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  • · Fachbeitrag · Deutschland im Steuerwettbewerb

    Taxopoly: Wo bitte geht‘s zur Schlossallee?

    von StB Prof. Dr. Dieter Endres, Vorstand Steuern, PwC AG Frankfurt

    | Steuern International - wer hätte vor Jahren gedacht, dass es dieses von wenigen Spezialisten beackerte Thema einmal auf die Titelseiten der Tageszeitungen und Boulevardpresse schaffen würde? Die öffentliche Meinung, jedenfalls die veröffentlichte, widmet sich mehr denn je dem steuerlichen Verteilungskampf. Auch als Resultat der globalen Finanzkrise wird von allen der „gerechte Anteil“ eingefordert, wobei mit „allen“ nahezu unvermeidlich die Großunternehmen an vorderster Front gemeint sind. Fakten statt Mythen: Der folgende Beitrag analysiert, wie sich die effektive deutsche Unternehmenssteuerbelastung seit 1998 bis heute entwickelt hat und welche Aussichten Fiskus und Unternehmen im globalen Taxopoly haben. |

    1. Internationale Steuerplanung: Neues Regelwerk oder nur Änderungen bei der Taktik?

    Solange es noch keine europäische, geschweige denn eine globale Besteue-rungshoheit gibt, sind bei Standortentscheidungen Steuern als maßgeblicher Kostenfaktor ins Kalkül zu ziehen. Unternehmen sind beim Schritt über die Grenze auf steuereffiziente Strukturen angewiesen, wollen sie sich in einem zunehmend verschärfenden Wettbewerbsumfeld behaupten. Auch wenn bei den derzeitigen Rahmenbedingungen die Vorgaben absolute Compliance, Planungssicherheit und Vermeidung kostspieliger Überraschungen in der Praxis klar die Überhand über die Steuerquotenminimierung haben, erlaubt dies im Umkehrschluss keinesfalls das Ignorieren des Faktors Steuern bei einer Investitionsentscheidung. Vielmehr wird die Abwägung zwischen betriebswirtschaftlicher Effizienz und Reputation zu einer Zentralaufgabe, der sich kein Steuerverantwortlicher mehr entziehen kann.

     

    Die Klarheit über die einzuschlagende Steuerstrategie ist umso dringlicher, als mit den jüngsten Initiativen von G20 (Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer), EU und OECD die im Kern bekannte Diskussion über den internationalen Steuerwettbewerb wiederbelebt und mit einem Appell zu „Fiskalpatriotismus“ ergänzt worden ist.

     

    Hintergrund | Unter den Stichworten „Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)“ und „Aggressive Tax Planning (ATP)“ wird international intensiv darüber nachgedacht, wie man die nationalen Steuersysteme und zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die das Zusammenwirken der unterschiedlichen nationalen Steuersysteme regeln sollen, an die Gegebenheiten der Globalisierung, der digitalen Wirtschaft und der technischen Entwicklung anpassen kann. Dabei stehen nach dem Aktionsplan der EU-Kommission vom 6.12.12, der BEPS-Studie der OECD vom 12.2.13 sowie dem daraufhin am 19.7.13 veröffentlichten OECD-Aktionsplan mit der Bekämpfung von Steuermissbrauch und Steuerhinterziehung eigentlich Selbstverständlichkeiten im Brennpunkt.

     

    Allerdings scheint der Blickwinkel weiter - gebrandmarkt wird nicht nur die illegale Strukturierung, sondern auch die regelkonforme, aber nicht als akzeptabel erachtete Nutzung von Steuerarbitrage. Kann es also im Rechtsstaat legale, aber moralisch verwerfliche Steuerplanung geben? Gibt es im Taxopoly ungeschriebene Spielregeln, die eine Taktikumstellung derart erfordern, dass nach geltendem Recht zulässige Steuerplanung unterlassen werden sollte, um nicht im Markt disqualifiziert zu werden?

     

    Als zusätzlicher Katalysator für diese aufkommende Moraldebatte erwies sich der Bundestagswahlkampf, in dem wie selten zuvor das Thema der sozialen Gerechtigkeit in den Vordergrund gestellt wurde. Bei allen Steuererhöhungsplänen gibt es in den Wahlkampfprogrammen der Parteien aber auch etliche zurückhaltende Passagen bzgl. der Unternehmensbesteuerung, was das Spannungsfeld zwischen dem notwendigen Fiskalaufkommen für den Staat auf der einen Seite und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf der anderen Seite verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund - und auch mit Blick auf die Notwendigkeit geänderter Spielregeln nach der Bundestagswahl am 22.9.13 - stellt sich die Frage, wie sich die Unternehmenssteuerbelastung in Deutschland derzeit präsentiert und welche Entwicklung sie in den letzten 15 Jahren genommen hat. Eine ZEW/PwC-Studie gibt Aufschluss.

    2. Analyse der Unternehmenssteuerbelastung: Deutschland zwischen Badstraße und Schlossallee

    Im Auftrag der Europäischen Kommission, Generaldirektion Steuern und Zollunion, hat das Mannheimer Zentrum für Empirische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Zusammenarbeit mit PwC die Effektivsteuerbelastungen von Unternehmen in der Europäischen Union sowie in weiteren bedeutsamen Industrienationen berechnet. Für den Zeitraum ab 1998 wurden durch Fragebogenrecherchen im weltweiten PwC-Netzwerk die steuerlichen Parameter ermittelt.

     

    Hinweis | Statt lediglich auf die nominalen Steuersätze (Tarifbelastung) abzustellen, misst die ZEW-Kalkulation die Steuerlast, die auf ein hypothetisches hochprofitables Investitionsprojekt erhoben wird. Die dadurch ermittelte effektive Durchschnittssteuerbelastung berücksichtigt neben der Tarifbelastung insbesondere auch Bemessungsgrundlagenregelungen wie z.B. Abschreibungssätze, die Möglichkeit des Abzugs von Fremdkapitalzinsen und ggf. auch Substanzsteuern auf das Unternehmensvermögen (zur detaillierten Vorgehensweise vgl. Endres/Heckemeyer/Spengel/Finke/Richter, DB 13, 896-901).

     

    Die Untersuchung hat für den Zeitraum ab 1998 folgende Effective Average Tax Rates (EATR) für Deutschland ergeben, wobei als Vergleich die Durchschnittswerte der EU27 angegeben sind:

     

    EATR (%)
    1998
    1999
    2000
    2001
    2002
    2003
    2004
    2005

    Deutschland

    41,2

    40,4

    40,4

    35,8

    35,8

    37,0

    35,8

    35,8

    Durchschnitt EU27

    29,3

    29,0

    27,5

    27,0

    26,4

    25,6

    24,6

    23,3

     

     

    EATR (%)
    2006
    2007
    2008
    2009
    2010
    2011
    2012
    2013

    Deutschland

    35,5

    35,5

    28,2

    28,0

    28,0

    28,2

    28,2

    28,2

    Durchschnitt EU27

    23,0

    22,4

    21,5

    21,8

    21,1

    21,0

    20,9

    -

     

     

    Grafisch lässt sich die Entwicklung der EATR in Deutschland und im EU-Durchschnitt wie folgt darstellen:

     

     

     

    Abbildung: Entwicklung der EATR (in %) im Zeitraum ab 1998

     

    Mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland zeigt sich, dass die effektive Steuerbelastung seit dem Jahr 1998 bis heute um fast ein Drittel (31,55 %) zurückgegangen ist. Damit sieht sich Deutschland im generellen Trend zur Steuersenkung in Europa, wo sich die Durchschnittsbelastung von 29,3 % auf 20,9 % und damit um 28,67 % reduziert hat. Die wesentlichen Determinanten für die Steuersenkungsdynamik in Deutschland seit 1998 sind wie folgt:

     

    • Der seit der Einführung des Anrechnungsverfahrens im Jahre 1977 geltende gespaltene Körperschaftsteuersatz (ursprünglich 56 % für einbehaltene und 36 % für ausgeschüttete Gewinne) wurde im Laufe der Jahre (1990, 1994) mehrfach modifiziert. Ab 1999 wurde der Thesaurierungssatz von 45 % auf 40 % reduziert (bei - zu diesem Zeitpunkt - unveränderter Ausschüttungsbelastung von 30 %), was die wesentliche Ursache für die 
EATR-Reduktion von 1998 auf 1999 darstellt.

     

    • Das Steuersenkungsgesetz sah ab dem Jahr 2001 den Übergang vom Vollanrechnungsverfahren zu einem klassischen System der Körperschaftsbesteuerung (Halbeinkünfteverfahren) und eine Verringerung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 % vor. Gleichzeitig wurden die degressiven Abschreibungsmöglichkeiten reduziert. Insgesamt ergab sich damit im Jahr 2001 ein erheblicher Entlastungseffekt - die EATR fiel von 40,4 % auf 35,8 %.

     

    • Die einjährige Erhöhung der EATR im Jahre 2003 ist dem Flutopfersolidaritätsgesetz geschuldet, das die Körperschaftsteuerbelastung zeitlich befristet von 25 % auf 26,5 % anhob.

     

    • Im Jahr 2008 hat Deutschland mit einer umfassenden Unternehmenssteuerreform seine Effektivbelastung um 7,3 % auf 28,2 % gesenkt. Wesentliche Elemente dieser Reform waren die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 % und die Senkung der Gewerbesteuermesszahl von 5 % auf 3,5 % (bei gleichzeitigem Wegfall des Betriebsausgabenabzugs der Gewerbesteuer).

     

    Allerdings ist jedweder Entlastungstrend seit dem Krisenjahr 2008 erloschen. Deutschland belegt somit in der ZEW/PwC-Studie im Jahr 2012 nur den bescheidenen Platz 30 unter den insgesamt untersuchten 35 Staaten, wobei Platz 1 der niedrigsten Steuerbelastung entspricht. Innerhalb der EU weisen nur Malta, Spanien und Frankreich höhere Belastungen auf, bei den in die Analyse einbezogenen Nicht-EU-Staaten rangieren lediglich USA und Japan bzgl. des EATR-Werts über Deutschland.

     

    ZWISCHENFAZIT | Im internationalen Steuerwettbewerb hat Deutschland damit zwar im Betrachtungszeitraum 1998 bis 2013 Boden gut gemacht, ohne aber mit wichtigen anderen Industriestaaten gleichziehen zu können. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Schlussfolgerungen aus der PwC/Weltbank-Studie „Paying Taxes“, bei der Deutschland im Ranking des Vergleichsjahres 2012 bzgl.ich der Total Tax Rate doch deutlich abgeschlagen auf Rang 130 der 186 betrachteten Länder positioniert ist (vgl. zur Paying Taxes Studie Endres/Stellbrink, StuW 12, 96). Im Taxopoly-Wettbewerb können Deutschlandinvestoren mit ihrem Nachsteuerertrag zwar somit nicht nur in der Badstraße investieren - zum Erwerb der Schlossallee ist es allerdings nach wie vor ein weiter Weg!

     

    3. Besteuerung nach (der) Wahl: Steuerrückzahlung zu Deinen Gunsten?

    Wie wird nun die Steuerpolitik der Zukunft aussehen? Geht die Entwicklung einer maßvollen Absenkung der Unternehmenssteuerbelastung schrittweise weiter? Oder drohen dem Standort Deutschland Risiken durch die Neujustierung verschiedener steuerpolitischer Stellschrauben?

     

    Trotz einer starken Fokussierung auf das Thema Steuern sind die Programme der Parteien im Bundestagswahlkampf im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung eher zurückhaltend. Während die CDU und die FDP auf der einen Seite des Spektrums eine wachstumsfreundliche Unternehmensbesteuerung propagieren, fordern die Linken andererseits einen Anstieg der Körperschaftsteuer um zehn Prozentpunkte auf 25 %. Allerdings kommt die wohl konkreteste Gefahr für die Erhöhung der Unternehmenssteuerbelastung durch die unterschiedlichen Varianten von Vermögensteuern und Vermögensabgaben, da deren Einführung die Bedingungen für Investition verschlechtern und somit dem Steuerstandort Deutschland nachhaltig schaden würde (vgl. Schreiber/Spengel/Wiegard, Die politischen Umverteilungsziele über Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und Einkommensteuer, DB 13, Heft 22/Standpunkte Nr. 4, 25).

     

    Wo liegt nun aber der Königsweg? Eine zu hohe Unternehmenssteuerbelastung ist sicherlich schädlich für Wachstum und Beschäftigung, sodass in der Steuerwissenschaft immer wieder auch die Frage nach der völligen 
Abschaffung von Körperschaftsteuern auftaucht. Umgekehrt verkörpern Unternehmen Leistungsfähigkeit und sind deshalb geeignete Adressaten für eine Steuerpflicht. Insoweit wandeln Regierungen im globalen Wettbewerb permanent auf dem schmalen Grat zwischen einer fiskalisch ergiebigen und einer wirtschaftlich attraktiven Steuerpolitik (so auch Schön, Das große internationale Steuer-Spiel, FAZ vom 12.4.13, 12). Vor diesem Hintergrund mag eine EATR von 28,2 % - wenn auch international in der Spitzengruppe - noch als akzeptabel gelten, wenn gleichzeitig derzeit bestehende strukturelle Defizite (wie z.B. bei der Zinsschranke, der Verlustberücksichtigung oder der Gruppenbesteuerung) ausgemerzt werden.

     

    Eine andere Einschätzung kann auch nicht aus der - vorrangig aus Defiziten des ausländischen Steuerrechts herrührenden - „BEP“-Diskussion abgeleitet werden. Deutschland hat, wie bereits die Namen der Reformgesetze belegen (Standortsicherungsgesetz, Steuersenkungsgesetz, Wachstumsbeschleunigungsgesetz), immer wieder selbst die Steuerkarte gespielt, um die Attraktivität des eigenen Wirtschaftsstandorts zu steigern und so die Konjunktur anzukurbeln. Dass Unternehmen dann die im In- und Ausland offerierten Rahmenbedingungen prüfen und die Steuerarbitrage nutzen, ist bei Beachtung der gesetzlichen Regelungen nicht zu beanstanden (vgl. ausführlich Töben, Grenzüberschreitende Steuerarbitrage, IStR 12, 685). Insoweit bei den Unternehmen den Sündenbock zu suchen, ist auch dann zu einfach, wenn die ausländischen Steueranreize über das von einzelnen Regierungen als richtig empfundene Maß hinausgehen.

     

    Vielmehr ist es Aufgabe der Staatengemeinschaft, im Wege internationaler Abstimmung klare gesetzliche Regelungen zu schaffen, um unerwünschten Wettbewerb der Standorte ebenso wie unerwünschte Steuergestaltung einzudämmen. Deutsche Alleingänge würden in Bezug auf eine weitere Verschärfung des deutschen Außensteuerrechts deutsche Konzerne im internationalen Vergleich über Gebühr benachteiligen (so auch Hey, BEPS - Base erosion and profit shifting: Wende im internationalen Steuerrecht, DB 13, Heft 13/Standpunkte Nr. 3, 21 - 22).

     

    So bleibt zunächst der Weg der internationalen Steuerabstimmung, wie ihn der Aktionsplan der OECD vom 19.7.13 auf Anforderung der G20-Staaten vorgibt. Der Aktionsplan spricht die tatsächlichen oder vermuteten Friktionen im internationalen Steuerrecht an und schlägt zur Lösung die Bildung von 15 Arbeitsgruppen (zu Themen wie Verrechnungspreise, Betriebsstättenbesteuerung, Abkommensmissbrauch oder Berichtspflichten) vor, um unerwünschte Besteuerungsergebnisse wie insbesondere die doppelte Nichtbesteuerung auszuschließen. Bis zur Implementierung der Ergebnisse der 15 Aktionspläne ist im OECD-Bericht ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren vorgesehen.

     

    FAZIT | Bei einer neuen internationalen Steuerkoordination muss Deutschland darüber hinaus aufpassen, durch die dann wohl unvermeidliche Tendenz zu mehr Quellenbesteuerung nicht plötzlich als Verlierer im Kampf um den Steuerkuchen dazustehen. Der beste Aktionsplan ist es ohnehin, im eigenen Land ein angemessenes und von den Unternehmen akzeptiertes Steuerklima zu schaffen. Taxopoly ist für alle Beteiligten nicht leicht zu gewinnen!

    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 238 | ID 42228727