· Fachbeitrag · Digitalsteuer
Google, Apple und Facebook: Ein Vorschlag zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft
von RA StB Prof. Dr. Jürgen W. Hidien, Münster
| Im März 2018 hat die EU-Kommission zwei Vorschläge für eine nationale Besteuerung der digitalen Wirtschaft veröffentlicht: die Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen, COM(2018) 148 final (nachfolgend: RL-E) und die Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz, COM(2018) 147 final ( www.iww.de/s2247 ). Dieser Beitrag gibt einen Überblick über Hintergrund, Inhalt und finanz- und steuerpolitische Probleme der geplanten Digitalsteuer. Ein späterer Beitrag wird sich mit der sog. digitalen Präsenz beschäftigen. |
1. Einleitung
Fragen der richtigen internationalen und nationalen Besteuerung der sog. digitalen Wirtschaft beschäftigen die politischen Gremien, namentlich der OECD/G20 und der EU, bereits seit den 1990er-Jahren, spätestens seit 1998 mit der G20-Konferenz in Ottawa und ihren Beschlüssen zum sog. E-Commerce (Internethandel). Einen politisch brisanten Teilausschnitt bildet die internationale, grenzüberschreitende Besteuerung digitaler Unternehmen, hier der großen US-amerikanischen Player (Google, Apple, Facebook, Amazon ‒ vulgo GAFA), die ihre zentralen Geschäftsmodelle komplett an die Erfordernisse und Möglichkeiten der digitalen Technik angepasst haben.
Befeuert werden diese Initiativen von der umstrittenen These, dass diese Unternehmen global, aber auch international und national mit ihren Geschäftsmodellen einer geringeren Steuerlast unterlägen als vergleichbare Unternehmen der „alten“ Wirtschaft. Die Steuerlastunterschiede beruhen hierbei u. a. auf nationalen, zunächst souverän zu verantwortenden Steuersatzunterschieden innerhalb der EU und Europas und in den USA. Daneben müssen diese Unternehmen regelmäßig über keine physische, wertschöpfende Betriebsstätte (Art. 5 OECD-MA 2000 bzw. 2010) i. S. einer räumlichen Sach- und Personalfunktion in Ländern ihrer wirtschaftlichen Aktivität verfügen und sind gleichwohl grenzüberschreitend, wertschöpfend und steuerplanerisch tätig. Erklärtes Ziel der EU ist insoweit eine „faire und effiziente Besteuerung“ digitaler Geschäftsmodelle und eine wettbewerbspolitische Sicherung des Binnenmarkts. Dies schließt evidente fiskalische Verteilungsinteressen der Mitgliedstaaten, den Steuerkuchen (Steuersubstrat) neu zu verteilen, nicht aus, deren Wert allerdings nicht überschätzt werden sollte.
2. Die geplante Digitalsteuer
Die neue geplante Digitalsteuer (Digital Service Tax; DST) ist aus der Sicht der Kommission lediglich eine Interimslösung für einen unbestimmten Übergangszeitraum. Der dauerhafte Lösungsvorschlag reformiert dagegen die Grundlagen des internationalen Steuerrechts, indem er eine neue digitale Betriebsstätte einführt (signifikante digitale Präsenz oder auch virtuelle Betriebsstätte; Significant Digital Presence) sowie neue Regeln für die grenzüberschreitende Gewinnverteilung vorgibt, die ebenfalls an die Ansässigkeit der digitalen Nutzer anknüpfen.
Zeitgleich hat auch die OECD/G20 erste Vorschläge für eine „faire“ Besteuerung der digitalen Wirtschaft vorgelegt. Der OECD/G20-Zwischenbericht knüpft inhaltlich an den BEPS-Abschlussbericht zu Aktionspunkt 1 (Besteuerung der Digitalwirtschaft) an, allerdings ohne politischen Konsens der Mitgliedstaaten über Reformbedarf und Lösungskonzepte. Ein Abschlussbericht soll erst 2020 vorliegen.
3. Grundlagen der Besteuerung
„Digitale Wirtschaft“ i. e. S. kennzeichnet derzeit bestimmte von ihren Unternehmen vorgehaltene Geschäftsmodelle der grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Warenumsätze. Die dahinterstehenden Unternehmen sind nicht oder nur in geringem Maße ortsgebunden und betreiben wissens- und informationsbasierte Formen der Wertschöpfung. Typische nicht immer in der Sache neue Geschäftsmodelle, die traditionelle Handelswege ergänzen oder neuartige Einkunftsquellen erschließen, sind folgende Transaktionen, die unter mehr oder weniger aktiver, aber zumeist unentgeltlicher Beteiligung der Nutzer (private oder andere Unternehmen) realisiert werden:
- 1. Andere Unternehmen platzieren Werbung auf einer Plattform des digitalen Unternehmens, die nach Grund und Art nutzerorientiert ist.
- 2. Digitale Unternehmen betreiben als sog. Intermediäre (Vermittler im Rahmen sog. Multi-sided Models) eine mehrseitige Onlineplattform (Marktplatz) und „vermitteln“ für beliebige Personen (Nutzer: Verkäufer und Käufer) Waren, Dienstleistungen und Informationen, z. B. Amazon Marketplace, Uber, AirBnB, BlaBlaCar, Foodora, Facebook.
- 3. Digitale Unternehmen generieren auf der Basis der aktiven Nutzerbeteiligung Nutzerdaten, die sie später weiterverkaufen.
- 4. Sog. Reseller (Verkäufer) erwerben Waren, Rechte, immaterielle Wirtschaftsgüter und verkaufen sie via Internet selbst weiter, z. B. Amazon E-Commerce, Spotify, Netflix.
- 5. Digitale Unternehmen, die auch direkte digitale Inhalte wie Computeranwendungen, Spiele, Musik, Videos, Texte zum Herunterladen, auch in Echtzeit (Streaming), sowie Kommunikationsdienste und bestimmte Finanzdienste anbieten.
Die mit diesen Geschäftsmodellen unmittelbar verbundenen Einnahmen unterliegen zwar nach dem noch vorherrschenden Modell des Welteinkommens (Universalitätsprinzip) am Sitz der digitalen Unternehmen im Sitzstaat (Ansässigkeitsstaat) grundsätzlich einer mehr oder weniger hohen Körperschaftsteuer. Nach dem neuen in den USA eingeführten Territorialitätsprinzip gelten diese Gewinne aber grundsätzlich auch im Sitzstaat als erwirtschaftet. Die neue Digitalsteuer begründet aber eine erneute, quasi doppelte Besteuerung zugunsten derjenigen EU-Staaten, in denen die Nutzer mit ihrem Nutzergerät eine maßgebliche, erste Ursache der späteren Wertschöpfung setzen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass der Nutzer nur bei den Modellen 1 bis 3 einen hinreichend messbaren Beitrag zur Wertschöpfung des digitalen Unternehmens leistet, der eine zusätzliche Besteuerung im Quellen- und Konsumstaat rechtfertigen kann. Insoweit werden dann diese Folgeerträge (Umsätze) des digitalen Unternehmens mit einer 3%igen Digitalsteuer belegt.
Die RL-E der EU-Kommission für eine DST basiert danach auf einem modernisierten Erwirtschaftungsprinzip. Sie bemisst die lokale Wertschöpfung digitaler Unternehmen nach Maßgabe der aktiven, zumeist unentgeltlichen Nutzerbeteiligung im Rahmen digitaler Dienstleistungen in den EU-Mitgliedstaaten. Steuerlicher Anknüpfungspunkt ist die Nutzerbeteiligung.
Beachten Sie | Die europäischen oder internationalen Mehrwertsteuersysteme verorten die Besteuerung (auch) digitaler, sog. elektronischer Dienstleistungen schon seit Längerem grundsätzlich nach dem Bestimmungslandprinzip im Verbrauchs- und Sitzstaat des Leistungsempfängers. Die Umsatzbesteuerung der Verbraucher und Nutzer setzt allerdings einen (entgeltlichen) Leistungsaustausch voraus. Die mehr oder weniger aktive, unentgeltliche Nutzerbeteiligung in den „Verbrauchsstaaten“ wird jedoch regelmäßig keinen Leistungsaustausch mittels der Datenhergabe begründen. Ein entsprechendes Bestimmungslandprinzip für Konsumsteuern ist dem internationalen Unternehmenssteuerrecht bisher fremd.
4. Strukturen der Digitalsteuer
4.1 Steuerobjekt
Die RL-E regelt die Besteuerung der „Erträge“ (Umsatzentgelte oder Umsatzerlöse i. S. d. § 275 HGB) aus bestimmten digitalen Dienstleistungen, die von einem Unternehmen unabhängig von seinem Sitz in der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten erwirtschaftet wurden (s. Übersichten 1 ‒ 4). Es bestehen abschließend drei Steuerzugriffstatbestände steuerbarer Erträge aus den drei oben erwähnten Arten von Geschäftsmodellen im Dienstleistungssektor, die den Anwendungsbereich der Steuer begrenzen:
- a) die Platzierung von Werbung auf einer digitalen Schnittstelle, die sich an die Nutzer dieser Schnittstelle richtet (Werbedienstleistung),
- b) die Bereitstellung einer mehrseitigen Schnittstelle für Nutzer, die es diesen ermöglicht, andere Nutzer zu finden und mit ihnen zu interagieren, und die darüber hinaus die Lieferung zugrunde liegender Gegenstände oder Dienstleistungen unmittelbar zwischen Nutzern ermöglichen kann (Vermittlungsdienstleistung) und
- c) die Übermittlung gesammelter Nutzerdaten, die aus den Aktivitäten der Nutzer auf digitalen Schnittstellen generiert werden (Daten-Sharing).
Eine digitale Schnittstelle bezeichnet jede Art von Software, darunter auch Websites oder Teile davon sowie Anwendungen, einschließlich mobiler Anwendungen, auf die Nutzer zugreifen können, z. B. Plattformen. Nutzer ist jede Person, die auf digitale Schnittstellen zugreift, etwa durch Besuch, Registrierung oder Einloggen. Die maßgeblichen Erträge sind die Gesamtbruttoerträge (Umsätze, Betriebseinnahmen, Bruttoversteuerung) abzüglich Mehrwertsteuer und „sonstiger ähnlicher Steuern“. Steuerbare Erträge gelten schon zu dem Zeitpunkt als erwirtschaftet, zu dem sie fällig sind, unabhängig davon, ob die betreffenden Beträge tatsächlich gezahlt wurden (Sollversteuerung). Eine Steuer entfällt, wenn das Unternehmen hieraus unmittelbar keine „Erträge“ erzielt. Verluste sind unbeachtlich.
Nur diejenigen Dienstleistungen unterliegen der Steuer, die digitale Schnittstellen für eine qualifizierte Nutzerbeteiligung (Nutzer-Input) einsetzen. Für eine ganze Reihe praktisch bedeutsamer digitaler Dienstleistungen ohne qualifizierte, wertschöpfende Nutzerbeteiligung legt die RL-E daher ausdrücklich fest, dass deren Erträge hier nicht steuerbar sind. Keine steuerbaren Erträge generieren Unternehmen daher mit Dienstleistungen, die hauptsächlich („Hauptzweck“) oder ausschließlich digitale Inhalts- oder Kommunikationsdienste erbringen, z. B. die sozialen Netzwerke, vorbehaltlich ihrer Datennutzung. Nicht steuerbar sind auch regulierte Zahlungs-, Wertpapier-, Anlageberatungs- oder Kreditdienstleistungen mit ihren Plattformen. Auch Erträge aus dem E-Commerce selbst zwischen Nutzern, die nicht auf Vermittlungsdiensten beruhen, unterliegen nicht der Steuer. Das gilt schließlich auch für solche „Erträge“, die als Innenumsätze innerhalb einer konsolidierten Gruppe (Organschaft, Konzern) anfallen.
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Drei Geschäftsmodelle der Nutzerbeteiligung a) bis c) über eine digitale Schnittstelle (dS) | Steuerbare Dienstleistungen (und Erträge) nach RL | Ausdrücklich nicht steuerbare Dienstleistungen und Erträge | Beispiel |
| Art. 3 Abs. 1a | Facebook, Google (Alphabet), YouTube | |
| Art. 3 Abs. 1b | Leistungen zwischen Nutzern (B2B, B2C, C2C): Amazon Marketplace, Airbnb, Uber BlablaCar, Foodera, Ebay | |
| Art. 3 Abs. 4a | Streaming: Amazon Video/ Music, Apple Music, Netflix, Spotify | |
| Art. 3 Abs. 4a | Skype, Friendscout, Parship, Twitter, WhatsApp, Face | |
| Art. 3 Abs. 4a | Paypal, Sofortüberweisung, Amazon Pay, Wirecard | |
| Art. 3 Abs. 4b | Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute (§ 1 KWG) | |
| Crowdlending-Kreditinstitute (§ 1 KWG) | ||
| Art. 3 Abs. 1c | Facebook, Google, Amazon |
4.2 Besteuerung
Die weiteren Regelungen zur materiellen Besteuerung müssen insbesondere die folgenden zentralen Fragen klären:
- Wer ist Steuerpflichtiger?
- Wo ist der Ort der Besteuerung?
- Wie hoch sind Bemessungsgrundlage, Steuersatz und der Steueranspruch des jeweiligen Mitgliedstaats als Steuergläubiger?
Für den Beginn der Steuerpflicht gelten zwei hohe Schwellenwerte (Freigrenzen), die an die Umsatzgrößen des steuerpflichtigen Unternehmens anknüpfen. Kumulative Voraussetzung ist, dass das Unternehmen, unabhängig von seinem Sitz, je Kalenderjahr mehr als 750 Mio. EUR Weltgesamtumsatz hat ‒ und zwar unabhängig von der Art der Geschäftsmodelle ‒ und mehr als 50 Mio. EUR steuerbaren Digitalumsatz innerhalb der EU erzielt. Steuerpflichtig ist grundsätzlich der Eigentümer der digitalen Schnittstelle. Konzerne bilden eine Einheit.
Die EU-interne Zuordnung der steuerbaren Erträge bestimmt sich nach dem Konzept der Wertschöpfung unter Beteiligung der Nutzer, welches auch schon der Bestimmung des Steuerobjekts zugrunde liegt. Ort bzw. Land der Steuerertragshoheit und Steuergläubiger ist derjenige Mitgliedstaat (MS), in dem der Nutzer der steuerbaren Dienstleistung während des Kalenderjahres (Steuerzeitraum) ansässig ist. Unerheblich ist, ob der Nutzer eine monetäre Gegenleistung erbracht hat. Unerheblich für die Ortsbestimmung sind auch der Ort der „vermittelten“ Leistung im Fall der Nutzung einer mehrseitigen digitalen Schnittstelle sowie der Ort der Zahlung einer Dienstleistung.
Die Ansässigkeit des Nutzers bestimmt die RL-E nach Maßgabe der Nutzerbeteiligung im Rahmen der drei erwähnten Steuerzugriffstatbestände:
- Im Fall a) gilt der Nutzer dort als ansässig, wo und wann die Werbeanzeige auf seinem Gerät erschienen ist.
- Im Fall b) gilt der Nutzer dort als ansässig, wo und wann er auf der mehrseitigen digitalen Schnittstelle Transaktionen durchgeführt hat; andernfalls genügt schon der MS der Kontoeröffnung.
- Im Fall c) gilt der Nutzer dort als ansässig, wo und wann generierte Daten aus seinem Zugriff auf eine digitale Schnittstelle verkauft wurden.
Der konkrete Nutzungsanteil, bezogen auf den jeweiligen Mitgliedstaat, ergibt sich dann nach Maßgabe eines Nutzungstatbestands entsprechend zu den drei Fallgruppen, d. h.
- nach der Anzahl der angezeigten Werbeanzeigen (Fall a)) oder
- nach der Anzahl der aktiven oder passiven Nutzer (Fall b)) oder
- nach der Anzahl der Nutzer, deren Daten verkauft wurden (Fall c)).
Maßgeblich ist damit praktisch der Ort der Nutzung des Nutzergeräts, der mittels der IP-Adresse oder über andere Methoden der Geolokalisierung ermittelt werden soll.
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Geschäftsmodelle: Art der steuerbaren Dienstleistung | Ansässigkeit des Nutzers im MS | Nutzungsanteil je MS |
1. Werbedienste | Werbeanzeige auf dem Nutzergerät während Verwendung im MS | Anzahl der Werbeanzeigen auf dem Nutzergerät |
2. Vermittlungsdienste |
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3. Datenverkauf | Datenübermittlung nach Verwendung des Nutzergeräts im MS | Anzahl der Nutzer, von denen Daten generiert wurden |
Die Steuerbemessungsgrundlage bestimmt sich folglich nach Maßgabe der anteiligen territorialen Erwirtschaftung der Erträge. Die Digitalsteuer des jeweiligen Mitgliedstaats (Steuergläubiger) wird für einen Steuerzeitraum (Kalenderjahr) durch Anwendung des Digitalsteuersatzes auf die im Mitgliedstaat steuerbaren Erträge berechnet. Der Digitalsteuersatz beträgt 3 % der Bruttoerträge. Die Steuer soll von der nationalen Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer abziehbar sein.
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Steuerpflichtiger: Schwellenwerte | Ort der Besteuerung: Ansässigkeit des Nutzers im MS | BMG und Steuersatz |
„Rechtsträger“ = Unternehmen, wenn Globalerträge > 750 Mio. EUR p.a. und steuerbare Unionserträge > 50 Mio. EUR p.a. | Erwirtschaftungsprinzip: Wo und wie hat der Nutzer die steuerbaren Dienstleistungen genutzt? | Steuerbare Bruttoerträge, die im Mitgliedstaat erwirtschaftet wurden, × 3 % = nationale Digitalsteuer |
4.3 Verfahren
Die Durchführung des Steuerverfahrens obliegt den Mitgliedstaaten. Steuerschuldner ist derjenige Steuerpflichtige, der die innerhalb der EU steuerbare Dienstleistung erbringt. Das steuerpflichtige Unternehmen muss sich dann in einem Mitgliedstaat seiner Wahl registrieren und mit einer ID-Nummer identifizieren lassen. Die Behörden dieses Mitgliedstaats fungieren als einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop, OSS ‒ aus dem Mehrwertsteuerrecht bekannt) für die kalenderjährliche DST-Erklärung. Dort entrichtet der Steuerschuldner zugleich die in allen Mitgliedstaaten geschuldete Digitalsteuer. Der Steuervollzug obliegt dem jeweiligen Mitgliedstaat. Hierüber tauschen sich die Mitgliedstaaten im Weg der elektronischen Verwaltungszusammenarbeit aus. Da die (anteilige) Steuer dem jeweiligen Mitgliedstaat als Steueranspruch zusteht, hat der Staat der Identifizierung die Steuerertragsanteile nach Maßgabe der Erwirtschaftung an die anderen Mitgliedstaaten als Steuergläubiger weiterzuleiten.
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Steuerschuldner | Steuererklärung | Verwaltungszusammenarbeit |
= steuerpflichtiges Unternehmen
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5. Kritik, aktueller Stand und Bewertung
Die Steuerpläne sind in den deutschen Fachkreisen ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen („Der digitale Steuer-Irrweg“, Schön, faz.net 6.4.18). Die Kritik moniert vornehmlich die (wirtschafts-)politische Zweckmäßigkeit, aber auch ihre steuersystematische Konzeption und Rechtsmäßigkeit:
- Zu geringes Aufkommen (ca. 2 ‒ 6 Mrd. EU-weit) bei hohem Verwaltungsaufwand und ggf. mit grauem Finanzausgleich zulasten der nationalen Körperschaftsteuer
- Handelskonflikt mit den USA, welche die Steuer als Importzoll interpretieren
- Steuerliche Diskriminierung und Mehrbelastung der (aufstrebenden) Digitalwirtschaft
- Nachteile für deutsche Exportwirtschaft, namentlich in den USA und Asien
- Der Ort der Wertschöpfung und der Nutzerbeitrag seien nicht bestimmbar.
- Es handele sich um eine gleichheitswidrige Sondersteuer hinsichtlich Steuersubjekt und Steuerobjekt und eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung.
- Bruttobesteuerung und Verstoß gegen Leistungsfähigkeitsprinzip
- Besteuerung im Konsumland der generierten Umsätze
- Die Steuerbelastung sei zu hoch.
- Die Freigrenze sei gleichheitswidrig zu hoch.
- Die Steuer sei nicht mit DBA (und dem GG) abgestimmt.
Aber auch innerhalb der EU stehen den Befürwortern (namentlich Frankreich) mehr oder weniger gewichtige politische Gegner (etwa Niederlande, Irland, Luxemburg, Malta) gegenüber. Deutschland (BMF) scheint eine Mindeststeuer zu befürworten, neuerdings auch eine europäische Finanztransaktionssteuer nach dem alten Vorschlag der EU-Kommission (COM[2013] 71 final) und nach bestehendem französischen Muster (Art. 235 ter ZD CGI).
In ihrer Ecofin-Sitzung am 4.12.18 haben die EU-Finanzminister den Richtlinienvorschlag noch nicht angenommen. Ein geänderter gemeinsamer Vorschlag von Deutschland und Frankreich sieht nunmehr vor, dass die Besteuerung auf den Umsatz mit Online-Werbung (Fall a)) beschränkt werden soll, während der Steuersatz von 3 % beibehalten wird. Der Vorschlag würde nur in Kraft treten, wenn die OECD nicht rechtzeitig eine international konsentierte Lösung hervorbringt (Sunrise-Regel). Darüber hinaus würde die Steuer 2025 automatisch auslaufen (Sunset-Regel). Der Ecofin soll den neuen Vorschlag jedenfalls nach dem Willen von Deutschland und vornehmlich Frankreich bis spätestens März 2019 beschließen und am 1.1.21 in Kraft setzen. Ob ein einstimmiger Beschluss der 27 Mitgliedstaaten zustande kommen wird, ist weiterhin offen.
Vielleicht ist die geplante Steuer aber besser als ihr Ruf, jedenfalls wenn sie nachgebessert, ergänzt und ausgeschärft sowie strikt als Übergangsrecht befristet wird. Sie ist jedenfalls der erste ernst zu nehmende, nicht nur rechtssymbolische Versuch, digital vermittelte Wertschöpfung nach einem Quellen-und Erwirtschaftungsprinzip (Doing Business) zu verorten. Den rechtstechnischen Problemen und Einwänden kann begegnet werden. Sie sind übrigens gerade aus deutschem Mund bemerkenswert, weil hier etwa alte Phänomene wirtschaftlicher Doppelbesteuerung bundesverfassungsgerichtlich abgesegnet und fiskalisch hoch geschätzt sind (z. B. Solidariatätszuschlag, Gewerbe steuer, spezielle Verbrauchsteuern), wenngleich sie sicher kein konsistentes Steuersystem abbilden.
Richtig ist aber, dass die Steuer mit dem Recht der DBA und der WTO abgestimmt sein sollte. Und auch die steuerempirische Basis erscheint bisher eher schmal (Steuerquoten der Player, Nutzerbeitrag, Wertschöpfung?). Auch wirtschaftspolitische Negativeffekte für Exportnationen sind naheliegend. Eine internationale Ertragsteueraufteilung, die sich stärker am Bestimmungslandprinzip orientieren würde, tangiert insoweit das deutsche Fiskalinteresse. Allerdings sind aktuelle Besteuerungsprobleme der EU mit internationalen Unternehmen auch „hausgemacht“ und/oder Folge bestehender Steuersouveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten, die sich derzeit allenfalls mit den wenig geeigneten Mitteln des Wettbewerbsrechts und der Anti-Missbrauchsregeln eingrenzen lassen. Denkbar wäre im Hinblick auf den verbrauchsteuerrechtlichen Einschlag der Steuer die Einführung einer eigenen EU-Digitalsteuer zugleich als Teil der Eigenmittel der EU.
FAZIT | Die geplante EU-Digitalsteuer (DST) als hochselektive (Quellen-)Steuer tritt neben die Sitzstaatbesteuerung (Ansässigkeitsprinzip) und ist hinsichtlich des Steuerobjekts und -subjekts eine Sondersteuer, die Elemente einer Umsatz- und Körperschaftsteuer verbindet. Der Steuersatz beträgt 3 % des Umsatzes. Die Steuerverwaltungs- und Steuerertragshoheit obliegt den Mitgliedstaaten. Maßstab und wirtschaftlicher Anknüpfungspunkt der Besteuerung ist nicht mehr die physische Betriebsstätte, sondern (auch) der Ort der Gewinnerwirtschaftung und (unterstellten) Wertschöpfung nach Maßgabe des Indikators der qualifizierten Nutzerbeteiligung (Nutzer-Input) auf dem Ansässigkeits- und Konsummarkt des Mitgliedstaats. Eine „klassische“ Betriebsstätte muss für den Steuerzugriff nicht mehr vorliegen. Selbst ein entgeltliches Direktgeschäft ist nicht erforderlich. Soweit die bestehenden DBA auf die Digitalsteuer nicht anwendbar sein sollten, führt die Besteuerung zu einer teilweisen Neuallokation der Zuständigkeiten für die nationalen Besteuerungsrechte der beteiligten Staaten. Sie ist eine bloße Interimslösung (Quick Fix), die bis 2020 umzusetzen ist und bis zur endgültigen Einführung einer virtuellen Betriebsstätte fortgelten soll.
Erklärtes Ziel ist es, eine „faire und effiziente Besteuerung“ für digitale Geschäftsmodelle zu etablieren. Ob diese neuartige, hybride Sonderbesteuerung so oder in nachgebesserter Form einstimmig im EU-Rat oder in ähnlicher Form in der OECD/G20 verabschiedet wird, ist auch wegen ihrer steuer- und finanzpolitischen Folgeprobleme und der gegenläufigen Interessen der Mitglieder noch zweifelhaft. Dann werden allerdings, ähnlich wie bei der kürzlich wiederbelebten Finanztransaktionssteuer, nationale Alleingänge in der EU weiter zunehmen. Fragen der Besteuerung der sog. digitalen Wirtschaft und einer Reform der Quellenbesteuerung in Richtung auf ein Weltsteuerrecht harren jedenfalls weiter einer dauerhaften internationalen und auch technisch angepassten Lösung. |
Weiterführende Literatur
- Benz/Böhmer, DB 18, 1233; Cloer/Niemeyer, DStZ 18, 612; Eilers/Oppel, IStR 18, 361; OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1-2015 Final Report, OECD/G20 BEPS Project; OECD, BEPS Report, Tax Challenges Arising from Digitalisation, Interim Report 2018; Roderburg, Ubg 18, 249; Valta, IStR 18, 765; Wicher, IWB 18, 576.