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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    BMF lässt Steuerbefreiung nun auch bei „gebrochenem Transportweg“ zu

    von Georg Nieskoven, Troisdorf

    | Bei der Steuerfreiheit von Exportumsätzen ( §§ 6 , 6a UStG ) ist der Tatbestand der grenzüberschreitenden Warenbewegung von entscheidender Bedeutung. Umstritten war insofern bislang, ob die Steuerbefreiung auch greift, wenn sich Exporteur und Abnehmer die Transportverantwortung teilen (sog. gebrochene Beförderung/Versendung) oder es aus sonstigen Gründen zu einer Transportunterbrechung kommt. Dies hat das BMF nun in einem aktuellen Schreiben (unter bestimmten Voraussetzungen) bejaht und zur Problematik ausführlich Stellung bezogen ( BMF 7.12.15, III C 2 - S 7116-a/13/10001 III, C 3 - S 7134/13/10001, BStBl I 15, 1014. |

    1. Ausgangsproblem und Rechtsentwicklung

    Bei einem Warentransport ist im Regelfall entweder der Lieferant (Bringfälle) oder der Abnehmer (Abholfälle) für den Transport verantwortlich und wird mit eigenen Transportmitteln (Beförderung) oder durch Beauftragung eines externen Frachtführers (Versendung) den Warentransport veranlassen. Dies wirft die Frage auf, ob Transportunterbrechungen für die Besteuerung relevant sind.

     

    • Beispiel 1

    Das in Italien ansässige Modeunternehmen IT hat bei der in Deutschland ansässigen Weberei DE Stoffe zur Herstellung von Herrenanzügen bestellt. Vereinbart ist, dass DE die Stoffe in einem ersten Schritt zu der in München ansässigen Färberei F befördert, die im Auftrag des IT die Stoffe veredeln soll; anschließend übernimmt DE die Weiterbeförderung zu IT nach Italien.

     

     

    Auch bei einer veredelungsbedingten Transportunterbrechung führt die Übergabe der Stoffe an F nicht bereits zu einer Lieferung, auch wenn dieser als Beauftragter des IT agiert. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 6a Abs. 1 S. 2 UStG wird vielmehr der Charakter als steuerbefreiungsfähige innergemeinschaftliche Lieferung nicht berührt. Die beiden Transport-Teilstrecken des DE sind somit zu einem einheitlichen „innergemeinschaftlichen Transportweg“ zusammenzuführen. Die gleiche Wertung, dass die „warenbearbeitungsbedingte Unterbrechung“ irrelevant ist, ordnet § 6 Abs. 1 S. 2 UStG auch für Ausfuhrvorgänge an.

     

    Beachten Sie | Die Sonderregelung gilt nur bei einer Veredelungsbeauftragung durch den Abnehmer, während bei einer Beauftragung durch den Exporteur dessen Lieferumsatz (örtlich und zeitlich) erst nach „seinem“ Veredelungsvorgang anzusiedeln ist (so ausdrücklich A 6.1 Abs. 5 S. 2 ff. bzw. A 6a.1 Abs. 19 S. 3 ff. UStAE):

     

    • Beispiel 2

    Sachverhalt wie Beispiel 1, allerdings hat nicht IT, sondern DE die Warenveredelung beauftragt und zwar bei der in Mailand ansässigen Färberei FI.

     

     

     

    DE erbringt keine innergemeinschaftliche Lieferung an IT, sondern der Transport nach Mailand ist als „innergemeinschaftliches Verbringen“ i. S. d. § 6a Abs. 2 UStG zu werten, dem die Auslieferung an IT als eine in Italien zu besteuernde Inlandslieferung nachfolgt. Für die Besteuerung muss sich DE in Italien steuerlich registrieren lassen. Diese deutsche BMF-Sichtweise hat jüngst der EuGH in einem französischen Verfahren ausdrücklich bestätigt (EuGH 2.10.14, C-446/13, BB 14, 2656). In diesen Fällen sei erst die (im Auftrag des Exporteurs) endbearbeitete Ware „Gegenstand der Lieferung“ an den Abnehmer, was zur Inlandslieferung im Bestimmungsland nach vorangehendem „Verbringen“ führe.

     

    Fraglich war die Folge der Transportunterbrechung jedoch, wenn die zweite Hälfte des Transportwegs durch den Abnehmer übernommen wird:

     

    • Beispiel 3

    Die in London ansässige Gesellschaft GB hat sich gegenüber dem in Frankfurt ansässigen Abnehmer DE zur Lieferung von Mobiltelefonen verpflichtet. Dabei wurde die sog. „Ship-to-hold“-Klausel vereinbart, der zufolge die von Kunden bestellte Ware zunächst von GB in ein „sicheres“ Lager in Hamburg zu transportieren und dort vom Kunden abzuholen war. Das von der S - einer deutschen Schwestergesellschaft der GB - in Hamburg unterhaltene Lager gab dabei den Kunden der GB die Gelegenheit zur Warenkontrolle sowie der GB die Sicherheit, die Ware erst nach ausdrücklicher Freigabe (nach bestätigtem Zahlungseingang) an den Kunden herauszugeben.

     

     

    Zum vorstehenden Sachverhalt hatte der BFH mit Urteil vom 30.7.08 (XI R  7/07, BStBl II 09, 552) wie folgt entschieden: Der Transport in das Hamburger Lager stelle kein „innergemeinschaftliches Verbringen “ mit nachfolgender Inlandslieferung, sondern bereits eine in Großbritannien steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung dar, da der Abnehmer der Ware „bei Transportbeginn bereits feststehe“ (also sich nicht erst während des Transportweges oder während der Einlagerungsdauer im Hamburger Lager konkretisiere (s.u. 2.).

     

    Umstritten war trotz der BFH-Entscheidung, ob eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung auch dann zu bejahen sei, wenn die Transport-Teilstrecke des Exporteurs noch nicht zum Grnzübertritt führt:

     

    • Beispiel 4

    Der in München ansässige Unternehmer DE hat sich gegenüber dem niederländischen Energieerzeuger NL zur Lieferung einer Großturbine verpflichtet. Vereinbarungsgemäß liefert DE die Turbine per Schwertransport in den Duisburger Seehafen, wo NL sie in Empfang nimmt und von einem beauftragten Binnenschiffer zum Bestimmungsort in den Niederlanden transportieren lässt.

     

     

    Umstritten war, ob DE durch Aushändigung der Turbine in Duisburg eine in Deutschland umsatzsteuerpflichtige Inlandslieferung erbringt, mit der Folge eines „innergemeinschaftlichen Verbringens“ (§ 3 Abs. 1a UStG) durch NL. Andererseits kann auch die nachfolgend von NL veranlasste grenzüberschreitende (Rest-)Transportstrecke zum Gesamtvorgang gerechnet werden und damit aus Sicht des DE eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i. S. v. § 6a UStG anzunehmen sein. Die Finanzämter lehnten dies bislang regelmäßig mit der Begründung ab, der Liefervorgang des DE sei mit der Warenaushändigung an der „Zwischenstation“ (Duisburger Hafen) - und der spätestens damit einhergehenden Verfügungsmachtverschaffung an den Abnehmer - abgeschlossen und § 6a UStG lasse mit seiner Formulierung „der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand … befördert oder versendet“ nur ein „entweder/oder“, aber keinen arbeitsteiligen Transport der beiden Beteiligten zu.

     

    Dagegen entschied das Sächsische FG in einem solchen Fall anders: Nach Sinn und Zweck der Exportsteuerbefreiung müsse auch die grenzüberschreitende Abholung durch den Abnehmer in die Gesamtbeurteilung einbezogen werden. Der Ort der Verfügungsmachtverschaffung sei dafür erkennbar irrelevant, denn ansonsten wäre bei „reinen Abholfällen“ durch den Abnehmer am Produktionsstandort des Lieferanten nie eine grenzüberschreitende innergemeinschaftliche Lieferung denkbar - was von Gesetz und Rechtsprechung aber unstreitig anders beurteilt werde.

     

    Beachten Sie | Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hatte sich mit Schreiben vom 30.5.13 und der Bitte um rechtssichere Klärung zu dieser praxisbedeutsamen Frage an das BMF gewandt (s. unter www.iww.de/sl1778). Dem ist das BMF nun mit der neuen Verwaltungsanweisung vom 7.12.15 gefolgt:

    2. Die neue Verwaltungsanweisung vom 7.12.15

    2.1 Unterschiedliche Ursachen der Transportunterbrechung

    In einem ersten Schritt beschreibt das BMF zwei unterschiedliche Grundtypen der Transportunterbrechung, die bei den nachfolgenden Fallgruppen unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen:

     

    • a) „Rein tatsächliche“ Transportunterbrechungsumstände: Auch wenn entweder ausschließlich der Lieferant oder ausschließlich der Abnehmer die Transportverantwortung trägt („Transportverantwortung in einer Hand“), sind gleichwohl auch längere Transportunterbrechungen durch vorgangsbezogene Umstände denkbar:
    •  
      • Transportstopp durch logistische Umstände z. B. witterungsbedingte Verzögerungen an einem Haltepunkt, Umladen oder Umverpacken der Ware
      • Transportmittelwechsel, z. B. Landtransport zum Seehafen und Weitertransport per Schiff
      • Abwicklung der Gesamtstrecke durch Teilstrecken mit unterschiedlichen Frachtführern (bzw. Unterfrachtführern)
      • Anlieferung zu einem Sammeltransportmittel (z. B. Seecontainer) das erst nach vollständiger Befüllung mit nachfolgenden (anderen) Belieferungen zum Abnehmer weitertransportiert wird.

     

    • b) Aufgeteilte Transportverantwortung (gebrochener Transport): Ist dagegen nicht ausschließlich der Lieferant oder ausschließlich der Abnehmer transportverantwortlich - erbringen also beide Beteiligten Teilstrecken des Transports (wird mithin die Ware auf „halber Strecke“ zum Weitertransport an den anderen Beteiligten übergeben) - so spricht die Rechtspraxis von einer „gebrochenen Beförderung oder Versendung“ (s. Beispiel 4).

     

    2.2 Bilaterale Lieferbeziehungen versus Reihengeschäfte

    In einem zweiten Schritt unterscheidet das BMF nach den Fallgruppen „Zweier-Lieferbeziehung“ einerseits und „Reihengeschäfte“ andererseits:

     

    2.2.1 Bilaterale Lieferbeziehungen

    Auch wenn die §§ 6, 6a UStG von Befördern/Versenden durch den Unternehmer oder den Abnehmer sprechen (also eine „und“-Verknüpfung im Gesetzeswortlaut fehlt), ist bei einer nur aus zwei Beteiligten bestehenden Lieferbeziehung sowohl eine „rein tatsächliche“ Transportunterbrechung als auch ein „gebrochener Beförderungs- bzw. Versendungsvorgang“ für die weitere Rechtsbeurteilung unschädlich. Sie stehen mithin einer Beurteilung als steuerfreie Ausfuhrlieferung bzw. innergemeinschaftliche Lieferung nicht entgegen.

     

    Voraussetzung für diese Unschädlichkeit ist nach der BMF-Weisung allerdings, dass mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei aus den unstreitigen Umständen, insbesondere aus Unterlagen abgeleitet werden kann, dass

     

    • 1. der Abnehmer bei Transportbeginn bereits feststeht (s. Beispiel 3; für dieses „Feststehen“ reicht nach A 3.12 Abs. 3 S. 4 ff. UStAE zudem, wenn der Abnehmer zwar dem Transportverantwortlichen nicht bekannt ist, aber mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei aus den Unterlagen abgeleitet werden kann) und

     

    • 2. die Ware „ohne nennenswerte Unterbrechnung“ transportiert wird (so nunmehr A 6.1 Abs. 3a bzw. A 6a.1 Abs. 8 UStAE). Hierfür hat der liefernde Unternehmer nachzuweisen, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstands und seiner Beförderung/Versendung sowie ein kontinuierlicher Ablauf dieses Vorgangs gegeben sind.

     

    • 3. Hat der Abnehmer im Zuge seiner Transport-Teilstrecke den Gegenstand ins Drittland befördert/versendet, so setzt eine steuerfreie Ausfuhr nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG zusätzlich voraus, dass es sich beim Abnehmer um einen „ausländischen Abnehmer i. S. v. § 6 Abs. 2 UStG“ handelt.

     

    Für die Besteuerungspraxis problematisch ist, dass das BMF die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe „ohne nennenswerte Unterbrechung“, „zeitlicher Zusammenhang“ sowie „kontinuierlicher Vorgang“ weder definiert, noch näher (z. B. durch Beispiele) erläutert. Insbesondere über die zulässige Unterbrechungsdauer besteht Rechtsunsicherheit:

     

    • Beispiel 5

    Das in den USA ansässige Fertigungsunternehmen U bezieht für seine Produktionsanlagen von diversen deutschen Zulieferern kontinuierlich (auf Vorrat) Ersatz- und Verschleißteile. Mit den Zulieferern besteht die Absprache, dass diese die Maschinenteile im ersten Schritt zu der in Hamburg ansässigen Tochtergesellschaft (T) der U liefern; dort werden sie in einen Seecontainer verladen, der allerdings erst nach vollständiger Befüllung (mit nachfolgenden Lieferungen) - was mitunter mehrere Wochen dauern kann - von einer durch U beauftragten Reederei in die USA transportiert wird.

     

    Dem Grund nach ist zwar weder die Transportunterbrechung noch die gebrochene Transportverantwortung noch die Verfügungsmachtübertragung bereits in Hamburg für die Ausfuhrsteuerbefreiung (§ 6 UStG) schädlich, sodass für die Lieferanten der Maschinenteile die Ausfuhrsteuerbefreiung i. S. v. § 6 UStG möglich bleibt. Nach den BMF-Ausführungen bleibt allerdings unklar, ob auch bei einer mehrwöchigen Containerstandzeit und damit einer längeren Transportunterbrechung die Finanzämter noch von „ohne nennenswerte Unterbrechung“, „zeitlichem Zusammenhang“ bzw. „kontinuierlichem Vorgang“ ausgehen werden. M. E. dürfte dies zu verneinen sein - auch der DIHK war in seinem o. a. Bezugsschreiben an das BMF von einer noch unschädlichen („nicht nennenswerten“) Zwischenlagerung nur bei einer Verweildauer von drei bis fünf Tagen ausgegangen.

     

    Auch bei Warenlieferung in ein im anderen EU-Staat befindliches Warenauslieferungslager (Konsignationslager, „Call-off-stocks“) wird der Auslieferungsvorgang in einer bilateralen Lieferbeziehung durch die Zwischeneinlagerung unterbrochen. Diese Einschlägigkeit der vom BMF verfügten Weisung ist hier m. E. jedoch zu verneinen, denn in diesen Fällen fehlt beim „Einlagerungstransport“ zumeist (noch) der bereits unbedingte Wille auf Verfügungsmachtübertragung. Die entsprechenden Lagerverträge sehen zumeist vor, dass die zivilrechtliche wie wirtschaftliche Verfügungsmacht (insbesondere der Gefahrenübergang) erst im Zeitpunkt der Entnahme der Ware aus dem Lager auf den Abnehmer übertragen wird. Demnach stellt der Einlieferungstransport in den anderen EU-Staat nach Ansicht der Finanzverwaltung noch keine (bewegte) Lieferung an den Warenabnehmer, sondern lediglich „innergemeinschaftliches Verbringen“ (§ 3 Abs. 1a UStG) zur eigenen Verfügung des Lieferers dar. Die Abgrenzungsproblematik zwischen „rein tatsächlichen“ Transportunterbrechungen und einer Transportverantwortungsaufteilung stellt sich mithin in diesen Fällen nicht.

     

    PRAXISHINWEIS | Zu den Konsignationslagerfällen hat sich allerdings die finanzgerichtliche Rechtsprechung in jüngerer Zeit zunehmend gegen die Verwaltungsansicht positioniert (vgl. z. B. FG Hessen 13.6.14, 1 K 108/11, EFG 14, 1719; FG Niedersachsen 18.6.15, 5 K 335/14, EFG 15, 1754; FG Hessen 25.8.15, 1 K 2519/10, EFG 15, 2229, Rev. unter V R 31/15; a. A. aber FG Düsseldorf 6.11.15, 1 K 1983/13 U, Rev. unter V R 1/16). Sollte sich dieser Rechtsprechungstrend nicht bestätigen, bliebe die Folgefrage zu klären, ob der (zumeist kurze) Transport der Waren nach Herausnahme aus dem vom Lieferant unterhaltenen Konsignationslager durch den Abnehmer zu seiner Produktionsstätte überhaupt noch eine „relevante abschließende Warenbewegung“ im o. a. Sinne darstellt oder nicht vielmehr als „unbewegte Lieferung“ mit nachfolgendem innerbetrieblichem Transport (rechtsgeschäftsloses Verbringen) zu gelten hat (und somit überhaupt keine lieferbezogene Transportunterbrechung vorläge).

     

    2.2.2 Reihengeschäftsfälle

    Voraussetzung für das Vorliegen eines Reihengeschäfts nach § 3 Abs. 6 S. 5 UStG ist u. a., dass der fragliche Gegenstand dabei „unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt“. Eine Transportunterbrechung schien bislang mit Bezug auf dieses „unmittelbare Gelangen“ reihengeschäftsschädlich. Hier differenziert das BMF nun:

     

    • Ist Ursache der Transportunterbrechung „eine rein tatsächliche“, so ist diese nach BMF-Aussage „nicht reihengeschäftsschädlich“, wenn der Abnehmer zu Beginn des Transports feststeht und dieser ohne „nennenswerte Unterbrechung erfolgt“, also der Unternehmer den engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Lieferung und Beförderung i. S. eines kontinuierlichen Vorgangs nachweist.

     

    • Dagegen bleibt es bei der bereits bislang in A 3.14 Abs. 4 S. 1 2. HS UStAE verfügten Sichtweise, dass eine auf mehrere Reihengeschäftsbeteiligte verteilte Transportverantwortung (gebrochene Beförderung oder Versendung) weiterhin „reihengeschäftsschädlich“ ist und der Vorgang folglich in mehrere hintereinandergeschaltete und getrennt zu beurteilende Einzellieferungen aufgespalten wird.

     

    Dies ist grundsätzlich system- und praxisgerecht, denn angesichts der jüngeren Rechtsprechung besteht derzeit ja bereits bei „ungeteilten Transportbewegungen“ Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Frage, welcher der Lieferungen im Reihengeschäft die Warenbewegung als bewegte Lieferung zuzuordnen sein soll. Sind jedoch wegen einer gebrochenen Beförderung/Versendung zudem sogar mehrere Unternehmer des Reihengeschäfts am Transportvorgang beteiligt, so wäre die bei Reihengeschäften zwingend nötige Zuordnung der Warenbewegung wegen fehlender Abgrenzungskriterien noch schwieriger:

     

    • Beispiel 6

    Das schwedische Unternehmen SE1 ordert beim schwedischen Großhändler SE2 Ware; da SE2 diese jedoch nicht auf Lager hat, bestellt er sie beim deutschen Hersteller DE. Hinsichtlich des Warentransports zu SE1 haben die Beteiligten Folgendes vereinbart: DE transportiert die Ware in den Hamburger Hafen. Dort wird sie auf das Schiff einer

    • a) von DE beauftragten Reederei umgeladen,
    • b) von SE1 beauftragten Reederei umgeladen,

    die die Ware auftragsgemäß nach Schweden zu SE1 transportiert.

     

     

     

    Zu a): Da DE der alleinige Transportverantwortliche bleibt und lediglich eine „rein tatsächliche Transportunterbrechung“ im o. a. Sinne vorliegt, ist die Unterbrechung (Transportmittelwechsel) „reihengeschäftsunschädlich“ (soweit DE den engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Lieferung und Beförderung i. S. eines kontinuierlichen Vorgangs nachweist (s. o.). Demnach ist die von DE veranlasste Warenbewegung seiner Lieferung an SE2 zuzuordnen; diese Lieferung des DE an SE2 kann mithin - unter den weiteren Voraussetzungen des § 6a UStG - als innergemeinschaftliche Lieferung umsatzsteuerfrei bleiben. Die nachfolgende Lieferung (SE2 an SE1) ist gemäß § 3 Abs. 7 Nr. 2 UStG eine „der bewegten“ Lieferung nachfolgende „unbewegte Lieferung“ im Bestimmungsland Schweden und in Deutschland mithin nicht steuerbar oder deklarationspflichtig.

     

    Zu b): Da sich DE und SE1 die Transportverantwortung bzw. -strecke teilen, fehlt es an einer Zuordnungsfähigkeit des Transports zu einer der beiden Lieferungen als „bewegte Lieferung“. Somit liegt eine reihengeschäftsschädliche gebrochene Beförderung/Versendung vor, sodass die beiden Einzellieferungen getrennt zu beurteilen sind. Demnach endet die Lieferung des DE an SE2 im Hamburger Hafen und ist in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig und dementsprechend mit USt-Ausweis gegenüber SE2 zu fakturieren. Die von SE2 an SE1 ausgeführte Lieferung hat ihren Ausgangspunkt im Hamburger Hafen, sodass der Ort dieser „bewegten Lieferung“ gemäß § 3 Abs. 6 UStG gleichfalls in Deutschland anzusiedeln ist. SE2 hat diese Lieferung somit umsatzsteuerlich in Deutschland zu deklarieren. Sie kann allerdings unter den weiteren Voraussetzungen des § 6a UStG als innergemeinschaftliche Lieferung umsatzsteuerfrei bleiben, was am Erfordernis der umsatzsteuerlichen Erfassung der SE2 in Deutschland - schon allein zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs aus der von DE bezogenen Lieferung - allerdings nichts zu ändern vermag.

     

    2.2.3 BMF-„Kollisionsregelung“ (Reihengeschäft-Ausnahmefall)

    Trotz der dargestellten Reihengeschäftsschädlichkeit von gebrochenen Beförderungen/Versendungen sieht das BMF eine Ausnahme von diesem Grundsatz bei „widerstreitenden Reihengeschäftsauslegungen“ von zwei EU-Staaten vor - allerdings auch dann nur in einer ganz bestimmten Konstellation. Das BMF verfügt in seiner Verwaltungsanweisung (Teil I.3.) wie folgt: Auch eine „gebrochene Beförderung/Versendung“ ist ausnahmsweise dann nicht reihengeschäftsschädlich, wenn

     

    • der erste Unternehmer des Reihengeschäfts die Ware aus einem anderen EU-Land (Abgangsmitgliedsstaat)
    • nur zum Zwecke der letztendlichen Verschiffung ins Drittland
    • nach Deutschland transportiere und der restliche Transportweg durch einen anderen Reihengeschäftsbeteiligten verantwortet werde und
    • der o. a. Abgangsmitgliedsstaat diesen Vorgang trotz der gebrochenen Transportbewegung als Reihengeschäftsvorgang beurteile und besteuere und
    • der ansonsten mit seiner Lieferung im Inland steuerbare Reihengeschäftsbeteiligte die vorgenannte steuerliche Behandlung nachweise.

     

    • Beispiel 7

    Das Brasilianische Unternehmen BR ordert beim deutschen Großhändler DE Ware; da DE diese nicht vorrätig hat, bestellt er sie beim polnischen Hersteller PL. Vereinbart ist, dass PL die Ware in den Hamburger Hafen transportiert und sie dort von BR zum Transport nach Brasilien per Schiff abgeholt wird.

     

     

    Die vorliegende „gebrochene Beförderung/Versendung“ führt dem Grund nach zur Reihengeschäftsschädlichkeit und lässt damit den Gesamtvorgang in zwei getrennt zu beurteilende Lieferungen zerfallen. In diesem Sinne würde PL eine in Polen USt-freie innergemeinschaftliche Lieferung an DE erbringen, hinsichtlich derer DE in Deutschland einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu erklären hätte. Nachfolgend erbringt DE eine in Deutschland steuerbare (Leistungsort: Hamburg), aber bei entsprechendem Ausfuhrnachweis gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG („ausländischer Abnehmer“) USt-freie Ausfuhrlieferung (der Nachweis könnte schwieriger werden, soweit - wie typischerweise - PL die Ausfuhr angemeldet hat).

    Dieses Ausfuhrnachweiserfordernis wäre für DE bei bejahtem Reihengeschäft - also unter Anwendung der „Kollisionsregelung“ - entbehrlich, denn dann wäre die „bewegte Lieferung“ im Reihengeschäft der Lieferung von PL an DE zuzuordnen und könnte bei entsprechendem Ausfuhrnachweis USt-frei bleiben. DE hätte demnach in Deutschland keinen innergemeinschaftlichen Erwerb zu deklarieren, und seine Lieferung an BR würde als eine mit brasilianischem Lieferort gelten (§ 3 Abs. 7 Nr. 2 UStG: in Deutschland mithin „nicht umsatzsteuerbar“). DE bliebe auf diese Weise der Ausfuhrnachweis erspart.

     

    MERKE | Voraussetzung für die Anwendung dieser „Kollisionsregelung“ wäre allerdings, dass DE gegenüber seinem FA nachweist, dass der Gesamtvorgang von den polnischen Steuerbehörden - trotz der „gebrochenen Transportbewegung“ - als Reihengeschäft eingeordnet wurde.

     

    Zur Kollisionsregelung ist in der Praxis Folgendes zu beachten:

     

    • Die vom BMF verfügte „Kollisionsregelung“ ist ein Wahlrecht des mittleren Reihengeschäftsbeteiligten. Bedauerlicherweise erläutert das BMF jedoch nicht, in welcher Form der Mittlere (hier: DE) den Nachweis über die polnische Einordnung des Vorgangs als Reihengeschäft zu erbringen hat. Die Kollisionsregelung kann m. E. allerdings ohnehin nur greifen (auch wenn das BMF dies nicht explizit anspricht), wenn entsprechend der zuvor genannten Erfordernisse zur Transportunterbrechung der Unternehmer (hier: DE) nachweist, dass der Gesamttransport „ohne nennenswerte Unterbrechung“ erfolgt ist. Im Beispiel 7 darf die Ware danach nicht zu lange im Hamburger Hafen - bis zum nachfolgenden Seetransport nach Brasilien - zwischengelagert werden. Auch hierzu fehlen im BMF-Schreiben Abgrenzungskriterien, die die Zeitdauer konkretisieren, sodass DE bei Ausübung seines Wahlrechts zugunsten der Kollisionsregelung noch nicht weiß, ob bei einer späteren Außenprüfung das FA seine Einschätzung zur „nicht-nennenswerten Unterbrechung“ teilt oder ihm durch Verneinung nachträglich einen formmängelfreien Ausfuhrnachweis abverlangt.

     

    • Die Kollisionsregelung gilt ausdrücklich nur bei exakter Kongruenz mit der im BMF-Schreiben vorgegebenen Fallkonstellation. Sie ist demnach nicht einschlägig, wenn der nachfolgende Transport nicht mittels Verschiffung (sondern auf dem Land- oder Luftweg) erfolgt oder, wenn das Reihengeschäft nicht in einem anderen EU-Staat, sondern in Deutschland seinen Transportausgang nimmt (z. B. soweit im Beispiel 7 DE nicht beim polnischen Hersteller PL, sondern beim deutschen Hersteller DE-M in München bestellt und dieser die Ware in den Hamburger Hafen transportiert).

     

    • Eine Kollisionsregelung zur Auflösung sich widersprechender Zuordnungen in Reihengeschäften von zwei EU-Staaten enthielt die Verwaltungsverlautbarung (auch wenn bislang nicht als solche bezeichnet) schon seit Längerem. Allerdings bezog sich diese nicht auf die nun diskutierte Problematik von gebrochenen Beförderungen/Versendungen, sondern auf den Fall, dass sich in zwei EU-Staaten die Zuordnung der Warenbewegung zu den beteiligten Liefervorgängen unterscheidet. Soweit ein Unternehmer aufgrund des Rechts eines anderen Mitgliedstaates die bewegte Lieferung ausnahmsweise abweichend von der BMF-Auffassung zuordnet, war es nach A 3.14 Abs. 11 UStAE bislang schon nicht zu beanstanden, wenn die deutsche Besteuerung dieser (nachzuweisenden) ausländischen Zuordnung folgt. Das vorliegende BMF-Schreiben vom 7.12.15 streicht A 3.14 Abs. 11 UStAE nun im ersten Schritt - allerdings nur, um diese Regelung im neu geschaffenen Absatz 19 (in dem sich nun auch die o. a. „Kollisionsregelung“ zu Reihengeschäften mit gebrochenem Transport befindet) inhaltsgleich zu übernehmen.

     

    FAZIT | Dass das BMF nun die schon seit langen Jahren kontrovers diskutierte Frage zum gebrochenen Transport endlich regelt, ist erfreulich, hilft aber in den Reihengeschäftsfällen nur bedingt weiter. Denn zu der für Exporteure wie für ihre Steuerberater wieder rechtssicher planbaren Lösbarkeit von Reihengeschäftsfällen fehlt es noch immer an der schon seit Längerem angekündigten Gesetzesüberarbeitung (vgl. Bundesratsbeschluss vom 8.5.15, BR-Drucks. 121/15). Danach soll bei der Zuordnung der Transportbewegung zu einer „bewegten Lieferung“ weniger auf die (im Massengeschäft kaum in jedem Einzelfall klärbaren) Verfügungsmachtsverschaffung, sondern auf typisierend vereinfachende Merkmale abgestellt werden (vgl. zum Gesetzesentwurf z. B. UR 16, 9 ff.). Bis dahin sollte sich der Praktiker m. E. angesichts der großen Rechtsunsicherheit an der bisherigen BMF-Weisungslage in A 3.14 UStAE (die allerdings in wesentlichen Punkten der jüngeren EuGH- und BFH-Rechtsprechung widerspricht) orientieren (vgl. ausführlich PIStB 15, 235 und 265).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zu den neuen Grundsätzen des BFH zur Zuordnung der Warenbewegung in Reihengeschäften (Teil 1 und 2) s. ausführlich Nieskoven, PIStB 15, 235 und 265
    Quelle: Ausgabe 03 / 2016 | Seite 75 | ID 43835379