26.09.2013 · IWW-Abrufnummer 133054
Bundesfinanzhof: Urteil vom 13.06.2013 – III R 10/11
Auch wenn die bei Prüfung der Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts getroffenen Feststellungen des FG revisionsrechtlich wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln sind, ist das Revisionsgericht an diese Feststellungen nicht gebunden, soweit sie auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen.
Gründe
I.
1
Im Revisionsverfahren ist streitig, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) Kindergeld für seine drei in Polen lebenden Kinder (nachfolgend: A, B und C) für den Zeitraum Februar 2007 bis August 2007 (Streitzeitraum) nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) zusteht.
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Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger mit einem inländischen Wohnsitz, übte in Deutschland als Beteiligter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine gewerbliche Tätigkeit aus. Er war in Deutschland privat kranken- und rentenversichert. Für die Zeiträume September 2005 bis Januar 2007 bezog der Kläger ausweislich einer Bescheinigung der zuständigen polnischen Behörde für seine Kinder keine Familienleistungen in Polen.
3
Mit Antrag vom 27. Juni 2006 beantragte der Kläger für A, B und C Kindergeld. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Januar 2007 ab. Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom 13. Juli 2007 als unbegründet zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen eines Berechtigungstatbestandes nach § 62 Abs. 1 EStG nicht gegeben seien.
4
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte der Kläger Kindergeld für die Kinder A, B und C ab dem Monat März 2005. Während des Klageverfahrens setzte die Familienkasse Kindergeld für die genannten Kinder für den Zeitraum September 2005 bis Januar 2007 in voller Höhe fest, weil der Kläger über einen Wohnsitz im Inland verfügt habe und im genannten Zeitraum keine polnischen Familienleistungen bezogen worden seien.
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Insoweit haben die Beteiligten den Rechtstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Klage für den Zeitraum März 2005 bis August 2005 nahm der Kläger zurück. Danach war im erstinstanzlichen Verfahren nur noch das Kindergeld für den Zeitraum Februar 2007 bis August 2007 streitig.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1002 veröffentlichten Gerichtsbescheid statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass im Streitfall ausschließlich deutsches Kindergeldrecht anwendbar sei. Der danach grundsätzlich nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3, Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG bestehende Anspruch des Klägers sei nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, weil in Polen während des Streitzeitraums weder kindergeldähnliche Leistungen bezogen worden seien noch ein Anspruch hierauf nach polnischem Recht bestanden habe.
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Mit der Revision macht die Familienkasse eine fehlerhafte Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG geltend. Es stehe --entgegen der Auffassung des FG-- für den Streitzeitraum gerade nicht fest, dass kein Anspruch auf polnische Familienleistungen bestanden habe. Aus der von der polnischen Behörde mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 übersandten E 411-Beschei-nigung lasse sich lediglich entnehmen, dass für den Streit-zeitraum kein Antrag gestellt worden sei. Das FG habe selbst das Bestehen eines Anspruchs nach polnischem Recht geprüft. Eine solche Prüfungspflicht obliege aber weder der Familien-kasse noch dem FG. Vielmehr sei es Sache des Klägers darzu-legen, dass kein Anspruch auf vergleichbare Leistungen im Ausland bestehe. Die Verwaltungspraxis sehe vor, dass in Auslandsfällen im Grundsatz mit dem Vordruck E 411 zu prüfen sei, ob ein vorrangiger ausländischer Anspruch bestehe. Nur in einfach gelagerten Fällen könne die Familienkasse die Prüfung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung selbst übernehmen.
8
Zur Prüfung eines Anspruchs auf polnische Familienleistungen bedürfe es vertiefter Kenntnisse. So werde nach Art. 5 Nr. 1 des in Polen für die Gewährung von Kindergeld maßgeblichen Gesetzes über Familienleistungen vom 28. November 2003 (FamLstgG-PL) Kindergeld gezahlt, "(...) soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied oder das Einkommen der Person in Ausbildung höchstens 504 PLN beträgt". Nach Art. 3 Nr. 2 FamLstgG-PL werde als Familieneinkommen definiert "(...) das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht". Die Definition des Einkommens sei wiederum in Art. 3 Nr. 1 FamLstgG-PL enthalten. Diese Vorschrift bestehe aus den Buchst. a bis c, wobei der Buchst. c 26 Unterpunkte umfasse. Die grundlegende Einkommensdefinition finde sich in Art. 3 Nr. 1 Buchst. a FamLstgG-PL, der wie folgt laute: "Als Einkommen gelten nach Abzug der an andere Personen zu zahlenden Unterhaltsbeiträge: (...) Einnahmen, die nach allgemeinen Regeln mit der Einkommenssteuer zu versteuern sind, vermindert um Werbungskosten, geschuldete Einkommenssteuer, nicht den Werbungskosten angerechnete Sozialversicherungsbeiträge sowie Krankenversicherungsbeiträge (...)." Nach Art. 3 Nr. 10 FamLstgG-PL gelte als Beihilfezeitraum "(...) der Zeitraum vom 01. September bis 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgelegt wird".
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Für das Jahr 2007 hätte demnach das Einkommen des Klägers des Jahres 2006 und nicht das des Jahres 2007 --wie es das FG getan habe-- zugrunde gelegt werden müssen. Aufgrund der Komplexität der dargestellten Vorschriften sei es der Familienkasse --offensichtlich auch dem FG-- nicht möglich, eine umfassende polnische Einkommensberechnung durchzuführen. Eine solche Verpflichtung lasse sich dem § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht entnehmen. Abgesehen davon wäre sie nicht umsetzbar.
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Im Übrigen hätten auch bereits verschiedene FG entschieden, dass in solchen Fällen den Kläger eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) treffe. Danach sei es weder Aufgabe der Familienkasse noch des FG festzustellen, ob bei entsprechender Antragstellung Leistungen im Ausland zu zahlen wären. Es liege vielmehr in der Sphäre des Klägers zu belegen, dass dem nicht so sei.
11
Die Familienkasse beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
13
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 121 FGO).
II.
14
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das Kindergeld für den Monat August 2007 betroffen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO; dazu 2.). Soweit das Kindergeld für den Zeitraum Februar 2007 bis Juli 2007 betroffen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache mangels Spruchreife zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO, dazu 3. und 4.).
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1. Die Familienkasse ... der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit ... --Familien-kasse-- eingetreten (s. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, [BFH 22.08.2007 - X R 2/04] unter II.1.).
16
2. Die Klage für August 2007 war mangels Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) als unzulässig abzuweisen.
17
a) Ob die Voraussetzungen für ein Sachurteil des FG vorlagen, ist vom BFH ohne Bindung an die Auffassung des FG von Amts wegen zu prüfen; insbesondere kann der BFH hierzu eigene Feststellungen anhand der im Revisionsverfahren vorgelegten Akten treffen (BFH-Urteil vom 10. Februar 2010 XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450).
18
Danach müsste der Kläger dargetan haben, durch die Ablehnung des Kindergeldanspruchs für den Monat August 2007 in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Hieran fehlt es aber bereits deshalb, weil der angegriffene Ablehnungsbescheid vom 16. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2007 und der hierzu ergangene --den Zeitraum September 2005 bis Januar 2007 betreffende-- Änderungsbescheid vom 23. Februar 2010 überhaupt keine das Kindergeld für August 2007 ablehnende Regelung enthalten (s. zum Ganzen Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, [BFH 22.12.2011 - III R 41/07] unter II.2.).
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b) Der Senat weist darauf hin, dass hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für August 2007 noch keine Festsetzungsverjährung (§ 31 Satz 3 EStG, § 155 Abs. 4, §§ 169 bis 171 AO) eingetreten ist. Es greift eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO ein. Grundsätzlich wäre zwar mit Ablauf des Jahres 2011 für die Kindergeldansprüche des Jahres 2007 die Festsetzungsfrist abgelaufen (zu deren Berechnung s. Senatsurteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BFHE 214, 1, BStBl II 2008, 371 [BFH 18.05.2006 - III R 80/04]). Im vorliegenden Fall ist aber ausnahmsweise davon auszugehen, dass ein noch nicht beschiedener Antrag auf Kindergeld vorliegt (Senatsurteil in BFHE 236, 144, [BFH 22.12.2011 - III R 41/07] BStBl II 2012, 681, [BFH 22.12.2011 - III R 41/07] unter II.4.).
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3. Soweit das Kindergeld für den Zeitraum Februar 2007 bis Juli 2007 betroffen ist, lagen zwar nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (s. § 118 Abs. 2 FGO) die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch des Klägers nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3, Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor. Das FG ist aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem Kläger bei Zugrundelegung des --seiner Auffassung nach anwendbaren-- § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Kindergeldanspruch in voller Höhe zusteht. Denn die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung der Frage, ob ein Anspruch auf dem Kindergeld vergleichbare Leistungen nach polnischem Recht bestanden hat oder nicht.
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a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind. Bei Prüfung dieser Vorschrift sind folgende Grundsätze zu beachten:
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aa) § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verpflichtet das FG, eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob für ein Kind ein Anspruch auf Gewährung von dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen nach ausländischem Recht besteht. Diese Prüfungspflicht --die im Übrigen auch bereits für die Familienkasse besteht-- ergibt sich ohne Weiteres aus dem eindeutig formulierten Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
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(1) Der Tatbestand des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist erfüllt, wenn entweder kindergeldähnliche Leistungen nach ausländischem Recht zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären. Für die Tatbestandsverwirklichung ist daher im Grundsatz ausreichend, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die entsprechende Leistung nach ausländischem Recht besteht (BFH-Beschluss vom 27. November 1998 VI B 120/98, BFH/NV 1999, 614). Dabei ist auch unerheblich, ob dieser Anspruch der nach deutschem Recht kindergeldberechtigten Person oder einem Dritten zusteht (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 614).
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§ 65 EStG sieht bei Durchführung dieser Prüfung für die FG und Familienkassen auch keine Erleichterungen vor. Insbesondere wurde die Sonderregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung vom 31. Januar 1994 --BKGG a.F.-- (BGBl I 1994, 168) nicht in das EStG übernommen, nach der die Zahlung des gemäß § 8 Abs. 2 BKGG a.F. zu ge-währenden Unterschiedsbetrags zwischen einer ausländischen Leistung und dem Kindergeld versagt werden konnte, wenn die ausländische Leistung nicht beantragt wurde und die Fest-stellung der anderen Leistung der Kindergeldstelle erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde.
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(2) Die Prüfung eines materiell-rechtlichen Anspruchs nach ausländischem Recht hätte jedoch zu unterbleiben, wenn hierüber bereits eine ausländische Behörde für den Streitzeitraum entschieden haben sollte und dem Bindungswirkung für die deutschen Behörden und Gerichte zukäme. Bei Vorliegen einer negativen Entscheidung (Ablehnung) mit Bindungswirkung ließe sich die Auffassung vertreten, dass keiner der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Tatbestände erfüllt sei.
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Höchstrichterlich ist die Frage, ob aus derartigen Entscheidungen eine Bindungswirkung resultiert, noch nicht abschließend geklärt und bedarf im Streitfall --mit Blick auf den derzeitigen Verfahrensstand-- auch keiner Klärung (s. dazu unter II.3.b aa; eine solche unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Tatbestandswirkung bejahend FG Münster, Urteil vom 18. Oktober 2011 15 K 2883/08 Kg, EFG 2012, 140, mit Anm. Bauhaus; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 65 EStG Rz 6; Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 65 Rz A 22; so u.U. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 614, zu einer positiven Bestätigung). Geklärt ist hingegen, dass eine Bindung von negativen Entscheidungen nicht existieren kann, wenn diese auf der Anwendung und Auslegung des Unionsrechts beruhen (BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869) oder bei Antragstellung gegenüber der ausländischen Behörde unzutreffende bzw. unvollständige Tatsachenangaben gemacht worden sind (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 67/01, BFH/NV 2002, 1294).
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bb) Sollte es danach bei einer Prüfungspflicht des FG verbleiben, hat es das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung (ZPO) und den zugrundeliegenden Sachverhalt unter Beachtung der erweiterten Mitwirkungspflichten des Klägers (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO) von Amts wegen zu ermitteln.
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(1) Entgegen der Ansicht der Familienkasse ist es Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln (BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 14/94, BFHE 177, 263, BStBl II 1995, 502, [BFH 15.03.1995 - I R 14/94] unter II.4.; s. dazu auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2012 10 C 2/12, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 3461; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. April 1992 IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, unter B.I.2.b bb). Es ist nicht Aufgabe des Klägers, die Regelungen über das ausländische Recht (im Einzelnen) darzulegen (a.A. FG Münster, Urteil vom 14. Dezember 2010 1 K 4131/07 Kg, EFG 2011, 718).
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Wie das FG das ausländische Recht ermittelt, steht in seinem pflichtgem äßen Ermessen (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 I R 46/07, BFH/NV 2008, 930). Dabei lassen sich die Anforderungen an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen. An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist. Gleiches wird man annehmen müssen, wenn die Beteiligten die ausländische Rechtspraxis detailliert und kontrovers vortragen (s. zum Ganzen auch BGH-Urteil in BGHZ 118, 151, unter B.I.2.b). Der Umstand, dass das ausländische Recht ggf. sehr komplex ist, kann das FG von dieser Ermittlungspflicht nicht entbinden. Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast ist in diesem Bereich nicht möglich; die ausländischen Rechtssätze werden zu keinen Tatsachen.
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(2) Von der von Amts wegen durchzuführenden Ermittlung ausländischen Rechts ist die Ermittlungspflicht des FG hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhalts zu unterscheiden.
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Das FG ist als Tatsacheninstanz gemäß § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erforschen. Die Beteiligten haben bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Bei einem Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, trifft den Steuerpflichtigen nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Aufklärungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht. Diese erweiterte Mitwirkungspflicht umfasst auch den (außerdeutschen) Bereich der Europäischen Union (BFH-Be-schluss vom 15. Dezember 2005 IX B 131/05, BFH/NV 2006, 904; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 76 FGO Rz 120). Zu beachten bleibt jedoch, dass auch die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO auf Tatsachen be-schränkt bleibt.
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(3) Sollte sich danach im finanzgerichtlichen Verfahren keine --ggf. Bindungswirkung besitzende-- negative Entscheidung bzw. Bescheinigung einer ausländischen Behörde über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf ausländische Familienleistungen beibringen lassen (z.B. wegen fehlender Antragstellung im Ausland), darf das FG nicht bereits deshalb zu Lasten des Klägers unterstellen, es habe ein Anspruch nach ausländischem Recht bestanden. Insbesondere kann von dem Kläger selbst unter Beachtung seiner erweiterten Mitwirkungspflichten nicht erwartet werden, aus Gründen der Beweisvorsorge stets im Ausland einen Antrag auf Familienleistungen zu stellen. Eine solche Betrachtung liefe dem Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zuwider, der --gerade unabhängig von einer Antragstellung-- auf das bloße Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs abstellt. Abgesehen davon lässt sich eine solche Verschärfung der Nachweispflicht auch nicht dem § 90 Abs. 2 AO entnehmen.
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b) Die vom FG vorgenommene Prüfung eines Anspruchs auf polnische Familienleistungen hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
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aa) Das FG hat seine Entscheidung zum einen darauf gestützt, die vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen vom 15. April 2010, vom 28. April 2010 und vom 14. Dezember 2010 untermauerten, dass kein Anspruch auf dem Kindergeld vergleichbare Leistungen nach polnischem Recht bestanden habe.
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Das FG hat zwar durch die Bezugnahme auf diese Bescheinigungen deren in deutscher Sprache vorliegenden Inhalt festgestellt. Die damit getroffenen Feststellungen tragen aber nicht die Schlussfolgerung, es habe für den Streitzeitraum (Februar 2007 bis August 2007) nach polnischem Recht kein Anspruch auf Familienleistungen bestanden. Selbst wenn diese Bescheinigungen eine Bindungswirkung besitzen sollten, wäre eine solche im Streitfall nicht gegeben. Die beiden zuletzt genannten Bescheinigungen, die Ausführungen der polnischen Sozialhilfebehörde vom 24. April 2010 wiedergeben, bestätigen u.a., dass eine bis zum 31. August 2005 bestehende Kindergeldfestsetzung zugunsten der Kindsmutter aufgehoben wurde, weil der Kläger den Vorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit unterliege. Diese Aussage betrifft weder den Streitzeitraum noch beruht sie erkennbar auf der Auslegung des maßgeblichen polnischen Gesetzes über Familienleistungen. Ob sich ggf. aus der vom FG genannten Bescheinigung vom 15. April 2010 etwas anderes ergibt, vermag der Senat nicht zu beurteilen. In der Gerichtsakte findet sich --soweit ersichtlich-- keine Übersetzung dieses in polnischer Sprache verfassten Schriftstücks.
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Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich in der Kindergeldakte ein Vordruck E 001 des polnischen Trägers vom 12. März 2010 befindet, der die Ausführungen im Vordruck E 411 vom 30. Oktober 2009 teilweise korrigiert (Bl. 169 ff. KiGA). In diesem Formular wird ausgeführt, dass die Kindsmutter für den Streitzeitraum keinen Antrag auf polnische Familienleistungen gestellt hat.
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bb) Die Vorentscheidung stützt sich auch darauf, dass nach polnischem Recht kein Anspruch bestanden habe, weil das im Jahr 2007 erzielte Einkommen den hiernach maßgeblichen Grenzbetrag überschritten habe.
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(1) Mit der Revision kann zwar nicht geltend gemacht werden, die Vorentscheidung beruhe auf der fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts; das ausländische Recht gehört nicht zum Bundesrecht i.S. des § 118 Abs. 1 FGO. Vielmehr sind die Feststellungen zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1294; Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 65 f.; Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 118 Rz 38). Allerdings entfällt die Bindungswirkung, soweit die erstinstanzlichen Feststellungen auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen (s. dazu Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 36/08, BFH/NV 2012, 184, unter II.4.b aa, m.w.N.). In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor (Beermann in Beermann/ Gosch, FGO § 118 Rz 38.2). Im Übrigen ist aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge --in gewissen Grenzen-- die Frage nachprüfbar, ob das FG bei der Ermittlung des ausländischen Rechts gegen seine prozessrechtliche Ermittlungspflicht (§ 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO) verstoßen hat (s. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 930).
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(2) Im Streitfall beschränken sich die Feststellungen des FG zum maßgeblichen polnischen Recht allein darauf, dass nach dem polnischen Gesetz über Familienleistungen vom 28. November 2003 Kindergeld u.a. beantragt werden könne, wenn das Pro-Kopf-Einkommen als Nettoeinkommen der Familie im Monat 504 Zloty (PLN) nicht übersteige. In tatsächlicher Hinsicht nimmt das FG auf den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 13. März 2009 Bezug und führt aus, dass die sich aus dem polnischen Gesetz ergebende Grenze mit Blick auf das zu versteuernde Einkommen in Höhe von 13.078 € überschritten sei.
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Einzelheiten zu Inhalt und Auslegung dieses Gesetzes hat das FG nicht festgestellt. So fehlen z.B. schon die erforderlichen Feststellungen dazu, was nach polnischem Recht als "Nettoeinkommen" anzusetzen ist. Das FG hat auch nicht festgestellt, welcher Zeitraum maßgeblich dafür ist, um beurteilen zu können, ob die im polnischen Gesetz genannte Einkommensgrenze überschritten ist. Die Feststellungen des FG, die lediglich einen kursorischen Überblick über das polnische Gesetz geben, können daher einer Entscheidung des Streitfalls nicht zugrunde gelegt werden.
41
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Klägers, wonach unbeachtlich sei, dass das FG ggf. unzutreffend auf das Einkommen des Jahres 2007 statt auf das des Jahres 2006 abgestellt habe, weil der Kläger im Jahr 2006 ein noch höheres Einkommen als im Jahr 2007 erzielt habe. Die Vorentscheidung enthält weder aussagekräftige Feststellungen zum ausländischen Recht noch die erforderlichen Feststellungen zur Höhe des "Netto-Familieneinkommens" des Jahres 2006. Diese Feststellungen sind nachzuholen.
42
4. Für die weitere Prüfung im zweiten Rechtsgang weist der Senat insbesondere auf Folgendes hin:
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Die in der Vorentscheidung enthaltenen Feststellungen erlauben keine abschließende Aussage dazu, ob der dem § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vorgehende Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Sys-teme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72), anwendbar ist (zur Nichtan-wendbarkeit des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 s. Senatsurteil vom 15. März 2012 III R 52/08, BFH/NV 2012, 1519, unter II.3.f).
44
a) Ein Eingreifen des Art. 10 der VO Nr. 574/72 wäre --entgegen der Rechtsauffassung des FG-- nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der persönliche Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) in Bezug auf die vom Kläger in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht eröffnet wäre (s. dazu ausführlich Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316). Sollte deren persönlicher Geltungsbereich eröffnet sein, käme Art. 10 der VO Nr. 574/72 zur Anwendung, wenn einerseits --was noch festzustellen wäre-- Deutschland nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der zuständige Beschäftigungsmitgliedstaat und andererseits --was das FG bereits festgestellt hat-- Polen der Wohnmitgliedstaat der Kinder ist (s. dazu Senatsurteil vom 16. Mai 2013 III R 8/11, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, unter II.4.b bb). Allerdings unterläge der Kläger nicht schon deshalb nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 den deutschen Rechtsvorschriften, weil er in Deutschland eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt hat. Bei der Anwendung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 ist nämlich nur an diejenige(n) Tätigkeit(en) anzuknüpfen, hinsichtlich derer der Versichertenstatus begründet wurde, aus dem sich die Eigenschaft als "Arbeitnehmer" bzw. "Selbständiger" i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 ableitet (s. dazu ausführlich Senatsurteile in BFHE 234, 316, [BFH 04.08.2011 - III R 55/08] unter II.3.a; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, BFHE 238, 87, unter II.3.a und b). Schließlich wäre eine Anwendung des Art. 10 der VO Nr. 574/72 nicht notwendigerweise deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger nicht selbst die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. E (bis 2006 Buchst. D) der VO Nr. 1408/71 erfüllte (s. dazu Senatsurteil in BFHE 238, 87, [BFH 05.07.2012 - III R 76/10] unter II.4.a).
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b) Sollte Art. 10 der VO Nr. 574/72 eingreifen, wäre insbesondere der Umstand zu würdigen, dass nach Aktenlage in Polen kein Antrag auf Familienleistungen gestellt worden ist. Insoweit verweist der Senat auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer (Slg. 2010, I-9717 Rdnr. 53), in dem zu Art. 10 der VO Nr. 574/72 entschieden wurde, dass Familienleistungen nur dann als nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet gelten können, wenn das Recht dieses Staates dem Familienangehörigen, der dort arbeitet, einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen verleiht. Der Betroffene muss folglich alle in den internen Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats aufgestellten --formellen und materiellen-- Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, zu denen gegebenenfalls auch die Voraussetzung gehören kann, dass ein Antrag auf Gewährung dieser Leistungen gestellt wird.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Das FG hat dabei mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten zu entscheiden, die den durch das Durcherkennen des Senats bereits rechtskräftig abgeschlossenen Teil des Verfahrens betreffen (s. BFH-Urteil vom 12. Juli 2000 II R 26/98, BFHE 192, 118, BStBl II 2000, 596, [BFH 12.07.2000 - II R 26/98] unter II.3.).