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  • · Fachbeitrag · Arbeitnehmerentsendung

    Auslandstätigkeitserlass ist mit Unionsrecht nicht vereinbar

    von VRiFiG Prof. Dr. Kay-Michael Wilke, Karlsruhe

    Bis eine nationale Regelung dem EuGH zur Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht vorgelegt wird, kann erstaunlich lange dauern. Nunmehr war es der aus dem Jahre 1983 stammende Auslandstätigkeitserlass. Das Ergebnis dieser Prüfung war für Fachleute nicht besonders erstaunlich: Der Auslandstätigkeitserlass ist in seiner jetzigen Form mit dem Unionsrecht nicht vereinbar (EuGH 28.2.13, C-544/11, Eheleute Petersen gegen FA Ludwigshafen, Abruf-Nr. 131313). Auf die Reaktion der Finanzverwaltung darf man gespannt sein.

     

    Sachverhalt

    Ein dänischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Ludwigshafen war als Arbeitnehmer bei einem dänischen Unternehmen beschäftigt. Sein Arbeitgeber entsandte ihn im Januar 02 für einen Zeitraum von 3 Jahren nach Benin im Rahmen der Entwicklungshilfe. Im Januar 02 beantragte der Arbeitgeber bei dem zuständigen dänischen FA die Steuerfreiheit der für die Tätigkeit in Benin ausgezahlten Löhne, was auch geschah. Für das Jahr 03 beantragten der Arbeitnehmer und seine Ehefrau beim zuständigen deutschen FA die Zusammenveranlagung und gaben als Wohnsitz Ludwigshafen an. Sie machten geltend, dass die Einkünfte des Arbeitnehmers aus der in Benin ausgeübten und von einem dänischen Arbeitgeber entlohnten Tätigkeit nicht der deutschen Einkommensteuer unterlägen und dass nach Art. 15 DBA-DK nur Dänemark das Recht zur Besteuerung dieser Einkünfte habe. Hilfsweise beantragten sie, die Steuer auf die betreffenden Einkünfte zu erlassen. Sie führten hierzu aus, dass unter sonst gleichen Voraussetzungen nach dem Auslandstätigkeitserlass (ATE 31.10.83, BStBl I 83, 470) die Einkünfte aus einer nichtselbstständigen Tätigkeit, die im Ausland im Rahmen der Entwicklungshilfe für einen inländischen Arbeitgeber ausgeübt werde, einkommensteuerfrei gestellt werde.

     

    Im Einkommensteuerbescheid 03 unterwarf das FA die Einkünfte des Arbeitnehmers in vollem Umfang der Einkommensteuer. Nach erfolglosem Einspruch wurde Klage erhoben. Das zuständige FG Rheinland-Pfalz gelangte zu der Auffassung, dass die Eheleute zwar uneingeschränkt der deutschen Besteuerung unterliegen würden, aber dass der ATE mit seiner Beschränkung auf inländische Arbeitgeber gegen die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV (ex-Art. 49 EGV) verstoße. Sie legten diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vor (FG Rheinland-Pfalz 18.3.11, 4 K 2249/08, EFG 12, 131)

     

    Anmerkungen

    Der Gerichtshof musste sich zuerst einer formalen Vorfrage zuwenden: Ist er an die in dem Vorlageersuchen genannte Verkehrsfreiheit hinsichtlich seiner Prüfungskompetenz gebunden, wenn für ihn offensichtlich ist, dass diese nicht einschlägig ist? Oder kann er von sich aus die Vorlagefrage auch abwandeln und umformulieren.

     

    Hierzu gilt nach ständiger Rechtsprechung: Der EuGH ist berechtigt, die Vorlagefrage umzuformulieren. Ebenso kann das Gericht, um dem vorlegenden Gericht sachdienlich antworten zu können, im Rahmen seiner Prüfung auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die in der Vorlagefrage nicht angeführt sind.

     

    Wichtig | Da im Streitfall aus Sicht des EuGH nicht die Dienstleistungsfreiheit, sondern die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV (ex-Art. 39 EGV) einschlägig ist, hat er den ATE an dieser Norm geprüft.

     

    Hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt nach ständiger Rechtsprechung, dass jeder Unionsbürger, der von dem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV fällt. Zwar sollen die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ihrem Wortlaut nach insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmestaat sichern. Aber sie verbieten es auch, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert. Somit verbieten die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auch, dass der Wohnsitzstaat eines steuerpflichtigen Unionsbürgers die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat behindert, selbst wenn dieser andere Staat der Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit des betreffenden Unionsbürgers ist.

     

    MERKE | Für die Überprüfung des ATE in Bezug auf eine außerhalb des Unionsgebiets ausgeübte Berufstätigkeit gilt, dass Unionsvorschriften auch auf derartige Konstellationen anwendbar sein können, wenn das Arbeitsverhältnis einen hinreichend engen Bezug zum Unionsgebiet behält - im Streitfall durch Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers und seinen Wohnsitz.

     

    Da der ATE den Lohn der Arbeitnehmer je nachdem, in welchem Mitgliedstaat ihr Arbeitgeber seinen Sitz hat, unterschiedlich behandelt, ist er grundsätzlich geeignet, Arbeitnehmer von der Annahme einer Beschäftigung bei einem Arbeitgeber abzuhalten, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist. Die Regelungen des ATE stellen daher eine nach Art. 45 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.

     

    Zur Rechtfertigung dieser Beschränkung ist seitens der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht worden, dass einer Ausweitung des Anwendungsbereiches Schwierigkeiten bei der Überprüfung und Überwachung der Voraussetzungen der Steuerfreistellung entgegenstehen würden. Diesen Einwand hat der EuGH nicht gelten lassen: Aus Abschn. VI des ATE ergebe sich, dass der Steuerpflichtige, um die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuervergünstigung zu erhalten, der zuständigen Verwaltung geeignete Dokumente vorlegen muss, die belegen, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt sind.

     

    Dem Arbeitnehmer obliegt der Nachweis,

    • dass der Arbeitgeber seinen Sitz in Deutschland hat,
    • dass dieser Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe ausführt und
    • dass er selbst einen Arbeitsvertrag besitzt, der sich auf eine Tätigkeit bezieht, die mindestens drei Monate ununterbrochen in einem Staat ausgeübt wird, mit dem die Bundesrepublik Deutschland kein DBA geschlossen hat.

     

    Nicht nachgewiesen werden muss, dass die im Drittstaat ausgeübte Tätigkeit dort einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer unterliegt. Die Regelung des ATE macht demnach die Gewährung eines Steuervorteils nicht von der Erfüllung von Bedingungen abhängig, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittstaats eingeholt werden. Folglich kann die streitige Beschränkung auf einen inländischen Arbeitgeber nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten.

     

    Aus den vorstehenden Gründen hat der EuGH nun festgestellt, dass der ATE gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV verstößt. Denn danach sind Einkünfte einer in Deutschland wohnhaften und unbeschränkt steuerpflichtigen Person aus einer nichtselbstständigen Tätigkeit von der Einkommensteuer befreit, wenn der Arbeitgeber seinen Sitz ebenfalls in Deutschland hat, aber nicht, wenn er seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.

     

    PRAXISHINWEISE |  

    Die Finanzverwaltung in der Bundesrepublik steht aufgrund der Entscheidung des EuGH vor folgendem Dilemma:

     

    • Entweder wendet sie ab sofort den Erlass über den insoweit eindeutigen Text des ATE („inländischer Arbeitgeber“) hinaus auch auf die Fälle an, in denen ein im Inland ansässiger Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber mit Sitz im EU- bzw. EWR-Ausland beschäftigt ist. Dann aber ergeben sich lohnsteuerrechtliche Schwierigkeiten der Abwicklung bzw. Überprüfung der Voraussetzungen des ATE (vgl. Abschn. VI des ATE), auf die der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bereits vor dem EuGH hingewiesen hatte.

     

    • Oder der ATE wird insgesamt aufgehoben, was aber wirtschaftspolitisch wohl kaum durchsetzbar sein dürfte.

     

    • Oder der ATE wird in Anlehnung an die Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG dahin gehend geändert, dass die Steuerfreiheit nur gewährt wird, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Tätigkeitsstaat auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten 
Steuern entrichtet wurden.
     

     

    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 117 | ID 39086090