorschriftenEStG § 1 Abs 3, EStG § 1a Abs 1 Nr 2, EG Art 39, EStG § 26