· Fachbeitrag · Verordnungspraxis
Keine Angst vor dem ICD-10-Code - Was die Neuregelung bringt
von Silke Jäger, Fachjournalistin Gesundheitswesen, Marburg
| Seit dem 1. Juli 2014 müssen Ärzte auf Heilmittelverordnungen den therapierelevanten ICD-10-Code auftragen, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um eine Verordnung im Rahmen von Praxisbesonderheiten handelt. So sieht es die 34. Veränderung der Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung vor. Das heißt, die Verschlüsselung der Diagnose mittels ICD-10-Code ist nun die Regel. Mit dieser Neuregelung werden einige Fragen aufgeworfen, die in der täglichen Abrechnungspraxis eine Rolle spielen. |
Vorteile der ICD-10-Codierung
Worauf sich der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geeinigt haben, wirkt für Ärzte und Krankenkassen auf den ersten Blick wenig spektakulär, bietet dafür jedoch einige Vorteile. Durch die ICD-10-Codierung wird unter anderem
- die maschinelle Abrechnung erleichtert,
- die Versorgungsforschung vereinfacht,
- die Identifizierung von Verordnungen vereinfacht, die außerbudgetär sind, das heißt, denen Praxisbesonderheiten zugrunde liegen oder die im Rahmen des langfristigen Therapiebedarfs erstellt werden und
- der Zeitaufwand für Ärzte tendenziell reduziert, weil in der Regel der ICD-10-Code reicht. Die Diagnose muss nicht zusätzlich eingetragen werden.
MERKE | Obwohl die Auftragung des ICD-10-Codes nun regelmäßig vorgenommen werden soll, gibt es auch Ausnahmen. Zu diesen begründeten Ausnahmen gehört zum Beispiel, wenn sich der Arzt auf Hausbesuch befindet. Fehlt der ICD-10-Code also auf einer Verordnung, ist die Verordnung trotzdem gültig, solange eine therapierelevante Diagnose aufgetragen ist. Das bedeutet:
|
Stolpersteine bewusst machen
Der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) ist zurzeit im Gespräch mit dem GKV-Spitzenverband, um einzelne Szenarien bei der Umsetzung der Regelung durchzusprechen und Empfehlungen für Zweifelsfälle zu erarbeiten. Die Referentin des Geschäftsführers, Julia Krüger vom Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten - IFK berichtet, dass hierbei die Krankenkassenvertreter zum Teil erst noch für die daraus resultierenden Konsequenzen für die an der Behandlung des Patienten Beteiligten - also dem Therapeuten und dem Arzt - sensibilisiert werden müssen, denn KBV und GKV-Spitzenverband sind als alleinige Vertragspartner nicht im Detail mit den Abläufen in den Heilmittelpraxen vertraut. So kommt es, dass den Krankenkassenvertretern ein gewisser Klärungsbedarf erst durch die Gespräche mit den Heilmittelverbänden bewusst wird. Julia Krüger betont, dass nicht alle theoretisch denkbaren Fallstricke in der Praxis auch auftreten müssen. Dennoch sei es Aufgabe eines Berufsverbands, diese im Vorfeld zu durchdenken und gegenüber der Mitgliedschaft mögliche Probleme nicht zu verharmlosen.
Auch Thorsten Vogtländer vom Referat SGB V des Deutschen Verbands für Physiotherapie (ZVK) - PHYSIO-DEUTSCHLAND weiß, dass sich viele Praxisinhaber und Abrechnungszentren Gedanken machen müssen, wie sie zum Beispiel damit umgehen, dass ein Arzt neben dem therapierelevanten ICD-10-Code weitere ICD-Codes auf der Verordnung aufträgt. Die Frage in diesem Fall lautet: Welche der (weiteren) Diagnosen darf überhaupt an die Krankenkasse übermittelt werden? Ist die Weitergabe nicht therapierelevanter Diagnoseschlüssel datenschutzrechtlich zulässig? Der GKV-Spitzenverband sagt dazu zwar, dass nur die therapierelevante Diagnose die entscheidende Angabe darstellt, aber dennoch können Nebendiagnosen die Therapie beeinflussen, zum Beispiel wenn neben der therapierelevanten Diagnose „Fraktur“ die Grunderkrankung Osteoporose angegeben wird. Zum Redaktionsschluss stand noch nicht fest, worauf die Heilmittelverbände sich in diesen und weiteren Fragen mit den Kassen- und Ärztevertretern verständigen konnten, PP hält Sie diesbezüglich aber auf dem Laufenden.
Die Sache mit der Prüfpflicht
Ein anderer Fragenkomplex, der viele Therapeuten umtreibt und zu dem leider widersprüchliche Aussagen im Umlauf sind, ist die Frage nach den Prüfpflichten im Zusammenhang mit den Neuregelungen. Zum einen können Widersprüche auftauchen zwischen ICD-10-Code und Klartextdiagnose bzw. Indikationsschlüssel. Das ist jedoch keine neue Situation, denn Therapeuten mussten auch bisher schon prüfen, ob alle Angaben auf der Verordnung plausibel sind. Zum anderen geht es um die Frage, ob sich Therapeuten darum kümmern müssen, dass ein fehlender ICD-10-Code nachgetragen wird. Dazu gibt es zurzeit noch widersprüchliche Aussagen. Allerdings haben einige Krankenkassen das inzwischen verneint, teilen also die Ansicht der meisten Heilmittelverbände, zum Beispiel die große Kasse AOK Niedersachsen. Eine Prüfpflicht für den ICD-10-Code besteht offiziell nicht.
Stellt man sich den Ablauf der Rezeptprüfung in der Praxis vor, kommen Therapeuten jedoch nicht umhin, sich eingehend mit dem Code zu beschäftigen. Der ICD-10-Code wird standardmäßig umgewandelt werden müssen, auch dann, wenn die Diagnose ausgeschrieben darunter steht. Im Zuge dieser Umwandlung werden Therapeuten die Angaben zwangsläufig auch auf Plausibilität prüfen. Kommen sie dann zu dem Schluss, dass die Angaben nicht schlüssig sind, zum Beispiel, weil ICD-10-Code und ausgeschriebene Diagnose widersprüchlich sind, werden sie - insbesondere auch zum Wohle und Schutzes des Patienten - normalerweise beim Arzt nachfragen. Dazu sind sie zwar nicht verpflichtet, aber sie sind es gewohnt so vorzugehen. Sicherlich aber auch, um sich selbst vor Umsatzausfällen zu schützen, und selbst dann, wenn die Regel heißt: Der aufgetragene ICD-10-Code ist maßgeblich.
Die nachfolgende Checkliste enthält denkbare Szenarien und Problemlösestrategien im Zusammenhang mit der Neuregelung der ICD-10-Codierung. Sie können sie als Merkhilfe nutzen und in ihren Rezeptprüfablauf integrieren.
Checkliste / ICD-10-Codierung | |
Fall/Fragestellung | Lösung/Bewertung |
ICD-10-Code umwandeln - wie geht das? |
|
Die Diagnose wird ausschließlich durch einen ICD-10-Code angegeben | Das reicht aus. Eine ausgeschriebene Diagnose wird nicht benötigt. |
Die Diagnose wird ausschließlich durch eine ausgeschriebene Diagnose angegeben | Das gilt als Ausnahmefall, der aber ausreicht, wenn z. B. der Arzt die Verordnung während eines Hausbesuchs ausgestellt hat. Therapeuten müssen nicht prüfen, ob der Arzt berechtigt oder unberechtigt auf den ICD-10-Code verzichtet hat. |
Die Diagnose wird durch ICD-10-Code plus dazu passende ausgeschriebene Diagnose angegeben | Perfekt. Therapeuten bekommen eindeutige Angaben zur therapierelevanten Diagnose. |
Die Diagnose wird durch den ICD-10-Code plus durch eine nicht dazu passende ausgeschriebene Diagnose angegeben | Maßgeblich ist der therapierelevante ICD-10-Code. Stimmt die ausgeschriebene Diagnose nicht mit dem Code überein, liefert sie im besten Fall nützliche ergänzende Hinweise, im schlechtesten Fall widerspricht sie dem ICD-10-Code und ist damit nicht maßgeblich. |
Die Verordnung enthält mehrere ICD-10-Codes, der therapierelevante Code ist eindeutig identifizierbar | Für die Therapie ist maßgeblich, dass ein therapierelevanter ICD-10-Code angegeben wird. Weitere Codes können Nebendiagnosen verschlüsseln, die für die Therapie nützliche und wichtige Informationen liefern, z. B. Grunderkrankungen, wie Diabetes oder Arthrose ICD-10-Codes. |
Die Verordnung enthält mehrere ICD-10-Codes, der therapierelevante Code ist nicht eindeutig identifizierbar | Hier sollte beim Arzt nachgefragt werden, welche Diagnose therapierelevant ist. |
Der ICD-10-Code ist nur dreistellig angegeben | Die Verordnung ist gültig. Gegebenenfalls fehlen für eine sinnvolle Therapie jedoch Informationen. Dann sollte beim Arzt nachgefragt werden. |
Auf der Folgeverordnung ist ein anderer ICD-10-Code angegeben als auf der Erstverordnung | Ein neuer Diagnoseschlüssel allein löst noch keinen neuen Regelfall aus. Nur, wenn sich z. B. die im Heilmittelkatalog festgelegte Diagnosegruppe ändert, wird ein neuer Regelfall ausgelöst, bzw. wenn der Arzt Erstverordnung ankreuzt. |
Wie werden Verordnungen gekennzeichnet, die im Rahmen eines langfristigen Heilmittelbedarfs ausgestellt worden sind? | Der ICD-10-Code ist nun kein alleiniger Hinweis mehr auf eine Diagnose, für die Praxisbesonderheiten vereinbart wurden oder die zu einem langfristigen Heilmittelbedarf führen. Die Zuordnung erfolgt aufgrund von Anlage 1 und 2 zur Heilmittel-Richtlinie und wird von den Krankenkassen vorgenommen. |
Weiterführende Hinweise
- Ein Merkblatt mit Indikationsliste soll‘s richten (PP 12/2012, Seite 3)
- Für Heilmittel gelten nun bundesweit einheitliche Vorab-Praxisbesonderheiten (PP 01/2013, Seite 3)
- ICD-10-Codierung bei Langfristverordnungen (PP 03/2013, Seite 12)
- Download unter www.pp.iww.de < Downloads > Gesetze/Richtlinien/Verordnungen: Merkblatt „Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen“