· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug - Wer hat die Feststellungslast?
von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg
Nach Ansicht des FG Münster trägt das Finanzamt regelmäßig die objektive Feststellungslast für diejenigen Umstände, die zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs wegen eines betrügerischen Handelns führen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung muss hiernach der den Vorsteuerabzug beanspruchende Unternehmer keinen „Negativbeweis“ führen, dass er keine Anhaltspunkte für „Ungereimtheiten“ hatte (FG Münster, 12.12.13, V 1934/13 U, EFG 14, 395). |
Sachverhalt
Die A-GmbH handelt mit Neu- und Gebrauchtfahrzeugen - auch mit Reimporten aus dem EU-Ausland. Sie hatte von der inländischen B-GmbH, die sowohl eine Steuernummer als auch eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer besaß, aus Polen stammende Pkw erworben. Die von der B-GmbH in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer machte die A-GmbH als Vorsteuer geltend. Das FA versagte den Vorsteuerabzug, weil es sich bei der B-GmbH nach einer Nachschau um eine reine „Briefkastenfirma“ handelte, die keinen eigenen Bürobetrieb unterhielt und deren Post nach Polen weiterversandt wurde. Die B-GmbH sei zwar formal gegründet worden, jedoch ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen und habe keine Steuererklärungen eingereicht. Durch die Lieferungen aus Polen habe sie als erster inländischer Lieferant hinter der Grenze ermöglicht, dass die weiteren Abnehmer in den Besitz von Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer gelangen, die diese dann im Rahmen des Vorsteuerabzugs geltend gemacht hätten - allerdings ohne dass die am Beginn der Lieferkette im Inland stehende Umsatzsteuer angemeldet und entrichtet worden sei. Das FG Münster setzte die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung des Vorsteuerabzugs aus.
Anmerkungen
Das Recht auf Vorsteuerabzug ist Bestandteil des Mehrwertsteuersystems und kann deshalb unabhängig vom Zweck und Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeit grundsätzlich nicht eingeschränkt werden (EuGH 21.6.12, C-80/11, C-142/11, HFR 12, 917; EuGH 21.2.06, C-255/02, HFR 06, 411). Ob die Steuer tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ist deshalb für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung. Allerdings haben die nationalen Behörden und Gerichte nach Ansicht des EuGH das Recht, den Anspruch auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn feststeht, dass das Recht zum Abzug der Vorsteuer in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (EuGH 6.7.06, C-439/04 und C-440/04, HFR 06, 939). Das ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war.
Allerdings kann einem Steuerpflichtigen oder Unternehmer, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einer vom Lieferer begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war, nicht der Vorsteuerabzug versagt werden (EuGH 31.1.13, C-643/11 und C-642/11, DStRE 13, 745).
Das FG Münster jetzt Folgendes festgestellt:
- Für die Versagung des Vorsteuerabzugs trägt letztlich nicht der Steuerpflichtige (so noch BFH 19.4.07, V R 4804, BStBl II 09, 315), sondern das FA die objektive Feststellungslast und muss deshalb grundsätzlich konkrete Anhaltspunkte darlegen, die belegen, dass der Unternehmer von seiner Einbeziehung in einen USt-Betrug gewusst hat bzw. hätte wissen können oder wissen müssen. Der vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer ist also nicht verpflichtet, einen echten „Negativbeweis“ dahin zu führen, dass er keine Anhaltspunkte für etwaige Ungereimtheiten hatte.
- Diese objektive Feststellungslast gilt auch bei einem vermeintlichen „Scheinsitz“ des Lieferers. Da auch ein bloßer „Briefkasten-Sitz“ mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft für den Vorsteuerabzug ausreichend sein kann, bedarf es besonderer, detaillierter Feststellungen, um die Annahme eines „Scheinsitzes“ zu rechtfertigen (BFH 19.4.07, V R 48/04, BStBl II 09, 315). Das zu prüfen ist grundsätzlich Angelegenheit der Steuerbehörden.
Praxishinweise
Im Streitfall hätte eine weitergehende Erkundigungspflicht des Unternehmers hinsichtlich des Sitzes der leistenden GmbH nur dann bestanden, wenn sich im Vorfeld der Lieferung Zweifel hieran hätten ergeben müssen. Die liefernde GmbH war aber nach den Umständen des Falles nicht nur zivilrechtlich Vertragspartnerin. sie ist vielmehr nach außen aufgetreten, wurde steuerlich geführt und ihr war eine USt-Identifikationsnummer erteilt worden. Ferner enthielten ihre Rechnungen die Pflichtangaben nach § 14 Abs. 4 UStG. Hieraus hat das FG gefolgert, dass sich für den Leistungsempfänger keine besonderen Erkundigungspflichten aufdrängen mussten.
Auch wenn die Entscheidung des FG Münster aus Sicht des Steuerpflichtigen erfreulich ist und seine Mitwirkungspflicht zur Feststellung betrügerischen Handelns relativiert, sollte man der Entscheidung keine Allgemeingültigkeit zuschreiben. Der BFH hat gerade bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zuletzt die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Unternehmers erheblich verschärft (BFH 25.4.13, V R 28/11, PIStB 13, 173). In jenem Fall hat der BFH entschieden, dass der Unternehmer sich nicht mit der Bestätigung der USt-Identifikationsnummer begnügen durfte. Für die Inanspruchnahme von Vertrauensschutz müssen vielmehr alle Maßnahmen ergriffen werden, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der getätigte Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Gerade bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sollten die Sorgfaltspflichten deshalb besonders beachtet werden, will der Unternehmer keine steuerlichen Risiken eingehen.
Beachten Sie | Das FG hat die Beschwerde zum BFH zugelassen. Ein Aktenzeichen des BFH ist noch nicht veröffentlicht.