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  • · Fachbeitrag · Einsatz im Krisengebiet

    Physiotherapeuten helfen Katastrophenopfern

    von Katharina Münster, Medienbüro Medizin, Hamburg

    | Patienten in Deutschland steht eine umfassende physiotherapeutische Betreuung mit modernsten Hilfsmitteln zur Verfügung. Das Engagement der Physiotherapeuten kann aber noch viel weiter gehen. Sie können Menschen helfen, die in Entwicklungsländern oder in Gebieten leben, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden. Damit ist aber nicht nur gemeint, einen Spendenscheck auszufüllen, sondern sich als ehrenamtliche Helfer direkt im Krisengebiet zu engagieren. |

    Nachhaltiger Einsatz der Hilfsorganisationen

    Nicht nur Ärzte können ihren Beitrag in Krisengebieten leisten - auch die physiotherapeutische Betreuung erfordert Fachpersonal. Gerade bei Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen sowie durch Landminen nach Kriegen erleiden viele Menschen Knochenbrüche oder verlieren sogar Gliedmaßen. Um wieder ein normales Leben führen zu können, benötigen die Betroffenen physiotherapeutische Behandlungen. Beine und Arme müssen gerichtet und geschient, Prothesen oder Orthesen angepasst werden. Die Menschen müssen lernen, diese zu benutzen. Oft haben die Patienten großflächige Vernarbungen, was dazu führt, dass beispielsweise das Knie sich nicht mehr richtig beugen lässt oder die Funktion der Hand eingeschränkt ist.

    Besondere Herausforderungen für Physiotherapeuten

    In Katastrophenregionen finden die Helfer oft ein völlig zerstörtes Gesundheitssystem vor. Hinzu kommt, dass auch die Infrastruktur in den Krisengebieten vernichtet ist. Zufahrtswege sind blockiert, die Wasser- und Stromversorgung unterbrochen und die Häuser liegen in Trümmern. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den betroffenen Gebieten stehen in keinem Vergleich zu denen in Deutschland. Es kann durchaus sein, dass die Helfer in Zelten oder auf dem Boden im Freien schlafen. Das Frühstück kann auch mal nur aus ein paar Crackern bestehen und tagsüber wird es oft unerträglich heiß. Weiterhin drohen eventuell weitere Nachbeben oder Hurrikans.

     

    Auch gehen die einheimischen Helfer mit Patienten oft anders um, als es in Deutschland üblich wäre. Die Mitarbeiter behandeln nicht immer die Patienten zuerst, die es medizinisch am nötigsten hätten, sondern manchmal auch nach Status. Dies kann für die ehrenamtlichen Helfer belastend sein. All dies stellt besondere Herausforderungen an die ehrenamtlichen Physiotherapeuten vor Ort.

    Im Ausland ist Kreativität gefragt

    Auf jeden Fall sollten die Physiotherapeuten, so wie alle anderen Helfer auch, flexibel und einfallsreich sein, wenn es darum geht, Patienten schnell und effizient zu behandeln.

     

    Die in Deutschland gängigen Materialien zur Behandlung sind in den Krisengebieten zunächst meist nicht vorhanden, sodass aus Steinen, Holzleisten oder Planen Hilfsmittel gebaut werden müssen. Auch ohne professionelles Equipment sollten die Einsatzkräfte in der Lage sein, das für sie notwendige Arbeitsumfeld herzustellen. Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 waren besonders häufig auftretende Behandlungsfälle beispielsweise Fixateur externe an den unteren Extremitäten sowie Patienten, denen die Gliedmaßen amputiert wurden oder die an Nervenläsionen litten. Zudem erhielten viele Patienten eine Prothese. Die Helfer halfen ihnen dabei, diese richtig zu nutzen. Dazu wurden spezielle Therapiemaßnahmen wie Lauftraining und Stärkung der Muskulatur, Kontrakturenprophylaxe oder propriozeptisches Training der unteren Extremitäten angewendet.

     

    Neben den physiotherapeutischen Behandlungen kann es aber auch immer wieder zu Situationen kommen, in denen alle Einsatzteilnehmer mit anpacken müssen. In Haiti beispielsweise mobilisierten die Helfer alle Kräfte, um Schutzmaßnahmen gegen einen bevorstehenden Hurrikan zu treffen.

    Gute Vorbereitung ist das A und O

    In Deutschland engagieren sich Organisationen wie „humedica e.V.“, „Hammer-Forum e.V.“ und „Handicap International e.V.“, um die Gesundheitsversorgung in dem jeweiligen Gebiet zu verbessern. Um gezielt helfen zu können, arbeiten die Vereine eng mit der einheimischen Bevölkerung und Organisationen vor Ort zusammen.

     

    humedica e.V.

    Bevor Helfer für „humedica“ in den Einsatz gehen, müssen sie ein Training bei der Organisation absolvieren. Die Teilnehmer hören Vorträge von „humedica“-Mitarbeitern beispielsweise über UN-Strukturen, Regeln im Umgang mit dem Team, allgemeine Verhaltensregeln und interkulturelle Herausforderungen. Zudem bereiten die Trainings die Teilnehmer auf die Umstände eines Einsatzes vor. Sie bauen unter erschwerten Bedingungen Behandlungsplätze auf, üben, wie sie Menschen evakuieren können und werden von externen Referenten zu Tropenmedizin und psychischen Herausforderungen geschult. Das Training muss bei „humedica“ absolviert werden. Eine abgeschlossene Ausbildung ist nicht zwingend erforderlich, wird aber bevorzugt. In der Regel gibt es pro Team nur einen Physiotherapeuten, der dementsprechend eigenmächtig entscheiden und behandeln können muss.

     

    Anschließend registriert der Verein die Teilnehmer in einer Datenbank. In dieser befinden sich zurzeit knapp 1.000 Personen mit medizinischem Hintergrund und 100 Koordinatoren. Bei einer Katastrophe bekommen sie einen Alarm in Form einer SMS oder E-Mail und werden so dazu aufgerufen zu helfen. In der SMS steht dann beispielsweise: „Erdbeben in Haiti. Benötigen Physiotherapeuten. Abflug schnellstmöglich“. Wer interessiert ist zu helfen, ruft die Organisation zurück.

     

    Hammer-Forum e.V.

    Das „Hammer-Forum“ entsendet Physiotherapeuten ins Ausland, um Krankenpfleger in Entwicklungsländern zu Physiotherapeuten auszubilden. Die physiotherapeutischen Helfer organisieren dazu tägliche Lehrpläne, teilen die Arbeit für jeden Schüler ein und führen auch selbst physiotherapeutische Maßnahmen durch. In der Regel haben die Helfer einen acht bis zehn Stunden-Arbeitstag. Morgens sind die Visiten mit den Ärzten, anschließend ist Physiotherapie-Schule, mittags Theorie und am Nachmittag behandeln die Physiotherapeuten selbst Patienten. Abends bereiten die Helfer die Inhalte für den nächsten Tag vor und geben diese gegebenenfalls zum Übersetzen.

     

    Im „Hammer-Forum“ ist Berufserfahrung sehr wichtig, da die Physiotherapeuten vor Ort die einheimischen Kräfte aus- und fortbilden. Hierfür ist auch eine gewisse Lebenserfahrung notwendig, um auch zwischenmenschlich in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Daher finden hier vor einem Auslandseinsatz Vorgespräche statt, bei denen die Situation vor Ort sowie die besonderen Herausforderungen an die Helfer geklärt werden. Wenn es möglich ist, reisen Mitarbeiter, die noch über keinerlei Auslandserfahrungen verfügen zunächst mit einem Team, sodass sie sich untereinander vor Ort immer wieder austauschen können.

     

    Das „Hammer-Forum“ holt in Ausnahmefällen auch Kinder nach Deutschland, um sie hier behandeln oder operieren zu lassen. Einige von ihnen benötigen dann noch eine Gehschule oder andere physiotherapeutische Maßnahmen, bevor sie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Für diese Kinder sucht die Organisation immer Physiotherapeuten, die sie kostenlos behandeln.

     

    Handicap International e.V.

    Die Helfer bei „Handicap International“ müssen staatlich geprüfte Physiotherapeuten sein, also ihre Ausbildung in Deutschland abgeschlossen haben. Je mehr zusätzliche Fortbildungen sie besucht haben, desto besser sind sie qualifiziert, um im Ausland Fachkräfte auszubilden. Fundierte Kenntnisse in Orthopädie sind von Vorteil, da „Handicap International“ in den meisten Ländern mit Patienten nach Amputationen, Frakturen und Polytraumata arbeiten. Nach mehreren Einsätzen erlangen die Physiotherapeuten in den Auslandseinsätzen auch Projektmanagementerfahrungen. Belegen sie weiterhin im Hauptquartier von „Handicap International“ einen Kurs in Projektmanagement und erlangen Kenntnisse in Personalmanagement, setzt der Verein Physiotherapeuten als Supervisoren in den Teams ein.

     

    Auch „Handicap International“ setzt darauf, einheimische Mitarbeiter auszubilden. Bei Entwicklungsprojekten fungieren die ehrenamtlichen Helfer meistens als Trainer oder technischer Berater, während sie bei Notfalleinsätzen direkt mit den Patienten arbeiten. So wie Projektmanager eines jeweiligen Projektes für den Ablauf und das Zusammenspiel zuständig sind, beraten Physiotherapeuten in technischen und fachbezogenen Fragen.

     

    Bei „Handicap International“ arbeiten die Auslandsmitarbeiter in der Regel hauptehrenamtlich und müssen für längere Einsätze ihre Arbeitsstelle in Deutschland kündigen. Das hängt aber sehr stark von der Länge des Einsatzes ab. Die meisten Arbeitgeber schätzen es, wenn ihre Mitarbeiter sich ehrenamtlich engagieren. Oftmals nehmen Helfer ihren Jahresurlaub, wieder andere schließen für ein paar Wochen ihre Praxis und verweisen Patienten an Kollegen. Auch im „Hammer-Forum“ sind viele Mitarbeiter nicht mehr berufstätig und engagieren sich in ihrer Rente ehrenamtlich im Ausland. Diese Helfer bleiben dann auch oft länger vor Ort.

     

    Wer sich nicht direkt in einem Krisengebiet als ehrenamtlicher Helfer engagieren möchte, kann für die verschiedenen Projekte der Organisationen spenden und Materialien für physiotherapeutische Maßnahmen sammeln, die die Vereine dann in die jeweiligen Projektländer versenden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • humedica e.V., Goldstraße 8, 87600 Kaufbeuren; Telefon: 08341 966148-0; E-Mail: info@humedica.org; www.humedica.org; Spendenkonto: 4747, BLZ: 734 500 00, Sparkasse Kaufbeuren.
    • Hammer-Forum e.V., Caldenhofer Weg 118, 59063 Hamm; Telefon: 02381 871 72-0, E-Mail: info@hammer-forum.de; www.hammer-forum.de, Spendenkonto: 40 70 181, BLZ: 410 500 95, Sparkasse Hamm.
    • Handicap International e.V., Ganghoferstr. 19, 80339 München; Telefon: 089 547606-0; E-Mail: info@handicap-international.de; www.handicap-international.de, Spendenkonto 595, BLZ 70020500, Bank für Sozialwirtschaft.
    Quelle: Ausgabe 08 / 2011 | Seite 6 | ID 27351340