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  • · Fachbeitrag · Google, Apple und Facebook

    Die „digitale Betriebsstätte“

    von RA StB Prof. Dr. Jürgen W. Hidien, Münster

    | Im März 2018 hat die EU-Kommission zwei Vorschläge für eine nationale Besteuerung der digitalen Wirtschaft veröffentlicht (Richtlinien im Entwurf s. www.iww.de/s2247 ). Mit ihren Maßnahmen strebt die Kommission eine Änderung der internationalen Verteilung der ertragsteuerlichen Besteuerungsrechte für die digitale Wirtschaft an. In der Januar-Ausgabe wurde bereits die geplante Digitalsteuer vorgestellt (s. Hidien, PIStB 19, 7 ). Dieser Beitrag gibt einen Überblick über Hintergrund, Inhalt und Probleme der geplanten „virtuellen,“ oder „digitalen“ Betriebsstätte, die die klassische physische Betriebsstätte ergänzen soll. |

    1. Rechtspolitischer Hintergrund

    Erklärtes Ziel beider Vorschläge ist es, eine „faire und effiziente Besteuerung“ für digitale Geschäftsmodelle international tätiger Unternehmen zu etablieren und die wettbewerbspolitische Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts zu sichern. Fragen der richtigen internationalen und nationalen Besteuerung der sog. digitalen Wirtschaft und ihrer Unternehmen beschäftigen die politischen Gremien namentlich der OECD/G20 und der EU bereits seit den 1990er-Jahren, spätestens seit 1998 mit der G20-Konferenz in Ottawa und ihren Beschlüssen zum sog. E-Commerce (Internethandel).

     

    Einen politisch brisanten Teilausschnitt bildet die internationale Besteuerung multinationaler Internetkonzerne, besonders der hochprofitablen US-amerikanischen Player (Google, Apple, Facebook, Amazon ‒ vulgo GAFA, Microsoft u. a.), die ihre zentralen Geschäftsmodelle komplett an die Erfordernisse und Möglichkeiten der digitalen Technik angepasst haben. Ohne mehr oder weniger aktive Nutzer (User), die (soziale) Netzwerke benutzen, Daten eingeben oder empfangen und Werbung erdulden (Nutzerbeteiligung) oder als potenzielle Kunden auftreten, funktioniert dies nicht.

     

    Digitale Unternehmen sind nicht oder nur in geringem Maß ortsgebunden (territorial radiziert) und betreiben wissens- und informationsbasierte Formen der Wertschöpfung. Ihre Produkte sind virtueller (Daten, Algorithmen, Netzwerke), ihre Vermögenswerte immaterieller Natur. Ihre oftmals gegenüber der „alten“ Wirtschaft geringere Steuerlastquote beruht hierbei u. a. auf nationalen, zunächst souverän zu verantwortenden Steuersystemunterschieden innerhalb Europas und in den USA, aber auch auf dem Umstand, dass diese Unternehmen regelmäßig über keine physische, wertschöpfende Betriebsstätte (Art. 5, 7 OECD-MA 2000 bzw. 2010) i. S. einer räumlichen Sach- und Personalfunktion in Ländern ihrer wirtschaftlichen Aktivität verfügen.

     

    Zeitgleich hat auch die OECD/G20 im Gefolge der BEPS-Aktionen (Base Erosion and Profit Shifting) erste Vorschläge für eine „faire“ Besteuerung der digitalen Wirtschaft vorgelegt. Der OECD/G20-Zwischenbericht knüpft inhaltlich an den BEPS-Abschlussbericht zu Aktionspunkt 1 an, allerdings ohne politischen Konsens der Mitgliedstaaten über Reformbedarf und Lösungskonzepte. Das neu erwachte OECD-Mantra der internationalen Unternehmensbesteuerung lautet „to tax profit where value is created“. Ein Abschlussbericht soll erst 2020 vorliegen. Mit Blick und als Reaktion auf verschiedene nationale Alleingänge der Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission als Übergangslösung eine Digitalsteuer vorgeschlagen, die später durch eine neuartige Besteuerung digitaler Betriebsstätten abgelöst werden soll.

     

    Die beiden Richtlinienentwürfe der EU-Kommission aus 2018 zur Digitalsteuer (als Interimslösung; s. auch Hidien, PIStB 19, 7) und zur digitalen Betriebsstätte (als Dauerlösung) bemessen den Steuerzugriff und die lokale Wertschöpfung digitaler internationaler Unternehmen nach Maßgabe der Nutzerbeteiligung im Rahmen digitaler Dienstleistungen in den EU-Mitgliedstaaten. Nutzer sind alle Personen, die eine von den Unternehmen bereitgestellte sog. digitale Schnittstelle (Software) in Anspruch nehmen. Beide Vorschläge führen, sofern sie realisiert werden, zu einer am wirtschaftlichen Absatz- und Nachfragemarkt (Bestimmungslandprinzip) orientierten Modifikation der internationalen Unternehmensbesteuerung. Beide Vorschläge zielen darauf, „die Resilienz des Binnenmarktes gegenüber den Herausforderungen der Besteuerung in der digitalisierten Wirtschaft insgesamt zu verbessern“.

    2. Neue Digitalsteuer als Interimslösung?

    Die geplante EU-Digitalsteuer besteuert Umsätze aus bestimmten digitalen Dienstleistungen (Werbung, Vermittlung, Datenverkauf) der digitalen Unternehmen, die heute vornehmlich in den USA ansässig sind. Der Steuersatz beträgt 3 % des Umsatzes. Es handelt sich um eine Sondersteuer und Soll-Besteuerung, die Elemente einer Umsatz- und Körperschaftsteuer verbindet und nicht in den Anwendungsbereich der DBA fallen soll. Wirtschaftlicher Anknüpfungspunkt (Nexus) und Maßstab der Besteuerung ist hier nicht mehr die physische Betriebsstätte, sondern der Ort der Gewinnerwirtschaftung und (unterstellten) Wertschöpfung nach Maßgabe des Indikators der qualifizierten Nutzerbeteiligung (Nutzer-Input) auf dem Ansässigkeits- und Konsummarkt des Mitgliedstaats. In ihrer ECOFIN-Sitzung am 4.12.18 haben die EU-Finanzminister den Richtlinienvorschlag noch nicht angenommen.

    3. Neue Betriebsstättenbesteuerung als Dauerlösung

    Gestützt auf die Rechtsgrundlage des Art. 115 AEUV (EU-Zuständigkeit für direkte Steuern mit Binnenmarktjunktim) schlägt die EU-Kommission als dauerhafte Lösung eine Erweiterung des klassischen Betriebsstättenkonzepts vor: die sog. signifikante digitale Präsenz (nachfolgend: digitale Betriebsstätte) als territorialer Anknüpfungspunkt und Zuordnungspol der nationalen und internationalen Körperschaftbesteuerung. Im Grundsatz ist die überkommene Betriebsstätte ein zivilrechtlich unselbstständiger Teil eines Gesamtunternehmens, der im Kern eine physische Präsenz im Sinne einer räumlich-sachlichen, dauerhaften Verfügungsmacht und Personalfunktion im Quellenstaat voraussetzt (§ 12 AO, Art. 5 OECD-MA). Paradigma ist die feste Niederlassung.

     

    Digitale, insbesondere nutzerbasierte und vordergründig unentgeltliche Geschäftsmodelle erreichen diese Betriebsstättenschwelle im Quellenstaat bislang oftmals nicht, sodass ihr Unternehmensgewinn nur im Ansässigkeits- und Sitzstaat, nicht aber auch im Quellenstaat besteuert werden kann. Der neue Begriff der digitalen Betriebsstätte dient dazu, einen neuen, ergänzenden steuerrechtlichen Anknüpfungspunkt im jeweiligen Steuergebiet der einzelnen EU-Mitgliedstaaten herzustellen. Ähnlich wie beim Vorschlag der Digitalsteuer geht die EU-Kommission davon aus, dass die Nutzer bestimmter digitale Dienstleistungen (z. B. der sozialen Netzwerke oder Online-Marktplätze) mittels eines „digitalen Fußabdrucks“ einen substanziellen, messbaren Beitrag zur Wertschöpfung des multinationalen Unternehmens im Quellenstaat (Staat der Nutzung oder des Konsums, hier der Datengewinnung oder Datenverarbeitung) leistet, der einen Steuerzugriff und eine staatliche Beteiligung am Steuerkuchen rechtfertigt.

    4. Anwendungsbereich und Grundbegriffe der modifizierten Betriebsstättenbesteuerung

    4.1 Adressaten

    Die geplante Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz (COM (2018) 147 final; RL-E) verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, ihren im Bereich der Körperschaftsteuer verwendeten Begriff der Betriebsstätte auf eine digitale Präsenz auszudehnen, wenn sie ihren neuen Besteuerungsrechte wahrnehmen wollen. Sie gilt grundsätzlich für alle Körperschaftsteuersubjekte unabhängig von ihrem Sitz. In DBA-Fällen innerhalb der EU soll die Richtlinie das jeweilige DBA überschreiben (Treaty Override). In DBA-Fällen mit einem Drittland sollen die Mitgliedstaaten zunächst ihre DBA entsprechend einvernehmlich ergänzen.

     

    4.2 Digitale Dienstleistungen

    Kernelement der neuen digitalen Betriebsstätte ist eine Geschäftstätigkeit des Unternehmens, das über eine digitale Schnittstelle, d. h. eine für Nutzer (Private oder Unternehmen) zugängliche Software, digitale Dienstleistungen bereitstellt. Eine „digitale Schnittstelle“ bezeichnet jede Art von Software, darunter auch Websites, einschließlich mobiler Anwendungen wie Apps, auf die Nutzer zugreifen können, z. B. Plattformen. „Nutzer“ ist jede Person, die auf digitale Schnittstellen zugreifen kann, etwa durch Besuch, Registrierung oder Einloggen. Die maßgeblichen „Erträge“ des Unternehmens sind die Gesamtbruttoerträge (Erlöse, Umsätze, Betriebseinnahmen), abzüglich der Mehrwertsteuer und anderer Abgaben.

     

    Art. 3 Abs. 5 RL-E definiert „digitale Dienstleistungen“ als Dienstleistungen, die über das Internet oder ein elektronisches Netzwerk erbracht werden, deren Erbringung aufseiten des leistenden Unternehmens aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und die ohne Informationstechnologie nicht erbracht werden könnten. Anhang II der Richtlinie enthält eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung digitaler Dienstleistungen i. S. d. RL-E:

     

    • die Überlassung digitaler Produkte allgemein (z. B. Softwarevertrieb)
    • Dienste, die in elektronischen Netzwerken eine Präsenz zu geschäftlichen oder persönlichen Zwecken vermitteln oder unterstützen (z. B. Facebook, LinkedIn, Dating-Apps wie Tinder, Minder)
    • Internet-Service-Pakete mit Informationen, z. B. Webhosting, Wetter, Nachrichten
    • Online-Speicherplatz (z. B. Amazon Web Services, Dropbox, Google Drive)
    • Angebot eines Online-Marktplatzes (z. B. eBay, Amazon Services)
    • Bereitstellung von Online-Werbung
    • Benutzung von Suchmaschinen (z. B. Google)
    • Website-Statistiken (z. B. Google Analytics)
    • Online-Fernwartung von Software
    • Bannerblocker
    • Online-Data-Warehousing
    • Gewährung des Zugangs zu oder Herunterladen (streaming) von Software jeder Art wie Musik, Filme, Spiele (z. B. Spotify, Apple Music, Netflix, Amazon Prime)
    • Abonnement von Online-Publikationen
    • Online-Fernunterricht

     

    Keine digitalen Dienstleistungen sind nach Anhang III RL-E die beispielhaft aufgeführten folgenden Leistungen. Es handelt sich entweder um den Verkauf von Dienstleistungen oder um Lieferungen (eigentlicher E-Commerce) oder um solche Dienstleistungen, die zum wesentlichen Teil von Menschen erbracht werden, wobei das Internet oder ein elektronisches Netz lediglich als ein Kommunikationsmittel dienen. Hierzu gehören:

    • Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen
    • Telekommunikationsdienstleistungen, mit Video-Komponente, Internettelefonie
    • CD, CD-ROM, DVD, Disketten und ähnliche körperliche Datenträger
    • Druckerzeugnisse wie Bücher, Newsletter, Zeitungen und Zeitschriften
    • Beratungsleistungen durch Rechtsanwälte u. a. per E-Mail
    • andere Offline-Leistungen

    5. Begründung einer digitalen Betriebsstätte

    Art. 4 RL-E regelt, unter welche Voraussetzungen eine digitale Betriebsstätte als steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt der Unternehmensbesteuerung vorliegt. Eine signifikante digitale Präsenz besteht in einem Mitgliedstaat der EU für Zwecke der nationalen Körperschaftsteuersysteme ‒ ggf. neben und ungeachtet einer traditionellen Betriebsstätte ‒, wenn Unternehmen digitale Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle bereitstellen. Zusätzlich muss zumindest einer der folgenden drei Schwellenwerte erfüllt sein (s. Übersicht 1). Diese orientieren sich nach Art und Höhe an den Erträgen aus der Erbringung digitaler Dienstleistungen, der Zahl der Nutzer oder der Zahl der Geschäftsverträge über digitale Dienstleistungen. Diese Schwellenwerte sollen die Bedeutung (Signifikanz) der digitalen Präsenz für verschiedene Arten von Geschäftsmodellen (z. B. Werbung, Vermittlung bei mehrseitigen Modellen, Datenverkauf) widerspiegeln und die unterschiedlichen Beiträge zum Wertschöpfungsprozess berücksichtigen sowie Bagatellfälle (kleine digitale Unternehmen) ausklammern.

     

    Internationale Unternehmen versteuern ihre gesamten Erträge grundsätzlich im Sitzstaat, vorbehaltlich einer physischen Betriebsstätte im Quellenstaat. Auch die neue digitale Betriebsstätte bedarf nach allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts einer näheren Beziehung zum Quellenstaat als Grundlage und Rechtfertigung des Steuerzugriffs. Eine solches Naheverhältnis zum Quellenstaat kann etwa an territoriale oder personelle Staatselemente anknüpfen. Nach Auffassung der EU-Kommission soll die wertschöpfende Nutzerbeteiligung den maßgeblichen Anknüpfungspunkt im jeweiligen Mitgliedstaat nach Grund und Höhe begründen. Diese bemisst sich konkret daran, wie oft ein Nutzer auf eine digitale Schnittstelle des Unternehmens zugreift (Ort der Leistungserbringung). Die fiktive, d. h. technische Nutzeransässigkeit wird dann im jeweiligen Mitgliedstaat, dem das Besteuerungsrecht zustehen soll, anhand der IP-Adresse des verwendeten Nutzergeräts durch das digitale Unternehmen bestimmt.

     

    • Übersicht 1: Betriebsstätte (BS) Art. 4 RL-E

    Digitale BS eines Unternehmens in einem Mitgliedstaat (MS) = Signifikante digitale Präsenz, über die die Geschäftstätigkeit ausgeübt wird. Die Geschäftstätigkeit besteht aus der Bereitstellung digitaler Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle.

    Drei nutzerbasierte alternative Schwellenwerte je Steuerjahr und je MS

    Lokalisierung: Ansässigkeit des Nutzers im MS qua IP-Adresse

    • 1. Umsatzschwelle: mehr als 7 Mio. EUR digitale Erträge im MS

    Nutzer benutzt Gerät für digitale Dienstleistungen

    • 2. Nutzerschwelle: mehr als 100.000 Nutzer im MS

    Nutzer benutzt Gerät für digitale Dienstleistungen

    • 3. Vertragsschwelle: mehr als 3000 Geschäftsverträge mit Nutzern im MS

    Geschäftsvertrag (B2B) und Nutzer ist im MS ansässig

     

    6. Gewinne einer digitalen Betriebsstätte

    Art. 5 RL-E regelt, welcher Mitgliedstaat der EU welche Gewinne (Einkünfte) einer digitalen Betriebsstätte besteuern darf. Die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und digitaler Betriebsstätte orientiert sich an den neueren internationalen Grundsätzen der OECD. Die Kommission hat insoweit grundsätzlich die (relativ abstrakten) Regelungen Art. 7 OECD-MA 2010 aufgegriffen, die auf dem „Authorised OECD Approach“ (AOA) beruhen und eine uneingeschränkte Selbstständigkeit der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnaufteilung und Einkünfteermittlung propagieren (Functionally Separate Entity Approach).

     

    Die Kommission hebt ausdrücklich hervor, dass die Gewinnzuordnung die technischen und wirtschaftlichen Besonderheiten der digitalen Betriebsstätte beachten muss. Insbesondere fehlen regelmäßig Personalfunktionen im Nutzerstaat, um den Grundsatz „Assets Follow Functions“ insoweit zu verproben. Maßgebliches Funktionskriterium seien vielmehr die wirtschaftlich signifikanten daten- und nutzerbasierten Tätigkeiten, die freilich (auch) wesentlich vom Gesamtunternehmen und Stammhaus erbracht werden. Die „einzigartige“ Weise der Wertschöpfung digitaler Geschäftsmodelle ist dabei zu beachten: Daten und Nutzer sind etwa in sozialen Netzwerken in großer Anzahl und legen eine maßgebliche Basis für materielle und vornehmlich immaterielle Vermögenswerte des Unternehmens, ohne dass hiermit nennenswerte Personalfunktionen im Steuergebiet verknüpft sind. Daher favorisiert der Vorschlag die aus der Rechtspraxis der Verrechnungspreise bekannte transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit Split Method) als geeignete (noch direkte) Methode. Die Einzelheiten lässt der RL-Vorschlag offen.

     

    • Übersicht 2: Gewinnzuordnung Art. 5 RL-E

    Besteuerungsrecht an den Gewinnen der digitalen BS

    nur BS-Staat als Quellenstaat, steuerfrei im Sitzstaat

    Zuordnung der Gewinne

    AOA = uneingeschränkte Selbstständigkeitsfiktion der BS

    Methode der Gewinnzuordnung

    direkte, daten- und nutzerbezogene Gewinnaufteilung (Profit Split) unter Berücksichtigung von Ausgaben für F&E

    Technik der Gewinnzuordnung:

    • 1. Zuordnung der Funktionen, Wirtschaftsgüter und Risiken
    • 2. Besondere Berücksichtigung der immateriellen Vermögenswerte

    Funktionsanalyse = wirtschaftlich signifikante (daten- und nutzerbasierte) Tätigkeiten = Verkauf von Daten, Verkauf von Online-Werbung, Bereitstellung von digitalen Dienstleistungen, z. B. auf digitalen Marktplätzen

     

    7. Zusammenfassung

    Die beiden Richtlinienentwürfe der EU-Kommission zur Digitalsteuer (als Interimslösung) und zur digitalen Betriebsstätte (als Dauerlösung) begründen für bestimmte digitale Dienstleistungen international tätiger Unternehmen eine neuartige Besteuerung und Steuermehrbelastung. Beabsichtigte Folge ist die Umverteilung des internationalen Steuerkuchens zugunsten der EU-Konsum- und Quellenstaaten der Nutzer. Objekt der fiskalischen Begierde sind ‒ mehr oder weniger unausgesprochen ‒ die großen „Player“ der Internetwirtschaft.

     

    Die Steuerinnovationen reagieren auf technologische Innovationen und die begrenzte, nicht mehr zeitgemäße Funktionsfähigkeit des überkommenen Systems der internationalen Unternehmensbesteuerung. Sie basieren auf einem modernisierten Erwirtschaftungsprinzip und bemessen die lokale Wertschöpfung digitaler internationaler Unternehmen nach Maßgabe der mehr oder weniger aktiven, zumeist unentgeltlichen Nutzerbeteiligung im Rahmen digitaler Dienstleistungen. Sie besteuern damit eine Variation der digitalen Kundenbindung in den EU-Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Nutzer (Private oder Unternehmen) einen substanziellen und signifikanten Beitrag zu den Erträgen und einzigartigen immateriellen Vermögenswerten der Unternehmen namentlich aus digitaler Werbung, Vermittlung und Datenverkauf leisten, der im Ansässigkeits- und Konsumstaat des Nutzers steuerwürdig sei.

     

    Die digitale Betriebsstätte ist keine neue (Digital-)Steuer, sondern „lediglich“ eine Erweiterung des klassischen Betriebsstättenkonzepts. Technischer Anknüpfungspunkt ist einerseits eine digitale Schnittstelle, d. h. eine Software, die digitale Unternehmen unabhängig von ihrem Sitz ihren Nutzern zur Verfügung stellen, und andererseits das Nutzerverhalten samt Nutzergerät, das der Nutzer in einem EU-Mitgliedstaat der EU verwendet. Dieser Mitgliedstaat soll anhand der IP-Adresse des Geräts oder über andere Methoden der Geolokalisierung bestimmt werden können. Steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt ist die offenbar wertschöpfende Nutzerbeteiligung.

     

    Beachten Sie | Sollte der Vorschlag in Kraft treten, müsste Deutschland seinen Betriebsstättenbegriff (§ 12 AO) rechtsformabhängig für das KStG erweitern, die Gewinnzuordnungsregelungen in § 1 Abs. 5 AStG und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV samt den Verwaltungsvorschriften VWG BsGaV) modifizieren sowie seine DBA mit Drittstaaten entsprechend neu aushandeln.

    8. Bewertung

    Auch dieser dauerhafte RL-Vorschlag zur digitalen Betriebsstätte zielt auf eine „faire und effiziente Besteuerung“ dieser Art der digitalen Wirtschaft und installiert eine Sonderbesteuerung. Dies schließt unausgesprochen fiskalische Interessen der EU-Mitgliedstaaten, den Steuerkuchen neu zu verteilen und neues Steuersubstrat zu erschließen, nicht aus, deren Wert allerdings nicht überschätzt werden sollte. Ob und inwieweit im ECOFIN-Rat jemals ein einstimmiger Beschluss der 27 zustande kommen wird, ist weiterhin offen. In diesem Fall müssen die Mitgliedstaaten je für sich und untereinander ihre nationale und internationale Unternehmensbesteuerung an das neue Institut der signifikanten digitalen Präsenz anpassen. Im Verhältnis zu Drittstaaten müssten die Mitgliedstaaten auf Empfehlung der Kommission zudem ihre DBA entsprechend ergänzen, andernfalls ist die Richtlinie insoweit wirkungslos. Und die OECD muss Art. 5, 7 OECD-MA anpassen. Die EU-Kommission betont, dass die digitale Betriebsstätte auch in den Vorschlag einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), der eine indirekte Formelzerlegung vorsieht, einfließen sollte.

     

    Die klassische Konzeption der Betriebsstätte, die auf das preußische Recht in der ersten DBA (1899) zurückgeht, stößt wie auch das herkömmliche Quellensteuermodell an seine Grenzen. Das neue Konzept nähert sich auf Umwegen der Besteuerung von grenzüberschreitenden klassischen Direktgeschäften (Waren, Dienstleistungen), die bislang nur indirekten Konsumabgaben unterliegen.

     

    Bei beiden Vorschlägen ist zudem die steuerempirische Basis eher schmal und noch nicht hinreichend evidenzbasiert. Dementsprechend ist auch die Administrierbarkeit noch zu klären. Der fiskalische Umverteilungseffekt darf auch nicht überschätzt werden. Es bleibt die offene Frage, ob die digitale Betriebsstätte die richtige, systemkonforme, nachhaltige und internationale Antwort auf die Folgen einer globalen technologischen Innovation darstellt.

    Quelle: Ausgabe 03 / 2019 | Seite 82 | ID 45675187