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  • · Fachbeitrag · Authorised OECD Approach

    Grenzüberschreitende Leistungen zwischen Betriebsstätten eines Dienstleistungsunternehmens

    von Univ.-Prof. Dr. Stephan Kudert, Berlin/Frankfurt (Oder)

    | Seit 2013 ist der Authorised OECD Approach (AOA) in § 1 Abs. 5 AStG implementiert. Er stellt die Rechtsgrundlage für die Einkünftekorrektur bei grenzüberschreitenden Leistungen zwischen Betriebsstätten eines Einheitsunternehmens dar. Die Finanzverwaltung wendet die Norm häufig so an, dass sie zunächst den gesamten Gewinn des Einheitsunternehmens der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuordnet. Anschließend korrigiert sie diesen dann über die Kostenaufschlagsmethode. Dies führte in der jüngeren Vergangenheit zu bemerkenswerten finanzgerichtlichen Auseinandersetzungen mit Dienstleistungsunternehmen, bei denen die Finanzverwaltung stets unterlag. |

    1. Das Grundproblem und seine ökonomische Lösung bei Dienstleistungsunternehmen

    1.1 Das Grundproblem

    Die folgenden Ausführungen stellen keine Urteilsbesprechungen dar. Hierfür sind die konkreten Sachverhalte auch zu heterogen. Allerdings war die Grundstruktur der Sachverhalte und die (falsche) Lösung der Finanzverwaltung in allen vier folgenden Urteilen identisch. Alle Fälle betrafen Sachverhalte, bei denen das Management im Wesentlichen der jeweiligen Geschäftsleitungsbetriebsstätte (Stammhaus) oblag, während die anderen Betriebsstätten operative Dienstleistungen für die Kunden erbrachten.

     

    • Zwei Urteile des FG Düsseldorf (12.5.23, 3 K 1940/17 F, Rev. BFH I R 37/23; 12.5.23, 3 K 70/18 F, Rev. BFH I R 38/23) betrafen dieselbe Klägerin, aber verschiedene Streitjahre (2011 und 2015). Es ging dabei um eine KG mit Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Deutschland. Die KG unterhielt ein Rohrleitungsnetz, das sich über Deutschland, Belgien sowie den Niederlanden erstreckt und in dem von der KG für Kunden Transportleistungen erbracht werden. Die Rohrleitungsnetze stellen unstreitig Betriebsstätten dar.

     

    • Im Fall des FG München (10.7.23, 7 K 1938/22, Rev. BFH I R 49/23) unterhielt eine ungarische Kapitalgesellschaft neben der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Ungarn auch eine Betriebsstätte in Deutschland. Diese erbrachte in Deutschland Fleischzerlegungsleistungen für die Kunden. Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Ungarn war im Wesentlichen für das Verhandeln und Unterschreiben von Verträgen, das Rechnungswesen, die Überwachung des Zahlungsverkehrs sowie das Anwerben der in der Betriebsstätte eingesetzten Arbeiter zuständig.

     

    • Im Fall des FG Nürnberg (27.9.22, 1 K 1595/20, Rev. BFH I R 45/22) war die Klägerin ebenfalls eine ungarische Kapitalgesellschaft. Sie unterhielt neben der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Ungarn eine Betriebsstätte in Deutschland, die Montageleistungen an fremde Dritte erbrachte.

     

    In allen Fällen rechnete die deutsche Finanzverwaltung zunächst den gesamten Gewinn des Einheitsunternehmens der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zu. Dabei unterstellte sie, die operativ tätigen Betriebsstätten würden lediglich interne Dienstleistungen mit einem geringen Wertbeitrag an die Geschäftsleitungsbetriebsstätte erbringen. Daher wurde dann von dem Gewinn der Geschäftsleitungsbetriebsstätte über die Kostenaufschlagsmethode ein Teil den jeweils operativ tätigen Betriebsstätten zugeordnet.

     

    Das Grundproblem ist offensichtlich. Finden grenzüberschreitend Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen statt, müssen die Preise fremdvergleichskonform sein. Seit 2013 gilt Gleiches für Leistungsbeziehungen zwischen Betriebsstätten eines Einheitsunternehmens. Diese werden, da sie zivilrechtlich keine Leistungsbeziehungen eingehen können, als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen fingiert und sind fremdvergleichskonform zu vergüten. Um Vergütungen für die innerbetrieblichen Leistungen fingieren zu können, muss daher zunächst geklärt werden, welche Betriebsstätte an welche Betriebsstätte Leistungen erbringt, die als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i. S. d. § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG zu berücksichtigen ist. Dieses nicht ganz triviale Grundproblem soll zunächst anhand von zwei einfachen Beispielen verdeutlicht werden.

     

    1.2 Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen

     

    • Beispiel 1

    In einem international agierenden Dienstleistungskonzern übernimmt eine Gesellschaft im Staat A (ACo) alle Managementaufgaben, insbesondere die Geschäftsführung, Rechnungswesen, Controlling sowie Personalwesen für andere Konzerngesellschaften; so auch für die Schwestergesellschaft im Staat B (BCo). Die BCo wiederum ist operativ tätig und erbringt Dienstleistungen für externe Kunden. Erbringt die ACo Leistungen an die BCo oder die BCo an die ACo?

     

    Theoretisch denkbar wäre, dass die ACo von der BCo (im Sinne eines Subunternehmens) Leistungen bezieht, für die die ACo fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise als Aufwand und die BCo korrespondierend als Ertrag bucht. Genauso denkbar wäre aber, dass die BCo Managementleistungen von der ACo bezieht, die diese fremdvergleichskonform zu vergüten hätte.

     

    Die Antwort auf die Frage hängt davon ab, welche der beiden Gesellschaften mit den externen Kunden einen Vertrag abschließt, also Außenumsätze erzielt. Wäre dies die ACo, hätte sie unzweifelhaft alle Außenumsätze in ihrer steuerlichen GuV-Rechnung als Erträge zu buchen. Die BCo hingegen würde damit lediglich Umsätze aus den Geschäftsbeziehungen zur ACo generieren, also Innenumsätze im Konzern erzielen. Würde hingegen die BCo die Geschäftsbeziehungen zu den externen Kunden unterhalten, würde nur sie alle Außenumsätze generieren und in ihrer steuerlichen GuV-Rechnung erfolgswirksam ausweisen. Dann würde die ACo lediglich Innenumsätze aus den Geschäftsbeziehungen zur BCo erzielen und ausweisen.

     

    Beachten Sie | Entscheidend für die Zurechnung der Außenumsätze und davon abhängig für die Richtung der Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen ist die zivilrechtliche Beziehung zu den externen Kunden. Diese Beziehung besteht aus einem schuldrechtlichen Vertrag, der Dienstleistung des einen Kontrahenten und der Zahlung des anderen. Der schuldrechtliche Vertrag ist entscheidend für die Richtung der Leistungsbeziehung.

     

    Schließt im Beispiel 1 die BCo einen Vertrag mit den Kunden, ergeben sich die steuerlichen GuV-Rechnungen beider Gesellschaften wie in Abb. 1 dargestellt. Dabei sei unterstellt, die Außenumsätze der BCo würden 200 betragen, denen Primäraufwendungen (beispielsweise i. H. v. 50) gegenüberstehen. Zudem müssten die Leistungen der ACo an die BCo (Innenumsatz) z. B. mit 100 fremdvergleichskonform vergütet werden. Die ACo soll ebenfalls Primäraufwendungen i. H. v. 50 haben.

     

     

    Die BCo ist die Vertragspartnerin der Kunden. Ihr sind damit unzweifelhaft die Außenumsätze zuzurechnen. Für diese Leistung wird sie von der ACo durch Managementleistungen unterstützt. Da die innerkonzernlichen Leistungsverrechnungen ebenfalls auf schuldrechtlichen Beziehungen (zwischen ACo und BCo) beruhen, werden diese, ebenfalls in der steuerlichen GuV-Rechnung, als Ertrag der ACo (Innenumsatz) und Aufwand der BCo (aus Innenumsatz) ausgewiesen. Dies ändert sich bei der Betriebsstätteneinkünfteermittlung eines Einheitsunternehmens.

     

    1.3 Leistungsbeziehungen zwischen Betriebsstätten eines Einheitsunternehmens

     

    • Beispiel 2

    In einem international agierenden Einheitsunternehmen übernimmt die Geschäftsleitungsbetriebsstätte (A) im Staat A alle Managementaufgaben für die anderen Betriebsstätten, insbesondere die Geschäftsführung, Rechnungswesen, Controlling sowie Personalwesen. Die Betriebsstätte B im Staat B ist hingegen operativ tätig und erbringt Dienstleistungen für externe Kunden. Erbringt A an B innerbetriebliche Leistungen oder B an A?

     

    In Beispiel 1 war für die Zurechnung der Außenumsätze zum Rechtsträger und daraus folgend für die Richtung der Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen der schuldrechtliche Vertrag des Rechtsträgers zu den externen Kunden entscheidend. Bei einem Einheitsunternehmen hilft dieser aber nicht für die Klärung des Grundproblems. Die Kunden haben weder mit der Geschäftsleitungsbetriebsstätte A noch mit der operativ tätigen Betriebsstätte B einen Vertrag geschlossen, sondern mit dem Einheitsunternehmen. Nur dieses ist der Rechtsträger und kann Vertragspartner der Kunden sein. Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte A kann nicht zivilrechtlich mit dem Einheitsunternehmen gleichgesetzt werden, weil dieses eben auch die Betriebsstätte B umfasst. Und die Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann auch nicht als eigener Rechtsträger fingiert werden. § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG unterstellt zwar für Einheitsunternehmen „anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“, aber nur zwischen den Betriebsstätten des Einheitsunternehmens und nicht für eine Betriebsstätte zu externen Vertragspartnern.

     

    Beachten Sie | Daher kann für die Bestimmung der Richtung innerbetrieblicher Leistungsbeziehungen in Einheitsunternehmen nicht auf den Rechtsträger abgestellt werden, der Vertragspartner der externen Kunden ist. Naheliegend ist dann, darauf abzustellen, welche Leistung des Einheitsunternehmens gegenüber den Kunden (Kerngeschäft) Gegenstand der schuldrechtlichen Beziehung ist.

     

    Durch diese Leistungen an den Kunden sind die Außenumsätze veranlasst. Der Kunde zahlt nicht dafür, dass A innerbetriebliche Leistungen an B erbringt, sondern für die Leistungen, die er von B bezieht. Dass die B hierfür Leistungen von der A benötigt, ist für den externen Kunden ohne Belang.

     

    MERKE | Rechtsdogmatische Grundlage ist das Veranlassungsprinzip, das für Aufwendungen in § 4 Abs. 4 EStG kodifiziert ist, aber nach h. M. auch für die Erträge gilt. Sie sind demnach der Betriebsstätte zuzuordnen, durch deren Tätigkeit für die Kunden die Erträge veranlasst sind. Diese Tätigkeit festzustellen, ist bei Dienstleistungsunternehmen einfach. Dienstleistungen sind durch sogenannte Uno-Actu-Prozesse charakterisiert. Leistungserstellung und Absatz (Konsum) erfolgen immer zugleich. Denn Dienstleistungen können definitionsgemäß nicht erstellt werden, ohne dass der Kunde oder ein Produktionsfaktor, den er zur Verfügung stellt, in die Leistungserstellung integriert wird (externer Faktor). Durch die zwingende Integration des externen Faktors unterscheiden sich Dienstleistungs- von Handels- und Produktionsunternehmen.

     

    Die Besonderheit von Dienstleistungsunternehmen wird etwa bei Taxifahrten, anderen Transportleistungen, in der Steuerberatung, bei Friseuren oder bei Ärzten sehr deutlich. Ein Taxifahrer kann nicht von X nach Y fahren und anschließend hoffen, ein Kunde werde die Fahrt buchen. Ein Steuerberater kann keine Steuererklärung erstellen und hoffen, dass später ein Mandant diese kauft. Ein Friseur kann keinen Haarschnitt ohne zeitgleiche Integration des Kunden produzieren und später verkaufen. Dagegen können bei Handelsunternehmen Ein- und Verkauf sowie bei Produktionsunternehmen Herstellung und Verkauf voneinander separat erfolgen.

     

    Beachten Sie | Stellt man für die Zuordnung der Außenumsätze auf den Gegenstand des Kerngeschäfts ab, erfolgt bei Einheitsunternehmen der Absatz von Dienstleistungen aus ökonomischer Perspektive auch zwingend durch die Betriebsstätte, die die Marktleistung gegenüber den Kunden erbringt.

     

    Dies ist in Beispiel 2 die operativ tätige Betriebsstätte B. Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte A erbringt damit ausschließlich innerbetriebliche Managementleistungen an die operativ tätige Betriebsstätte. Und nur für diese innerbetrieblichen Leistungen stellt sich die Frage nach dem angemessenen Fremdvergleichspreis i. S. d. § 1 AStG.

     

    1.4 Steuerliche Abbildung

    Im Ergebnis ergibt sich daraus eine zweistufige Ermittlung der Betriebsstätteneinkünfte:

     

    In Stufe 1 ist zunächst festzustellen, welche Betriebsstätte die Marktleistungen erbringt. Ihr sind, wie bei fremden Dritten und in Beispiel 1, auch alle Außenumsätze zuzuordnen und in der steuerlichen GuV-Rechnung der Betriebsstätte auszuweisen. Diesen Leistungen werden die korrespondierenden Aufwendungen der Betriebsstätte nach dem Veranlassungsprinzip zugeordnet (§ 4 Abs. 4 EStG). Innerbetriebliche Leistungsbeziehungen spielen auf dieser Gewinnermittlungsstufe keine Rolle. Betriebsstätten, die keine Außenumsätze erzielen, wie die Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Beispiel 2, weisen somit in ihrer steuerlichen GuV-Rechnung ihre veranlassungsbezogenen Aufwendungen, aber keine Erträge aus Außenumsätzen aus.

     

     

    Der Betriebsstättengewinn aus Stufe 1 wird anschließend auf Stufe 2 in einer Nebenrechnung (entsprechend § 3 BsGaV) um fremdvergleichskonforme fiktive Entgelte für die innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen korrigiert (Einkünftekorrekturstufe). Die Betriebsstätten in Beispiel 2 weisen in ihren Nebenrechnungen ihre Erträge bzw. Aufwendungen aus den anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (Innenumsatz) fremdvergleichskonform aus. Damit erhöhen sich die Einkünfte der Betriebsstätte A und mindern sich die Einkünfte der Betriebsstätte B (im Beispiel um 100).

     

     

    Beachten Sie | Für diese Stufe 2 ist eine Funktions- und Risikoanalyse unabdingbar. Auf deren Basis sind die innerbetrieblichen Leistungen, die Höhe der angemessenen Fremdvergleichspreise und damit der Innenumsatz der Betriebsstätte A zu ermitteln.

     

    So wird es sich bei Rechnungswesen, Controlling sowie Personalwesen regelmäßig um Routinefunktionen handeln, während die Leistungen der Geschäftsführung hinsichtlich ihrer Wertschöpfungsbeiträge genauer zu analysieren wären. Die Betriebsstätte B weist korrespondierend ihre Aufwendungen aus den anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zu A in der Nebenrechnung aus (Aufwand aus Innenumsatz).

     

    Aus dem Zusammenspiel von Stufe 1 und Stufe 2 ergeben sich somit die Betriebsstätteneinkünfte. Werden die Betriebsstättengewinne der Stufe 1 und die Einkünftekorrekturen der Stufe 2 addiert, ergeben sich in Beispiel 2 für die Betriebsstätten die gleichen Einkünfte wie für die Konzerngesellschaften in Beispiel 1/Abb. 1. Damit wird die zweistufige Vorgehensweise der Selbstständigkeitsfiktion des AOA gerecht.

     

    MERKE | Einer Überprüfung durch § 1 AStG ist dabei nur die Angemessenheit der Innenumsätze (auf Stufe 2) zugänglich, sofern die Verrechnungspreise zu einer unangemessenen Einkünfteminderung oder verhinderten Einkünfteerhöhung in Deutschland führen.

     

    Im Folgenden wird untersucht, ob diese hier dargestellte Methodik dem OECD-Ansatz und der Vorgehensweise von Finanzverwaltung und Rechtsprechung entspricht.

    2. Sichtweise der OECD

    Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2022 (kurz: OECD-Leitlinien 2022) widmen den konzerninternen Dienstleistungen ein ganzes Kapitel (Kapitel VII. Konzerninterne Dienstleistungen). Dabei unterscheidet die OECD zwischen konzerninternen Dienstleistungen, die lediglich unterstützenden Charakter haben, und dem „Kerngeschäft“ des Konzerns. Auch wenn der Begriff „Kerngeschäft“ in mehreren Textziffern der OECD-Leitlinien 2022 genannt wird, definieren ihn die Leitlinien nicht. Aus dem gesamten Kontext des Kapitels VII ergibt sich jedoch, dass weder die operative Tätigkeit der BCo in Beispiel 1 noch der B in Beispiel 2 eine konzerninterne Dienstleistung sein kann.

     

    • Tz. 7.2 nennt einführend Beispiele für klassische konzerninterne Dienstleistungen. Dies sind „insbesondere administrative und technische Dienstleistungen, Finanzdienstleistungen und kaufmännische Dienstleistungen. Zu diesen Dienstleistungen können auch Management-, Koordinierungs- und Kontrollfunktionen für den Gesamtkonzern gehören.“

     

    • Gemäß Tz. 7.45 sind interne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung „nicht Teil des Kerngeschäfts des multinationalen Konzerns“, sie können „keine gewinnerzielenden Tätigkeiten begründen und nicht zu den wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten des multinationalen Konzerns beitragen“.

     

    • Nach Tz. 7.47 fallen „Dienstleistungen, die das Kerngeschäft des multinationalen Konzerns darstellen“, nicht unter Kapitel VII, Abschnitt D, sind also keine internen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung.

     

    • In Tz. 7.49 werden ebenfalls Beispiele für lediglich unterstützende interne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung genannt. Hier führt die OECD explizit das Rechnungswesen, das Forderungsmanagement, das Personalwesen und allgemeine Verwaltungs- und Bürodienstleistungen an.

     

    • Und nach Tz. 7.51 bezieht sich die „Definition konzerninterner Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung … auf den unterstützenden Charakter dieser Dienstleistungen, die nicht Teil des Kerngeschäfts des multinationalen Konzerns sind.“ Dabei benennt die OECD hier ein konkretes Beispiel: Wenn eine Konzerngesellschaft (ITCo) die IT-Dienstleistungen für die anderen Konzernunternehmen erbringt, ist diese Leistung für die ITCo zwar das Kerngeschäft, aber eben nicht für die externen Dienstleistungsempfänger und den Gesamtkonzern. Daher würde diese konzerninterne Dienstleistung auch nach Ansicht der OECD nicht zum Kerngeschäft zählen.

     

    • In Tz. 7.39 bis 7.42 werden (auch operative) Tätigkeiten genannt, die konzerninterne Dienstleistungen mit nicht geringer Wertschöpfung sind; so etwa in Tz. 7.40 die Auftragsfertigung als Anwendungsfall der Fertigungs- und Montagetätigkeit. Diese würde in Abwandlung des Beispiels 1 einem Fall entsprechen, bei dem die ACo die Außenumsätze erzielt und die BCo nur Innenumsätze aus der Tätigkeit für die ACo. Im Beispiel 2 würde die Richtung der innerbetrieblichen Leistungen wiederum vom Kunden abhängen, für den die Leistung erbracht wird. Ist der Leistungsempfänger die Geschäftsleitungsbetriebsstätte A, handelt es sich um eine innerbetriebliche Leistung der B an A (Innenumsatz). Ist es aber der externe Kunde, handelt es sich um einen Außenumsatz der B.

     

    Bemerkenswerterweise enthält der OECD-Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten von 2010 (kurz: OECD-Betriebsstättenbericht 2010) wenig vergleichbare Ausführungen zu Dienstleistungen innerhalb eines Einheitsunternehmens, sondern verweist mehrfach auf die OECD-Leitlinien. Unter der Überschrift „d) Unternehmensinterne Dienstleistungen“ wird in Tz. 216 des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 aber ausgeführt:

     

    • OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Tz. 216, d) Unternehmensinterne Dienstleistungen

    „Eine umfassende Unterstützungsinfrastruktur der Geschäftsleitung ist häufig notwendig, um Geschäftsvorfälle durch Betriebsstätten abzuwickeln. Diese Infrastruktur kann sich auf ein breites Spektrum von Tätigkeiten erstrecken, vom strategischen Management über die zentrale Gehaltsabrechnung bis hin zu Rechnungslegungsfunktionen. Die Existenz dieser Unterstützungsfunktionen muss bei der Zurechnung von Gewinnen zu den verschiedenen Unternehmensteilen berücksichtigt werden.“

     

    Unterstreichungen durch Verfasser

     

    Damit scheinen der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 und die OECD-Leitlinien 2022 davon auszugehen, dass unternehmens- bzw. konzerninterne Dienstleistungen i. d. R. das Management betreffen oder Leistungen, für deren Erstellung eine andere Betriebsstätte den „externen“ Faktor zur Verfügung stellt (z. B. Lohnfertigung für die Geschäftsleitungsbetriebsstätte).

     

    Beachten Sie | Aus alledem ist zu schließen, dass die OECD als das Kerngeschäft eines Dienstleistungsunternehmens die Dienstleistungen ansieht, die es für externe Kunden am Markt anbietet und erbringt. Managementfunktionen anderer Betriebsstätten können das Kerngeschäft unterstützen und sind durch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen mit einem angemessenen Verrechnungspreis zu vergüten. Dies gilt nach Ansicht der OECD selbst für das strategische Management.

     

    Die Leitlinien der OECD stützen somit die Ergebnisse der ökonomischen Ausführungen in Abschnitt 1.

    3. Sichtweise der Finanzverwaltung

    In den oben kurz dargestellten FG-Urteilen behandelt die Finanzverwaltung bemerkenswerterweise jedoch in allen Fällen die operativen Dienstleistungen für die Kunden (das Kerngeschäft) fälschlich als Routinefunktionen mit geringer Wertschöpfung, die gegenüber der Geschäftsleitungsbetriebsstätte mit den Aufwendungen und einem Gewinnaufschlagssatz (Kostenaufschlagsmethode) abzurechnen seien. Damit steht sie nicht nur im Widerspruch zu den Ausführungen oben (in den Abschnitten 1 und 2), sondern geht auch deutlich über die eigene Definition in Tz. 3.75 der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) hinaus. Denn dort wird als Routinedienstleistung mit geringer Wertschöpfung definiert:

     

    • VWG BsGa, Tz. 3.75

    „Eine Routinedienstleistung mit geringer Wertschöpfung (Tz. 7.45 der Anlage 1) ist eine Dienstleistung, die von einem oder mehreren Mitgliedern einer multinationalen Unternehmensgruppe im Auftrag eines oder mehrerer anderer Gruppenmitglieder ausgeübt wird, und

    • a) die einen unterstützenden Charakter aufweist,
    • b) die nicht Gegenstand der Haupttätigkeit der multinationalen Unternehmensgruppe im Außenverhältnis zu Dritten ist, …“
     

    Unterstreichungen durch Verfasser

     

    Die von den operativ tätigen Betriebsstätten für den Absatzmarkt erbrachten Dienstleistungen haben, wie die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, nicht nur lediglich „einen unterstützenden Charakter“, sondern stellen das Kerngeschäft des Einheitsunternehmens dar. Sie sind damit „Gegenstand der Haupttätigkeit“ des Einheitsunternehmens. Auch der Verweis der Finanzverwaltung in Tz. 3.75 der VWG BsGa auf Tz. 7.45 der OECD-Leitlinien 2022 bestätigt dies. Offensichtlich sind dabei der Begriff „Kerngeschäft“, den der Übersetzungsdienst der OECD für Außenumsätze verwendet, und der Begriff „Haupttätigkeit“, den die deutsche Finanzverwaltung gebraucht, inhaltlich ident.

     

    Nach Tz. 3.77 der VWG BsGa „sind insbesondere folgende Tätigkeiten (Tz. 7.47 der Anlage 1) keine Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung:

     

    • a) Forschung und Entwicklung
    • b) Herstellung und Produktion
    • c) Verkauf, Marketing und Vertrieb“

     

    Die Finanzverwaltung wendet folglich die Selbstständigkeitsfiktion in den o. g. FG-Verfahren durchgängig anders an, als sie sie selbst in den VWG BsGa vorsieht. Nicht die Betriebsstätten, die Dienstleistungen für die Kunden erbringen, erbringen in den nämlichen Fällen innerbetriebliche Leistungen an die jeweilige Geschäftsleitungsbetriebsstätte, sondern die Geschäftsleitungsbetriebsstätte an die operativ tätigen Betriebsstätten.

     

    Für Routinedienstleistungen der Geschäftsleitungsbetriebsstätte mit geringer Wertschöpfung kann dann, wenn ein Fremdvergleichspreis nicht anders zu ermitteln ist, hilfsweise die Kostenaufschlagsmethode Anwendung finden, sofern in den Leistungen keine gewinnerzielenden Tätigkeiten zu sehen sind. Dies wäre in Beispiel 2 bezüglich der Funktionen Rechnungswesen, Controlling sowie Personalwesen denkbar, sofern keine fremdvergleichskonformen Preise zu ermitteln wären. Bezüglich der Geschäftsführungsfunktion wäre auf Basis einer genauen Funktions- und Risikoanalyse zu prüfen, welcher Fremdvergleichspreis angemessen für diese anzunehmende schuldrechtliche Beziehung wäre.

     

    Beachten Sie | Aus ökonomischer Sicht ist daher nicht der AOA-Ansatz der OECD zu kritisieren, sondern dessen praktische Anwendung durch die deutsche Finanzverwaltung. Weder trennt sie zwischen der Stufe 1 (Gewinnermittlung mit steuerlicher GuV-Rechnung) und Stufe 2 (Einkünftekorrektur in der Nebenrechnung), noch erkennt sie das Kerngeschäft und damit die Richtung der innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen.

     

    Aber auch aus rechtlicher Perspektive ist die Ansicht der Finanzverwaltung fragwürdig. Dies verdeutlichen die Urteile in den oben skizzierten FG-Prozessen.

    4. Sichtweise der Finanzrechtsprechung

    Das FG München, das FG Nürnberg und das FG Düsseldorf begründeten in den Verfahren, warum § 1 AStG und damit auch § 1 Abs. 5 AStG keine Gewinnermittlungsvorschrift ist, sondern (nur) eine Korrekturvorschrift für innerbetriebliche Leistungsbeziehungen, bei denen die Vergütungen nicht fremdvergleichskonform sind. Alle Gerichte weisen klar darauf hin, dass die Einkünfteermittlung der Betriebsstätten eines Einheitsunternehmens zweistufig zu erfolgen hat (so wie sie oben in Abschnitt 1 beschrieben wurde). Dabei ist auf Stufe 1 der Betriebsstättengewinn allein nach den Bilanzierungsvorschriften (§§ 4 ff. EStG) zu ermitteln. Erst auf Stufe 2 werden in einer Nebenrechnung (§ 3 BsGaV) die innerbetrieblichen Leistungen bzw. deren Verrechnungspreise abgebildet, um die Betriebsstätteneinkünfte zu ermitteln.

     

    So urteilte das FG München mit Verweis auf den BFH:

     

    „Dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und insbesondere dessen S. 3 lässt sich auch nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre. Eine entsprechende ‚Ausstrahlwirkung‘ kann in § 1 Abs. 5 AStG auch wegen der systematischen Stellung der Vorschrift im AStG nicht hineingelesen werden (vgl. BFH 24.11.21, I B 44/21 [AdV], BStBl. II 2022, 431, Rn. 25 m. w. N.).“

     

    Und ebenda: „Die Korrekturnorm des § 1 Abs. 5 AStG bleibt für die Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen aus Außentransaktionen bedeutungslos.“

     

    Das FG Nürnberg führt aus:

     

    „Für das Gericht sind keine Anhaltspunkte ersichtlich und solche wurden vom FA auch nicht vorgetragen, dass die Leistungsbeziehungen zwischen der ungarischen Muttergesellschaft und der inländischen Betriebsstätte als Besteuerungssubjekt überhöht abgerechnet worden wären oder in anderer Weise einem Drittvergleich nicht standhalten würden.“

     

    Daher sah das FG den Anwendungsbereich des § 1 AStG nicht als eröffnet an und folgerte zu Recht: „Da der Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschriften des AStG mithin im Streitfall nicht gegeben ist, kommt auch eine Anwendung der BsGaV nicht in Betracht.“

     

    Und auch das FG Düsseldorf stellt klar:

     

    • FG Düsseldorf 12.5.23, 3 K 70/18 F, Rev. BFH I 38/23, Rn. 53

    „Denn es handelt sich bei § 1 Abs. 5 AStG nicht um eine Generalvorschrift, nach der bei Bestehen inländischer und ausländischer Betriebsstätten stets eine (Neu)Aufteilung des Gewinns nach den dort beschriebenen Grundsätzen zu erfolgen hat. Vielmehr handelt es sich um eine Einkünftekorrekturvorschrift, die im unmittelbaren Kontext zu Abs. 1 steht und damit tatbestandlich an eine Einkünfteminderung anknüpft, die durch die Vereinbarung nicht fremdvergleichsgerechter Bedingungen (Verrechnungspreise) entsteht.“

     

    Folglich unterlag die Finanzverwaltung in allen genannten Prozessen. Da sie in allen Verfahren in die Revision geht, hat der BFH mehrfach die Möglichkeit, Stellung zur methodischen Vorgehensweise bei der Betriebsstätteneinkünfteermittlung zu nehmen.

     

    FAZIT | Aus alledem ergibt sich die hier dargestellte zweistufige Einkünfteermittlung. Stufe 1 betrifft die Gewinnermittlungen der Betriebsstätten. Der Betriebsstättengewinn berechnet sich aus deren steuerlicher Bilanz und GuV-Rechnung, nach den „normalen“ Gewinnermittlungsvorschriften in den §§ 4 ff. EStG. Innerbetriebliche Leistungsbeziehungen spielen hierbei keine Rolle, weil § 1 AStG keine Gewinnermittlungsvorschrift ist. Der Steuerbilanzgewinn aus Stufe 1 wird danach in Stufe 2 (Nebenrechnung) um fremdvergleichskonforme fiktive Entgelte für innerbetriebliche Leistungsbeziehungen korrigiert, um aus dem Betriebsstättengewinn die Betriebsstätteneinkünfte abzuleiten. Erst aus dem Zusammenspiel von Stufe 1 und Stufe 2 ergeben sich somit die Betriebsstätteneinkünfte. Nur wenn die Einkünftekorrektur in Stufe 2 nicht fremdvergleichskonform erfolgt und dies zu einer Einkünfteminderung oder verhinderten Einkünfteerhöhung in der deutschen Betriebsstätte führt, ist für diese Korrektur der Anwendungsbereich des § 1 AStG eröffnet.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2024 | Seite 191 | ID 50053277