· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Grenzüberschreitende elektronische Leistungen ab 1.1.15 - Der „Mini-One-Stop-Shop“ ist da!
von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dortmund und WP StB Hans-Joachim Kraatz, Dresden, beide Partner der kmk Steuerberatungsgesellschaft mbH
| Man ist es bereits gewohnt, dass für Gesetzesnamen ähnliches wie für die Produktwerbung gilt: „Es steht nicht immer das drauf, was drin ist!“. So auch beim neuen „Kroatiengesetz“ vom 25.7.14 (BGBl I 14, 266). In diesem Mantelgesetz wurden „ganz versteckt“ eine Vielzahl wichtiger Änderungen im Umsatzsteuerrecht auf den Weg gebracht. Dieser Beitrag behandelt die Änderungen bei der Besteuerung elektronischer Dienstleistungen sowie die Neuregelungen zum Mini-One-Stop-Shop (MOSS). |
1. Regelungszweck
Nach Auffassung der EU-Mitgliedstaaten lässt sich bei der Umsatzbesteuerung bestimmter grenzüberschreitender Dienstleistungen durch eine „Einorts-Registrierung“ der Steuerbetrug eindämmen; gleichzeitig werden Verwaltungsabläufe vereinfacht. Bereits seit dem 1.7.03 gilt daher über §§ 3a Abs. 5, 18 Abs. 4c UStG eine Sonderregelung für Drittlands-Unternehmer, die elektronische Dienstleistungen (i.e.S.) erbringen; diese wird ab dem 1.1.15 auf EU-Unternehmen ausgeweitet. Für deutsche Unternehmen ergibt sich daraus die Herausforderung, Verfahrensabläufe und IT-Systeme rechtzeitig auf die ab dem 1.1.15 geltenden Anforderungen umzustellen.
Hinweis | Die Telekommunikationsleistungen, Rundfunk- und Fernsehleistungen und auf elektronischem Weg erbrachten Leistungen werden in der Summe in diesem Beitrag als „elektronische Leistungen i.w.S.“ oder „E-Leistungen i.w.S.“ bezeichnet.
2. Besteuerung bis zum 31.12.14
Der Besteuerungsort bei
- Telekommunikationsdienstleistungen,
- Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen,
- auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen,
- an in der EU ansässige Privatabnehmer,
- durch in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer
ist derzeit am Sitz des leistenden Unternehmers (§ 3a Abs. 1 UStG). Die Unternehmer erklären diese Umsätze in ihrer Umsatzsteuererklärung im Sitzstaat.
Merke | In der Praxis ist die derzeitige Regelung sehr einfach zu handhaben, da die Leistungen zu „normalen“ Inlandsumsätzen führen.
Der Leistungsort bei
- auf elektronischem Weg erbrachten Leistungen,
- an in der EU ansässige Privatabnehmer,
- durch einen im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmer
liegt am Wohnsitz des Empfängers (§ 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 13, Abs. 5 i.V.m. § 18 Abs. 4c UStG - alt). Der im Drittlandsgebiet ansässige Unternehmer kann sich jedoch nur in einem EU-Mitgliedstaat erfassen lassen und dort alle derartigen in der EU ausgeführten Umsätze erklären und die Steuer entrichten (Sonderregelung).
Hinweis | Für die Durchführung des entsprechenden Verfahrens ist in Deutschland nach § 18 Abs. 4c UStG das BZSt zuständig (https://evat.bff-online.de/001/addNetpForm).
3. Besteuerung ab dem 1.1.15
Gem. § 3a Abs. 5 UStG - neu - gilt ab dem 1.1.15 als Leistungsort bei
- Telekommunikationsleistungen,
- Rundfunk- und Fernsehleistungen und
- auf elektronischem Weg erbrachten Leistungen,
- an Nichtunternehmer
der Ort, an dem der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Damit wird wiederum das Bestimmungslandprinzip umgesetzt.
PRAXISHINWEIS | Der Leistungsort bestimmt sich somit gemäß § 3a UStG - neu - unabhängig von dem Ort, an dem der leistende Unternehmer ansässig ist. Künftig ist es für den Leistungsort daher unerheblich, ob der Leistende im Gemeinschaftsgebiet oder im Drittlandsgebiet ansässig ist. Damit soll eine systematisch zutreffende Besteuerung am tatsächlichen Verbrauchsort erreicht werden (BT-Drs. 18/1995 vom 2.7.14, zu Nr. 3 / § 18h UStG - neu - Allgemein). |
Die neuen Vorschriften führen dazu, dass bei Erbringung der elektronischen Dienstleistungen i.w.S. umsatzsteuerliche Pflichten im EU-Ausland ggf. neu begründet werden. Dies führt zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand u.a. durch die Umstellung der Buchführung, die Einrichtung der EDV und ggf. durch die Bestellung eines (zusätzlichen) Steuerberaters/Fiskalvertreters. Dieser Aufwand muss bereits bei der Auftragskalkulation berücksichtigt werden.
3.1 Auswirkungen auf Besteuerungsverfahren für Drittlandsunternehmer
Für nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer, die derartige Leistungen an Nichtunternehmer mit Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Unionsgebiet erbringen, greift die Sonderregelung (s.o. Abschnitt 2.). Danach müssen sich diese Unternehmer nur in einem EU-Mitgliedstaat erfassen lassen, wenn sie in der EU sonstige Leistungen auf elektronischem Weg erbringen. Diese Sonderregelung wird nun auf Telekommunikationsleistungen sowie Rundfunk- und Fernsehleistungen ausgedehnt (§ 3a Abs. 6 Nr. 3 UStG - neu -.)
PRAXISHINWEIS | Für auf elektronischem Weg erbrachte Leistungen i.e.S. an Nichtunternehmer bleibt hier „alles beim Alten“! Die Neuregelung wird sich im Drittlandsbereich nur auf die Erbringer von Telekommunikationsleistungen und Rundfunk- und Fernsehleistungen auswirken. |
4. Neues Besteuerungsverfahren für inländische Unternehmer (§ 18h UStG - neu -)
Für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer, die die vorgenannten Umsätze an Nichtunternehmer mit Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat erbringen, wird ein neues Besteuerungsverfahren eingeführt (vgl. Art. 369a bis 369k MwStSystRL in der ab 1.1.15 geltenden Fassung von Art. 5 Nr. 15 der Richtlinie 2008/8/EG). Danach können diese Unternehmer alle vorgenannten Umsätze an Nichtunternehmer mit Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in anderen EU-Mitgliedstaaten nur in dem EU-Mitgliedstaat umsatzsteuerlich erklären, in dem sie ansässig sind.
Beachten Sie | Hierbei handelt es sich um ein Wahlrecht, auf das der Berater den Mandanten rechtzeitig hinweisen und vorbereiten muss. Durch Anwendung des Besteuerungsverfahrens vermeidet der (inländische) Dienstleister zukünftig eine ansonsten erforderliche Registrierung im EU-Ausland.
Voraussetzung ist, dass der leistende Unternehmer in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat, in dem er die vorgenannten Leistungen erbringt,
- weder seinen Sitz
- noch eine feste Niederlassung (= Betriebsstätte i.S.v. Abschnitt 3a.1 Abs. 3 UStAE)
hat (vgl. Art. 369b i.V.m. Art. 369a Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL in der ab 1.1.15 geltenden Fassung von Art. 5 Nr. 15 der Richtlinie 2008/8/EG).
Das neue MOSS-Verfahren gilt auch dann, wenn der Unternehmer im Verbrauchsmitgliedstaat daneben noch andere Umsätze erbringt, die nicht der Sonderregelung unterliegen und für die er die Umsatzsteuer schuldet (vgl. Art. 369a Abs. 1 Nr. 1 und Umkehrschluss aus Art. 369j Abs. 2 MwStSystRL in der ab 1.1.15 geltenden Fassung von Art. 5 Nr. 15 der Richtlinie 2008/8/EG). Der EU-Mitgliedstaat, in dem ein Unternehmer von diesem neuen Besteuerungsverfahren Gebrauch macht, hat die für das Besteuerungsverfahren erforderlichen Informationen zu übermitteln (s. Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7.10.10 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. EU 2010 Nr. L 268, 1) .
4.1 Antragsmodalitäten und -verfahren
Nach § 18h Abs. 1 UStG - neu - haben Unternehmer,
- die im Inland ihren Sitz haben oder
- die als im Drittlandsgebiet ansässige Unternehmer im Inland eine Betriebsstätte haben
und an dem besonderen Besteuerungsverfahren teilnehmen wollen, dies gegenüber dem BZSt anzuzeigen.
Die Teilnahme an dem besonderen Verfahren ist nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten möglich, in denen der Unternehmer keine Betriebsstätte hat und in denen er derartige Umsätze erbringt. Die Anzeige muss vor Beginn des Besteuerungszeitraums (= Kalenderjahr, § 16 Abs. 1 S. 2 UStG) erfolgen, für den der Unternehmer erstmalig an dem besonderen Besteuerungsverfahren teilnehmen will.
Nach § 18h Abs. 2 UStG - neu- stellt das BZSt durch Verwaltungsakt fest, wenn der Unternehmer nicht mehr die Voraussetzungen für die Anwendung des besonderen Besteuerungsverfahrens erfüllt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn
- der Unternehmer mitteilt, dass er keine Telekommunikationsdienstleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen oder Dienstleistungen auf elektronischem Weg an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Nichtunternehmer erbringt oder
- diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr ausübt oder
- er die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des besonderen Besteuerungsverfahrens nicht mehr erfüllt, weil er z.B. im Inland keinen Sitz mehr hat oder in allen anderen EU-Mitgliedstaaten, in denen er die vorgenannten Dienstleistungen erbringt, eine Betriebsstätte unterhält.
Die Teilnahme an dem besonderen Besteuerungsverfahren kann vom Unternehmer widerrufen werden. Der Widerruf ist gegenüber dem BZSt zu erklären. Ein Widerruf ist nur bis zum Beginn eines neuen Besteuerungszeitraums mit Wirkung ab diesem Zeitraum möglich.
4.2 Elektronische Datenübermittlung
Der im Inland ansässige Unternehmer hat nach § 18h Abs. 3 UStG - neu - bis zum 20. Tag nach Ende jedes Kalendervierteljahres eine Umsatzsteuererklärung für jeden Mitgliedstaat, in dem er das besondere Besteuerungsverfahren anwendet, auf elektronischem Weg zu übermitteln. Die Erklärungen sind über ein elektronisches Portal (ELSTER-Portal oder BZSt Online Portal) zunächst dem BZSt zu übermitteln. Das BZSt übermittelt die Erklärungen an das für den Unternehmer zuständige Finanzamt im jeweiligen Mitgliedstaat weiter. Der Unternehmer hat den Vordruck auszufüllen und die Steuer selbst zu berechnen. Die berechnete Steuer ist an das BZSt zu entrichten.
4.3 Ausschluss vom besonderen Besteuerungsverfahren
Nach § 18h Abs. 4 UStG - neu- kann der im Inland ansässige Unternehmer von dem besonderen Besteuerungsverfahren durch das BZSt ausgeschlossen werden, wenn er seinen Verpflichtungen in diesem Verfahren
- wiederholt
- (überhaupt) nicht oder
- nicht rechtzeitig
nachkommt.
Der Ausschluss kann auch dann erfolgen, wenn der Unternehmer seinen Aufzeichnungspflichten und der Verpflichtung, die Aufzeichnungen der zuständigen Finanzbehörde auf elektronischem Weg zur Verfügung zu stellen, nicht erfüllt.
PRAXISHINWEIS | Das neue Besteuerungsverfahren soll helfen, den Steuerbetrug einzudämmen (s.o.). Ein Ausschluss wird vor allem dann erfolgen, wenn Missbrauch bereits festgestellt wurde oder zu befürchten ist. |
4.4 Ansässigkeit im Inland
§ 18h Abs. 5 UStG - neu - definiert den im Inland ansässigen Unternehmer, der die Möglichkeit hat, an dem besonderen Besteuerungsverfahren teilzunehmen. Dies sind Unternehmer, die hier ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung haben, oder im Drittlandsgebiet ansässige Unternehmer, die im Inland eine Betriebsstätte haben.
4.5 Verfahrensfragen
Gemäß § 18h Abs. 6 UStG - neu - gelten für das Verfahren, soweit es vom BZSt durchgeführt wird, die angeführten Vorschriften von AO und FGO. Die Regelung ist erforderlich, da § 18h UStG ausländische Umsatzsteuer und somit keine durch Bundesrecht geregelte Steuer betrifft und deshalb die AO und die FGO nicht unmittelbar anwendbar sind (§ 1 Abs. 1 S. 1 AO, § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Aus der angeordneten Anwendung von Vorschriften der AO und der FGO folgt u.a., dass die dem BZSt bekannt gewordenen Daten dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) unterliegen und gegen Verwaltungsakte des BZSt nach § 18h Abs. 2 u. 4 UStG - neu - das Einspruchsverfahren (§§ 347 ff. AO) und die Anfechtungsklage zum Finanzgericht gegeben sind.
Aufgrund EU-rechtlicher Vorgaben sind insbesondere die Regelungen zum
- Verspätungszuschlag (§ 152 AO),
- Säumniszuschlag (§ 240 AO) sowie
- Vollstreckungs- und Strafverfahren (Sechster und Achter Teil der AO)
von der Anwendung ausgeschlossen (Art. 369b bis 369f MwStSystRL in der Fassung von Art. 5 Nr. 15 der Richtlinie 2008/8/EG).
5. Inkrafttreten
Hier gilt es zu unterscheiden:
- Das Verfahren zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung auf Basis des MOSS für einen anderen EU-Mitgliedstaat (§ 18h UStG - neu -) wurde mit Wirkung zum 1.10.14 eingeführt und ist erstmals für Besteuerungszeiträume des Jahres 2015 anzuwenden.
- Die neue Ortsregelung für elektronische Leistungen (i.w.S.) durch die Anpassungen in § 3a Abs. 5, 6 und 8 UStG - neu - gilt ab dem 1.1.15.
FAZIT | Die neuen Vorschriften führen dazu, dass bei Erbringung der elektronischen Leistungen (i.w.S.) umsatzsteuerliche Pflichten im EU-Ausland ggf. neu begründet werden können. Dies führt zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand, der sich durch die Entscheidung zur Teilnahme am neuen Besteuerungsverfahren einschränken lassen wird; allerdings wird auch das Sonderverfahren gewisse Mehrkosten verursachen. Ein Steuerberater muss den Mandanten auf die Problematik und das Wahlrecht hinweisen; Schulungen und sichere Verfahrensabläufe (Controlling) sind dann vorzuschlagen. Es bleibt bei all dem die weitere konkrete Umsetzung durch die Finanzverwaltung abzuwarten. |