Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 29.08.2013

    Finanzgericht Köln: Beschluss vom 04.07.2013 – 11 V 1596/13

    1) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob im Rahmen der Prüfung der Einkunftsgrenzen nach § 1 Abs. 3 EStG auf einer ersten Stufe
    feststehen muss, dass der Antragsteller in seiner Person ohne die Berücksichtigung der Einkünfte des Ehegatten und ohne Verdopplung
    des Grundfreibetrags die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht erfüllt.


    2) Der Wortlaut der Vorschriften, der Zweck des § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG und europarechtliche Erwägungen könnten dafür sprechen,
    schon bei der Prüfung der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG die „erweiterten” Höchstbeträge nach §
    1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG zur Anwendung zu bringen, soweit der Steuerpflichtige eine Zusammenveranlagung wählt.


    BESCHLUSS

    In dem Rechtsstreit


    hat der 11. Senat in der Besetzung: Vorsitzende Richterin am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht
    … am 04.07.2013 beschlossen:


    Gründe

    I.

    Der Antragsteller ist niederländischer Staatsangehöriger und lebt mit seiner Ehefrau, die ebenfalls niederländische Staatsangehörige
    ist, in den Niederlanden.


    Er erzielte im Kalenderjahr 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführer der Firma A GmbH in Deutschland
    in Höhe von 83.056 EUR. Ferner erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in den Niederlanden in Höhe von 15.000
    EUR. Seine Ehefrau hatte keine eigenen Einkünfte. Eine entsprechende Bescheinigung EU/EWR der ausländischen Steuerbehörde
    legte der Antragsteller vor (Bl. 10 GA).


    Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 beantragten der Antragsteller und seine Ehefrau als unbeschränkt
    einkommensteuerpflichtig behandelt zu werden und insbesondere die Zusammenveranlagung.


    Mit Einkommensteuerbescheid vom 05.04.2013 lehnte der Antragsgegner die Zusammenveranlagung ab und führte eine Einzelveranlagung
    für beschränkt Steuerpflichtige durch. In den Erläuterungen gab das Finanzamt folgende Begründung:


    „Für den Veranlagungszeitraum 2011 kommt eine Zusammenveranlagung nach § 1 Abs. 3 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht in Betracht,
    da der Ehemann nicht die Einkommensgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG erfüllt. (Die Einkünfte des Ehemannes unterliegen nicht
    mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer und die ausländischen Einkünfte sind höher als 8.004 EUR).”


    Hiergegen erhob der Antragsteller Einspruch und stellte zugleich einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.

    Mit Schreiben vom 11.04.2013 lehnte das Finanzamt den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Zur Begründung wies der Antragsgegner
    darauf hin, dass weder der Antragsteller noch seine Ehefrau unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG seien.
    Wegen der weiteren Begründung wird auf das Schreiben des Finanzamtes vom 11.04.2013 verwiesen. Mit Schreiben vom 11.04.2013
    beantragte der Antragsteller erneut die Aussetzung der Vollziehung beim Finanzamt, die mit Verfügung vom 17.05.2013 abgelehnt
    wurde.


    Über den Einspruch ist noch nicht entschieden worden.

    Nunmehr beantragt der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz durch das Gericht. Zur Begründung vertritt er die Ansicht, dass
    bei der Prüfung des § 1 Abs. 3 EStG auf die Einkunftsgrenzen des § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG abzustellen sei (Küster in
    Korn, § 1a EStG).


    Der Antragsteller beantragt,

    die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids vom 05.04.2013 bis zu einer Entscheidung der Hauptsache ohne Sicherheitsleistung
    auszusetzen.


    Der Antragsgegner beantragt,

    den Antrag abzuweisen.

    Für die Anwendung der Regelungen zur unbeschränkten Steuerpflicht auf Antrag gemäß § 1 Abs. 3 EStG und der Möglichkeit der
    Zusammenveranlagung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG sei eine zweistufige Prüfungsreihenfolge einzuhalten.


    Eingangsvoraussetzung sei, dass einer der Ehegatten mit seinen Einkünften die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG selbst
    erfüllt. In einem zweiten Schritt sei für die Berechtigung der Zusammenveranlagung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG die Einhaltung
    der Grenze des § 1 Abs. 3 Satz 2 anhand des verdoppelten Grundfreibetrags unter Berücksichtigung der gemeinsamen Einkünfte
    der Ehegatten zu prüfen.


    Erst wenn beide Voraussetzungen erfüllt seien, komme eine Zusammenveranlagung in Betracht.

    Bislang sei zwar in Nordrhein-Westfalen die Auffassung vertreten worden, auf die sich der Antragsteller auch berufe, dass
    es bereits bei der Berechnung der Einkommensgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG zu einer Berücksichtigung der Einkünfte beider Ehegatten
    unter Berücksichtigung des verdoppelten Grundfreibetrages komme. An dieser Rechtsauffassung werde aber nicht mehr festgehalten.
    Vielmehr gelte nunmehr die bundeseinheitliche Regelung, die zur zweistufigen Prüfung führe. Vorsorglich werde darauf hingewiesen,
    dass eine pauschale Vertrauensschutzregelung nicht in Betracht komme, da allgemeine Verwaltungsvorschriften und damit auch
    eine allgemeine Verwaltungspraxis für sich genommen keinen Vertrauensschutz schaffen würden. Insbesondere bei Veranlagungssteuern
    bedeute die unterschiedliche Behandlung eines gleichartigen Sachverhalts in verschiedenen Veranlagungszeiträumen auch bei
    einem früheren nachhaltigen Verhalten weder einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz noch einen Verstoß gegen Treu und Glauben.


    II.

    Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids, soweit der Antragsgegner
    die beantragte Zusammenveranlagung abgelehnt hat.


    Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts
    neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit
    in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10.02.1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl. III 1967,
    182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen.
    Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall
    die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 19.05.2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl. II 2011, 156; vom 26.08.2010
    I B 85/10, BFH/NV 2011, 220).


    Legt man diesen Maßstab zugrunde, so bestehen im Rahmen der gebotenen summarischen Überprüfung ernstliche Zweifel an der von
    dem Beklagten vorgenommenen Auslegung des § 1 Abs. 3 EStG i.V.m § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG.


    Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m.
    § 26b) EStG zusammen veranlagt werden, wenn nur einer von ihnen die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht
    nach § 1 Abs. 1 EStG oder der „fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht” nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllt. Voraussetzung
    ist zum einen, dass der unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatte Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union
    (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist und der andere Ehegatte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
    im EU/EWR-Ausland hat. Zum anderen sind die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu beachten.


    Im Streitfall hat die Ehefrau des Antragstellers ihren Wohnsitz in den Niederlanden. Weitere Vorrausetzung ist, dass der Antragsteller
    unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Da er weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat,
    kann lediglich die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG in Betracht kommen.


    Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG werden auf Antrag auch natürliche Personen, die im Inland weder ihren Wohnsitz noch gewöhnlichen
    Aufenthalt haben, als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49
    EStG haben. Dies gilt jedoch nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen
    Einkommensteuer (sog. relative Wesentlichkeitsgrenze) unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden
    Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 nicht übersteigen (sog. absolute Wesentlichkeitsgrenze). Gemäß
    § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG ist die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung
    der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachzuweisen.


    Im vorliegenden Fall liegt eine Bescheinigung der ausländischen Behörde vor, dass die nicht der deutschen Einkommensteuer
    unterliegenden Einkünfte 15.000 EUR betragen. Da die inländischen Einkünfte 83.056 EUR betragen, unterliegen die Einkünfte
    nicht zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer. Stellt man weiterhin nur auf den Antragsteller ab, so übersteigen
    die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte von 15.000 EUR den auf ihn im Jahr 2011 entfallenden Grundfreibetrag
    von 8.004 EUR.


    Zweifelhaft ist aber, ob die sogenannten Wesentlichkeitsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG im Streitfall Anwendung finden
    oder die erweiterten nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG. Gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG ist bei der Anwendung des § 1
    Abs. 3 EStG auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln. Würde im vorliegenden Fall
    der Grundfreibetrag verdoppelt, so könnte der Antragsteller als unbeschränkt steuerpflichtig angesehen werden mit der Folge
    einer Zusammenveranlagung, da die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den doppelten Grundfreibetrag
    (16.008 EUR) nicht übersteigen.


    Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist Voraussetzung für eine Zusammenveranlagung, dass zunächst einer der Ehegatten mit
    seinen Einkünften die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG selbst erfüllt, ohne dass auf § 1 a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG abzustellen
    ist (zweistufige Prüfung).


    Für die Ansicht der Finanzverwaltung könnte das Urteil des BFH vom 08.09.2010 (I R 28/10, BFHE 231, 105, BStBl II 2011, 269)
    sprechen. In diesem Urteil führt der BFH aus, dass § 1a EStG die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG nicht anordnet, sondern sie
    voraussetzt. Dies scheint die Finanzverwaltung auch zum Anlass genommen zu haben, die EStR zu ändern. Gemäß EStÄR 2012 R1
    Satz 3 ist für die Anwendung des § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG Voraussetzung, „dass der Steuerpflichtige selbst als unbeschränkt
    steuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG zu behandeln ist; die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 und des § 1a Abs. 1 Nr.
    2 Satz 3 EStG sind daher nacheinander gesondert zu prüfen.” Auch das Land NRW hat mittlerweile seine bisher vertretene Auffassung
    aufgegeben, dass es bereits bei der Berechnung der Einkommensgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG zu einer Berücksichtigung der Einkünfte
    beider Ehegatten unter Berücksichtigung des verdoppelten Grundfreibetrages kommt (s. Vfg. OFD Rheinland vom 28.02.2012 S 2104
    – St 152 (09/2007); vgl. Rundvfg. OFD Frankfurt am Main vom 27.02.2012 S 2303 A-23-St 56: „Die Prüfung der Voraussetzungen
    für eine Zusammenveranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 hat nach dem Wortlaut der Vorschrift zweistufig
    zu erfolgen, da die Anwendung des § 1a EStG nur für bereits nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt Steuerpflichtige möglich ist.”).


    Ob dieser Auslegung zu folgen ist, ist nach Ansicht des beschließenden Senats aus folgenden Gründen rechtlich zweifelhaft.

    Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers,
    so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in diese hineingestellt ist (BVerfG
    Urteil vom 21.05.1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299).


    Stellt man allein auf den Wortlaut des Einleitungssatzes des Absatzes 1 des § 1a EStG ab, so lässt sich die Auffassung vertreten,
    dass zunächst auf der sog. ersten Stufe feststehen muss, dass der Antragsteller in seiner Person ohne die Berücksichtigung
    der Einkünfte des Ehegatten und ohne Verdoppelung des Grundfreibetrages die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht
    nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG erfüllen muss. Stellt man hingegen allein auf den Wortlaut des § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG „Bei
    der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 ist … der Grundfreibetrag … zu verdoppeln” so könnte schon bei der Berechnung der Wesentlichkeitsgrenzen
    des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG eine Verdoppelung über den § 1a EStG, soweit die Frage der Zusammenveranlagung im Raum steht, eintreten.
    Der Wortlaut ist daher nicht zwingend eindeutig.


    Auch bei der Frage, was der Gesetzgeber mit der Regelung § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG bezweckte, ist nicht auszuschließen, dass
    er schon bei der Prüfung, ob eine unbeschränkte fiktive Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG vorliegt, die erweiterten Grenzen
    als Maßstab ansetzen wollte.


    Die Vorschrift des § 1a EStG wurde durch das JStG 1996 vom 11.10.1996 (BGBl I 1995, 1250) eingeführt. Hintergrund war das
    Urteil des EuGH vom 14.02.1995 C-279/93 – Schumacker (BB 1995, 438). Der Gesetzgeber führt in seiner Begründung folgendes
    aus (BT-Drucks 13/1558):


    „Absatz 1 enthält die durch das Urteil des EuGH vom 14. Februar 1995 – Rechtssache C-279/93 – Schumacker – erforderlich gewordene
    Anwendung derjenigen personen- und familienbezogenen steuerentlastenden Vorschriften, deren Anwendung das Grenzpendlergesetzt
    50 Abs. 4 Satz 1 EStG) nicht vorsah ….


    Nummer 2 (Zusammenveranlagung von Ehegatten nebst Verdoppelung von Höchst- und Pauschbeträge) sieht zusätzlich vor, dass bei
    der Prüfung der Frage, ob das Einkommen ganz oder fast ausschließlich in Deutschland erzielt wird, auf das gemeinsame Einkommen
    der Ehegatten abgestellt und der Betrag der unschädlichen Auslandseinkünfte auf 24.000 DM verdoppelt wird.”


    Aus der Formulierung „dass bei der Prüfung der Frage, ob das Einkommen ganz oder fast ausschließlich in Deutschland erzielt
    wird …” kann der Schluss gezogen werden, dass schon im Rahmen der Prüfung des § 1 Abs. 3 EStG die Wesentlichkeitsgrenzen über
    § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG erweitert werden sollten. Dementsprechend hat auch der BFH bei der Anwendung des § 1 Abs. 3
    i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG (1996) bei der Prüfung der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht in seinen Gründen auf
    den doppelten Grundfreibetrag (24.000 DM) abgestellt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20.08.2003 I R 72/02, BFH/NV 2004, 321, s.
    auch FG Köln, Urteil vom 29.01.2013 1 K 3219/11 juris).


    In der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 1a Abs. 1 Satz 1 EStG nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Meindl (C-329/05)
    führt der Gesetzgeber folgendes aus (BT-Drucks. 16/6290, Seite 52):


    „Nach § 1 Abs. 3 Satz EStG ist es für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG erforderlich, dass 90 Prozent der Einkünfte der deutschen
    Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschenden Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 6.136
    EUR nicht übersteigen (…). Diese Einkommensgrenzen sind auf Grund des § 1 a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG außerdem für die Zusammenveranlagung
    von Bedeutung. Nach dieser Vorschrift ist für die Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG hinsichtlich der Einkommensgrenzen
    auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen.”


    Auch diese Ausführungen könnten dafür sprechen, dass der Gesetzgeber schon bei der Prüfung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht
    nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG die „erweiterten” Höchstbeträge nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG zur Anwendung bringen wollte,
    soweit der Steuerpflichtige eine Zusammenveranlagung beantragt.


    Würde man hingegen bei der Frage nach der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht die „Familiensituation” nicht berücksichtigen,
    könnte es auch zu Wertungswidersprüchen kommen, die allein in der Verteilung des Einkommens auf die Ehegatten begründet sind.
    Unstreitig ist, dass die Einkünfte nur eines Ehegatten, der die Wesentlichkeitsgrenzen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG übersteigt,
    unschädlich sind, wenn der andere Ehegatte die einfachen Höchstbeträge nicht überschreitet. Hätte daher im vorliegenden Fall
    die Ehefrau inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG in Höhe von 1 EUR, so wäre nicht zweifelhaft, dass sie eine Zusammenveranlagung
    mit den gesamten Einkünften auch ihres Ehemannes beantragen könnte. Diese „Ungleichbehandlung” könnte vermieden werden, wenn
    man schon bei der Prüfung des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG in den Fällen, in denen eine Zusammenveranlagung begehrt wird, auf das
    Familieneinkommen bzw. den doppelten Grundfreibetrag abstellen würde. Wählen Ehegatten die Zusammenveranlagung, werden sie
    mit der Summe ihrer Einkünfte als ein Steuerpflichtiger oder wie im Streitfall als ein fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtiger
    behandelt. Es müsste daher aus deutscher steuerlicher Sicht unerheblich sein, wie im Einzelnen die Einkünfte auf die Eheleute
    verteilt sind. Die Auslegung, schon bei der Prüfung des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG den § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG zu berücksichtigten,
    würde auch dem Charakter der Ehe als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung tragen.


    Im Hauptsachverfahren müsste gegebenenfalls auch geklärt werden, inwieweit europarechtliche Bedenken bestehen, wenn eine Zusammenveranlagung
    nicht gewährt wird, obwohl der Betrag der unschädlichen Auslandseinkünfte den doppelten Grundfreibetrag nicht übersteigt.
    Bedenkt man, dass § 1a EStG geschaffen wurde, um den Anforderungen des EuGH-Urteils vom 14.02.1995 C-279/93 gerecht zu werden,
    so könnte die Vorschrift europarechtskonform ausgelegt auch als Ergänzung des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG verstanden werden, soweit
    es um die familienbezogene steuerentlastende Vorschrift des § 26 EStG geht. Im Hauptsacheverfahren wäre auch zu prüfen, ob
    den persönlichen Verhältnissen, soweit sie im Beschäftigungsstaat nicht berücksichtigt werden, im Ansässigkeitsstaat bei der
    Besteuerung der in den Niederlanden erzielten Einkünfte Rechnung getragen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 20.08.2008 I R
    78/07, BFHE 222, 517, BStBl II 2009, 708, vgl. EuGH-Urteile vom 14.09.1999 C-391/97, DStR 99, 1609 und vom 25.01.2007 C-329/05,
    DStR 2007, 232), sofern man bei den ausländischen Einkünften lediglich auf den einfachen Grundfreibetrag abstellt.


    Soweit ersichtlich ist ein vergleichbarer Sachverhalt bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden. Aus den Urteilen des
    BFH vom 20.08.2007 (I R 78/07, BFHE 222, 517, BStBl II 2009, 708) und vom 08.09.2010 (I R 28/10, BFHE 231, 105, BStBl II 2011,
    269) lässt sich nach Auffassung des Senats die Tendenz entnehmen, dass der hier vorliegende Fall zugunsten des Antragstellers
    entschieden würde. Im Verfahren I R 78/07 hatten die Kläger ihren Wohnsitz in Österreich und sowohl Einkünfte in Österreich
    als auch in Deutschland. Sie beantragten die Zusammenveranlagung. Bei der Prüfung der Einkunftsgrenze nach § 1 Abs. 3 EStG
    ging auch der BFH von dem doppelten Grundfreibetrag aus. Auch in dem Urteil I R 28/10 führte der BFH zwar aus, dass § 1a Abs.
    1 Nr. 2 Satz 3 EStG die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG nicht anordnet, sondern sie voraussetze; er ging aber selbst bei der
    Vorgängerregelung des § 1a Abs. 1 Satz 1 EStG (Einleitungssatz, ESt 2002 a.F.) davon aus, nach der die unbeschränkt Steuerpflichtigen
    nach § 1 Abs.1 EStG auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG erfüllen mussten, dass schon bei der Prüfung
    des § 1 Abs. 3 EStG auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln war.


    Eine endgültige Entscheidung über die aus o.g. Erwägungen resultierenden Unsicherheiten bei der Auslegung der § 1 Abs. 3 EStG
    i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG muss bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen überschlägigen Betrachtung dem Verfahren
    in der Hauptsache vorbehalten bleiben.


    Die Beschwerde war zuzulassen, weil der Senat der entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst (§§ 128 Abs.
    3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).


    Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    VorschriftenEStG § 1a Abs 1 Nr 2, EStG § 1 Abs 3