· Fachbeitrag · Schweiz
Der internationale Wochenaufenthalter in der Schweiz
von StB Dipl.-Fw. (FH) Florian Zepf, FB Internationales Steuerrecht und Marc Rossi, Zürich
| Bei Licht betrachtet gibt es den „internationalen Wochenaufenthalter“ im steuerlichen Sinne nicht. So findet sich dieser Begriff weder in dem zwischen Deutschland und der Schweiz abgeschlossenen DBA noch in einem anderen Steuergesetz. Vielmehr geht dieser auf das zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen (FZA) zurück und wird gemeinhin auch als unechter Grenzgänger bezeichnet. Diese Konstellation macht eine exakte Prüfung der steuerlichen Rechtslage durch den Rechtsanwender umso bedeutender. |
1. Voraussetzungen für den Status als Wochenaufenthalter
Um in der Schweiz als internationaler Wochenaufenthalter zu gelten, müssen grundsätzlich folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
- Anstellung am Arbeitsort in der Schweiz und Tätigkeit im Rahmen einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit (denkbar sind selbstverständlich auch Konstellationen mit selbstständig erwerbenden Personen, welche nachfolgend bewusst nicht weiter beleuchtet werden)
- Verbleib des Lebensmittelpunkts im Ausland (z. B. Deutschland)
- Innehaben einer Übernachtungsmöglichkeit zwecks Aufenthalts unter der Woche in der Schweiz
- Regelmäßige Rückkehr (mindestens alle zwei Wochen) an den Lebensmittelpunkt im Ausland
Beachten Sie | Nachfolgend wird von der typischen Konstellation ausgegangen, dass eine in Deutschland ansässige Person in der Schweiz arbeitet und nur am Wochenende an den Lebensmittelpunkt in Deutschland zurückkehrt.
Der Status als internationaler Wochenaufenthalter ist in erster Linie eine Frage des Migrations- und Aufenthaltsrechts. Weiter spielt das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht eine gewichtige Rolle in diesen Konstellationen; bei einem Arbeitsort in der Schweiz ist dieses im Regelfall in der Schweiz zu verorten. Leider kommt es in der Praxis jedoch oft zu Missverständnissen zwischen den involvierten Parteien (Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Berater, Steuer- und Migrationsamt, Melde- und Sozialversicherungsbehörde), da die steuer-, zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen nicht einheitlich sind.
Während die Nationalität für die steuerrechtliche Beurteilung nur im Ausnahmefall relevant ist, spielt diese doch eine erhebliche Rolle für sämtliche Fragen des Migrations-/Aufenthaltsrechts bzw. des Sozialversicherungsrechts.
Typischerweise sollten internationale Wochenaufenthalter im vorstehenden Sinne eine sog. Grenzgängerbewilligung (Ausweis G) beantragen, was sodann auch eine gewisse Signalwirkung ‒ mehr aber auch nicht ‒ für die steuerliche Behandlung des Arbeitnehmers indiziert. Es ist darauf zu achten, dass hierfür im Gesuch deutlich gemacht wird, dass der Lebensmittelpunkt in Deutschland verbleibt und es sich mithin um einen Grenzgänger bzw. um einen internationalen Wochenaufenthalter handelt. Dies wird nach Erfahrung des Autors häufig von dem Wunsch des Antragstellers konterkariert, allenfalls mittelfristig die Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) beantragen zu können, welche ihrerseits Voraussetzung für die Beantragung des Schweizer Passes ist.
MERKE | Die Art der Bewilligung ist umso bedeutender, wenn der Antragsteller zudem eine Beteiligung i. S. d. § 17 EStG hält und damit unter § 6 AStG fallen kann oder (auch) eine selbstständige Tätigkeit ausübt und damit unter die Entstrickungsbesteuerung gemäß §§ 16 Abs. 3a EStG, ggf. i. V. m. § 18 Abs. 3 EStG, fallen kann. |
In der Praxis können aber auch Konstellationen entstehen, in denen Personen zivilrechtlich im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B), einer Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) oder gar im Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft sind, steuerrechtlich aber als internationale Wochenaufenthalter gelten. Umgekehrt können solche Personen jedoch steuerrechtlich auch als Grenzgänger qualifizieren oder unter eine andere Sondernorm des DBA-Schweiz fallen. Das daraus resultierende Fehlerpotenzial ist immens und selbst Doppelbesteuerungen sind nicht ausgeschlossen. Das entsprechende Risiko steigt, wenn die rechtliche Beurteilung nicht einheitlich in beiden Ländern erfolgt. In der Beratungspraxis stellen sich daher häufig schwierige Abgrenzungs- und Dokumentationsfragen, u. a., an welchem Ort der Lebensmittelpunkt zu verorten ist.
2. Abgrenzungen nach dem DBA mit der Schweiz
Wochenaufenthalter sind typischerweise abhängig Beschäftigte, für die grundsätzlich verschiedene Regelungen des DBA in Betracht kommen. Den Grundsatz stellt Art. 15 DBA-Schweiz auf: Demnach sind Einkünfte aus unselbstständiger Tätigkeit grundsätzlich im Wohnsitz-/Ansässigkeitsstaat (Deutschland) zu besteuern. Die Besteuerung in der Schweiz ist nur dann zulässig, wenn die Arbeit dort ausgeübt wird und die Ausnahmevorschrift des Abs. 2 („183-Tage-Regel“) nicht greift.
Besonders praxisrelevante Sonderregelungen gelten darüber hinaus für Grenzgänger (Art. 15a DBA-Schweiz), leitende Angestellte (Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz) und Angestellte im öffentlichen Dienst bzw. Zahlungen aus öffentlichen Kassen (Art. 19 DBA-Schweiz), welche nachfolgend im Kontext des Wochenaufenthalters sowie der Tätigkeit im Homeoffice näher dargestellt werden sollen. Darüber hinaus bestehen weitere Sonderregelungen u. a. für die Tätigkeit auf Schiffen und Flugzeugen [Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz], für Aufsichtsratsvergütungen [Art. 16 DBA-Schweiz], für Künstler- und Artistenhonorare [Art. 17 DBA-Schweiz]).
2.1 Behandlung als Grenzgänger (Art. 15a DBA-Schweiz)
Der „echte“ Grenzgänger i. S. d. Art. 15a DBA-Schweiz geht als Lex specialis sowohl dem leitenden Angestellten (Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz) als auch dem im öffentlichen Dienst Angestellten (Art. 19 Abs. 5 DBA-Schweiz) vor.
Der in Deutschland wohnhafte Grenzgänger hat sein Erwerbseinkommen in Deutschland zu versteuern. Das Erwerbseinkommen gemäß Schweizer Lohnausweis entspricht dabei jedoch nicht dem Arbeitslohn i. S. d. § 2 LStDV, weswegen im Einzelfall umfassende Korrekturen der Einkünfte (Hinzurechnungen und Kürzungen) vorzunehmen sind (dies gilt im Übrigen nicht nur für den Grenzgänger).
Die Schweiz darf zum Ausgleich eine Quellensteuer i. H. v. maximal 4.5 % erheben, welche in Deutschland im Rahmen der Veranlagung angerechnet wird. Im umgekehrten Fall vermeidet die Schweiz die Doppelbesteuerung durch Herabsetzung der Bemessungsgrundlage um ein Fünftel (vgl. Art. 15a Abs. 3 DBA-Schweiz).
Grenzgänger ist nach Art. 15a DBA-Schweiz eine in Deutschland ansässige Person, die in der Schweiz ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz (in Deutschland) zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.
Eine Grenzgängereigenschaft besteht demnach im Grundsatz, sofern
- eine tägliche Rückkehr vom Arbeitsort in der Schweiz zum Wohnort der erwerbstätigen Person in Deutschland effektiv erfolgt oder
- eine tägliche Rückkehr vom Arbeitsort in der Schweiz zum Wohnort der erwerbstätigen Person in Deutschland zwar nicht effektiv erfolgt, diese aber zumutbar wäre.
Beachten Sie | Damit gilt: Auch Wochenaufenthalter, die nur am Wochenende effektiv an ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland zurückkehren, können als Grenzgänger i. S. d. Art. 15a DBA-Schweiz qualifizieren, wenn ihre Nichtrückkehr nicht an mindestens 61 Arbeitstagen z. B. wegen Unzumutbarkeit der Rückkehr beruflich veranlasst ist. Dies gilt, selbst wenn der betroffene Arbeitnehmer, das Migrationsamt und der Arbeitgeber einheitlich von einem „normalen“ Wochenaufenthalter ausgegangen waren. Missverständnisse und mangelnde Kenntnis der Rechtslage können insoweit zu steuerstrafrechtlichen Konsequenzen führen.
Die Grenze der Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr wurde von der deutschen und schweizerischen Steuerverwaltung mit Konsultationsvereinbarung vom 12.10.18 dahin gehend festgelegt, dass
- die Entfernung zwischen dem schweizerischen Arbeitsort und dem deutschen Wohnort (kürzeste Wegstrecke mit dem Privatauto) 100 km oder
- die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln pro Weg 1,5 Std. beträgt (weitere Einzelheiten s. Verfügung der OFD Karlsruhe 16.9.19, S 130.1/1429-St 217).
Wird mindestens eine der oben genannten Grenzen überschritten, gilt die tägliche Rückkehr an den Lebensmittelpunkt in Deutschland als nicht zumutbar. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass eine effektive tägliche Rückkehr trotz einer festgestellten Unzumutbarkeit aus steuerrechtlicher Sicht gleichwohl zu einer Einstufung als Grenzgänger führt.
MERKE | Es besteht mithin vor allem ein Unterschied zwischen Wochenaufenthalter und Grenzgänger, der gleichsam trivial und essenziell ist: die tatsächliche bzw. zumutbare Häufigkeit der Rückkehr des Arbeitnehmers an seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland. |
Nach § 7 KonsVerCHEV liegt bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen eine regelmäßige Rückkehr i. S. d. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz auch dann noch vor, wenn sich der Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeitsvertrages oder mehrerer Arbeitsverträge mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begibt. Der BFH hat in mehreren Urteilen seine Auffassung wiederholt, dass die KonsVerCHEV gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verstößt, so auch ausdrücklich in Bezug auf § 7 KonsVerCHEV (BFH 28.6.22, I R 24/21).
2.2 Qualifizierung als leitender Angestellter (Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz)
Eine in Deutschland ansässige natürliche Person, die als sog. leitender Angestellter einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist, kann mit ihrem Erwerbseinkommen in der Schweiz besteuert werden. Korrespondierend hierzu werden die entsprechenden Einkünfte in Deutschland von der Besteuerung freigestellt (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d) DBA-Schweiz). Voraussetzung hierfür ist zuallererst, dass die Tätigkeit des leitenden Angestellten für den Arbeitgeber nicht so abgegrenzt ist, dass er lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz wahrnimmt. Zudem darf die Person nicht als Grenzgänger i. S. d. Art. 15a DBA-Schweiz qualifizieren, denn diese Norm geht den Bestimmungen für leitende Angestellte ausdrücklich vor (s. Tz 2.1).
Ausweislich des Wortlauts des DBA-Schweiz gelten zumindest Vorstandsmitglieder, Direktoren, Geschäftsführer sowie Prokuristen als leitende Angestellte. Auch der sog. „Delegierte des Verwaltungsrats“, stellvertretende Direktoren und Vize- sowie Generaldirektoren können als solche qualifizieren. In der Vergangenheit bestand das deutsche Finanzamt regelmäßig auf eine entsprechende Eintragung der Prokura oder Funktion im Handelsregister. Mit Konsultationsvereinbarung vom 6.4.23 (s. BMF 25.4.23, IV B 2 - S 1301-CHE/21/10018 :001; s. auch Zepf, PIStB 23, 148) wurde insofern Einvernehmen erzielt, dass auch Personen unter Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz fallen können, die mit „Einzel-“ oder „Kollektivunterschrift“, jedoch ohne Bezeichnung ihrer Funktion im Schweizer Handelsregister eingetragen sind. Darüber hinaus wurde sogar Einvernehmen dahin gehend erzielt, dass Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz auch auf Personen anzuwenden ist, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, im Hinblick auf die mit der jeweiligen Position verbundene Leitungs- und Vertretungsbefugnis nach den Gesamtumständen des Einzelfalles jedoch mit den ausdrücklich in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personen vergleichbar sind. Dabei muss die Leitungs- und Vertretungsbefugnis mindestens der einer Prokura entsprechen und nachgewiesen werden. Die Konsultationsvereinbarung ist auf alle offenen Fälle anzuwenden. Die Laufzeit ist zeitlich beschränkt bis zum 31.12.25, sofern sich die zuständigen Behörden nicht über eine Weiterführung einigen.
MERKE | Es gilt die Fiktion, dass der leitende Angestellte stets am Sitzort der Kapitalgesellschaft tätig wird ‒ und zwar unabhängig vom tatsächlichen, physischen Aufenthaltsort. Das Besteuerungsrecht steht sodann dem Ansässigkeitsstaat der Kapitalgesellschaft zu. |
2.3 Tätigkeit im öffentlichen Dienst (Art. 19 DBA-Schweiz)
Die Vorschrift verankert das sog. Kassenstaatsprinzip. Demnach können insbesondere Arbeitsvergütungen aus öffentlichen Kassen grundsätzlich nur im jeweiligen Kassenstaat besteuert werden.
Neben den Vertragsstaaten selbst, den deutschen Ländern und den schweizerischen Kantonen werden als öffentliche Vergütungsschuldner beispielhaft die Gebietskörperschaften (Bezirke, Kreise, Gemeinden und Gemeindeverbände) genannt. Daneben kommen aber auch alle anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts dieser Staaten in Betracht, wie z. B. die sehr praxisrelevanten Rundfunkanstalten und Universitäten (in Art. 19 Abs. 3 DBA-Schweiz wird der Anwendungsbereich darüber hinaus auf die Deutsche Bundesbank, die Deutsche Bundesbahn, die Deutsche Bundespost sowie auf die Schweizerische Nationalbank, die Schweizerischen Bundesbahnen, die schweizerischen Post-, Telephon- [sic!] und Telegraphenbetriebe und die schweizerische Verkehrszentrale ausgeweitet). In Art. 19 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz sind nur die Zahlungen angesprochen, die aus dem Haushalt eines Staates oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts (einschließlich Sondervermögen) stammen; nicht ausreichend ist hingegen, wenn diese/r nur als Zahlstelle benutzt wird, ohne dass die ausgezahlten Löhne und Gehälter im jeweiligen Haushalt enthalten wären.
Es fallen sodann im Grundsatz sämtliche Vergütungen im Rahmen einer nichtselbstständigen Tätigkeit unter die Regelung, wobei die Formulierung „für erbrachte Dienste“ verdeutlicht, dass die Anwendung der Vorschrift nicht auf eine hoheitliche Tätigkeit beschränkt ist.
MERKE | Ausdrücklich unbeachtlich ist im Grundsatz der Ort der Tätigkeit. |
Dem Kassenstaat steht das Besteuerungsrecht daher auch dann zu, wenn die von ihm (oder einer seiner Gebietskörperschaften bzw. juristischen Personen des öffentlichen Rechts) vergütete Tätigkeit in einem Drittstaat geleistet wird.
Vorstehender Grundsatz wird jedoch erstens für Grenzgänger und im Grenzgebiet tätige Personen zugunsten des Ansässigkeitsstaats (Art. 19 Abs. 4 und Abs. 5; siehe Tz. 2.1) und zweitens im Grundsatz für Angehörige des Tätigkeitsstaats zugunsten des Tätigkeitsstaats (Art. 19 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2) durchbrochen.
Beachten Sie | Demnach darf der Tätigkeitsstaat besteuern, wenn der Arbeitnehmer Staatsangehöriger des Tätigkeitsstaats ist. Besitzt der Arbeitnehmer jedoch nur oder zugleich die Staatsangehörigkeit des Kassenstaats, behält allein dieser sein Besteuerungsrecht.
3. Tätigkeit im Homeoffice in Deutschland
Die Wichtigkeit der Differenzierung zwischen den vorstehenden Bestimmungen zeigt sich auch an den unterschiedlichen Besteuerungsfolgen der Tätigkeit des Arbeitnehmers im Homeoffice:
- Die Besteuerung des Wochenaufenthalters (unechter Grenzgänger) richtet sich grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz. Sofern und soweit die Tätigkeit also im Homeoffice in Deutschland erfolgt, hat auch nur Deutschland das Besteuerungsrecht. Der anteilige Arbeitslohn für die Schweizer Tätigkeitstage ist von der deutschen Besteuerung unter Progressionsvorbehalt freizustellen. Die Freistellung bedingt, dass ein Besteuerungsnachweis aus der Schweiz erbracht werden kann. Die Staatsangehörigkeit ist nicht erheblich. Ein Praxisproblem ergibt sich in diesen Fällen dadurch, dass der Arbeitgeber die Quellensteuer typischerweise für sämtliche Arbeitstage erhebt. Dies kann in der Schweiz durch einen Antrag bis zum 31.3. korrigiert werden.
- Demgegenüber kann die Staatsangehörigkeit im Fall der Tätigkeit für einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber entscheidungserheblich sein: So kann z. B. die Tätigkeit des Schweizer Professors für eine schweizerische Universität auch im deutschen Homeoffice nur in der Schweiz steuerpflichtig sein.
- Demgegenüber ist der physische Arbeitsort für die Besteuerung des leitenden Angestellten i. S. d. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz irrelevant; es gilt vielmehr die grundsätzliche Fiktion, dass der leitende Angestellte am Sitzort der Kapitalgesellschaft in der Schweiz tätig wird und mithin die Schweiz das Besteuerungsrecht auch für jene Arbeitstage behält, die im deutschen Homeoffice erbracht werden. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass der Arbeitsort des leitenden Angestellten auch eine gewichtige Rolle spielen kann für die Frage des Ortes der Geschäftsleitung (§ 10 AO, Art. 4 Abs. 8 DBA-Schweiz). Die Staatsangehörigkeit ist nicht erheblich.
- Gemäß Konsultationsvereinbarung vom 18.7.22 besteht das gemeinsame Verständnis, dass Arbeitstage, an denen ein echter Grenzgänger ganztägig im Homeoffice im Ansässigkeitsstaat arbeitet, nicht als sog. Nichtrückkehrtage zählen (s. 2.1). Danach kommt Art. 15a DBA-Schweiz weiterhin vollumfänglich zur Anwendung, sofern der Grenzgänger auch im Übrigen nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage nachweisen kann. Deutschland steht das Besteuerungsrecht für die Arbeitstage im Homeoffice also vollumfänglich zu und die Schweiz darf maximal 4,5 % Quellensteuer erheben (diese wird in Deutschland angerechnet). Sozialversicherungsrechtlich wurde per 1.7.23 für sog. Telearbeit eine neue Grenze eingeführt: Grenzgänger, die bei einem oder mehreren Schweizer Arbeitgebern beschäftigt sind und bis zu 50 % (max. 49.9 % der Gesamtarbeitszeit) von Deutschland aus Telearbeit leisten, können weiterhin in der Schweiz versichert bleiben.
- Vor dem Hintergrund einer immer digitaler werdenden Arbeitswelt wäre es ein gleichfalls denkbarer Lösungsansatz, dass für Zwecke der Doppelbesteuerung allenfalls gedanklich eine Aufsplittung des Arbeitsverhältnisses des Grenzgängers vorgenommen werden müsste:
- Für Arbeitstage im Tätigkeitsstaat gilt weiterhin Art. 15a DBA-Schweiz,
- Arbeitstage im Homeoffice im Ansässigkeitsstaat unterlägen jedoch Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz.
- Dies hätte zur Folge, dass der Tätigkeitsstaat für Homeofficetage kein Recht auf Einbehaltung der 4,5 % Quellensteuer hätte. Zumindest wenn die Tätigkeit im Homeoffice nicht nur gelegentlich, sondern stets zu im Voraus fest vereinbarten, regelmäßigen Arbeitstagen (z. B. zwei von fünf Arbeitstage pro Woche) erfolgt, wäre dies sowohl sachgerecht als auch praktikabel. Die Schweizer und deutsche Finanzverwaltungen haben sich, soweit ersichtlich, jedoch noch nicht dazu geäußert,
4. Steuerliche Behandlung in der Schweiz
In der Schweiz werden Personen grundsätzlich an ihrem Wohnort besteuert, was aufgrund der stark unterschiedlichen Steuerbelastungen innerhalb der Schweiz einen entscheidenden Unterschied für Arbeitnehmer macht und die Wohnsitzwahl beeinflusst. Die unterschiedliche Steuerbelastung führt auch dazu, dass einige Personen einen Nebenwohnsitz am Ort der Arbeit begründen, wenn dieser genügend weit weg von ihrem tatsächlichen Wohnort liegt. Dieser Nebenwohnsitz führt zu keiner Besteuerung und deswegen wird kontrolliert, dass Arbeitnehmer den Nebenwohnsitz nur während der Arbeitstage nutzen und die restliche Zeit an Ihrem Wohnort verbringen. Wird diese Voraussetzung erfüllt, ergibt sich daraus der Status eines Wochenaufenthalters, der einzig an seinem Hauptwohnsitz besteuert wird. Der nähere Bezug zum Wohnort als zum Arbeitsort ist vor allem durch familiäre Situationen bestimmt (für alleinstehende, erwachsene Personen über 25 Jahre liegt dieser grundsätzlich am Arbeitsort, weil Beziehungen zu den Eltern nicht mehr berücksichtigt werden).
Die Schweiz wendet dieses Prinzip des Wochenaufenthalters auch in internationalen Verhältnissen an. Wer sich lediglich zum Zweck der Arbeitsausübung in der Schweiz aufhält und seine Freizeit und Wochenenden an einem anderen Wohnort im Ausland mit der Familie verbringt, gilt als internationaler Wochenaufenthalter mit der Konsequenz, dass diese Personen aus steuerrechtlicher Sicht in der Schweiz nur der beschränkten Steuerpflicht mit ihrem Erwerbseinkommen unterliegen.
Ein internationaler Wochenaufenthalter kann seinen Aufenthalt in der Schweiz überall begründen, er muss nicht zwingend am Arbeitsort liegen. Die Besteuerung in der Schweiz erfolgt für beschränkt steuerpflichtige Personen mit Wohnsitz im Ausland in allen Fällen durch den Einbehalt der Quellensteuer durch den Arbeitgeber. Die Quellensteuer ähnelt damit der Lohnsteuer nach deutschem Verständnis. Sie ist innerhalb eines Kantons stets gleich hoch, aber zwischen den Kantonen stark unterschiedlich. Personen, die zwar in der Schweiz wohnhaft sind, aber noch keine Niederlassungsbewilligung besitzen, sind ebenfalls quellensteuerpflichtig.
In den schweizerischen DBA werden Wochenaufenthalter nicht gesondert behandelt und somit behält die Schweiz das Recht zur vollständigen Besteuerung des Erwerbseinkommens, sofern der Wochenaufenthalter nicht als echter Grenzgänger (s. Ziff. 2.1) qualifiziert und die Arbeit physisch in der Schweiz erbracht wird. Umgekehrt bedeutet es aber auch, dass dort, wo das DBA das Recht zur Besteuerung des Erwerbseinkommens nicht beschränkt, selbst wenn die Person ihre Arbeit nicht physisch in der Schweiz ausübt, nur die Schweiz besteuern darf. Diese Regelung ist selten, aber besteht im DBA Deutschland-Schweiz z. B. für leitende Angestellte (s. Ziff. 2.2).
PRAXISTIPP | Eine Person mit Wohnsitz in Deutschland kann durch die Anmietung einer Zweitwohnung in einem steuergünstigen Kanton (z. B. Schwyz, Zug) einen Aufenthalt als internationaler Wochenaufenthalter begründen. Mit der täglichen Fahrt vom Zweitwohnsitz zur Arbeit, z. B. nach Zürich, wird diese Person nicht im Kanton Zürich steuerpflichtig und der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Quellensteuer zum deutlich geringeren Steuersatz des anderen Kantons einzubehalten. Auf diese Weise kann mit einem geringen zusätzlichen Arbeitsweg unter der Woche eine wesentliche Steuerersparnis erzielt werden. |
Ferner ist es unter bestimmten Umständen möglich, als internationaler Wochenaufenthalter zusätzliche steuerliche Aufwendungen geltend zu machen, sofern nach herrschender Praxis 90 % des gesamten Welteinkommens dieser Person aus Schweizer Quellen stammen. In diesen Fällen können wie bei Schweizer Steuerpflichtigen alle beim Quellensteuerabzug nicht oder nicht ausreichend berücksichtigten Abzüge geltend gemacht werden, wie z. B. Auslagen für Weiterbildungen, freiwillige Beiträge in die steuerlich begünstigte betriebliche und private Altersvorsorge oder auch Sozialabzüge für Unterhaltsverpflichtungen. Außerdem werden diese Personen nach dem lokalen Steuersatz des Aufenthaltsortes besteuert.
Beachten Sie | Der Schweizer Steuerföderalismus ist dreigeteilt: Es dürfen jeweils Bund, Kantone und Gemeinden Steuern erheben, welche so auch ‒ in unterschiedlicher Höhe ‒ auf der Steuerrechnung ersichtlich sind. Zwischen den Kantonen, aber auch zwischen den Gemeinden eines Kantons gibt es teils signifikante Unterschiede.
Innerhalb eines Kantons kann ein steuerlich attraktiverer Wohnort gewählt werden. Diese liegen im Speckgürtel der großen Städte und Arbeitsorte. So liegt z. B. der Steuerfuß der Stadt Zürich im Kalenderjahr 2024 bei 119 %, in der nur 5 km entfernten, am Zürichsee gelegenen Gemeinde Kilchberg gilt hingegen z. B. ein Steuerfuß von 72 %.
In der Schweiz gilt für verheiratete Paare in jedem Fall die Zusammenveranlagung, weswegen bei der Bestimmung der 90 %-Grenze neben dem Einkommen aus Schweizer Quellen auch das (in Deutschland erzielte) Einkommen der Ehegatten berücksichtigt wird. Es lohnt sich deswegen in jedem Fall, die Situation sorgfältig zu prüfen, um Steuervorteile zu identifizieren.