· Fachbeitrag · Doppelbesteuerung
Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die inländische Gewerbesteuer ‒ Folgen für die Praxis
von StBin Prof. Dr. Martina Tippelhofer, LL.M., Berlin
| Das Hessische FG hat mit Urteil vom 26.8.20 (8 K 1860/16, Revision beim BFH I R 8/21 ; s. auch PIStB 21, 63) entschieden, dass ausländische Quellensteuer auf Dividendenerträge aus der Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft auf die inländische Gewerbesteuer angerechnet werden kann, sofern ein DBA eine Anrechnung vorsieht. Das Urteil erging zum Rechtsstand der Jahre 2008 bis 2010. Für aktuelle VZ könnte sich jedoch eine andere Rechtsauffassung ergeben. In diesen Fällen sind insbesondere die Regelung für Streubesitzdividenden des § 8b Abs. 4 KStG sowie die Neuregelung des internationalen gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs gemäß § 9 Nr. 7 GewStG zu beachten. Der folgende Beitrag beleuchtet insoweit die Rechtslage für VZ ab 2020. |
1. Ausgangssachverhalt
Eine deutsche Kapitalgesellschaft (D-GmbH) war zu 0,22 % an einer kanadischen Kapitalgesellschaft (D-Inc.) beteiligt und erzielte aus dieser Beteiligung Dividendenerträge, welche dem Quellensteuerabzug in Kanada unterlagen. Da in den zu entscheidenden Streitjahren 2008 bis 2010 keine Regelung zur Ausnahme von Streubesitzdividenden aus dem Anwendungsbereich der Steuerbefreiungsvorschrift des § 8b Abs. 1 KStG a. F. bestand, wurden die Dividendenerträge nach nationalem Recht zunächst effektiv zu 95 % unter Anwendung des § 8b Abs. 5 KStG a. F. für körperschaftsteuerliche Zwecke freigestellt.
Gleichzeitig griff das gewerbesteuerliche internationale Schachtelprivileg in diesem Fall mangels Überschreitens der Mindestbeteiligungsquote des § 9 Nr. 7 GewStG a. F. von 15 % nicht ein, sodass die nach KStG steuerfreie Dividende, für gewerbesteuerliche Zwecke nach § 8 Nr. 5 GewStG a. F. wieder hinzuzurechnen war.
2. Anmerkungen
Diese Situation führte im Ergebnis zu einer, nach Auffassung des Hessischen FG unzulässigen, internationalen (juristischen) Doppelbesteuerung der Dividendenerträge mit inländischer Gewerbesteuer in Deutschland und mit ausländischer Quellensteuer in Kanada. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung erfolgt auf der Grundlage des zwischen Kanada und Deutschland geltenden DBA durch Anrechnung der Steuer. Dies gilt nach der Entscheidung des Hessischen FG nicht nur für die Einkommensteuer bzw. die Körperschaftsteuer, sondern auch für die Gewerbesteuer.
Zwar enthalte das Gewerbesteuergesetz keine entsprechende Anrechnungsvorschrift, das DBA ordne jedoch als Rechtsfolgenverweis eine solche Anrechnung an. Diese Anrechnung habe in entsprechender Anwendung der körperschaft- und einkommensteuerrechtlichen Anrechnungsregelungen (§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG und § 34c Abs. 6 S. 2 EStG) zu erfolgen. Die Anrechnung werde sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach mit dem Gewerbesteuermessbescheid durch das FA festgestellt.
2.1 Beteiligung an ausländischer Kapitalgesellschaft unter 10 % (VZ ab 2020)
Für aktuelle VZ greift die Streubesitzregelung des § 8b Abs. 4 KStG ein. Für den Ausgangssachverhalt des Urteils des Hessischen FG ergibt sich mit Blick auf den Rechtsstand des VZ 2020 somit ein anderes Ergebnis: In diesem Fall wären die Dividendenerträge aus der 0,22 %-Beteiligung der D-GmbH an der kanadischen D-Inc. nicht für körperschaftsteuerliche Zwecke nach § 8b Abs. 1 KStG freizustellen, sondern weiterhin in die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens der D-GmbH einzubeziehen.
MERKE | Durch die Einführung des § 8b Abs. 4 KStG wird bei Zufluss von Bezügen nach dem 28.2.13 keine Steuerfreiheit bei der Körperschaftsteuer gewährt, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres nicht unmittelbar mindestens 10 % beträgt. |
Die Gefahr einer internationalen Doppelbesteuerung der Beteiligungserträge bestünde für den VZ 2020 somit bereits auf Ebene der deutschen Körperschaftsteuer. Zur Vermeidung sieht Art. 23 Abs. 2 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) i. V. m. Art. 10 DBA-Kanada grundsätzlich eine Anrechnungsmöglichkeit der kanadischen Quellensteuern auf die deutsche Körperschaftsteuer vor.
Soweit entsprechend Körperschaftsteuer in Deutschland festgesetzt wurde und eine Anrechnung der kanadischen Quellensteuer gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG vorgenommen wird, scheidet deshalb für VZ ab 2020 eine weitergehende Anrechnungsmöglichkeit bei der Gewerbesteuer aus.
2.2 Beteiligung an ausländischer Kapitalgesellschaft über 10 %, aber unter 15 % (VZ ab 2020)
Ist eine inländische Kapitalgesellschaft an einer ausländischen Kapitalgesellschaft zwar über 10 %, jedoch unter 15 % beteiligt, würde bei Dividendenausschüttungen für Zwecke der deutschen Körperschaftsteuer die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG zu effektiv 95 % greifen.
Für gewerbesteuerliche Zwecke würde gemäß § 9 Nr. 7 GewStG das internationale gewerbesteuerliche Schachtelprivileg jedoch nicht zur Anwendung kommen. D. h., Gewinne aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des Gewerbesteuergesetzes werden nicht gekürzt; es fehlt an einer Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums von mindestens 15 %. § 8 Nr. 5 GewStG sähe eine entsprechende Hinzurechnung der nach KStG steuerfreien Beteiligungserträge vor.
Die Beteiligungserträge unterlägen somit einer internationalen (juristischen) Doppelbesteuerung mit ausländischer Quellensteuer und inländischer Gewerbesteuer. Eine mögliche abkommensrechtliche Vermeidung dieser Doppelbesteuerung hängt jedoch entscheidend davon ab, ab welcher Mindestbeteiligungshöhe ein anwendbares DBA die Freistellung der Dividendeneinkünfte im Ansässigkeitsstaat der empfangenden Gesellschaft vorsieht (sog. internationales Schachtelprivileg).
Beachten Sie | Einige von Deutschland abgeschlossene DBA, wie z. B. das DBA-Kanada, sehen für die Anwendung des internationalen Schachtelprivilegs eine Mindestbeteiligungsquote von 10 % vor, während andere DBA, wie z. B. das DBA-Türkei, erst ab einer Beteiligungshöhe von 25 % Dividendeneinkünfte im Ansässigkeitsstaat von einer inländischen Besteuerung freistellen (s. die Abkommensübersicht zum DBA-Schachtelprivileg z. B. bei Ismer in: Vogel/Lehner, DBA, 6. Auflage 2015, Art. 23A/23B, Rn. 90 [Rechtsstand 2015]).
2.2.1 DBA-Schachtelprivileg: Mindestbeteiligung 10 %
Wäre im Ausgangsfall des Hessischen FG die deutsche D-GmbH bspw. zu 12 % an der kanadischen D-Inc. beteiligt gewesen und hätte aus dieser Beteiligung im VZ 2020 Dividendenerträge erzielt, würden diese Beteiligungserträge nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Kanada zwar weiterhin einer Quellenbesteuerung in Kanada unterliegen. Deutschland hätte als Ansässigkeitsstaat der empfangenden Gesellschaft diese Dividendenerträge jedoch gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Kanada von einer inländischen Besteuerung freizustellen, da das internationale Schachtelprivileg nach dem DBA-Kanada ab einer Mindestbeteiligungsquote von 10 % eingreift.
MERKE | Zwar ist für körperschaftsteuerliche Zwecke das abkommensrechtliche Schachtelprivileg für Dividendeneinkünfte im Verhältnis zur Freistellung nach § 8b Abs. 1 KStG regelmäßig als redundant anzusehen (so BFH 22.9.16, I R 29/15, IStR 17, 194).
Für gewerbesteuerliche Zwecke hat der BFH dagegen entschieden, dass eine abkommensrechtliche Freistellung von Dividendenerträgen insoweit wieder auflebt und deshalb keine Hinzurechnung von Gewinnanteilen nach § 8 Nr. 5 GewStG bei der inländischen Gewerbesteuer zu erfolgen hat (BFH 23.6.10, I R 71/09, DStR 10, 1665). § 8 Nr. 5 GewStG ist nach seinem Wortlaut auf abkommensrechtliche Schachtelerträge bereits deshalb nicht anzuwenden, weil sich die diesbezügliche Steuerfreiheit aus dem DBA und nicht (nur) aus § 8b Abs. 1 KStG ergibt (s. Hofmeister in: Blümich, GewStG, § 8, Rn. 576 [Stand: November 2020]). |
Soweit aufgrund des internationalen Schachtelprivilegs die ausländischen Dividendenerträge bei der Ermittlung der inländischen Gewerbesteuer nicht hinzugerechnet werden, unterliegen diese keiner internationalen Doppelbesteuerung. Eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf die inländische Gewerbesteuer wäre also nicht möglich.
2.2.2 DBA-Schachtelprivileg: Mindestbeteiligung 25 %
Etwas anderes könnte jedoch in den Fällen gelten, in welchen das jeweilige DBA für die Anwendung des Schachtelprivilegs bei Dividendeneinkünften eine höhere Mindestbeteiligung verlangt. So sieht z. B. Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) i. V. m. Art. 22 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Türkei die Anwendung des Schachtelprivilegs bei Dividendeneinkünften erst ab einer Beteiligungshöhe von 25 % vor.
Wäre also eine deutsche GmbH z. B. an einer türkischen Kapitalgesellschaft zu 12 % beteiligt und würde von dieser im VZ 2020 Dividendenausschüttungen erhalten, so wäre für gewerbesteuerliche Zwecke eine Hinzurechnung der nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfreien Dividendenanteile gemäß § 9 Nr. 7 i. V. m. § 8 Nr. 5 GewStG vorzunehmen, da das DBA-Schachtelprivileg mangels Erreichen der Mindestbeteiligungsgrenze von 25 % nicht eingreift.
Beachten Sie | Eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ließe sich auch bei unterstellter Berücksichtigung von DBA-Schachtelvergünstigungen i. S. v. § 9 Nr. 8 GewStG nicht vermeiden, da § 9 Nr. 8 GewStG wiederum auf eine Mindestbeteiligung von 15 % abstellt (strittig, s. Gosch in: Blümich, GewStG, § 9, Rn. 340a (Stand: November 2020) m. w. N).
In diesen Fällen würde ab dem VZ 2020 das Problem einer internationalen (juristischen) Doppelbesteuerung der Dividenden bestehen, da die Beteiligungserträge sowohl mit ausländischer Quellensteuer als auch mit inländischer Gewerbesteuer belastet sind. Soweit ein anwendbares DBA die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer vorsieht (wie z. B. Art. 22 Abs. 2 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) DBA-Türkei) sind die Grundsätze des Hessischen FG zur Anrechenbarkeit bei der inländischen Gewerbesteuer zu beachten. Diese Fälle sollten verfahrensrechtlich für VZ ab 2020 bis zur Entscheidung des BFH offengehalten werden.
2.3 Beteiligung an ausländischer Kapitalgesellschaft über 15 % (VZ ab 2020)
Für Beteiligungserträge aus ausländischen Kapitalgesellschaften bei einer Mindestbeteiligung von 15 % sieht das gewerbesteuerliche internationale Schachtelprivileg nach § 9 Nr. 7 GewStG für VZ ab 2020 bereits nach nationalem Steuerrecht eine gewerbesteuerliche Freistellung vor. Voraussetzung ist, dass die Beteiligung zu Beginn des VZ bestand.
Soweit das gewerbesteuerliche internationale Schachtelprivileg Anwendung findet, ist eine Hinzurechnung steuerfreier Gewinnanteile nach § 8 Nr. 5 GewStG für die Ermittlung der Gewerbesteuer nicht vorzunehmen. Eine internationale Doppelbesteuerung der Dividenden ist nicht gegeben.
Beachten Sie | Falls die Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG, z. B. in zeitlicher Hinsicht, für Beteiligungserträge ab dem VZ 2020 jedoch nicht vorliegen, bleibt die Frage der Anrechenbarkeit ausländischer Quellensteuer nach den unter Punkt 2.2 genannten Grundsätzen zu prüfen.
3. Relevanz für die Praxis
Steuerpflichtige und steuerliche Berater sollten bezüglich der VZ ab 2020 insbesondere solche Fälle bei der Gewerbesteuer offenhalten, in welchen die Beteiligung an der ausländischen Kapitalgesellschaft über 10 % aber unter 15 % liegt und ein DBA-Schachtelprivileg für Dividendenerträge eine höhere Mindestbeteiligung voraussetzt. Darüber hinaus könnte für Beteiligungen ab einer Höhe von 15 % eine Anrechnung dann infrage kommen, wenn die Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG nicht erfüllt sind.
Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Berücksichtigung der Anrechnungsmöglichkeit hat das Hessische FG entschieden, dass die Feststellung der Anrechnung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Rahmen des Gewerbesteuermessbescheids durch das Finanzamt zu erfolgen hat und nicht etwa im Rahmen des Erlasses des Gewerbesteuerbescheids durch die Gemeinde.
PRAXISTIPP | Relevante Gewerbesteuermessbescheide für die VZ ab 2020 sollten deshalb mit Einspruch angefochten und das Ruhen des Verfahren gemäß § 362 Abs. 2 S. 2 AO unter Hinweis auf die beim BFH zwischenzeitlich eingelegte Revision mit I R 8/21 beantragt werden. Da jedoch die Frage der verfahrensrechtlichen Berücksichtigung der Anrechnung selbst Gegenstand des Revisionsverfahrens beim BFH ist, empfiehlt sich m. E. ebenfalls, gegen die Gewerbesteuerbescheide der Gemeinden insoweit Widerspruch einzulegen und Ruhen des Verfahrens zu beantragen. |
Zumindest in EU-Fällen könnte ein Widerspruch gegen den entsprechenden Gewerbesteuerbescheid m. E. auch auf die Vorschrift des § 174 Abs. 1 AO gestützt werden. Der BFH hatte mit Urteil vom 9.5.12 (I R 73/10, DStR 12, 1750) klargestellt, dass fehlerhafte (inländische) Steuerbescheide auch dann geändert werden können, wenn der widerstreitende Bescheid von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaats stammt. In dem zugrunde liegenden Fall sah der BFH eine widerstreitende Steuerfestsetzung im Sinne einer unzulässigen Doppelberücksichtigung von Einkünften sowohl in der Bemessungsgrundlage der deutschen als auch der niederländischen Einkommensteuer u. a. vor dem Hintergrund der Regelungen des DBA-Niederlande als gegeben an.
Hinsichtlich widerstreitenden Steuerfestsetzungen in EWR- oder Drittstaaten-Fällen ist die Anwendbarkeit von § 174 Abs. 1 AO jedoch weiterhin sehr umstritten (offengelassen BFH 20.3.19, II R 61/15, DStR 19, 1090; vgl. zum Streitstand Rüsken in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 174, Rn. 15).